Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

STELLUNGNAHME ZUR SOG. MISSBRÄUCHLICHEN VATERSCHAFTSANERKENNUNG

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD)

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat und das Bundesministerium der Justiz haben am 30.04.2024 einen Entwurf für ein Gesetz zur besseren Verhinderung sogenannter missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen vorgelegt. Der LSVD hat auf Anfrage der beiden Ministerien am 21.05.2024 zum Gesetzesentwurf Stellung genommen.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist besorgt über das gesetzgeberische Vorhaben, die Vaterschaftsanerkennung bei Eltern mit sogenanntem Aufenthaltsgefälle künftig von der Zustimmung der Ausländerbehörde abhängig zu machen.

Auf folgende Punkte möchten wir aus queerpolitischer Perspektive insbesondere hinweisen:

  1. Familien zweiter Klasse

Zweck des Abstammungsrechts ist es, einem Kind möglichst rasch und zuverlässig diejenigen Erwachsenen als rechtliche Eltern zuzuordnen, die Verantwortung für es tragen. Die Zuordnung der rechtlichen Vaterschaft erfolgt qua bestehender Ehe zur gebärenden Person oder Anerkennungserklärung des Mannes, der rechtlicher Vater werden möchte mit Zustimmung der rechtlichen Mutter. Nur wenn es keinen Vater qua Ehe oder Anerkennung gibt, kann die Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 3 BGB vermittels eines genetischen Abstammungsnachweises gerichtlich festgestellt werden.

Bei der Vaterschaftsanerkennung muss der Anerkennende erklären, rechtlicher Vater des Kindes sein zu wollen. Auf das Bestehen einer genetischen Verwandtschaft zum Kind oder seine Motivation kommt es dabei nicht an. Dass die Vaterschaftsanerkennung niedrigschwellig ausgestaltet ist, dient dem Schutz des nichtehelichen Kindes und seinem Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Daher ist auch bereits vorgeburtlich die Anerkennung der Vaterschaft möglich. Das Zustimmungserfordernis der rechtlichen Mutter sichert die Autonomie der bestehenden Familie ab. Die rechtliche Vaterschaft, die durch eine Anerkennung zustande gekommen ist, ist unabhängig von der Motivlage für die Anerkennung eine „Vollvaterschaft“ mit allen elterlichen Rechten und Pflichten, wie etwa Unterhaltsverpflichtungen. Diese Pflichten können auch nicht vertraglich ausgeschlossen werden.

Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass bei Familien mit sogenanntem Aufenthaltsgefälle eine Vaterschaftsanerkennung dem Grundsatz nach nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde erfolgen darf.

  1. Schlechterbehandlung nicht der Norm entsprechender Familien

Eine Zustimmung soll gemäß § 85a Abs. 1 S. 3 Aufenthaltsgesetz-E nur von vornherein entbehrlich sein, wenn der Anerkennende der „leibliche Vater“ des Kindes ist. Das ist keine Anerkennungsvoraussetzung bei allen anderen Familien. Insofern ergeben sich gleichheitsrechtliche Bedenken.

Der Nachweis der genetischen Abstammung darf erst nach der Geburt durchgeführt werden, vorgeburtliche Vaterschaftstests sind verboten. Das bedeutet, dass es für Familien mit „Aufenthaltsgefälle“ unmöglich wird, zur Rechtklarheit und Absicherung für alle Beteiligten bereits vorgeburtlich die Vaterschaft anzuerkennen. Bis der entsprechende Nachweis erbracht ist, können Monate vergehen, in denen das Kind rechtlich keinen zweiten Elternteil hat – mit allen unterhalts- und sonstigen rechtlichen Konsequenzen.

Es soll regelhaft vermutet werden, dass die Anerkennung nicht missbräuchlich ist, wenn der Antragsteller über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten Unterhalt für das Kind gezahlt hat und „aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch für die Zukunft die Leistung von substantiellen regelmäßigen Beiträgen zum Lebensunterhalt der Mutter oder des Kindes zu erwarten ist“ (§ 85a Abs. 5 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz-E) oder wenn der Anerkennende seit mindestens sechs Monaten Umgang mit dem Kind hat und erwartbar in Zukunft haben wird (§ 85a Abs. 5 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz-E). Missbrauch sei ebenfalls nicht gegeben, wenn die Antragstellenden seit mindestens sechs Monaten zusammenleben (§ 85a Abs. 5 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz-E) oder Anerkennender und Mutter nach der Geburt geheiratet haben (§ 85a Abs. 5 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz-E).

Unterhaltszahlungen und Umgang können also bereits gesetzlich frühstens sechs Monate nach Geburt des Kindes den Missbrauchsverdacht ausräumen. Bis dahin ist das Kind nicht durch einen zweiten Elternteil abgesichert. Unterhaltszahlungen sowie gesicherte Einkommensverhältnisse knüpfen die Anerkennung als Familie zudem an ökonomische Ressourcen. Gleiches kann für das Zusammenleben gelten: Nicht alle Familien wollen, viele können aber auch aus verschiedenen Gründen nicht zusammenleben.

