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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Artikel 3 GG ergänzen: Was geschah bis jetzt?

Timeline der Forderung nach dem expliziten Schutz von LSBTIQ* im Grundgesetz

75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes bleibt der bleibt der Schutz lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie weiterer queerer Menschen (LSBTIQ*) weiterhin unvollständig. Seit Gründung unseres Verbandes ist die Korrektur dieses Anfangsfehlers eines seiner Ziele und seiner Forderungen. Besonders in Zeiten des Rechtsrucks ist es dringender denn je, dass die Anpassung noch in dieser Legislaturperiode erfolgt: Weil der Schutz queerer Menschen nicht explizit im Grundgesetz steht, könnte sich die systematische Verfolgung queerer Menschen auch in Deutschland wiederholen.

23. Mai 1949

Heterosexuelle sind unserer Grundrechtsordnung bislang mehr wert als LSBTIQ* Menschen. Das hat tiefe historische Wurzeln. Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben den Gleichheitsartikel unter dem Eindruck der Schreckensherrschaft des nationalsozialistischen Unrechtsregimes geschrieben. Der Gleichbehandlungskatalog ist die Antwort auf die nationalsozialistische Selektions- und Verfolgungspolitik. Er ist geprägt von der Erkenntnis, dass die Menschlichkeit insgesamt gefährdet ist und Barbarei droht, wenn auch nur einer Gruppe von Menschen die gleichen Grund- und Menschenrechte streitig gemacht werden.

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, hieß es deshalb.

Dennoch hatte man 1949 zwei Gruppen ausgespart: die Behinderten und die Homosexuellen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren den Moralanschauungen und Vorurteilen ihrer Zeit verhaftet.

11. Mai 1957

"Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz" urteilte das Bundesverfassungsgericht. §175 sei nicht in dem Maße „nationalsozialistisch geprägtes Recht", dass ihm "in einem freiheitlich demokratischen Staat die Geltung versagt werden müsse." Der § 175 StGB blieb damit im demokratischen Staat in seiner Nazi-Fassung in Kraft. Mit dieser Entscheidung verurteile das Verfassungsgericht viele tausend schwule und bisexuelle Männer zu Gefängnis, Zuchthaus und damit zum Verlust der bürgerlichen Existenz. Bis 1969 blieben einverständliche sexuelle Begegnungen unter erwachsenen Männern strafbar. 50.000 Verurteilungen wurden in der Bundesrepublik ausgesprochen. Doppelt so viele Männer gerieten ins Visier der Ermittlungsbehörden. Für alle Homosexuellen bedeuten die Jahre unter dem § 175 eine bleierne Zeit der Tarnung, des Versteckens und der steten Furcht vor Entdeckung. Ganze Generationen wurden um ihr Lebensglück betrogen. Endgültig gefallen ist der § 175 erst 1994.

1990

Bereits bei der Gründung des Verbands erhebt dieser die Forderung nach einer Korrektur des Anfangsfehlers im Grundgesetz.

1993

Zwar hatte sich 1993 die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat mehrheitlich für eine solche Erweiterung des Gleichheitsartikels ausgesprochen. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wurde allerdings durch den Widerstand von CDU/CSU und die Enthaltung der FDP verfehlt.

27. Oktober 1994

Der Bundestag verabschiedet das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes. Artikel 3 wird an zwei Stellen ergänzt: um einen Passus zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männer (Artikel 3, Abs. 2 Satz 2) und um das Diskriminierungsverbot auf Grund der Behinderung (Artikel 3, Abs.3). Anträge von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Merkmal der sexuellen Identität fanden keine Verfassungsmehrheit.

18. August 2006

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) tritt in Kraft. Es legt in § 1 (Ziel des Gesetzes) fest, dass Benachteiligungen wegen der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen sind. Das AGG verpflichtet Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft. Der Staat hingegen behält sich weiterhin ein Diskriminierungsrecht vor.

11. Mai 2007

Anlässlich des 50. Jahrestages des „Homosexuellen-Urteils“ startet der LSVD die neue Kampagne „Lesben und Schwule in die Verfassung“ mit einer Mahnwache vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.  

Zur Unterstützung unseres Aufrufes für eine Erweiterung des Gleichheitsartikels hat sich ein Kreis prominenter Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner zusammengefunden. Zu ihnen gehören die Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch ebenso wie Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Den Aufruf unterstützen die Fernsehmoderatorin Maybritt Illner, Künstlerinnen, Künstler und Entertainer wie Iris Berben, Rosenstolz, Hape Kerkeling oder Dieter Thomas Heck. Auch die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, oder der Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske haben den Aufruf unterzeichnet. Auch viele Verbände wie der Deutsche Juristinnenbund oder Terres de Femmes zählen zu den Unterstützern.

