Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Vaterschaftsanfechtung
Stellungnahme des LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt vom 14.08.2025
I. Überblick
Mit dem vorliegenden Entwurf soll das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.04.2024 (1BvR 2017/21) umgesetzt werden, das § 1600 Abs. 2 Alt. 1 und Abs. 3 S. 1 BGB für unvereinbar mit dem Elterngrundrecht des „leiblichen Vaters“ gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG erklärt hat. Die Umsetzungsfrist und damit auch Fortgeltungsanordnung wurde vom Bundesverfassungsgericht bis zum 31. März 2026 verlängert.
Kernstück der Neuregelung ist die Reform des Anfechtungsrechts. Mit der Anfechtung wird die bestehende rechtliche Elternschaft des zweiten Elternteils rückwirkend „beseitigt“. Anfechtungsgrund ist das Nichtbestehen einer genetischen Verbindung zwischen aktuellem rechtlichen Vater und Kind. Damit fallen die Zuordnungskriterien für die Begründung der Elternschaft (Ehe oder Anerkennung durch eine Person mit männlichem Geschlechtseintrag) und für deren Beseitigung auseinander. Anfechtungsberechtigt sind gem. § 1600 Abs. 1 BGB der rechtliche Vater, die rechtliche Mutter, das Kind und „der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben“. Dessen Anfechtungsrecht ist bislang durch eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind beschränkt, § 1600 Abs. 2 BGB. Besteht eine solche, kann er die Vaterschaft nicht anfechten. Zugleich ist er nicht rechtlos gestellt: Ihm steht unter Umständen gem. § 1686a BGB ein Auskunfts- und Umgangsrecht zu.
Der Entwurf sieht nun vor, dass die Anfechtung des „leiblichen nicht rechtlichen“ Vaters innerhalb der ersten sechs Lebensmonate des Kindes stets erfolgreich sein soll. Auch danach schließt eine bestehende sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind die Anfechtung durch den leiblichen Vater nicht mehr grundsätzlich aus. Stattdessen soll eine Reihe von Fallgruppen eingeführt werden, bei denen die Anfechtung des „leiblichen Vaters“ trotz bestehender sozial-familiärer Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind dennoch erfolgreich sein soll.
In der Begründung, nicht aber im Gesetzeswortlaut selbst, werden auch private Samenspender ausdrücklich als Anfechtungsberechtigte benannt. Mit dem beabsichtigten Zweck, Anfechtungssituationen von vornherein zu vermeiden, soll eine Vaterschaftsanerkennung künftig während eines anhängigen Feststellungsverfahrens nicht mehr möglich sein. Außerdem soll eine neue Form der sogenannten Dreier-Erklärung eingeführt werden. Regelungen, die Anfechtungssituationen bei privaten Samenspenden verhindern, fehlen.
Insgesamt geht der Entwurf an vielen Stellen über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Deutlich wird eine einseitige Privilegierung der Rechtstellung des „leiblichen“ Vaters gegenüber den Interessen des Kindes, der rechtlichen Mutter und des rechtlichen Vaters, die die Bedeutung sozialer Elternschaft und die gelebte Realität vieler Familien verkennt. Das Abstammungsrechts wird so weitergehend biologisiert, während eine kohärente Gesamtreform weiterhin aussteht.
II. Kritische Einordnung insbesondere aus queerpolitischer Perspektive
1. (Weitergehende) Biologisierung des Abstammungsrechts
Das Abstammungsrecht ist insgesamt reformbedürftig. Es ist gesellschaftliche Realität, dass Kinder in vielfältigen Familienkonstellationen aufwachsen. Die sogenannte Primärzuordnung der zweiten Elternstelle richtet sich zunächst danach, mit wem die rechtliche Mutter oder gebärende Person verheiratet ist oder wer die Vaterschaft anerkannt hat. Eine genetische Verbindung zum Kind wird erst in Konfliktsituationen relevant: Bei der gerichtlichen Feststellung gemäß § 1592 Nr. 3 BGB oder der Anfechtung einer bestehenden rechtlichen Vaterschaft gemäß § 1600 ff. BGB. Dennoch ist die zweite Elternstelle aktuell Personen mit männlichem Geschlechtseintrag vorbehalten.
