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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Rede von Alva Träbert und Alexander Vogt aus dem Bundesvorstand auf Bellevue am 04.04.2025

Empfang bei Bundespräsident Steinmeier zum 35. Gründungsjubiläum des "LSVD⁺ - Verband Queere Vielfalt"

Zum 35. Gründungsjubiläum des "LSVD⁺ - Verband Queere Vielfalt" hat der Bundespräsident betont, wie wichtig der Einsatz für eine tolerante Gesellschaft ist. Das Motto des Verbandstags "Wir bleiben dran“ müsse auch für Politik und Gesellschaft gelten. "Nie wieder dürfen Menschen entrechtet, verfolgt, ermordet werden“, so der Bundespräsident.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

liebe Mitglieder und Mitarbeiter*innen des LSVD,

liebe Familien und Angehörige,

Alva Träbert und mir ist es eine große Ehre, heute hier zu sprechen und auf 35 Jahre LSVD Verband Queere Vielfalt zurückzublicken – eine Zeit geprägt von vielen Errungenschaften und wichtigen Fortschritten für die Rechte der queeren Community. Doch wir wissen auch: Der Weg war nicht immer einfach, und noch immer gibt es viel zu tun.

Dieser Empfang sollte bereits zum 30jährigen Jubiläum des LSVD, wie er damals noch hieß, stattfinden. Leider machte uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Umso mehr freuen wir uns, dass Sie, Herr Bundespräsident, an Ihrer wertschätzenden Einladung festgehalten haben und uns heute empfangen. Das bedeutet uns allen – und ich denke, das gilt in seiner Signalwirkung für die gesamte queere Community – sehr viel.

Besonders symbolträchtig war für uns der 10. Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen am 3. Juni 2018. Sie baten an jenem Tag um Vergebung für das geschehene Leid und Unrecht und das lange Schweigen, das danach folgte. Ihre Worte bewegen uns bis heute und wir sind Ihnen dafür unendlich dankbar. Ihre Worte waren für uns ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung, ein starkes Symbol dafür, dass wir als Gesellschaft nicht nur die Vergangenheit anerkennen, sondern auch aus ihr lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Ihre Worte waren daher auch ein Appell an uns alle: Der Kampf für Gleichberechtigung ist noch lange nicht vorbei. Unsere Gesellschaft steht noch immer vor Herausforderungen, die nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im Alltag der Betroffenen spürbar sind. Das gilt für alle Mitglieder der Community, aber insbesondere für diejenigen, die noch immer Diskriminierung, Gewalt und Ablehnung erfahren.

Ein sehr bewegendes Zitat, das die Dringlichkeit dieser Aufgabe aufgreift, stammt von Klaus Schirdewahn, der sagte: „Ich möchte nicht, dass junge Menschen mit derselben Angst aufwachsen und leben müssen, wie ich es musste.“ Zitat Ende. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass kommende Generationen in einer freien Gesellschaft heranwachsen, die Vielfalt schätzt und respektiert, in der sie sich sicher fühlen können ohne das Gefühl, nicht zu ihrer Identität stehen zu können und in der es keine Angst vor Ausgrenzung gibt – weder in der Schule, noch auf der Straße, noch im Beruf. Der Demokratieförderung kommt dabei eine große Rolle zu. Die Zivilgesellschaft und damit das Volk ist die erste, nicht die unterste Ebene einer Demokratie, und ich möchte meinen Blick über den grünen Rasen vor diesem Schloss und über den Tiergarten Richtung Bundestag richten und erlaube mir zu bemerken: 551 Fragen sind keine Kleine Anfrage, sondern eine Unterstellung ― ein scharf formuliertes Misstrauen. Sie sind ein falsches Signal, das Angst macht und spaltet.

Gerade der LSVD ist mit seinen 35 Jahren Geschichte ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie viel erreicht werden kann, wenn eine Gemeinschaft aus der Zivilgesellschaft heraus für Gleichberechtigung kämpft. Herr Bundespräsident, wir schätzen uns wirklich sehr glücklich, Sie an unserer Seite zu wissen. Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen in der im Grundgesetz verbrieften Freiheit leben können – gleich welcher Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, welchen Glaubens, welcher religiösen oder politischen Anschauung und eben auch gleich welcher sexuellen oder geschlechtlichen Identität.

Ausdrücklich möchte ich hier auf politisches Verantwortungsbewusstsein hinweisen. Herr Bundespräsident, Sie waren dankenswerterweise der Erste, der als Außenminister ein Förderprogramm für die Hirschfeld-Eddy-Stiftung ins Leben rief – ein starkes und mutiges Signal der Unterstützung, auch über die Grenzen Deutschlands hinaus.  Und damit möchte ich an Alva Träbert übergeben, die im Vorstand dieser Stiftung sitzt und die berufenere Stimme zu diesem Thema ist.

Der LSVD konnte in den letzten 35 Jahren auch deshalb so viel bewegen, weil er immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und für dringliche Anliegen politischen Druck gemacht hat, auch wenn das nicht immer angenehm ist. Es ist mir eine Ehre, das auch heute tun zu dürfen.

Die Solidarität und die Empathie, die uns als queere Community verbinden, machen keinen Halt an Landesgrenzen. Unser Ziel ist deshalb auch immer eine LSBTIQ-inklusive Außenpolitik, aber auch die konsequente Berücksichtigung queerer Menschen und ihrer Lebensrealitäten im Asylsystem sowie in Bezug auf humanitäre Aufnahme und Resettlement.

Die Menschenrechtslage für LSBTIQ hat sich in Afghanistan, Georgien, Iran, Irak, Russland sowie mehreren afrikanischen Staaten dramatisch zugespitzt. Autokratische Regime instrumentalisieren queerfeindlichen Hass für ihre politischen Ziele. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte - der systematischen Verfolgung queerer Menschen im Nationalsozialismus und auch danach – kommt Deutschland eine besondere Verantwortung zu, davor nicht die Augen zu verschließen.

Während wir hier sprechen, befinden sich etwa 400 queere afghanische Personen und ihre engsten Angehörigen in Islamabad. 100 von ihnen haben bereits einen abgesicherten Aufnahmestatus durch das BAMF und sind in Betreuung der GIZ, etwa 300 werden durch uns betreut, während ihre Fälle sich in Prüfung befinden. Die Bundesrepublik hat Menschen, die in Afghanistan durch die Taliban entrechtet, gefoltert und ermordet werden, mit der Einrichtung des Bundesaufnahmeprogramms ein Versprechen gegeben. Es ist nun ihre einzige Hoffnung.

Die Taliban streben die systematische Vernichtung queeren Lebens an. Die afghanische Mehrheitsgesellschaft trägt einen Großteil der Verfolgung mit: Familien verstoßen oft queere Angehörige oder töten sie selbst. Sie sind betroffen von Ausbeutung, Zwangsheirat, sexualisierter Gewalt. Fast niemand hilft bei der Flucht, auch aus Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden. Kontakt zu anderen LSBTIQ-Personen ist aus Sicherheitsgründen fast unmöglich. Während deutsche Politik und deutsche Medien diskutieren, wer wirklich gefährdet ist und wer vermeintlich selbst eine Gefahr darstellt, sind queere und trans Personen in Afghanistan vor allem eins: allein.

Bei einer unkoordinierten und überstürzten Beendigung des Bundesaufnahmeprogramms zahlen queere Menschen den höchsten Blutzoll. Wer nicht bald eine Aufnahmezusage erhält, wird gewaltsam nach Afghanistan zurückgeführt. Ich habe die Hoffnung, dass Sie, dass wir diese 400 Personen, die sich auf das Wort der Bundesregierung verlassen haben, nicht in den sicheren Tod schicken werden.  

Hier heute mit Ihnen und mit euch stehen zu dürfen, ist für mich und Alexander Vogt ein sehr besonderer Moment, und er ist von zwiespältigen Gefühlen geprägt. Wir blicken feierlich zurück auf die letzten Jahrzehnte, sind stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben, und dankbar für den unermüdlichen Einsatz so vieler Menschen, auf den Zusammenhalt und die politische Zusammenarbeit, die das möglich gemacht haben. Gleichzeitig  blicken wir mit Sorge in die Zukunft, auf den Rechtsruck in Europa und der Welt. Und wir bereiten uns darauf vor, die Rechte, die wir erkämpft haben, zu verteidigen.

Die Anliegen, die wir in wir in den letzten 35 Jahren ins Parlament und auf die Straße getragen haben, waren vielfältig – dennoch bleibt der rote Faden: Wir haben uns nie für Sonderrechte eingesetzt, sondern immer gegen Unrecht. Es gibt viel zu feiern, und auch noch viel zu tun.

Ich schließe deshalb mit aufrichtigem Dank und in entschlossener Vorfreude auf die nächsten 35 Jahre und darüber hinaus: bis wir wirklich alle nicht nur gleich an Würde, sondern eben auch gleich an Chancen und Rechten sind.

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