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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Alles Gute zum 250. Geburtstag

Post-Mortem Interview mit Alexander von Humboldt

Die Homosexualität von Alexander von Humboldt - ein Post-Mortem-Interview anlässlich des 250. Geburtstags. Von Johannes Brandstäter

Alexander von Humboldt mit seinem Freund und Wegbegleiter Aimé Bonpland am Orinoco 1800 auf einem Gemälde von Eduard Ender von 1856 (Abbildung: Wikipedia)

Alexander von Humboldt mit seinem Freund und Wegbegleiter Aimé Bonpland am Orinoco 1800 auf einem Gemälde von Eduard Ender von 1856 (Abbildung: Wikipedia)

Herr von Humboldt, Ihr 250. Geburtstag ist nun schon ein paar Monate her, aber über Ihr Liebesleben war bei den vielen Festivitäten noch gar nichts zu erfahren.

Ich bin mit den Freundschaften, die ich gepflegt habe, ziemlich offen umgegangen. Was ist da jetzt wichtig für Sie?

Die Medien schreiben und casten zu Ihrem 250. alles Mögliche über Sie, über die Pflanzen und Steine, die Sie gesammelt haben, über das Klima und Ihren Umgang mit Goethe. Sie werden gern als ein früher Kosmopolit dargestellt. Aber wie Sie das gelebt haben, nämlich ganz ohne den Hafen der bürgerlichen Ehe, und dazu noch in gleichgeschlechtlicher Lebensweise, darüber wird gar nichts gesagt.

Ich habe mich sehr oft einsam gefühlt. Ich wollte immer wieder raus, Neues entdecken, die Naturwissenschaft voranbringen. Wenn Sie mich nach meiner größten Liebe fragen, ehrlich, mein Herz schlug für die Natur, für den Kosmos. Meine große Liebe galt den Naturwissenschaften.

Welche Gefühle hatten Sie einzelnen Menschen gegenüber?

Da gab es zum Beispiel meinen Jugendfreund Karl Freiesleben. Das war der Sohn der Familie in Freiberg in Sachsen, wo ich mir 1791 ein Zimmer gemietet hatte. In Freiberg studierte ich an der Bergakademie. Wir waren Tag und Nacht zusammen. Ich schrieb ihm später: „Noch nie habe ich irgend ein menschliches Wesen so innig, so herzlich geliebt, als Sie.“ Leider blieb ich in Freiberg nur acht Monate. Ich bin dann als Bergassessor viel in Preußen herumgekommen, doch ich fühlte mich oft einsam. Aber mit ihm habe ich die süßesten Stunden meines Lebensverbracht.

Mit der Einsamkeit ging es Ihnen dann ein bisschen wie Goethe, den Sie 1794 zum ersten Mal sahen?

Ja, vielleicht. Er war melancholisch, manchmal auch bitter. Seine großen Liebesaffären waren da schon vorbei. Er interessierte sich zunehmend für die Natur und die Wissenschaft, und ich war für ihn der willkommene „Sparringspartner“, wie man heute wohl sagt.

Das war mit Ihrer Bayreuther Bekanntschaft ganz anders.

1795 hatte ich eine Freundschaft mit Reinhard von Haeften. Der war Infanterieleutnant. Es war eine eher unglückliche Beziehung. Damals schrieb ich: „Ich lebe nur noch durch dich, lieber Reinhard, und ich kann nur glücklich sein, wenn ich bei dir bin“. Wir wohnten zusammen, in Bayreuth. Wir sind zusammen nach Tirol, nach Venedig, in die italienischen Alpen gereist. Dann gab es die Hochzeit Reinhard von Haeftens im Alten Schloss Bayreuth. 1797 kam es zum Bruch.

Einer Ihrer bekannten Freunde war Aimé Bonpland, mit dem Sie Ihre große Reise nach Amerika unternommen haben.