Dieser Ausschluss von v.a. Zwei-Mütter-Familien wird in mittlerweile sieben Normenkontrollanträgen und einer Verfassungsbeschwerde als verfassungswidrig bewertet. Insbesondere das Recht des Kindes auf staatliche Gewährleistung staatlicher Pflege und Erziehung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das Elterngrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das Geschlechterdiskriminierungsverbot gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG werden verletzt. Die Verfahren der „Nodoption“-Familien sind z.T. seit 2021 beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Noch immer hat das Gericht nicht über diese Fälle entschieden, mittlerweile sind sogar Verzögerungsrügen erfolgt. Der LSVD⁺ kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht über das Anfechtungsrecht im vorliegenden Fall vor den länger anhängigen Nodoption-Fällen entschieden hat.
Auch weitere wesentliche rechtliche Änderungen der letzten Jahrzehnte wie die Aufhebung des Sterilisationszwangs für trans* Personen und die Einführung des Geschlechtseintrags „divers“ sowie die Möglichkeit eines offenen Geschlechtseintrags bildet das Abstammungsrecht nicht ab. Die abstammungsrechtlichen Regelungen im Selbstbestimmungsgesetz sollten ausdrücklich nur eine „Interimslösung“ bis zur Gesamtreform des Abstammungsrechts darstellen (BT-Drs. 20/9049, S. 53). Gesellschaftliche Realität ist es auch, dass Kinder mit mehr als zwei verantwortlichen Eltern aufwachsen. Das Bundesverfassungsgericht hat der Legislative ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, Mehrelternschaften einzuführen (siehe 3. Leitsatz des Urteils). Diese Option wurde im vorliegenden Entwurf mit Verweis auf „ungelöste Folgefragen“ (S. 13) ohne ausführliche Prüfung abgelehnt.
Während der genetischen Verbindung zwischen „leiblichem Vater“ und Kind herausgehobene Bedeutung über die bestehende sozial-familiäre Familie zum rechtlichen Vater hinaus zugesprochen wird, bleibt die genetische Verbindung, die zum zweiten Elternteil via Eizelle bestehen kann, dabei völlig unbeachtet. Auch bei Familien, die z.B. vermittels einer unkommerziellen sogenannten Ropa-Eizellenspende der Mutter an ihre gebärende Ehefrau gegründet wurden und die gemeinsam die alltägliche Fürsorgeverantwortung für das Kind übernehmen, gibt es keine Möglichkeit für die zweite Mutter, ihre genetische und soziale Elternrolle unmittelbar nach der Geburt auch rechtlich abzubilden. Hingegen soll der private Samenspender nach dem vorliegenden Entwurf sehr weitgehend eine bereits bestehende rechtliche Vaterschaft beenden können.
Der Reformentwurf bringt Verschlechterungen für diejenigen Eltern, die gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 SBGG qua männlichem Geschlechtseintrag in die rechtliche Vaterstellung kommen. Auch z.B. Zwei-Mütter-Familien die durch die ausländische Staatsangehörigkeit einer der Mütter beide als Eltern eingetragen sind, sehen sich im Bereich privater Samenspenden durch den Entwurf Verschlechterungen ausgesetzt.
Deutlich wird der grundlegende Bedarf nach einem stimmigen Konzept für die Reform des Abstammungsrechts, die die Interessen aller Beteiligten und insbesondere die der Kinder in einen angemessenen Ausgleich bringt. Wesentliche Fragen zur Bedeutung von sozialer Verantwortung und genetischer Verbindungen für die Bestimmung der rechtlichen Elternposition müssen endlich ausgewogen von der Legislative entschieden werden. Es liegen zahlreiche wissenschaftliche und politische Vorarbeiten vor, die Reform wird seit mehr als 10 Jahren gefordert und vorbereitet. Die verlängerte Umsetzungsfrist und damit auch Fortgeltungsanordnung bis zum 31.03.2026 hätten Anlass für die Legislative sein müssen, das Abstammungsrecht insgesamt endlich verfassungskonform zu reformieren.