16. Dezember 2008

Gemeinsame Presseerklärung des LSVD und des CSD Deutschland: Im Jahr 2009 wird die Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um die Rechte von Lesben und Schwulen zum Leitthema der CSD-Veranstaltungen.

24 CSD-Vereine schließen sich im Laufe des Jahres der Kampagne an. In Augsburg, Berlin, Hamburg, Halle, Kiel, Lübeck, Saarbrücken, Schwerin und Würzburg wird die Grundgesetzänderung zum Motto der Paraden.

17. Mai 2009

Mit der 3+ bekommt die Kampagne ein neues Gesicht. Anlässlich des „Tages gegen Homophobie“ veranstaltet der LSVD eine Kundgebung und ein Symposium in Berlin.

4. August 2009

Der LSVD veröffentlicht die Antwort der Parteien auf die Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl. Darin sprechen sich SPD, LINKE. und GRÜNE für eine Ergänzung des Grundgesetzes aus.

16.Oktober 2009

Der Bundesrat berät den Gesetzesantrag der Länder Berlin, Bremen, Hamburg zur Ergänzung des Gleichheitsartikel im Grundgesetz

29. Januar 2010

Erste Lesung der Gesetzentwürfe der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE zur Ergänzung des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz um das Merkmal „sexuelle Identität“ statt, die aber nicht verabschiedet werden.

2017

Teil der LSVD-Forderungen an einen Nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bisexuellen- und Trans*-Feindlichkeit ist auch die Ergänzung des Grundgesetzes: "3 Abs. 3 GG muss mit „Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität benachteiligt werden“ ergänzt werden." (Deutschland im UPR-Verfahren)

23.Oktober 2018 

Die Bundesvorstandsmitglieder Axel Hochrein und Gabriela Lünsmann konnten am 23.10.2018 in einem einstündigen Gespräch mit Bundesjustizministerin Katharina Barley und den Leiter*innen ihrer Abteilungen Bürgerliches Recht und Verfassungsrecht die aus Sicht des LSVD aktuell drängendsten rechtspolitischen Fragen diskutieren. Ein Thema des Gesprächs war die Forderung nach einer Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz um ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität. 

21. Mai 2021

Anlässlich des Tages des Grundgesetzes (23. Mai) übergeben Vertreter*innen der Initiative GRUNDGESETZ FÜR ALLE in Berlin den Fraktionsspitzen von Union, SPD, FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr als 80.000 Unterschriften.

28. Mai 2021

Die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in der heutigen Sitzung des Bundesrats einen Gesetzesentwurf zur Ergänzung von Artikel 3 im Grundgesetz eingebracht. Danach sollte zukünftig auch niemand mehr aufgrund „seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität“ diskriminiert werden. Die Länderkammer hat es abgelehnt, den Gesetzesentwurf in den Bundestag einzubringen. 

24. September 2021

Welche Parteien wollen Art. 3, Abs. 3 Grundgesetz für einen ausdrücklichen Schutz für LSBTI ergänzen sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ausbauen? Antworten der Parteien zur Bundestagswahl 2021 auf die LSVD-Wahlprüfsteine.

Partei

CDU/CSU

SPD

AfD

FDP

Die Linke

Bündnis 90/ Die Grünen

Ergänzung GG

Nein

Ja

Nein

Ja

Ja

Ja

19. September 2021

Der bundesweite Aktionstag der Initiative „Grundgesetz für alle“ startet. Eine Woche vor der Bundestagswahl ruft der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) gemeinsam mit der Initiative zur Teilnahme an den bundesweiten Aktionen in über 13 Städten auf.

24. November  2021

GG-Ergänzung steht im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP.

18. November 2022

Auch im Aktionsplan "Queer leben" der Bundesregierung bestärkt die Regierung ihre Absicht, die Schutzlücke im Grundgesetz für LSBTIQ* endlich zu schließen.

23. Mai 2023

Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes sind die Forderungen nach der Ergänzung in Artikel 3, Absatz 3 GG wieder in der Öffentlichkeit präsenter.

17. Juli 2024

Kai Wegner kündigt eine Bundesratsinitiative aus Berlin zum Thema an.

27. Juli 2024

Unter dem Titel "Ein sturmfestes Grundgesetz für eine demokratische Zukunft" halten Andre Lehmann aus dem LSVD-Bundesvorstand und Pressesprecher*in Kerstin Thost eine Rede auf der Hauptbühne des Berliner CSD zur Ergänzung des Grundgesetzes - eine der Kernforderungen des Berliner CSD im Jahr 2024.