Ratgeber: Lesben und Schwule mit kirchlichem Arbeitgeber
Für Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht
Von Krankenhäusern über Kindergärten bis hin zu Einrichtungen für Senior*innen - viele Beschäftigte arbeiten in kirchlichen Einrichtungen. Die Kirchen sind große Arbeitgeber, für die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aber nicht gilt.
Die katholische Kirche ist laut Katechismus nach wie vor gegen Homosexualität und verlangt Enthaltsamkeit. Katholische Beschäftigte, die in hervorgehobener Position in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt sind, müssen mit ihrer Kündigung rechnen, wenn bekannt wird, dass sie verpartnert oder gleichgeschlechtlich verheiratet sind. Dagegen gehen wir davon aus, dass bei den übrigen katholischen Beschäftigten eine Kündigung wegen einer gleichgeschlechtliche Ehe oder wegen der Eingehung einer Lebenspartnerschaft nicht mehr möglich ist. Um Ärger und Aufregung zu vermeiden, sollten aber auch diese Beschäftigten weiterhin vorsichtig sein. Nicht katholische Beschäftigte in katholischen Einrichtungen müssen Lebenspartnerschaft oder ihre gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr verheimlichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Arbeitsrecht
- 1.1 Für Geistliche gilt ausschließlich kirchliches Recht
- 1.2 Für sonstige Beschäftigte der Kirchen gilt das Arbeitsrecht, allerdings mit erheblichen Abweichungen (Kirchliches Selbstbestimmungsrecht)
- 1.3. Besondere Klausel in den Arbeitsverträgen
- 1.4. Kirchen bestimmen allein über Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sowie Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag
- 2.1 EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie erlaubt Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung (Art. 4)
- 2.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz erlaubt Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung (§ 9)
- 2.3 Nach dem AGG haben Kirchen in Deutschland größere Entscheidungshoheit
- 2.4 EuGH: § 9 des AGG verstößt gegen die EU-Richtlinie
- Artikel 3 Begründung des Arbeitsverhältnisses
- Artikel 4 Loyalitätsobliegenheiten
- Artikel 5 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten
5. Coming-out als trans* ist kein Loyalitätsverstoß - Kündigung ist unzulässig
- 6.1. Nicht katholische Beschäftigte müssen Lebenspartnerschaft oder ihre gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr verheimlichen
- 6.2. Bei katholischen Beschäftigten in hervorgehobener Position kann Lebenspartnerschaft oder gleichgeschlechtliche Ehe ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß sein
- 6.3. Unter zwei Bedingungen ist das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer Lebenspartnerschaft für alle weiteren katholischen Beschäftigten ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß und eine Kündigung möglich
- 6.4. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg
7. Wie sollen wir uns als katholische Beschäftigte verhalten?
- 7.1. Katholische Beschäftigte in hervorgehobener Position dürfen nur heimlich verpartnert oder gleichgeschlechtlich verheiratet sein
- 7.2. Alle weiteren katholischen Beschäftigten
- 7.3. Soll ich bei Bewerbungen angeben, dass ich verpartnert bzw. gleichgeschlechtlich verheiratet bin?
8. Verpartnerung/ Eheschließung mit Beamt*innen, die im öffentlichen Dienst tätig sind
9. Auskunftssperre über den Familienstand beantragen
- 9.1 Schreiben an die Meldebehörde
- 9.2 Schreiben an das Standesamt
10. Gleichstellung von verpartnerten und verheirateten Beschäftigten in evangelischen Einrichtungen
1. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Arbeitsrecht
Die Kirchen können die Rechtsbeziehungen der Menschen, die für sie tätig sind, unterschiedlich regeln. Es ist zu unterschieden zwischen der Gruppe der Geistlichen und der der sonstigen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen wie etwa Pflegeheime oder Kitas.
1.1 Für Geistliche gilt ausschließlich kirchliches Recht
Für die katholischen Kleriker und Ordensangehörigen, die evangelischen Pfarrer*innen und Diakon*innen sowie für die katholischen und evangelischen Kirchenbeamt*innen gilt ausschließlich kirchliches Recht. Sie können sich weder auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG noch auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen. Sie können gegen eine Ungleichbehandlung auch nicht vor den staatlichen Gerichten, sondern nur vor den kirchlichen Gerichten klagen (streitig).
1.2 Für sonstige Beschäftigte der Kirchen gilt das Arbeitsrecht, allerdings mit erheblichen Abweichungen (Kirchliches Selbstbestimmungsrecht)
Für die sonstigen Beschäftigten der Kirchen gilt das Arbeitsrecht. Diese Personengruppe ist sehr groß, da zum Bereich der Kirchen nicht nur die eigentlichen Kirchenverwaltungen und ihre rechtlich selbständigen Teile gehören, sondern auch alle sonstigen Einrichtungen, die den Kirchen zugeordnet sind.
Demgemäß zählen zu den sonstigen Beschäftigten der Kirchen nicht nur die Vikare, Diakon*innen, Pastoralassistent*innen und Gemeindereferent*innen im Angestelltenverhältnis, sondern auch die Beschäftigten in den Einrichtungen der Caritas, der Inneren Mission und der Diakonie, in den kirchlichen Kindergärten und Kindertagesstätten, in den Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen, in den Privatschulen, Internaten und Ferienheimen sowie bei den Kirchenzeitungen.
Für sie gilt zwar das normale Arbeitsrecht, aber mit erheblichen Abweichungen. Diese hatte das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundrecht der Kirchen auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und ihrem durch das Grundgesetz garantiertem Selbstbestimmungsrecht abgeleitet (Art 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung).
1.3. Besondere Klausel in den Arbeitsverträgen
Die Kirchen sind berechtigt von ihren Angestellten die Einhaltung der kirchlichen Lehre auch im außerdienstlichen Bereich einzufordern. In einer Entscheidung vom 04.06.1985 (BVerfGE 70, 138) hatte das Bundesverfassungsgericht folgende Auffassung vertreten:
"Bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit von Kündigungen darf das den Kirchen gewährte Selbstbestimmungsrecht nicht außer Betracht bleiben. Es berechtigt die Kirchen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verpflichten, jedenfalls die tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre zu beachten und von ihnen zu verlangen, dass sie nicht gegen die fundamentalen Verpflichtungen verstoßen, die sich aus ihrer Zugehörigkeit zur Kirche ergeben und die jedem Kirchenmitglied obliegen."
Deshalb enthalten die Arbeitsverträge üblicherweise besondere Klauseln, durch die den Mitarbeitenden die Pflicht auferlegt wird, ihre persönliche Lebensführung nach der Glaubens- und Sittenlehre sowie den übrigen Normen der betreffenden Kirche auszurichten.