Im Einzelnen sehen wir eine weitere Biologisierung des Abstammungsrechts in den folgenden Punkten:
a.) Neuregelung der Anfechtung
aa.) Absolute Privilegierung des leiblichen Vaters in den ersten sechs Monaten, § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB-E
Bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes soll die Anfechtung des „leiblichen, nicht rechtlichen Vaters“ stets erfolgreich sein, d.h. ihr wird pauschal der Vorrang vor der Vaterschaft des Mannes gegeben, der qua Ehe oder Anerkennung rechtlicher Vater ist. Das folgt im Umkehrschluss aus der Formulierung in § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB-E, siehe Gesetzesbegründung S. 38.
Innerhalb der ersten sechs Monate nach Geburt des Kindes besteht somit keine Rechtssicherheit für die Familie, die bestehende Elternschaft des zweiten Elternteils kann jederzeit erfolgreich auch vom privaten Samenspender angefochten werden (siehe dazu unter 2.). Den Interessen des „leiblichen Vaters“ wird somit pauschal Vorrang gegeben. Das setzt die Familien in der ohnehin oftmals vulnerablen Zeit nach der Geburt eines Kindes unter Druck. Hinsichtlich der Fehlinterpretation der Bindungstheorie im Entwurf verweist der LSVD⁺ auf die Stellungnahme des Zukunftsforums Familie. Auch ist zu kritisieren, dass bei einer Anfechtung innerhalb der Sechsmonatsgrenze offenbar keine Kindeswohlprüfung erfolgen soll.
bb.) Vorrang der sozial-familiären Beziehung des leiblichen Vaters, § 1600 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BGB-E
Nach Ablauf der sechs Monate soll die Anfechtung des „leiblichen Vaters“ gemäß § 1600 Abs. 3 Nr. 1 BGB-E nicht ausgeschlossen sein, wenn zwischen ihm und dem Kind ebenfalls eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Das bedeutet, dass wenn zu beiden Personen eine sozial-familiäre Beziehung besteht, die bestehende rechtliche Vaterschaft „beseitigt“ werden kann. Der sozial-familiären Beziehung zum leiblichen Vater wird somit Vorrang eingeräumt. Das Bundesverfassungsgericht hat hingegen den Vorrang der sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind als verfassungsgemäß angesehen (Rn. 90), eine Privilegierung des „leiblichen Vaters“ ist somit nicht zwingend.
cc.) Frühere sozial-familiäre Beziehung, § 1600 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und „ernsthaftes Bemühen", § 1600 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BGB-E
Die Anfechtung des „leiblichen Vaters“ soll auch nicht ausgeschlossen sein, wenn zwischen dem Kind und dem Anfechtungsberechtigten früher eine sozial-familiäre Beziehung bestanden hat, die aus von dem Anfechtungsberechtigten nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr andauert.
Die Formulierung „nicht zu vertretende Gründe“ kann auf die wissenschaftlich widerlegte Theorie über elterliche Entfremdung anspielen (auf Englisch „Parental Alienation Syndrom“). Zur Kritik daran verweisen wir auf die Ausführungen in der Stellungnahme des Zukunftsforum Familie.
Zudem stellen sich praktische Fragen: Wie soll das Gericht feststellen, dass die sozial-familiäre Beziehung aus vom leiblichen Vater „nicht zu vertretenden Gründen“ nicht mehr andauert? Ebensolche Beweisfragen stellen sich bei der gerichtlichen Feststellung des „ernsthaften Bemühens“, eine bislang nicht vorhandene sozial-familiäre Beziehung aufzubauen, § 1600 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BGB-E. Eine Mindestanforderung dafür könnte sein, dass der leibliche Vater der rechtlichen Mutter bereits vorgeburtlich eine Vaterschaftsanerkennung angeboten hat.
dd.) Erforderlichkeit zum Wohl des Kindes, § 1600 Abs. 3 S. 3 BGB-E
Die Anfechtung des „leiblichen Vaters“ soll nicht erfolgreich sein, wenn „der Fortbestand der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 oder 2 oder § 1593 unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten für das Wohl des Kindes erforderlich ist.“, § 1600 Abs. 3 S. 3 BGB-E. Das ist eine sehr hohe Hürde. Bei der Anfechtung einer bestehenden Vaterschaft sollte das Kindeswohl der entscheidende Faktor sein. Stattdessen sollte daher die Formulierung „im Sinne des Kindeswohls ist“ gewählt werden.
b.) Keine Anerkennung während eines anhängigen Feststellungsverfahrens, § 1594 Abs. 4 BGB-E
Der vorliegende Entwurf sieht vor, dass eine Vaterschaftsanerkennung nicht mehr möglich sein soll, wenn eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft anhängig ist. Bei einer Konkurrenz zwischen leiblichem und rechtlichem Vater soll somit die genetische Abstammung entscheidend sein.
c.) „Dreier-Erklärung“, § 1595a BGB-E
Bislang ist eine sogenannte „Dreier-Erklärung“, also eine Anerkennung trotz bestehender Vaterschaft eines anderen Mannes gemäß § 1599 Abs. 2 BGB, nur bei einem anhängigen Scheidungsantrag möglich. Der LSVD⁺ begrüßt, dass es künftig auch möglich sein soll, dass eine dritte Person bei Fortbestand der Ehe die Vaterschaft für das Kind anerkennt. Eine solche verbindliche Verantwortungsübernahme unabhängig von der Ehe hat auch das „Leitplankenbündnis“ gefordert. Das stärkt die einvernehmliche Ausgestaltung individueller Familienmodelle ohne den Umweg über das Gericht und kann eine Öffnung hin zur Mehrelternschaft darstellen.
Kritisch ist jedoch auch an dieser Stelle die neuerliche Biologisierung des Abstammungsrechts zu benennen: Für die bisherige Dreier-Erklärung war der Nachweis einer genetischen Verbindung zum Kind keine Voraussetzung. § 1559a Abs. 1 Nr. 2 BGB-E iVm § 33a PStV-E erhebt die „leibliche Abstammung“ nun zur Wirksamkeitsbedingung. Das steht der Autonomie der Familie und der bisherigen Wertung des Abstammungsrechts, die die Vaterschaftsanerkennung gerade nicht von einem solchen Nachweis abhängig gemacht hat, entgegen.
d.) „Zweite Chance“, § 1600 Abs. 4 S. 3 BGB-E i.V.m. § 185 FamFG-E
Der Entwurf sieht vor, dass das Anfechtungsrecht „leiblicher Väter“ nur gehemmt ist, solange eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht. Sobald diese wegfällt, sollen „leibliche Väter“ das Recht auf „eine zweite Chance“ für die Anfechtung bekommen. Der LSVD⁺ kritisiert diese extrem weite Regelung, die besonders zum Nachteil der Rechtssicherheit der Kinder verlässliche Beziehungen bedroht. Wann ein Wegfall der sozial-familiären Beziehung vorliegt, ist nicht eindeutig bestimmt. § 1600 Abs. 4 BGB-E definiert, dass eine sozial-familiäre Beziehung in der Regel vorliegt, wenn der Mann mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Ein getrenntes Wohnen könnte so „von außen“ bereits als Anlass für eine neuerliche Aufnahme der Anfechtung genommen werden. Die Vaterschaft des rechtlichen Vaters steht so stetig unter dem Vorbehalt der neuerlichen Anfechtung. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch dem Kind ein Anfechtungsrecht zusteht, dass es etwa beim Wegfall der sozial-familiären Beziehung bemühen kann. Hinsichtlich der weiteren kinderrechtlichen Bedenken verweisen wir auf die Stellungnahme des Deutschen Kinderschutzbundes.
