EU-Wahlprüfsteine: Was wollen die Parteien für LSBTIQ* in der EU tun?
Forderungen des LSVD zu den Europawahlen und Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine
Anlässlich der Europawahlen 2024 hat der LSVD seine Forderungen als Wahlprüfsteine an die zur Wahl stehenden Parteien, die entweder im EU-Parlament oder im Bundestag vertreten sind, gesandt und die Antworten ausgewertet.
Die Grafik im Vollbild hier aufrufen.
Die Reihenfolge der dargestellten Ergebnisse orientiert sich an der Größe der Stimmenanteile pro Partei bei der letzten EU-Wahl im Jahr 2019 (Ergebnisse - Die Bundeswahlleiterin).
Andere Parteien: Trotz Fristverlängerung von vier auf sechs Wochen haben die folgenden Parteien keine Antworten auf die Wahlprüfsteine gegeben: BSW (begründet), ÖDP (begründet) und Die Partei (unbegründet).
1. Umfassender EU-Aktionsplan gegen die Diskriminierung von LSBTIQ*
Die LGBTIQ*-Gleichstellungsstrategie 2020-2025 war ein entscheidender Schritt, um die Arbeit zu LSBTIQ*-Rechten fest in allen Bereichen der EU-Politik zu verankern. Die Strategie verpflichtete die EU ohne Wenn und Aber nicht nur zum vollständigen Schutz von Lesben, Schwulen und Bisexuellen, sondern auch von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen. Auch in der nächsten Legislaturperiode brauchen wir wieder einen umfassenden EU-Aktionsplan für die Gleichberechtigung von LSBTIQ*.
Künftige Strategien müssen spezifische Maßnahmen enthalten, die intersektional funktionieren. Nur so können wir sicherstellen, dass diejenigen, die von mehrfacher Marginalisierung betroffen sind, gleichermaßen einbezogen und geschützt werden. Beispielsweise müssen die Rechte von LSBTIQ*-Personen in andere Strategien einbezogen werden, wie die Strategie für die Rechte des Kindes und die Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, und umgekehrt.
Wir wollen von den Parteien wissen
1. Wie wird sich Ihre Partei dafür stark machen, dass es auch in der nächsten Legislaturperiode einen umfassenden Aktionsplan gegen die Diskriminierung von LSBTIQ* gibt? Welche Themen und Maßnahmen sollte der nächste Aktionsplan beinhalten und was soll dabei verbessert werden?
Was haben die Parteien geantwortet?
2. Diskriminierungsschutz ausbauen
Laut einer aktuellen Umfrage der EU-Grundrechteagentur (FRA) sind mehr als 1 von 3 Personen werden in ihrem täglichen Leben aufgrund ihrer Identität diskriminiert. Der derzeitige EU-weite Diskriminierungsschutz für LSBTIQ* muss deshalb dringend ausgebaut werden. Denn dieser gilt bisher lediglich für das Arbeitsleben und schützt nicht vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechtsausdrucks bzw. der Geschlechtsidentität. LSBTIQ* müssen auch in anderen Gesellschaftsbereichen durch eine neue, umfassende Antidiskriminierungsrichtlinie geschützt werden. Ungleichbehandlungen und Barrieren für LSBTIQ* im Gesundheitssektor müssen ebenfalls abgebaut werden, etwa beim Zugang zu Behandlungs- und Vorbeugungsmaßnahmen. Deutschland blockiert diese Richtlinie jedoch leider seit Jahren.
Wir wollen von den Parteien wissen
2. Wie wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass der Schutz vor Diskriminierung für LSBTIQ* in Europa am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, in staatlichen Einrichtungen und im Gesundheitssektor gestärkt wird?
Was haben die Parteien geantwortet?
3. Rechte von trans*, nicht-binäre und intergeschlechtlichen Menschen gewährleisten
Es ist höchste Zeit, dass Menschenrechtsverletzungen an trans*, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen in EU-Mitgliedsstaaten endlich aufhören. Ein Beispiel dafür ist Tschechien, wo eine Sterilisation notwendig ist, damit eine trans* Person ihren Geschlechtseintrag ändern lassen kann. Außerdem besitzen nur wenige EU-Länder ein Gesetz, das nicht notwendige Operationen an intergeschlechtlichen Kindern verbietet.