1.4. Kirchen bestimmen allein über Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sowie Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag
Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hatte das Bundesverfassungsgericht ferner abgeleitet, dass nicht die staatlichen Gerichte, sondern allein die Kirchen darüber zu entscheiden haben, welches die tragenden Grundsätze ihrer Glaubens- und Sittenlehre sind, welche davon arbeitsvertraglich auch im außerdienstlichen Bereich eingehalten werden müssen und was als schwerer Verstoß gegen diese Grundsätze anzusehen ist. An diese Bewertung seien die Arbeitsgerichte gebunden.
Dem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zwei Urteilen vom 23.09.2010 in den Sachen Obst gegen Deutschland, 425/03, NZA 2011, 277, und Schüth gegen Deutschland, 1620/03, NZA 2011/279, zwar widersprochen. Er hat entschieden, dass die Arbeitsgerichte zwischen den Rechten beider Parteien abwägen und die Art der Tätigkeit berücksichtigen müssten (Nähe zum Verkündigungsauftrag).
Daraufhin hat die katholische Kirche das Bundesverfassungsgericht erneut angerufen. Dieses hat in einer Entscheidung vom 22.10.2014 (2 BvR 661/12, BVerfGE 137, 273, siehe unsere Rechtsprechungsliste und dort unter "BVerfG") seine bisherige Rechtsprechung noch einmal bekräftigt.
Es hat festgestellt, dass sich die Beschäftigten der Kirchen nicht auf die beiden Urteile des EGMR berufen könnten. Eine eigenständige staatliche Bewertung der Nähe einer Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag würde Gefahr laufen, in unauflösbaren Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des EGMR bei Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Arbeitsverhältnis zu geraten und das konventionsrechtlich garantierte Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in seinem Kernbestand entwerten.
2. Warum gilt nicht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bzw. die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie?
2.1 EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie erlaubt Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung (Art. 4)
Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie der EU (Richtlinie 2000/78/EG) wurde am 27. November 2000 vom EU-Rat verabschiedet und legt den allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest. Darin ist u.a. die Diskriminierung wegen der "sexuellen Ausrichtung" verboten.
Allerdings wird den Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften in Bezug auf berufliche Tätigkeiten eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung erlaubt (Art. 4 Abs. 2) "wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt". (Hervorhebung nicht im Original)
Die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie ist durch das Antidiksiriminierungsgesetz bzw. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in deutsches Recht umgesetzt worden.
2.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz erlaubt Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung (§ 9)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat den Art. 4 der EU-Richtlinie nicht wortgleich übernommen. In § 9 Abs. 1 AGG wird formuliert, dass den Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung erlaubt ist, "wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt." (Hervorhebung nicht im Original)
Die beiden Vorschriften unterscheiden sich durch das Wort "oder", das auf Drängen der Kirchen in § 9 Abs. 1 AGG zusätzlich eingefügt worden ist.
2.3 Nach dem AGG haben Kirchen in Deutschland größere Entscheidungshoheit
Laut der EU-Richtlinie ist nicht nur der „Ethos der Organisation“ maßgebend, sondern auch, ob die aus dem Ethos abgeleiteten Anforderungen nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Das kann je nach Verkündigungsnähe der Tätigkeit durchaus unterschiedlich beurteilt werden, etwa für eine Chefärztin anders als einen Hausmeister).
Nach § 9 Abs. 1 AGG kommt es dagegen nur auf das "Selbstverständnis" der Kirchen an. Wo der Beschäftigte tätig ist und ob dort geduldet wird, dass andere Beschäftigte sich in ihrem Privatleben nicht an die sonstigen moralischen Forderungen der Kirche halten, ist dagegen unerheblich. Damit ist das AGG an die oben beschriebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen angeglichen worden. Das hat folgende Konsequenzen:
Nach der Richtlinie kann sich beispielsweise ein wegen Kirchenaustritts gekündigter Krankenpfleger darauf berufen, dass die Kirche in seinem Krankenhaus mehrere Ärzt*innen beschäftigt, die keiner Kirche angehören oder muslimisch sind und dass seine Tätigkeit demgegenüber so untergeordnet ist, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche durch seinen Kirchenaustritt nicht berührt wird, zumal da er diesen als Privatsache behandelt und darüber mit anderen nicht spricht.
Nach dem AGG ist dagegen dieses Vorbringen unerheblich, weil der Kirchenaustritt sowohl nach der alten als auch der neuen Grundordnung (siehe dazu unten) als „schwerwiegender Loyalitätsverstoß“ gilt.
2.4 EuGH: § 9 des AGG verstößt gegen die EU-Richtlinie
Es war streitig, ob sich die Kirchen gemäß § 9 Abs. 1 AGG weiterhin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen können oder ob sie sich entgegenhalten lassen müssen, dass dieser Paragraph mit Art. 4 der entsprechenden EU-Richtlinie nicht zu vereinbaren ist, so dass es auch auf die tatsächliche Handhabung ihres Selbstverständnisses in ihren Einrichtungen ankommt.
Die Kirchen berufen sich auf den Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2000/78/EG. Er lautet:
"Die Europäische Union hat in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können."
Diese sogenannte Kirchenerklärung ist durch den Lissabonner Vertrag als Art. 17 in den "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) aufgenommen worden. Art. 17 lautet:
"(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog."
Da Art. 17 AEUV Verfassungsrang hat, muss Art. 4 Abs. 2 Satz 1 RL 2000/78/EG so ausgelegt werden, dass er mit Art. 17 vereinbar ist. Welche Konsequenzen das im Einzelnen hat, war streitig. Deshalb hat Bundesarbeitsgericht zwei bei ihm anhängige Revisionsverfahren dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) zur Klärung der Frage vorgelegt, wie die Richtlinie und das AGG auszulegen sind.
Bei der ersten Vorlegungssache C-414/16 (Rs. Vera Egenberger) geht es nicht um eine Kündigung, sondern um eine erfolglose Bewerbung. Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung hatte im November 2012 eine befristete Referentenstelle für das Projekt "Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention" ausgeschrieben. In der Ausschreibung war angegeben, dass "die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen angehörenden Kirche" vorausgesetzt werde. Die konfessionslose Klägerin Vera Egenberger hatte sich erfolglos beworben und macht in dem Rechtsstreit eine "angemessene Entschädigung" nach § 15 Abs. 2 AGG geltend.
Bei der zweiten Vorlegungssache C-68/17 (Rs. IR) geht es um die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch sein katholisches Krankenhaus, weil der Chefarzt nach der Scheidung seiner ersten Ehe eine zweite Ehe eingegangen war. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Krankenhaus mit dem oben erwähnten Beschluss vom 22.10.2014, BVerfGE 137, 273, Recht gegeben.