2. Einbeziehung des privaten Samenspenders
Der Wortlaut von § 1600 Abs. 1 S. 1 BGB soll nach dem Referentenentwurf unverändert bleiben: Anfechtungsberechtigt soll weiterhin nur der Mann sein, der „an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben“.
Hingegen wird auf S. 34 des Entwurfs angeführt, dass auch dem privaten Samenspender ein Anfechtungsrecht zustehen soll: „Hinsichtlich des mutmaßlich leiblichen Vaters des Kindes soll künftig aber ausdrücklich klargestellt werden, dass nicht nur der Mann, der geschlechtlich mit der Mutter verkehrt hat (Buchstabe a), sondern auch der private Samenspender (Buchstabe b) zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt sind. Eine inhaltliche Änderung gegenüber dem geltenden Recht ist damit nicht verbunden.“ Eine solche Differenzierung findet sich im Gesetzestext gerade nicht.
Eine Person, die privat ihren Samen z.B. im Rahmen einer sogenannten „Becherspende“ abgegeben hat, hat der rechtlichen Mutter nicht iSd § 1600 Abs. 1 S. 1 BGB „beigewohnt“. Die Abgabe einer Samenspende impliziert den bewussten Verzicht auf elterliche Rechte und Pflichten. Insofern der Gesetzesentwurf darauf verweist, dass mit dieser Auslegung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem geltenden Recht einhergeht, ist das falsch. Zwar hat der Bundesgerichtshof 2013 einem privaten Samenspender ein Anfechtungsrecht eingeräumt (BGH, Urteil vom 15. Mai 2013 - XII ZR 49/11), allerdings nur im Fall einer nicht erklärten Einwilligung des rechtlichen Vaters in die Samenspende. Eine Einbeziehung privater Spender widerspricht zudem klar der gesetzgeberischen Intention (BT-Drs. 15/2492, S.9). Schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht selbst in der dem Referentenentwurf zugrundeliegenden Entscheidung den privaten Samenspender von der Anfechtung ausgenommen: „Als leibliche Eltern eines Kindes werden herkömmlich der Mann und die Frau verstanden, die das Kind durch Geschlechtsverkehr mit ihren Keimzellen gezeugt haben, wenn diese Frau das Kind anschließend geboren hat (vgl. dazu die Darstellung bei Sanders, Mehrelternschaft, 2018, S. 6). Ein solches Verständnis von leiblicher Elternschaft liegt auch den fachrechtlichen Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung zugrunde, wie sich vor allem aus der Anfechtungsberechtigung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB und der Anfechtungsvoraussetzung leiblicher Vaterschaft in § 1600 Abs. 2 letzter Halbsatz BGB ergibt.“ (BVerfG, Urteil vom 09. April 2024, - 1 BvR 2017/2, Rn. 3: siehe auch Rn. 38 und 42).
Konsequenterweise ist das Anfechtungsrecht der rechtlichen Mutter und des rechtlichen Vaters bereits jetzt gemäß § 1600 Abs. 4 BGB ausgeschlossen, wenn das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch „künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden“ ist. In der neuen Fassung von § 1600 Abs. 5 BGB-E soll der Anfechtungsausschluss erweitert werden: Auch jenseits von der Inanspruchnahme einer medizinisch assistierten Samenspende soll die Anfechtung durch die rechtliche Mutter und den rechtlichen Vater ausgeschlossen sein, wenn sie bei der Anerkennung der Vaterschaft wussten, dass das Kind nicht vom rechtlichen Vater abstammt. Dies dient der Rechtssicherheit insbesondere im Interesse des Kindes. Die Gesetzesbegründung verweist zurecht darauf, dass eine Anfechtung einer Anerkennung, die im sicheren Wissen um das Nichtbestehen einer genetischen Verwandtschaft zum Kind vorgenommen gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt (S. 42). Dass der samenspende Dritte in diesen Konstellationen jedoch nicht von einer Anfechtung ausgeschlossen ist, verdeutlicht die einseitige Privilegierung privater Samenspender und die Inkonsistenz der Teilregelung des Entwurfs im Gesamtgefüge des Abstammungsrechts. Deutlich wird auch an dieser Stelle, dass es ein Gesamtkonzept für die Reform geben muss.
