Rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen
CeMAS-Studie zur Rolle neuer rechtsextremer Jugendgruppen bei Anti-CSD-Protesten im Sommer 2024

2024 kam es in Deutschland bei Veranstaltungen anlässlich des Christopher-Street-Days vermehrt zu rechtsextremen Gegenprotesten. Einen besorgniserregenden Höhepunkt stellte der 10. August in Bautzen dar. Dort standen etwa 700 Demonstrierende den rund 1000 CSD-Teilnehmenden gegenüber. Aber auch bei den CSD-Veranstaltungen in vielen anderen deutschen Städten kam es zu Gegenprotesten.
Diese hat CeMAS (Jessa Mellea und Joe Düker) im Research Paper „Eine neue Generation von Neonazis: Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen im Internet“ analysiert. CeMAS bündelt interdisziplinäre Expertise zu Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Der Fokus wurde dabei auf die Rolle von neueren rechtsextremen Jugendgruppen bei der Mobilisierung zu den Protesten gelegt. Hierfür wurden Nachrichtenberichte, soziale Medien und Polizeiberichte qualitativ ausgewertet. Die folgenden Ausführungen geben die Einschätzungen der Proteste von CeMAS wieder.
Die Teilnehmenden an den Anti-CSD-Protesten wurden anhand von Pressefotos der Veranstaltungen ermittelt, auf denen Logos, Flaggen und Kleidung von Gruppen, die als rechtsextrem identifiziert wurden, zu sehen waren, sowie anhand von Social-Media-Posts von Mitgliedern der Gruppen. Ein Glossar am Ende des Reports beschreibt die relevanten Gruppen näher (ab S. 17). Es wird zwischen Anhänger*innen der etablierten Neonazi-Szene und neueren rechtsextremen Gruppen unterschieden.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Analyse liegt auf Neonazi-Gruppen, die eine große Online-Präsenz haben. Anti-CSD-Demonstrationen, die nicht von Neonazis organisiert oder besucht wurden, wurden nicht berücksichtigt, z. B. die Demonstration der rechtsextremen Gruppe Lukreta oder christlich-fundamentalistische Proteste gegen Pride-Veranstaltungen.
Inhaltsverzeichnis
- Rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen
- Neue rechtsextreme Jugendbewegungen
- Queerfeindliche Rhetorik, Einschüchterung und (versuchte) Gewalttaten bei den Anti-CSD-Protesten
- Auswirkungen auf die CSD-Veranstaltungen
- Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1. Rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen
Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt.
Vor dem großen rechtsextremen Gegenprotest am 10. August in Bautzen hatten die Proteste stets weniger als 100 Teilnehmende. In Bautzen konnten circa 700 Teilnehmende mobilisiert werden. Nachfolgende Proteste konnten teilweise 200 bis 460 Teilnehmende mobilisieren.
Grafik von CeMAS
CeMAS ordnet die Teilnehmenden an den rechtsextremen Protesten gegen CSD-Veranstaltungen zum großen Teil den folgenden zwei Gruppen zu:
- Anhänger*innen der etablierten Neonazi-Szene wie Mitglieder rechtsextremer politischer Parteien. Die Studie nennt hier beispielhaft die Gruppe „Der III. Weg”[1] oder den Jugendflügel der Partei „Die Heimat”[2].
- Mitglieder neuer rechtsextremer Jugendbewegungen: Manche davon haben Verbindungen zu etablierten Neonazi-Bewegungen (hier nennt die Studie z. B. die Verbindung von „Elbland Revolte”[3] zu den „Jungen Nationalisten”). Laut der Studie organisieren sich andere v. a. online: Hier nennt die Studie z. B. „Deutsche Jugend Voran” (DJV)[4] und „Jung & Stark” (JS)[5]. Viele der Mitglieder seien minderjährig oder junge Erwachsene.
2. Neue rechtsextreme Jugendbewegungen
Für CeMAS ist die neue Welle von Anti-CSD-Demonstrationen in Deutschland Ausdruck eines Wandels in der deutschen Neonazi-Szene. Zunehmend gewinne eine neue Generation an Neonazis an Bedeutung, die jung, online und rhetorisch stärker auf Gewalt aus ist. Diese organisiert sich laut der Studie in neuen Gruppen, die erst durch die Teilnahme an Anti-CSD-Protesten an Relevanz gewonnen haben und sehr selbstbewusst ihren Hass gegen die LSBTIQ*-Gemeinschaft öffentlich zur Schau stellen.
Bestehende LSBTIQ*-Feindlichkeit ermutigt rechtsextreme Jugendgruppen
Dieses selbstbewusste Auftreten führen die Forschenden auf die allgemein steigende Zahl an Hassverbrechen gegen LSBTIQ*-Personen und ablehnenden Einstellungen gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen zurück. Die neuen rechtsextremen Jugendbewegungen gingen deshalb von einer größeren gesellschaftlichen Unterstützung sowie weniger negativen Gegenreaktionen gegen ihre Proteste aus. Aus diesem Grund verspürten die Mitglieder auch nicht das Bedürfnis, ihre Identität zu verbergen und zeigten auf den Protesten sowie Online-Profilen offen ihr Gesicht.
Mobilisierung zu Anti-CSD-Protesten und Rekrutierung
Laut CeMAS sind die hauptsächlichen Kommunikationsmittel der neuen rechten Jugendbewegungen öffentliche Social-Media-Plattformen wie Instagram, WhatsApp und TikTok. Dort mobilisierten die verschiedenen Jugendgruppen zu geplanten Anti-CSD-Demonstrationen und koordinierten sich miteinander. Auch neue Mitglieder würden größtenteils online rekrutiert. Hierfür würden Fotos und Videos der Anti-CSD-Proteste geteilt. Teilweise würden auch Social-Media-Profile proaktiv angeschrieben, die rechtsgerichtete Inhalte aufweisen.