Der EuGH hat über die erste Vorlegungssache mit Urteil vom 17.04.2018 entschieden und über die zweite mit Urteil vom 11.09.2018 (siehe unsere Rechtsprechungsliste und dort unter "EuGH").
Danach ist § 9 Abs. 1 AGG mit Art 4 Abs. 2 Satz 1 RL 2000/78/EG nicht zu vereinbaren. Maßgebend sind nicht bloß der Ethos der Einrichtung, sondern auch die Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung.
Der EuGH hat in beiden Urteilen darauf hingewiesen, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift (also auch die abweichenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) unangewendet zu lassen, wenn es ihnen nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen.
In der zweiten Vorlegungssache hat er ausdrücklich darauf hingewiesen (Rn. 55), dass die katholische Kirche "ihre Beschäftigten (...) nur dann je nach deren Zugehörigkeit zur Religion (...) dieser Kirche (...) unterschiedlich behandeln darf, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist".
Das heißt zum Beispiel: Wenn man nachweisen kann, dass die katholische Einrichtung bei einem nichtkatholischen Beschäftigten in vergleichbarer Position entsprechend der neuen Grundordnung die Eingehung einer Lebenspartnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht beanstandet, darf sie das auch bei ihren katholischen Beschäftigten nicht beanstanden.
3. Die Grundordnung der katholischen Kirche (2015): Loyalitätsobliegenheiten und Verstöße im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse
Die katholischen Bischöfe haben die „Loyalitätsobliegenheiten“ ihrer Beschäftigten in der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" umschrieben und dort festgelegt, wie Verstöße arbeitsrechtlich zu ahnden sind.
Die Grundordnung wurde von der Deutschen Bischofskonferenz erstmalig am 22.09.1993 verabschiedet und anschließend einheitlich und in gleichem Wortlaut von den Diözesanbischöfen als Kirchengesetz in Kraft gesetzt. Die alte Grundordnung (letzte Fassung 28.09.2011) ist 2015 von der neuen Grundordnung vom 27. April 2015 abgelöst worden. Sie gilt für etwa 750.000 Beschäftigte der katholischen Kirche.
Die maßgebenden Bestimmungen der neuen Grundordnung lauten:
Artikel 3 Begründung des Arbeitsverhältnisses
(1) Der kirchliche Dienstgeber muss bei der Einstellung darauf achten, dass eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen. Er muss auch prüfen, ob die Bewerberin und der Bewerber geeignet und befähigt sind, die vorgesehene Aufgabe so zu erfüllen, dass sie der Stellung der Einrichtung in der Kirche und der übertragenen Funktion gerecht werden.
(2) Der kirchliche Dienstgeber kann pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.
(3) Der kirchliche Dienstgeber muss bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Festlegung der entsprechenden Anforderungen sicherstellen, dass sie ihren besonderen Auftrag glaubwürdig erfüllen können. Dazu gehören fachliche Tüchtigkeit, gewissenhafte Erfüllung der übertragenen Aufgaben und eine Zustimmung zu den Zielen der Einrichtung.
(4) Für keinen Dienst in der Kirche geeignet ist, wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist.
(5) Der kirchliche Dienstgeber hat vor Abschluss des Arbeitsvertrages über die geltenden Loyalitätsobliegenheiten (Art. 4) aufzuklären und sich zu vergewissern, dass die Bewerberinnen oder Bewerber diese Loyalitätsobliegenheiten erfüllen.
Artikel 4 Loyalitätsobliegenheiten
(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Im pastoralen und katechetischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre erforderlich; dies gilt in der Regel auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im erzieherischen Dienst.
(2) Von nicht katholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.
(3) Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.
(4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.
Artikel 5 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten
(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.
(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverstöße als schwerwiegend an:
Bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:
- a) das öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass),
- b) schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, die nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen,
- c) das Verunglimpfen oder Verhöhnen von katholischen Glaubensinhalten, Riten oder Gebräuchen; öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Hass und Verachtung gegen Religion und Kirche (vgl. c. 1369 CIC); Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (vgl. cc. 1373, 1374 CIC),
- d) die Propagierung von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, die im Widerspruch zu katholischen Glaubensinhalten stehen, während der Arbeitszeit oder im dienstlichen Zusammenhang, insbesondere die Werbung für andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften.
Bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:
- a) den Austritt aus der katholischen Kirche,
- b) Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß c. 1364 § 1 i.V. m. c. 751 CIC),
- c) den kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet,
d) das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; bei diesem Loyalitätsverstoß findet Ziff. 2c) entsprechende Anwendung.
(3) Liegt ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nach Absatz 2 vor, so hängt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von der Abwägung der Einzelfallumstände ab. Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwiegen. Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die pastoral, katechetisch, aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, schließt das Vorliegen eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nach Absatz 2 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in der Regel aus. Von einer Kündigung kann in diesen Fällen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. Gleiches gilt für den Austritt einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus der katholischen Kirche.
(4) Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung hinsichtlich dieser Ordnung wird in jeder (Erz-) Diözese oder (wahlweise) von mehreren (Erz-) Diözesen gemeinsam eine zentrale Stelle gebildet. Deren Aufgabe ist von einer Person wahrzunehmen, die der katholischen Kirche angehört, die Befähigung zum Richteramt besitzt und über fundierte Erfahrungen im kirchlichen und weltlichen Arbeitsrecht verfügt. Beabsichtigt ein kirchlicher Dienstgeber eine Kündigung wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen eine Loyalitätsobliegenheit auszusprechen, soll er bei der zentralen Stelle eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung einholen. Die Einholung der Stellungnahme der zentralen Stelle ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung.
(5) Der Verband der Diözesen Deutschlands wird fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Ordnung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der zentralen Stellen nach Absatz 4 die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der vorstehenden Regelungen einer Überprüfung unterziehen. Er erstattet dem Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz Bericht und unterbreitet Vorschläge für mögliche Änderungen."
4. Wenn unverpartnerte bzw. unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare zusammenleben ist das nicht immer ein Loyalitätsverstoß
Im katholischen Weltkatechismus wird zwar unter Nr. 2359 festgestellt: „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen“.Es gibt aber keine offizielle Verlautbarung der deutschen katholischen Bischöfe, dass das unverpartnerte Zusammenleben von Beschäftigten mit gleichgeschlechtlichen Partnern als Loyalitätsverstoß zu werten ist. Es wird weder in der alten noch in der neuen Grundordnung erwähnt.
Demgemäß hat sich beim LSVD in den vergangen Jahren noch nie ein gleichgeschlechtliches Paar gemeldet, dem gekündigt werden sollte oder gekündigt worden ist, weil es unverpartnert zusammenlebt. Solche Kündigungen sind auch sonst nicht bekannt geworden.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.10.2014 ist eine Kündigung nur zulässig, wenn „der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen“ (Rn. 121). Das ist bei dem unverpartnerten Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Partner nicht der Fall. Die katholische Kirche hat dieses Verhalten bisher nicht so eindeutig als „Loyalitätsverstoß“ gewertet, dass den Beschäftigten bewusst ist, dass ihre Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht dulden.
Davon abgesehen können gleichgeschlechtliche Paare behaupten, dass sie nur befreundet sind, zusammenleben und keinen Sex mit einander haben. Auf die Möglichkeit, sich „mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft“ zu stützen, werden die Homosexuellen auch im katholischen Weltkatechismus hingewiesen (Rn. 2359).
Wenn die Partner Dritten nichts über ihr „Sexleben“ erzählt haben, kann ihre Behauptung, sie lebten nur „platonisch“ zusammen, nicht widerlegt werden. Eine Kündigung ist dann nicht möglich.
5. Coming-out als trans* ist kein Loyalitätsverstoß - Kündigung ist unzulässig
Katholische Einrichtungen können Beschäftigte wegen einer Vornamensänderung oder der Änderung des Geschlechtseintrags nicht entlassen. Wie im vorstehenden Abschnitt erwähnt, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22.10.2014 festgestellt, dass eine Kündigung nur zulässig ist, wenn „der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen“ (Rn. 121).
Die rechtliche Änderung des Vornamens und/oder des Geschlechtseintrags werden aber weder in der alten noch in der neuen "Grundordnung“ als Loyalitätsverstoß aufgeführt, der eine Kündigung zur Folge hat. Es gibt auch keine allgemeinverbindliche Äußerung des kirchlichen Lehramts, die die Vornamens- oder Geschlechtsänderung von trans* Personen als schweren Verstoß gegen das göttliche Sittengesetz bewertet.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Kündigung nicht zulässig, „wenn sich etwa Inhalt und Reichweite der einzuhaltenden Verhaltensregeln nur mithilfe detaillierter Kenntnisse des Kirchenrechts und der Glaubens- und Sittenlehre feststellen lassen, die vom Arbeitnehmer auch bei gesteigerten Erwartungen wegen der Konfession oder der konkreten Stellung nicht verlangt werden können“.
6. Ab wann verstößt die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer Lebenspartnerschaft gegen Loyalitätsobliegenheiten?
Nach der neuen Grundordnung (siehe oben) kommen bei gleichgeschlechtlichen Paaren die Eingehung einer Lebenspartnerschaft und "der kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe", also die Eingehung einer gleichgeschlechtliche Ehe als schwerwiegende Loyalitätsverstöße in Betracht.
Vor der Reform der Grundordnung kam es immer wieder vor, dass den Ratsuchenden eine Kündigung angedroht worden war, weil sie sich verpartnert hatten oder dies beabsichtigten. Viele der Ratsuchenden hatten vorher schon längere Zeit zusammengelebt. Das wussten ihre Arbeitgeber, haben es aber nicht beanstandet. Zur Kündigung oder zur Androhung einer Kündigung kam es jeweils erst, als die Beschäftigten eine Lebenspartnerschaft eingingen oder wenn ihre Arbeitgeber erfuhren, dass sie verpartnert waren.
Seit der Reform der Grundordnung im Jahr 2015 sind nach unserer Kenntnis wegen der Eingehung einer Lebenspartnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe nur noch Beschäftigte gekündigt worden, die pastoral oder katechetisch tätig waren. Bei allen anderen Beschäftigten ist keine Kündigung mehr erfolgt.
Bei den Anfragen, die den LSVD jetzt erreichen, geht es nur noch um die Frage, was man befürchten muss, wenn die Verpartnerung oder die geplante Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe bekannt wird und wie man verhíndern kann, dass der katholische Arbeitgeber von der Verpartnerung oder der Verheiratung erfährt.
6.1. Nicht katholische Beschäftigte müssen Lebenspartnerschaft oder ihre gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr verheimlichen
Für die protestantischen, muslimischen oder keiner Konfession angehörenden Beschäftigten gilt die Eingehung einer Lebenspartnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht mehr als schwerer Loyalitätsverstoß. Diese Beschäftigten brauchen deshalb ihre Lebenspartnerschaft oder ihre gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr zu verheimlichen.
6.2. Bei katholischen Beschäftigten in hervorgehobener Position kann Lebenspartnerschaft oder gleichgeschlechtliche Ehe ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß sein
Bei den katholischen Beschäftigten gilt die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer Lebenspartnerschaft als schwerwiegender Loyalitätsverstoß, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.
Das wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeitenden sowie bei Mitarbeitenden, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2d i.V.m. Nr. 2c). Die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft schließt bei diesen Beschäftigten die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in der Regel aus, es sei denn, dass schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen (Art. 5 Abs. 3).
Das ist durch das Urteil des EuGH vom 17.04.2018 in der Rechtssache Vera Egenberger (C-414/16; NJW 2018, 1869) modifiziert worden. Danach muss auch bei den Beschäftigten in hervorgehobener Position geprüft werden, ob ihre Kündigung im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung verhältnismäßig ist, siehe im einzelnen unten den Abschnitt 6.4.
In dieser Gruppe sind "die leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" durch die "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" ersetzt worden, "die aufgrund einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden". Zu den leitenden Mitarbeitenden gehören z.B. die Leitungen von Kindergärten oder von Schulen. In Zukunft ist nicht mehr die leitende Funktion entscheidend, sondern ob die Bischöfe Beschäftige besonders beauftragt haben.
Wem die Bischöfe diese Beauftragung erteilen, ist ihnen überlassen. Sie können sie, wie bisher, nur den leitenden Beschäftigten erteilen oder ganz davon absehen. Sie können aber auch zusätzlich z.B. allen Kindergärtner*innen und allen Lehrkräften eine solche Beauftragung erteilen.
Beim LSVD haben sich bisher noch keine Beschäftigte gemeldet, denen ihr Bischof eine besondere Beauftragung erteilt hat. Die Ersetzung der "leitenden MitarbeiterInnen" durch die "Mitarbeiterinnen mit besonderer Beauftragung" ist wohl eine Folge der Tatsache, dass sich die Bischofskonferenz über den Umgang mit Lebenspartner*innen (und wieder verheirateten Geschiedenen) nicht einig war. Sie hat den konservativen Bischöfen die Möglichkeit eingeräumt, verpartnerten Beschäftigten weiter wie bisher zu kündigen. Andererseits haben liberalere Bischöfe nun die Möglichkeit, diese nicht mehr in jeden Fall zu kündigen.
Demgemäß wird in Art. 5 Abs. 4 der neuen Grundordnung angeordnet, dass die kirchlichen Arbeitgeber vor einer Kündigung zunächst die Stellungnahme einer „zentralen Stelle“ einholen sollen, die in den Bistümern eingerichtet werden.
6.3. Unter zwei Bedingungen ist das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer Lebenspartnerschaft für alle weiteren katholischen Beschäftigten ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß und eine Kündigung möglich
Bei den übrigen katholischen Beschäftigten stellt die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer Lebenspartnerschaft nur dann einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar, wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Verpartnerung muss nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sein, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen
- sie muss nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sein, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen(Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 c und d).
Das ergibt sich so auch aus der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof, siehe den nachfolgenden Abschnitt. Danach muss bei allen Beschäftigten geprüft werden, ob ihre Kündigung im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung verhältnismäßig ist, siehe im einzelnen unten den Abschnitt 6.4.
Bei dieser Prüfung ist Folgendes zu beachten:
Zu 1: Es genügt nicht, dass einzelne Beschäftigte, die Leitung der Einrichtung oder der für die Einrichtung zuständige Pfarrer die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft als schwerwiegende moralische Verfehlung bewerten, sondern entscheidend ist, wie in der betreffenden Einrichtung oder in dem Bereich, in dem die Beschäftigten tätig sind, mit den tragenden Grundsätzen der Glaubens- und Sittenlehre der katholischen Kirche umgegangen wird.
Wenn in der betreffenden Einrichtung oder in dem Tätigkeitsbereich der Beschäftigten keine Verstöße der Beschäftigten gegen die tragenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre der katholischen Kirche geduldet werden, ist zu erwarten, dass die Leitung und/oder die übrigen Beschäftigten Kolleg*innen nachdrücklich ablehnen werden, die mit gleichgeschlechtlichen Partner*innenn verheiratet oder verpartnet sind, und dass deshalb eine gedeihliche Zusammenarbeit der Leitung und/oder der übrigen Beschäftigten mit diesen Kolleg*innen nicht mehr möglich sein wird.
Tatsächlich verzichten aber fast alle katholischen Einrichtungen auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer Beschäftigten. Sie dulden es, dass katholische Beschäftigte - wie die katholische Kirche formuliert - im Konkubinat leben, weil sie nur standesamtlich verheiratet sind. Andere katholische Mitarbeitende sind überhaupt nicht verheiratet, sondern leben mit jemanden in „wilder Ehe“ zusammen. Es kommt auch immer wieder vor, dass katholische Beschäftigte nach der Scheidung ihrer ersten Ehe noch einmal heiraten, obwohl die Scheidung nach katholischem Verständnis unwirksam ist und ihre erste Ehe somit fortbesteht. Diese Unkorrektheiten sind meist allgemein bekannt und werden von den Leitungen der Einrichtungen hingenommen.
In solchen Fällen ist nicht zu erwarten, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit einem gleichgeschlechtlichen Partner ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis erregen wird. Eine Kündigung ist dann nicht möglich.
Zu 2: Aber selbst wenn in der betreffenden Einrichtung keine Verstöße der Beschäftigten gegen die tragenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre der Katholischen Kirche geduldet werden, ist eine Kündigung eines katholischen Beschäftigten wegen der Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft nur möglich, wenn die Heirat oder Verpartnerung zusätzlich nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.
Das wäre dann der Fall, wenn die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft von der katholischen Kirche bei allen Beschäftigten unterschiedslos als schwere sittliche Verfehlung gewertet würde. In der Grundordnung von 2015 gilt die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft bei den nicht in hervorragender Position Beschäftigen nicht mehr generell als schwerer Loyalitätsverstoß, sondern nur, wenn die oben angeführten beiden Voraussetzungen erfüllt sind.
Diese Relativierung hat Papst Franziskus durch sein nachsynodales apostolisches Schreiben „Amoris laetitia“ vom 19.03.2016 noch verstärkt. Der Papst hat zwar in diesem Schreiben die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe abgelehnt. Er hat aber den Ortskirchen und den Seelsorgern einen großen Spielraum für den Umgang mit "irregulären Situationen" eingeräumt. Es gelte vor allem, zwischen einer Situation, die objektiv nicht den Anforderungen des Evangeliums entspricht, und der Schuldhaftigkeit der betreffenden Person genau zu unterscheiden. Wörtlich heißt es in dem Schreiben:
"Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten 'irregulären' Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben. (…) Ein Mensch kann, obwohl er die Norm genau kennt, große Schwierigkeiten haben im Verstehen der Werte, um die es in der sittlichen Norm geht oder er kann sich in einer konkreten Lage befinden, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln und andere Entscheidungen zu treffen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden." (Nr. 301)
Demgemäß hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, in einem Gastbeitrag im L’Osservatore Romano vom 27. April 2016 ausgeführt:
„Vor diesem Hintergrund wird auch nachvollziehbar, weshalb Amoris laetitia auf einige Aspekte besonderen Wert legt. Neben der Sorgfalt der Seelsorger sind dies auch der Respekt vor dem individuellen Gewissen, das es zu bilden, aber nicht zu ersetzen gilt (vgl. AL Nr. 37) und die Notwendigkeit, in den Teilkirchen besser inkulturierte Lösungen zu suchen, 'welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen'. (AL Nr. 3) Die sich daraus ergebende Aufgabenstellung für die Pastoral ist es, im Licht der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes auf die Menschen individuell zuzugehen und ihnen Begleitung und Gemeinschaft anzubieten, ganz gleich, in welcher Lebenssituation sie sich befinden und ob diese der Lehre der Kirche in allen Aspekten entspricht. Diese Aufgabe ist ebenso unabdingbar, wie sie urkatholisch und anspruchsvoll ist. Und sie betrifft nicht nur Ehe und Familie, sondern alle Situationen des Lebens.“
Dementsprechend hat die Synode des Bistums Trier in ihrem vom Trier Bischof Stephan Ackermann gebilligten Schlussdokument vom 30.04.2016 festgestellt (S. 20/21):
„Als Zeichen von Gottes Liebe zu den Menschen gilt die sakramentale Ehe. Deshalb ermutigt die Kirche zur christlichen Ehe und hilft Paaren, diese Lebensform zu verwirklichen. Die Liebe Gottes wird auch in anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens sichtbar. In ihnen werden die Werte Liebe, Treue, Würde, Verlässlichkeit, Verantwortungsbereitschaft, Vergebung und Versöhnung ebenfalls realisiert. Der Familienbegriff hat sich in unserer Zeit erweitert. Familie wird nicht nur dort gelebt, wo Ehepaare Kinder haben, sondern auch dort, wo Frauen und Männer etwa in PatchworkFamilien Verantwortung für die Kinder der Partner übernehmen, wo Alleinerziehende oder Nicht-Verheiratete mit ihren Kindern zusammenleben, wo mehrere Generationen unter einem Dach wohnen oder wo gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner elterliche Verantwortung für Kinder übernehmen. (…)
Die Kirche von Trier geht respektvoll und wertschätzend mit Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften um. Ein kontinuierlicher Dialog auf allen Ebenen und die Zusammenarbeit mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen und ihren Verbänden sind selbstverständlich zu pflegen. Ein pastorales und liturgisches Angebot für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ist im Dialog mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen zu entwickeln; dieses Angebot richtet sich auch an deren Kinder und das gesamte familiäre Umfeld.“
Die katholische Kirche soll also Menschen nicht mehr pauschal verurteilen, sondern auf die konkreten Umstände der einzelnen Fälle abstellen. Das gilt nach der Grundordnung auch für die Prüfung der Frage, ob die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebensparternschaft objektiv geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche zu beeinträchtigen.