Wenn auch privaten Samenspendern entgegen der bisherigen Rechtslage ein Anfechtungsrecht zustehen soll, hätte der Entwurf an dieser Stelle zur „Verhinderung von Anfechtungssituationen“ eine Regelung treffen müssen, die rechtsverbindliche Absprachen zwischen den Beteiligten ermöglicht. Solche vorgeburtlichen Vereinbarungen, z.T. als „Elternvereinbarungen“ bezeichnet, werden wissenschaftlich und politisch schon seit Langem gefordert. Irritierend sind diesbezüglich jedoch die Ausführungen auf S. 37: Die Gesetzesbegründung führt an, dass „im Falle einer Becherspende […] sich die von dem mutmaßlichen leiblichen Vater abzugebende Versicherung an Eides statt auch dazu verhalten [hat], welche Absprachen zu welchem Zeitpunkt zwischen welchen Personen getroffen wurden.“ An dieser Stelle bedarf es einer rechtssicheren Regelung.
3. Auswirkungen auf die Reform des Abstammungsrechts
Bei Familien, in denen der zweite Elternteil nicht männlich ist, kann die zweite Elternstelle aktuell nicht qua Ehe oder Anerkennung besetzt werden.1 Bis zum Abschluss eines etwaigen Adoptionsverfahrens bleibt sie frei. Der private Samenspender kann seine rechtliche Vaterschaft vorher gem. § 1592 Nr. 3 BGB gerichtlich feststellen lassen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.04.2022, 11 UF 39/22, auch gegen den entgegenstehenden Willen der Ehefrau der rechtlichen Mutter). Nur bei einer medizinisch assistierten Samenspende kann der Spender gemäß § 1600d Abs. 4 BGB nicht als „Vater“ festgestellt werden.
Seit Jahren wird gefordert, die Primärzuordnung der Elternschaft unabhängig vom Geschlecht des Elternteils qua Ehe oder Anerkennung zu ermöglichen. Wenn eine solche Reform endlich umgesetzt würde, wäre sie für queere Familien, die ihre Familie mittels einer privaten Samenspende gegründet haben, ein leeres Geschenk, wenn die Elternstellung innerhalb der ersten sechs Monate nach Geburt des Kindes und auch danach weitgreifend wieder beseitigt werden könnte.
Die 2022 vom damaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann angekündigte Differenzierung zwischen Familien, die vermittels einer „offiziellen“ und solchen, die mittels privater Samenspenden entstanden sind, würde so umgesetzt werden. Dieser Vorschlag wurde damals von der breiten Mehrheit der Selbstvertretungsorganisationen und Interessenverbände abgelehnt. Familien entscheiden sich aus vielfältigen Gründen für eine private Spende: noch immer werden queere Menschen beim Zugang zu und der Finanzierung von „offiziellen“ Samenspenden diskriminiert, oftmals besteht der Wunsch nach persönlichem Kontakt zur spendenden Person oder es gibt ein persönliches Näheverhältnis. Private Spenden wird es immer geben: Die Absicherung einer Familie und insbesondere der Kinder darf nicht von der Art der Zeugung abhängen.
Um eine solche prekäre Lage queerer Familien zu verhindern, ist die Möglichkeit verbindlicher Vereinbarungen zwischen privaten Spender*innen und den Eltern erforderlich.