Die Fallgruppen spiegeln Normalitätserwartungen an Familien wider, die an Familien ohne „Aufenthaltsgefälle“ nicht gestellt werden. Das gilt insbesondere auch für die Regel, dass ein Entlastungsnachweis von vornherein nur mit einem Nachweis der genetischen Verwandtschaft zwischen Anerkennendem und Kind geführt werden kann. Für die Prüfung sollen die Ausländerbehörden zuständig sein. So soll sie etwa anhand von Indizien eine Prognoseentscheidung vornehmen, in der sie einschätzt, ob auch künftig ein Umgang zwischen Vater und Kind zu erwarten ist, etwa weil das Kind den Mann als „Vater“ bezeichnet (S. 42 der Gesetzesbegründung). Die Ausländerbehörde hat keine entsprechende Kompetenz.

Insgesamt führt das Gesetzesvorhaben zu einem Bruch mit dem Grundzweck des Abstammungsrecht: Statt einer raschen Zuordnung und Rechtssicherheit für alle Beteiligten werden sehr lange Schwebezustände geschaffen und extensive behördliche Ausforschungen notwendig. Dies ist vor allem aus Perspektive des Kindes nachteilhaft.

  1. Verhältnismäßigkeit

In der Gesetzesbegründung werden abstrakt „Erfahrungen aus den Ausländerbehörden, […] Erkenntnisse […] der Standesämter und der Auslandsvertretungen“ (S. 1 der Gesetzesbegründung) zur Begründung der Gesetzesverschärfung angegeben. Es bleibt unklar, wie hoch die Anzahl missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen ist, die von der bisherigen Regelung nicht erfasst wird. Demgegenüber steht der Generalverdacht gegen alle nichtehelichen Familien mit Aufenthaltsgefälle, die langen Schwebezustände bei der Eltern-Kind-Zuordnung und die Ausforschung durch die Behörden. Nichteheliche Kinder mit Eltern, zwischen denen ein „Aufenthaltsgefälle“ besteht, hätten erst mal keinen zweiten Elternteil. Zudem werden nichteheliche Kinder schlechter gestellt als eheliche. Die Verhältnismäßigkeit der Regelung ist zu bezweifeln. Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 bereits das behördliche Anfechtungsrecht für verfassungswidrig und nichtig erklärt (Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 6/10) und in diesem Zuge auch auf den Generalverdacht hingewiesen, dem Familien ausgesetzt sind, die Normalitätserwartungen von gemeinsamem Wohnsitz oder Ehe nicht entsprechen.

  1. Bedeutung für die Reform des Abstammungsrechts

Eines der zentralen familienpolitischen Reformvorhaben der Bundesregierung war die Beendigung der Diskriminierung queerer Familien durch eine Reform des Abstammungsrechts. Damit einhergehen sollte die Anerkennung der Autonomie der Familien und der Bedeutung gelebter sozialer Elternschaft. Queere binationale Familien sind von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Die Biologisierung des Abstammungsrechts trifft sie besonders. Nach den Reformplänen für das Abstammungsrecht soll die Anerkennung künftig unabhängig vom Geschlecht möglich sein. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die genetische Abstammung dann beim Vorwurf missbräuchlicher Anerkennungen spielen soll. Wenn nur der Nachweis der genetischen Verbindung zwischen zweitem Elternteil und Kind eine sofortige Zuordnung ermöglicht, wären nichteheliche Kinder queerer Eltern ohne eine solche genetische Verbindung weiterhin ohne zweiten Elternteil. So könnte etwa die zweite Mutter eines Kindes frühstens nach sechs Monaten qua Unterhaltszahlungen oder Umgang mit dem Kind den Missbrauchsverdacht entkräften. Die im geltenden Recht bestehende Ungleichbehandlung insbesondere der Kinder bliebe bestehen. Auch die im Eckpunktepapier für die Reform des Abstammungsrechts vorgesehenen vorgeburtlichen Elternschaftsvereinbarungen wären nur für Familien ohne „Aufenthaltsgefälle“ möglich. Die mit der Abstammungsrechtsreform eigentlich zu beendenden Schwebezustände und behördlichen Ausforschungen würden so aufrechterhalten. Wie sich beim Erfordernis der Stiefkindadoption für queere Familien zeigt, kann die individuelle behördliche Begutachtung Einfallstor auch für queerfeindliche Diskriminierungen sein.

Der LSVD fordert, die Reform des Abstammungsrechts nun zügig anzugehen und keine Elternschaft zweiter Klasse zu schaffen!

Unsere Stellungnahme erläutern wir gern ausführlich in einem persönlichen Gespräch.

Theresa Richarz, Grundsatzreferat

Patrick Dörr, Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD)