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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Bericht zum vom LSVD+ organisierten Fachkräfteaustausch Hamburg - Estland

von Anne Feldmann

Bericht über die Woche des vom LSVD+ Hamburg organisierten Fachkräfteaustausches in Tallinn.

Die Woche des vom LSVD+ Hamburg organisierten Fachkräfteaustausches in Tallinn wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Im Austausch mit den Fachkräften mischten sich immer wieder ernste Themen, Humor, aktivistische Motivation und das Finden von Gemeinsamkeiten in der Arbeit, wenn sie auch unter so unterschiedlichen Bedingungen stattfindet. Durch meine Rolle als Projektleitung bei der Queeren Vernetzung, der Fachstelle für Akzeptanzarbeit in Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Hamburg, eröffnete sich mir die Möglichkeit zur Teilnahme.

Über die Woche verteilt sind wir nicht nur innerhalb der „Hamburger“ Gruppe von Aktivist_innen - neben der Queeren Vernetzung war auch die Aidshilfe, das Hamburg International Queer Film Festival und Quarteera vertreten - eng zusammengewachsen, sondern haben vor allem viele spannende Organisationen und Menschen kennengelernt, die sich in Estland für die LGBTQIA+ Community einsetzen:

Wir haben verschiedene Aktivist_innen von Q-Space kennengelernt. Das Projekt ist nicht nur als Kooperationspartner vom LSVD+ Hamburg der Grund, warum der Austausch stattfinden kann, sondern macht auch unheimlich wichtige Arbeit vor Ort in Tallinn und in Estland insgesamt. Gegründet von einer aus Russland geflüchteten queeren Aktivistin versucht QSpace eine Lücke zu füllen, die in Estland leider noch immer groß ist: Viele der Angebote für queere Personen sind nur auf estnisch zugänglich. Es gibt aber in Estland sowohl eine große russischsprachige Community als auch viele Geflüchtete, zum Beispiel aus der Ukraine, die (noch) kein estnisch sprechen. Die Angebote von Q-Space sind immer auf mehreren Sprachen zugänglich, auch Hefte und andere Materialien werden in verschiedenen Sprachen veröffentlicht.

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Auch bei EHVP waren wir zu Gast, eine Organisation, die Präventionsarbeit, Testung und Beratung zum Thema HIV anbietet. Auch bei dieser Organisation liegt ein großer Schwerpunkt darauf, auch die russischsprachigen Menschen, die in Estland leben, zu erreichen, ebenso wie die aus der Ukraine geflüchteten Menschen. Wir wurden nicht nur mit wichtigen Informationen, sondern auch mit Tee, Kaffee und Keksen versorgt und das, obwohl die Organisation sich in einer sehr schwierigen Zeit befindet, weil die Förderung aus den USA komplett weggebrochen ist. Ich weiß sehr zu schätzen, dass sich gerade in einer so schwierigen Phase die Zeit für diesen Austausch genommen wurde.

In den Räumen von Q-Space haben wir Aktivist_innen aus dem Projekt Eesti Transinimeste Ühing getroffen und uns über ihre selbstorganisierten Treffen für trans Personen und die weitere Arbeit des Projekts ausgetauscht. Wegen sehr hoher Nachfrage wurde ein Treffen speziell für junge trans Menschen ermöglicht, für das einige Menschen extra aus den Nachbarorten anreisen.

Außerdem haben wir uns mit Aktivist_innen getroffen, die eine queerfreundliche Sauna organisieren und dort verschiedene Safe-Spaces anbieten (Tage und Saunazeiten für FLINTA, Queers,…).

Es gab ein Treffen mit den Jugendlichen, die während der Hamburg-Pride am vom LSVD+ Hamburg organisierten Jugendaustausch teilnehmen werden. Wir haben über das Programm gesprochen, was sie in Hamburg erwartet, aber auch darüber, was die Unterschiede zwischen den Pride-Veranstaltungen in Tallinn und Hamburg sind (zum Beispiel die deutlich größere Teilnehmer_innenzahl), sodass die Jugendlichen bestmöglich auf den Austausch vorbereitet sind. Die Vorfreude bei den Jugendlichen war groß und zeigt, was für eine tolle und einmalige Erfahrung dieser Austausch für sie darstellt.

Neben den Treffen mit queeren Organisationen vor Ort hatten wir auch die Gelegenheit, uns mit Vertreter_innen der Deutschen Botschaft zu treffen, von denen wir zu einem gemeinsamen Essen eingeladen wurden. Auch bei der schwedischen Botschaft waren wir im Rahmen eines Pride-Empfangs zu Gast. Beide Male waren neben den Vertreter_innen der Botschaften auch wichtige Vertreter_innen weiterer queerer Organisationen anwesend, beispielsweise der Hauptorganisator der Pride oder ein Vertreter eines queeren Online-Magazins.

Auch die Zeit, die wir nicht bei offiziellen Treffen verbracht haben, war sehr gut gefüllt. Beispielsweise haben wir eine Stadttour durch Tallinn bekommen und dort viel über die spannende und beeindruckende Geschichte der Stadt gelernt. Einige von uns haben auch verschiedene Ausstellungen und Museen besucht, ich war zum Beispiel in einer feministischen Kunstausstellung, in einem Banned-Books Museum und in einem Hotel, in dem früher das KGB spioniert hat. Gerade in den ersten beiden Orten waren auch viele Bezüge zu queeren Themen zu finden.

Ein großes Highlight war die Pride-Demonstration am Samstag. Nicht nur die große Anzahl an Teilnehmer_innen (ich würde schätzen, dass wir über 1000 Leute waren), sondern auch das Wiedersehen von Aktivist_innen, die bei vorherigen Austauschen mitgemacht hatten, war sehr bewegend. So konnten wir die Frau einer jungen Aktivist_in kennenlernen und Menschen von dem Community-Centrum Peemoti Keskus aus Tartu wiedersehen um nur einige Beispiele zu nennen.

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Auch wenn ich selbst nach dem gut gefüllten Programm tagsüber abends zu müde war, um mitzugehen, freut es mich sehr, dass einige aus unserer Gruppe auch abends noch
Veranstaltungen besucht haben, immer zusammen mit Aktivist_innen aus Estland, die durch ihre Offenheit dafür gesorgt haben, dass wir uns alle sehr wohl und willkommen gefühlt haben. Es zeigt sich hier deutlich, dass der Austausch nicht nur auf einer fachlichen, sondern auch sehr emotionalen, menschlichen Ebene, verbindet. Die hier geschaffenen Netzwerke gehen über ein Verbinden über soziale Netzwerke weit hinaus.

Der Austausch hat mich bewegt und motiviert und ich bin dem LSVD+ Hamburg und der Hansestadt Hamburg dankbar für die Möglichkeit dieser Begegnungen und alles, was ich durch sie gelernt und erfahren habe. Ich konnte aus Tallinn nicht nur für mich als Privatperson und queere Aktivist_in, sondern auch für meine Arbeit bei der Queeren Vernetzung viel mitnehmen.

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