Die LSBTIQ*-Gleichstellungsstrategie 2020-2025 verpflichtet die EU zum vollständigen Schutz von trans*, inter* und nicht-binären Menschen. Die EU muss dieser Verpflichtung Taten folgen lassen, indem sie die enge aktuelle Auslegung des Rechtsschutzes im EU-Vertrag, der sich ausschließlich auf die sexuelle Ausrichtung bezieht, auf Geschlechtsidentität und die Geschlechtsmerkmale ausweitet.
Wir wollen von den Parteien wissen
3. Wie wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass menschenrechtswidrige medizinische Behandlungen an trans*, inter* und nicht-binären Menschen in den EU-Mitgliedsstaaten beendet werden? Wie wird sich Ihre Partei für die rechtliche Anerkennung aller Geschlechter auf EU-Ebene einsetzen?
Was haben die Parteien geantwortet?
4. Maßnahmen gegen queerfeindliche Hassgewalt und Hassrede ausbauen
Der vor kurzem veröffentlichte ILGA-Europe-Jahresbericht 2024 zeigt einen klaren Anstieg an Vorfällen von queerfeindlicher Hasskriminalität und Gewaltvorfällen. Insbesondere trans*feindliche Motive nehmen rasant zu. In mehreren Mitgliedstaaten bestehen jedoch weiterhin Lücken in den nationalen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung, Hassgewalt und Hassreden.
Das Europäische Parlament muss die politische Führung übernehmen, um die Bekämpfung von Hassgewalt und -reden gegen LSBTIQ* zu einer Priorität zu machen. Die Abgeordneten sollten mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene Gesetze verabschiedet werden, um diese Lücken zu schließen.
Wir wollen von den Parteien wissen
4. Wie wollen Sie sich dafür einsetzen, dass bestehende Lücken in der Gesetzgebung gegen queerfeindliche Hassgewalt und -rede in der EU geschlossen werden?
Was haben die Parteien geantwortet?
5. Vielfalt der Familienformen europaweit anerkennen
Die Freizügigkeit ist für LSBTIQ*-Personen und ihre Familien in einigen EU-Ländern noch nicht vollständig gewährleistet. Das Parlament sollte sich weiterhin für die gleiche Anerkennung der Elternschaft über die Grenzen hinweg einsetzen, wie es der EuGH im Fall Baby Sara (Rechtssache C-490/20) gefordert hat. Ein großes Problem für die Freizügigkeit in der EU ist aber, dass eingetragene Partnerschaften oder verheiratete gleichgeschlechtliche Paare in der Regel in denjenigen EU-Ländern nicht anerkannt werden, die diese Rechtsformen selbst nicht im nationalen Recht verankert haben.
Die betroffenen Paare erleiden bei einem etwaigen Umzug gravierende Rechtsverluste. Ähnliches gilt für gleich- und/oder transgeschlechtliche Eltern. Die Kommission muss sich dafür einsetzen, dass Ehen, eingetragene Partnerschaften und elterliche Rechte von LSBTIQ*, die sich in EU-Staaten ohne "Ehe für alle" oder eingetragene Partnerschaft niederlassen, auch dort anerkannt werden.
Wir wollen von den Parteien wissen
5. Wie wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass die EU rechtliche Lücken in der Frage der Freizügigkeit und gegenseitigen Anerkennung von Familien mit gleichgeschlechtlichen bzw. transgeschlechtlichen Eltern schließt?
Was haben die Parteien geantwortet?
6. LSBTIQ*-Asylsuchende schützen
Das EU-Asylrecht ist klar in Bezug auf die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass LSBTIQ* als verfolgte soziale Gruppe im Sinne der Genfer Konvention anerkannt werden müssen. Er führte aus, dass von LSBTIQ*-Asylsuchenden nicht erwartet werden kann, ihre Identität im Herkunftsland geheim zu halten oder sich beim Ausleben zurückzuhalten, um Verfolgung zu vermeiden.
Im Dezember 2023 einigten sich das Europäisches Parlament und der Rat der EU über die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Diese Einigung wird die Situation von LSBTIQ*-Asylsuchenden in den EU-Mitgliedstaaten erheblich verschlechtern. Es darf nicht sein, dass die EU queere Menschen, die bei uns Schutz suchen, zukünftig an ihren Außengrenzen inhaftiert, Asyl-Anträge großenteils nicht inhaltlich prüfen lässt und sie dann in vermeintlich sichere Drittstaaten abschiebt.