Diese Überlegungen zeigen, dass es den katholischen Einrichtungen nicht mehr möglich sein wird, Beschäftigte, die nicht in hervorgehobener Position tätig sind, zu kündigen, weil nach den konkreten Umständen die Verpartnerung bzw. die gleichgeschlechtliche Ehe objektiv weder geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen noch die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.
Trotzdem müssen wir allen Betroffenen, weiterhin raten, vorsichtig zu sein und möglichst niemandem zu erzählen, dass sie heiraten wollen bzw. verheiratet oder verpartnert sind.
6.4. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg
Die neue Grundordnung der katholischen Kirche hat durch zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs eine Änderung erfahren (siehe dazu auch den Abschnitt 2.4).
Das Bundesverfassungsgericht hatte aus dem im Grundgesetz garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen abgeleitet, dass nicht die staatlichen Gerichte, sondern allein die Kirchen darüber zu entscheiden haben, welches die tragenden Grundsätze ihrer Glaubens- und Sittenlehre sind, welche davon arbeitsvertraglich auch im außerdienstlichen Bereich eingehalten werden müssen und was als schwerer Verstoß gegen diese Grundsätze anzusehen ist. An diese Bewertung seien die Arbeitsgerichte gebunden.
Dem hat der EuGH widersprochen und festgestellt, dass es Sache der Gerichte sei, ein entsprechendes Vorbringen der Kirchen zu überprüfen. Die Kirchen dürften ihren Beschäftigten nur kündigen oder Bewerbungen ablehnen, wenn das objektiv geboten sei, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Die Kündigung oder Ablehnung müssten im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung verhältnismäßig sein.
Die nationalen Gerichte seien verpflichtet, erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift (hier: die abweichenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) unangewendet zu lassen, wenn es ihnen sonst nicht möglich sei, das Recht entsprechend auszulegen. Danach müssen in allen Fällen unterschiedslos (also auch in den Fällen des Abschnitts 6.2) nicht nur die Behauptungen der katholischen Kirche über einen schwerwiegenden Verstoß des betroffenen Beschäftigten gegen tragende Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre überprüft werden, sondern auch,
- ob die betreffende Einrichtung auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer Beschäftigten verzichtet (z.B. Duldung der Wiederverheiratung von Geschiedenen) und ob deshalb ihre Glaubwürdigkeit nicht berührt wird, wenn sie den betroffenen Beschäftigten trotz Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft weiter beschäftigt.
Dazu hat der EuGH in der zweiten Sache ausdrücklich darauf hingewiesen (Rn. 55), dass die katholische Kirche "ihre Beschäftigten (...) nur dann je nach deren Zugehörigkeit zur Religion (...) dieser Kirche (...) unterschiedlich behandeln darf, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist".
Das heißt: Wenn man nachweisen kann, dass die katholische Einrichtung bei einem nichtkatholischen Beschäftigten in vergleichbarer Position entsprechend der neuen Grundordnung (siehe oben) die Eingehung einer Lebenspartnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht beanstandet, darf sie das auch bei ihren katholischen Beschäftigten nicht beanstanden. - Von wesentlicher Bedeutung ist auch, ob der betroffene Beschäftigte die Lebenspartnerschaft oder gleichgeschlechtliche Ehe nur eingegangen ist, um sich und seine Partnerin finanziell abzusichern, so dass die Verpartnerung oder Heirat nur ein vom bürgerlichen Recht erzwungener Schritt ist, der nach dem Urteil aller billig und gerecht denkender Menschen unvermeidbar und deshalb nicht geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen, wenn sie ein solche gegenseitige Fürsorge duldet.
7. Wie sollen wir uns als katholische Beschäftigte verhalten?
Aus den vorstehenden Darlegungen folgt, dass die Situation der katholischen Beschäftigten sehr unterschiedlich ist, je nachdem zu welcher Gruppe sie gehören.
7.1. Katholische Beschäftigte in hervorgehobener Position dürfen nur heimlich verpartnert oder gleichgeschlechtlich verheiratet sein
Bei katholischen Beschäftigten, die pastoral oder katechetisch tätig sind oder die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, ist eine Kündigung bzw. die Entziehung der Missio canonica unvermeidbar, wenn bekannt wird, dass sie eine Lebenspartnerschaft bzw. gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen sind.
Kündigungsschutzklagen haben aufgrund der kirchenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe Punkt 1) keine Aussicht Erfolg.
Die Entziehung der Missio canonica ist ein innerkirchlicher Akt, gegen den es keinen Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten gibt. Es gibt auch keinen innerkirchlichen Rechtsschutz.
Um eine Kündigung bzw. die Entziehung der Missio canonica zu vermeiden, haben die Beschäftigten zwei Möglichkeiten:
- die Geheimhaltung der Heirat oder der Verpartnerung oder
- die heimliche Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe im Ausland.
1. Geheimhaltung der Heirat oder der Verpartnerung
Um eine Kündigung zu vermeiden, sollten die Beschäftigten die Heirat oder Verpartnerung unbedingt geheim halten.
Sie sollten deshalb der Leitung ihrer Einrichtung nichts von ihren Heiratsplänen erzählen und diese auf keinen Fall fragen, ob sie mit einer Kündigung rechnen müssen, wenn sie eine gleichgeschlechtliche Partnerin oder einen gleichgeschlechtlichen Partner heiraten.
Auch bei den Arbeitskolleg*innen sollten sie sehr zurückhaltend sein und die Heirat nicht erwähnen. Es empfiehlt sich außerdem, keine "große Hochzeit" zu feiern, sondern nur im "engsten Familien- und Freundeskreis".
Nach der - heimlichen - Heirat oder Eingehung der Lebenspartnerschaft sind die Beschäftigten nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber dies mitzuteilen. Man braucht die Verpartnerung nur anzugeben, wenn man daraus Rechte ableiten will (siehe den entsprechenden Ratgebertext zum Familienstand verheiratet).