3. Queerfeindliche Rhetorik, Einschüchterung und (versuchte) Gewalttaten bei den Anti-CSD-Protesten
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass rechtsextreme Teilnehmende an den Anti-CSD-Demonstrationen ihre Queerfeindlichkeit durch ihre Rhetorik, Einschüchterungen sowie (versuchte) Gewalttaten zum Ausdruck bringen:
- Die Rhetorik im Rahmen der Anti-CSD-Proteste sei geprägt von queerfeindlichen Slogans, welche mit rassistischen und rechtsextremen Äußerungen verbunden würden.
- Durch eine große Teilnehmendenzahl an den Anti-CSD-Demonstrationen werde versucht, die Teilnehmenden der CSD-Veranstaltungen einzuschüchtern (in Bautzen standen z.B. rund 700 Gegendemonstrierende rund 1000 CSD-Teilnehmenden gegenüber).
- Anwesende Journalist*innen würden beleidigt und in ihrer Arbeit gestört.
- Bei sechs CSD-Veranstaltungen sei der „Gegenprotest” in die Nähe der Parade gekommen, was ein Eingreifen der Polizei erforderte, um potenziell gewalttätige Angriffe zu verhindern.
- Im Rahmen von mindestens fünf Anti-CSD-Demonstrationen sei es zu (versuchten) gewalttätigen Angriffen seitens der Neonazis gekommen.
Grafik von CeMAS
4. Auswirkungen auf die CSD-Veranstaltungen
Fast alle Anti-CSD-Demonstrationen wurden von einer starken Polizeipräsenz begleitet. Da die rechtsextremen Protestierenden oft in unmittelbarer Nähe zu den CSD-Veranstaltungen marschierten, waren Polizeisperren nötig, um die CSD-Teilnehmenden zu schützen. Wenn die Anti-CSD-Demonstrationen nicht angemeldet waren, konnten diese auf ein kleines Gebiet eingeschränkt werden. In Leipzig wurden beispielsweise rund 400 Neonazis am Bahnsteig festgehalten.
Die CSD-Organisator*innen ergriffen oft Vorsichtsmaßnahmen wie das Aussprechen von Warnungen, sich aufgrund der Bedrohung durch die Neonazis nur in Gruppen aufzuhalten. In Bautzen wurde die Route der Parade aus Sicherheitsgründen im Voraus nicht öffentlich bekannt gegeben und eine Abschlussparty wegen Sicherheitsbedenken aufgrund der starken rechtsextremen Mobilisierung abgesagt.
5. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Das Research Paper kommt zu dem Schluss, dass die „Mobilisierungen gegen die CSD-Veranstaltungen durch Rechtsextreme […] ein koordinierter Versuch [waren], die LGBTQI+-Gemeinschaft einzuschüchtern und zu belästigen, und zwar in einem besorgniserregenden Ausmaß“. Dabei stellten insbesondere die neuen rechtsextremen Jugendgruppen ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial dar, denn diese hätten die Möglichkeit, mithilfe der sozialen Medien eine Kohorte junger gewaltbereiter Neonazis zu etablieren.
Aus diesem Grund fordern die Forschenden, dass Social-Media-Plattformen besser gegen die Konten von rechtsextremen Jugendbewegungen vorgehen und deren Kommunikations- und Rekrutierungsaktivitäten behindern müssen. Zudem müsse die Sicherheit von CSD-Veranstaltungen gewährleistet werden. Das könne durch eine stärkere Polizeipräsenz bei der An- und Abreise rechtsextremer Gruppen, Schulungen von Sicherheitsbehörden und Kommunen über Queerfeindlichkeit und mögliche rechtsextreme Mobilisierungen sowie einen weiteren Ausbau von Betroffenenberatungsstellen gewährleistet werden.
Alle Inhalte des Artikels beziehen sich auf das Papier „Eine neue Generation von Neonazis: Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen im Internet“, das online kostenlos abgerufen werden kann.
Fußnoten
[1] Vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_node.html.
[2] Vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_node.html.
[3]„Elbland Revolte” wird seit ihrer Gründung im Februar 2024 vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen beobachtet und gilt als Stützpunkt der „Jungen Nationalisten”, der Jugendorganisation der rechtsextremistischen Partei „Die Heimat” in Dresden/Sachsen, vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/angreifer-dresden-rechtsextrem-verfassungsschutz-100.html und https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013463.pdf.
[4] „Den Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“, „Elblandrevolte“, „Junge Nationalisten“ und „Nationalrevolutionäre Jugend“ ist insgesamt eine rechte bzw. rechtsextreme Ideologie, eine zumindest in Teilen gewaltbefürwortende Einstellung sowie ein hohes Mobilisierungspotential zuzurechnen. Sie erscheinen daher grundsätzlich geeignet, eine Gefährdungsrelevanz zu entfalten. Der Bundesregierung liegen jedoch keine konkreten gefährdungsrelevanten Erkenntnisse zu den Mitgliedern bzw. Anhängern der einzelnen Gruppierungen vor.“, https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013463.pdf.
[5]„Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz liegen jedoch hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von JS Bayern eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht. Neben Bezügen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen konnten JS Bayern zuzurechnende Erkenntnisse über queer- und fremdenfeindliche Äußerungen festgestellt werden. Zudem verbreitete JS Bayern über soziale Medien Beiträge mit Inhalten der neonazistischen Partei Der Dritte Weg weiter.“, https://www.bige.bayern.de/infos_zu_extremismus/aktuelle_meldungen/aktuelle-meldungen-neue-gruppierung-jung-und-stark-bayern/.