Um einen angemessenen Schutz für LSBTIQ*-Asylsuchende sicherzustellen, müssen folgende Minimalstandards eingehalten werden: LSBTIQ*-Geflüchtete müssen EU-weit als „besonders schutzbedürftige“ Gruppe anerkannt und aus den Grenzverfahren herausgenommen werden. Sie müssen außerdem Zugang zu LSBTIQ*-Fachberatungsstellen bekommen, welche wiederum langfristig von der EU finanziert werden müssen. Zudem sollten EU-weit nur solche Staaten als "sichere Drittstaaten" deklariert werden, in denen LSBTIQ* in allen Landesteilen sicher vor Verfolgung sind.
Wir wollen von den Parteien wissen
6. Wie stellen Sie sicher, dass die EU trotz der GEAS-Reform das individuelle Recht auf Asyl für LSBTIQ* wahrt, etwa durch die Umsetzung der EU-weiten Schutzbestimmungen von besonders schutzbedürftigen Personen v.a. aus Ländern, wo gleichgeschlechtliche Handlungen mit Haft-/Todesstrafe geahndet werden?
Was haben die Parteien geantwortet?
7. Menschenrechte von LSBTIQ* verteidigen
Viele Staaten dieser Welt missachten die Menschenrechte von LSBTIQ*, ihnen drohen Haft, Folter oder Todesstrafe. Auch in EU-Mitgliedsstaaten oder Beitrittskandidaten kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, zu Versammlungsverboten oder Übergriffen der Polizeiorgane.
Es ist wichtig, dass die EU anerkennt, dass der Schutz der Rechte von LSBTIQ* ein wesentlicher Bestandteil ihrer Rolle als Verteidigerin der allgemeinen demokratischen Rechte und Freiheiten ist. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe müssen alle verfügbaren Instrumente eingesetzt werden, z. B. der Rechtsstaatlichkeitsrahmen, die Bindung von EU-Finanzmitteln an die Einhaltung der Grundrechte und Vertragsverletzungsverfahren.
Wir wollen von den Parteien wissen
7. Wie wird sich Ihre Partei im EU-Parlament dafür einsetzen, dass die Menschenrechte von LSBTIQ* in aller Welt geschützt und LSBTIQ*-Menschenrechtsverteidiger*innen weltweit gestärkt werden?
Was haben die Parteien geantwortet?
8. Mit gutem Beispiel vorangehen
Mitglieder der Kommission und des Parlaments sollten mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es darum geht, Diskriminierung zu bekämpfen und die Menschenrechte von LSBTIQ* zu stärken. So sollten ein Einsatz für Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung von LSBTIQ* Kriterium bei der Ernennung von Mitgliedern der EU-Kommission sein. Parteien sollten sich verpflichten, nicht mit Parteien oder Fraktionen zusammenzuarbeiten, die LSBTIQ* diskriminieren und deren Menschenrechte verletzen.
Gegen Mitgliedsstaaten, die die Menschenrechte von LSBTIQ* immer weiter aushöhlen und eine Polarisierung vorantreiben, sollten jegliche verfügbaren Instrumente, wie die Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens, eingesetzt werden. Hier ist zum Beispiel Ungarn zu nennen, das unter anderem mit einem aus Russland übernommenen Gesetz gegen "LSBTIQ*-Propaganda", welches die öffentliche Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt de facto verbannt, kontinuierlich den Wertekanon der EU verletzt.
Wir wollen von den Parteien wissen
8. Wie wird sich Ihre Partei aktiv und sichtbar für Menschenrechte, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung von LSBTIQ* im Parlament einsetzen? Wie plant Ihre Partei, gegen die Verletzung der Rechte von LSBTIQ* durch andere EU-Mitgliedsstaaten vorzugehen?
Was haben die Parteien geantwortet?
Die Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 ist eine Richtungswahl: Es geht um nichts weniger als um die Zukunft der europäischen Demokratie. Deshalb rufen wir die ganze Community, ihre Verbündeten und alle Demokrat*innen dazu auf, wählen zu gehen und nur die Parteien zu wählen, die sich glaubhaft für Gleichheit und Akzeptanz von LSBTIQ* in Europa einsetzen.
Weiterlesen
- Coming-Out für Europa – Wenn nicht jetzt, wann dann? Beschluss des LSVD-Verbandstages 2024
- Come Out 4 Europe Pledge 2024 - LSVD fordert von EU-Kandidat*innen Selbstverpflichtung zu LSBTIQ*-Rechten
- Jahresbericht von ILGA-Europe 2024
- Eurobarometer Umfrage "Discrimination in the European Union"