Etwas anderes gilt nur für die Änderung des Familiennamens. Sie muss man dem Arbeitgeber mitteilen. Deshalb sollten die Betroffen darauf verzichten, den Namen der Partnerin oder des Partners anzunehmen oder ihn als Begleitnamen dem eigenen Namen voranzustellen oder anzufügen.
Damit der Arbeitgeber nichts von der Verpartnerung / Heirat erfährt, sollte man zusätzlich beim Meldeamt eine Auskunftssperre und beim Standesamt einen Sperrvermerk eintragen lassen und beim Finanzamt beantragen, dass man die Steuerklasse I für Ledige behält (siehe die nachfolgenden Abschnitte 10 bis 12).
Die Auskunftssperre beim Meldeamt und die Beibehaltung der Steuerklasse I sollte man schon kurz vor der Heirat beantragen. Den Sperrvermerk beim Standesamt kann man zusammen mit der Anmeldung zur Trauung beantragen.
2. Heimlich im Ausland heiraten
Wenn die Beschäftigten noch nicht verpartnert sind und kein Risiko eingehen wollen, empfiehlt sich die heimliche Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe im Ausland. (siehe ausführlich Ratgeber Internationales Privatrecht). Der Nachteil einer solchen Lösung ist, dass für die ausländische Ehe nicht deutsches Eherecht gilt, sondern das betreffende ausländische Recht
Gleichgeschlechtliche Ehen, die im Ausland nach den dortigen Rechtsvorschriften rechtsgültig abgeschlossen worden sind, werden in Deutschland voll anerkannt und können, wenn einer der Partner Deutscher ist, auf dessen Antrag in das Eheregister eingetragen werden.
Die Eintragung ist aber nicht erforderlich und die Partner sollten auf die Eintragung unbedingt verzichten. Die katholische Kirche kann dann auch durch eine erweiterte Melderegisterauskunft nicht in Erfahrung bringen, dass die Beschäftigten geheiratet haben.
Andererseits können die Partner, wenn es darauf ankommt, durch Vorlage der ausländischen Eheurkunde nachweisen, dass sie verheiratet sind, so z.B. wenn sie eine Stiefkindadoption beantragen wollen oder wenn der Lebenspartner in der gesetzlichen Krankenversicherung kostenlos mitversichert werden soll (Familienversicherung). Das gilt auch für die Hinterbliebenenpensionen und -renten einschließlich der Zusatzrente der „Kirchlichen ZusatzVersorgungsKasse des Verbandes der Diözesen Deutschlands“ (KZVK). Es genügt, dass der hinterbliebene Partner nach dem Tod des Partners der Rentenstelle die ausländische Heiratsurkunde vorlegt.
Die Eheleute können mit der Heiratsurkunde bei der Einkommensteuer auch Zusammenveranlagung beantragen. Dabei sollen sie aber gleichzeitig mit Nachdruck darauf bestehen, dass sie weiterhin mit der Steuerklasse I geführt werden.
7.2. Alle weiteren katholischen Beschäftigten
Wir gehen davon aus, dass bei den übrigen katholischen Beschäftigten eine Kündigung wegen einer gleichgeschlechtliche Ehe oder wegen der Eingehung einer Lebenspartnerschaft nicht mehr möglich ist. Um Ärger und Aufregung zu vermeiden, sollten aber auch diese Beschäftigten weiterhin vorsichtig sein.
1. bereits verheiratet oder verpartnert
Wenn sie bereits verheiratet oder verpartnert sind, sollten sie die Heirat oder Verpartnerung weiter geheim halten und beim Finanzamt darauf bestehen, dass sie dort mit der Steuerklasse I geführt werden, siehe den Ratgeber zu den Steuerklassen.
Dagegen brauchen sie beim Standesamt keinen Sperrvermerk und beim Meldeamt keine Auskunftssperre mehr eintragen zu lassen oder deren Verlängerung zu beantragen. Die Anträge hätten ohnehin keine Aussicht auf Erfolg, weil die Beschäftigten aufgrund der neuen Grundordnung und der Erfahrung, die man seitdem mit der kirchlichen Praxis gemacht hat, nicht mehr behaupten können, dass sie wegen der Eingehung einer gleichgeschlechtliche Ehe oder eine Lebenspartnerschaft mit ihrer Kündigung rechnen müssen.
2. Wenn sie heiraten wollen, empfehlen wir folgendes Vorgehen
Wenn sie ganz sicher gehen wollen, sollten sie im Ausland heiraten (siehe den vorstehenden Abschnitt unter "Zu 2").
Sie können aber auch die Leitung der Einrichtung schriftlich bitten, bei der Bistumsleitung eine Auskunft einzuholen, ob sie mit einer Kündigung rechnen müssen, wenn sie gleichgeschlechtlich heiraten. Den Entwurf für ein solches Schreiben finden Sie hier.
Sollte die Bistumsleitung wider Erwarten antworten, dass die Beschäftigten mit einer Kündigung rechnen müssen, wenn sie heiraten, können diese es auf eine Kündigung und eine anschließende Kündigungsschutzklage ankommen lassen. Nach unserer Einschätzung hat eine Kündigungsschutzklage in solchen Fällen gute Aussichten auf Erfolg.
Wenn die Beschäftigung das Risiko einer Kündigungsschutzklage nicht eingehen wollen, könne sie der Leitung ihrer Einrichtung pro forma mitteilen, dass sie ihre Arbeitsstelle nicht verlieren möchten und deshalb auf die Heirat verzichten. Sie können dann heimlich eine gleichgeschlechtliche Ehe im Ausland eingehen (siehe im vorstehenden Abschnitt die Ausführungen unter "zu 2"). Das bloße Zusammenleben mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin oder einem gleichgeschlechtlichen Partner ist kein Kündigungsgrund, siehe oben.
7.3. Soll ich bei Bewerbungen angeben, dass ich verpartnert bzw. gleichgeschlechtlich verheiratet bin?
Die Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses und die Neueinstellung sind zwei verschiedene Sachen.
Es mag durchaus sein, dass eine katholische Einrichtung Beschäftigte nicht mehr entlassen kann, wenn sie erfährt, dass die Mitarbeitenden verpartnert bzw. eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen sind. Aber es ist durchaus möglich, dass die Leitung der Einrichtung Vorurteile gegen Homosexuelle hat und es deshalb generell ablehnt, diese einzustellen.
Ob die diskriminierten Bewerber*innen dann Schadensersatz und eine Entschädigung nach § 15 AGG verlangen können, ist fraglich. Meist scheitert das schon daran, dass die Arbeitgeber Bewerber*innen nicht mitzuteilen brauchen, warum sie sich für jemand anderes entschieden haben, und die Bewerber*innen keine Indizien dafür nachweisen können, dass sie aufgrund ihrer Homosexualität nicht berücksichtigt wurden.
Wir müssen deshalb allen, die sich bei einer katholischen Einrichtung bewerben wollen und mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin oder einem gleichgeschlechtlichen Partner verheirat oder verpartnert sind, weiterhin raten, dies zu verschweigen und anzugeben, dass sie ledig sind.
Bewerber*innen sind in der Regel berechtigt, der Wahrheit zuwider anzugeben, dass sie "ledig" sind. Ausgenommen sind Bewerber*innen, die im Verkündigungsbereich tätig sein sollen, siehe auch den Ratgeber "Wo muss man angeben, dass man verheiratet oder verpartnert ist?"
8. Verpartnerung/ Eheschließung mit Beamt*innen, die im öffentlichen Dienst tätig sind
Beamt*innen, die im öffentlichen Dienst tätig sind, haben Anspruch auf den Familienzuschlag der Stufe 1, wenn sie heiraten oder verpartnert sind. Wenn ihre Partner*innen ebenfalls als Beamte im öffentlichen Dienst tätig sind, erhalten beide jeweils den halben Familienzuschlag (vgl. z.B. § 40 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 17b BBesG). Die Besoldungsstellen dürfen zur Klärung dieser Voraussetzungen die erforderlichen personenbezogenen Daten erheben und untereinander austauschen (vgl. z.B. § 40 Abs. 7 BBesG).
Die Einrichtungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften zählen in der Regel nicht zum öffentlichen Dienst (vgl. z.B. § 40 Abs. 6 BBesG). Außerdem sind die dort Beschäftigten keine Beamt*innen, sondern Angestellte. Die Angestellten erhalten aber schon seit langem keinen Familienzuschlag mehr.
Deshalb sollten Beamt*innen, die mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin oder einem gleichgeschlechtlichen Partner verheiratet oder verpartnert und die im öffentlichen Dienst tätig sind, bei den Anträgen auf Zahlung des Familienzuschlags und bei allen späteren Angaben zum Familienzuschlag immer ausdrücklich darauf hinweisen, dass ihr Ehegatte oder Lebenspartner bei einer katholischen Einrichtung angestellt ist und keine Leistungen erhält, die mit dem Familienzuschlag vergleichbar sind.
Wenn die Partnerin oder der Partner zu den Beschäftigten in hervorgehobener Position gehört (siehe oben Abschnitt 7.2), sollten die Beamt*innen hinzufügen:
Ich bin nicht damit einverstanden, dass sie bei #... Name der katholischen Einrichtung … # eine Auskunft einholen, ob meine Frau / mein Mann eine Leistung erhält, die mit dem Familienzuschlag vergleichbar ist. Wir befürchten, dass #... Name der katholischen Einrichtung … # meine Frau / meinen Mann entlässt, wenn sie durch die Anfrage erfährt, dass sie mich geheiratet hat/ mit mir verpartnert ist.
Die Besoldungsstellen sind nur bei solchen katholischen Einrichtungen berechtigt, einen Datenabgleich vorzunehmen, an denen sich der Bund, das betreffende Land oder die Gemeinde durch Zahlung von Beiträgen oder Zuschüssen oder in anderer Weise beteiligt, und das auch nicht in jedem Land. Falls die Besoldungsstelle darauf besteht, dass sie verpflichtet ist, die Auskunft einzuholen, empfiehlt es sich, das zuständige Besoldungsministerium um Vermittlung zu bitten.
9. Auskunftssperre über den Familienstand beantragen
9.1 Schreiben an die Meldebehörde
Wir haben oben dargelegt, dass nur katholische Beschäftigte in hervorgehobener Position mit ihrer Kündigung rechnen müssen, wenn bekannt wird, dass sie verpartnert oder gleichgeschlechtlich verheiratet sind. Sie sollten deshalb beim Meldeamt unbedingt eine Auskunftssperre beantragen. Nach Ablauf der Frist von zwei Jahren müssen sie um deren Verlängerung bitten. Wichtig: Allerdings gibt es keinen absoluten Schutz. Da die Behördenpraxis in den Bundesländern sehr unterschiedlich ist, raten wir dringend dazu, sich eine anwaltliche Beratung im jeweiligen Bundesland zu suchen.
Nicht katholische Beschäftigte und alle weiteren katholischen Beschäftigten brauchen dagegen keine Kündigung mehr zu befürchten. Wenn sie wider Erwarten doch gekündigt werden, können sie sich dagegen erfolgreich wehren. Diese Beschäftigten brauchen deshalb bei der Meldebehörde keine Auskunftssperren mehr zu beantragen bzw. sie brauchen bei einer schon bewilligten Auskunftssperre nicht mehr zu beantragen, dass diese verlängert wird, wenn die Frist von zwei Jahren abgelaufen ist. Bei diesen Beschäftigten haben Anträge auf Auskunftssperre ohnehin keine Aussicht auf Erfolg mehr, weil sie sich aufgrund der liberalisierten neuen Grundordnung von 2015 nicht mehr überzeugend mit der Gefahr der Kündigung begründen lassen.
9.2 Schreiben an das Standesamt
Für das Schreiben an das Standesamt gilt dasselbe wie für das vorstehende Schreiben an die Meldebehörden. Da nur noch katholische Beschäftigte in hervorgehobene Position mit ihrer Kündigung zu rechnen brauchen, wenn bekannt wird, dass verpartnert oder gleichgeschlechtlich verheiratet sind, brauchen nur noch diese Beschäftigten beim Standesamt die Eintragung eines Sperrvermerks zu beantragen. Der Sperrvermerk wird auf drei Jahre befristet. Man muss deshalb alle drei Jahre beantragen, den Sperrvermerk zu verlängern. Wichtig: Auch hier gibt es keinen absoluten Schutz. Da die Behördenpraxis in den Bundesländern ist sehr unterschiedlich ist, raten wir dringend dazu, sich eine anwaltliche Beratung im jeweiligen Bundesland zu suchen.
10. Gleichstellung von verpartnerten und verheirateten Beschäftigten in evangelischen Einrichtungen
Die evangelischen Kirchen haben inzwischen ihre verpartnerten Angestellten und Arbeiter besoldungs- und versorgungsrechtlich mit Ehegatten gleichgestellt. Dasselbe gilt für die Beschäftigten der Diakonie.
Die Besoldungs- und Versorgungsgesetze der Landeskirchen für die Pfarrer*innen und Kirchenbeamt*innen verweisen durchweg auf das Besoldungs- und Versorgungsrecht der staatlichen Beamt*innen. Da inzwischen der Bund und alle Länder ihre verpartnerten Beamt*innen mit den verheirateten Beamt*innen gleichgestellt haben, gilt dies entsprechend für die verpartnerten evangelischen Pfarrer*innen und Kirchenbeamt*innen. (Online-Archiv des geltenden EKD-Rechts)
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