Ihm bin ich in Paris, vor meiner großen Amerikareise, in der Eingangshalle des Hauses begegnet, wo wir beide ein Zimmer gemietet hatten. Ich sprach ihn an, denn er trug eine Botanisiertrommel. Wir teilten die Begeisterung für Pflanzen und die Reisen in ferne Länder. Er war ein idealer Reisegefährte, er war ja auch kräftig und gut gebaut, gesund und zuverlässig. Aber er ließ mich dann sehr kalt, das heißt, mit dem hatte ich ein bloß wissenschaftliches Verhältnis. Wir paddelten in Südamerika mit nur sieben einheimischen Begleitern den Orinoco hoch. Ich konnte ihm blind vertrauen. Als im Sturm das Boot fast voll Wasser lief und ich Angst um meine Bücher und Sammlungen hatte, schöpfte er einfach ganz ruhig das Wasser aus dem Kanu.

Bonpland war nicht der Einzige, dem Sie bei der Südamerikaexpedition in enger Freundschaft verbunden waren?

O ja, da gab es noch Carlos Montúfar. Ihn lernte ich in Quito kennen. Seine Schwester war in mich verknallt, aber ich habe dann während der Reise sehr viel Zeit mit ihm verbracht. Er hatte dunkle Locken und fast schwarze Augen. Ich bin mit ihm zusammen 1802 auf den Chimborazo rauf, und wir haben es ja fast bis ganz oben geschafft. Aber die Höhenkrankheit hat uns bei unseren Bergbesteigungen große Probleme gemacht. Einmal, in einer strohgedeckten Hütte, ging es Carlos Montúfar so schlecht, dass ich, da ich das Bett mit ihm teilte, mir größte Sorgen machte und ihm Wasser holen und Umschläge machen musste.

Montúfar blieb nicht Ihr letzter Lebensabschnittspartner?

1805 lernte ich Louis Gay-Lussac in Paris kennen. Ich bin mit ihm nach Italien gereist. Es war ganz nach meinem Geschmack: im Juli 1805 erlebten wir zusammen den Ausbruch des Vesuvs aus nächster Nähe. 1806 musste ich leider leider nach Berlin gehen, wohin er mitkam, und wo es dann aber nass und kalt war. Louis kehrte deshalb bald nach Paris zurück und ich fühlte mich in Berlin nun fremd und isoliert.

Die Zeit mit Gay-Lussac war also auch begrenzt …

1809 hat Louis geheiratet. Ich lernte nun, als ich wieder in Paris sein konnte, François Arago kennen. Es hat mich fasziniert, dass er als Astronom arbeitete und aus der Haft in Algier fliehen konnte, wo ihn die Spanier als angeblichen Spion festhielten. Wir sahen uns fast jeden Tag. Wir waren wie siamesische Zwillinge und wir haben uns bedingungslos vertraut. Naja, es ging auch mal stürmisch zu, wenn wir uns nicht einig waren bei unseren Forschungen. Aber François Arago war die Freude meines Lebens.

In Paris haben Sie zu jener Zeit allabendlich gleich mehrere Salons besucht. Wie haben Sie denn den Frauen erklärt, die Sie dort anhimmelten, dass Sie nicht verheiratet waren?

Der Austausch in Paris  in den Salons verlief oft intensiv. Gut, ich wurde dort auch mal gefragt, ob ich jemals geliebt habe. Da habe ich gesagt, ja, doch, mit einem Feuer, aber es brennt für die Wissenschaft, meine erste, meine einzige Liebe. Ich muss auch sagen, sinnliche Bedürfnisse kannte ich nicht. Die Natur besänftigt den wilden Drang der Leidenschaften.

Rüdiger Schaper, der Sie biografiert hat, erklärt Ihre Liebe für Paris, dass dort die Homosexualität 1791 bzw. 1810 legalisiert worden war, während darauf in Preußen bis 1794 offiziell die Todesstrafe stand, und danach immerhin noch das Gefängnis. Warum blieben Sie so lange in Paris wohnen, auch gegen den Willen Ihres Königs?

Zu meinem Sexualleben habe ich mich mein Leben lang nicht geäußert. Das gesellschaftliche Leben in Paris hat mich immer angezogen. Die persönlichen Begegnungen in den Salons – ohne sie hätte ich nicht sein wollen. Die politischen Freiheiten waren in Paris nun mal viel größer als in Berlin. Und ich habe Berlin für die langen Winter gehasst.

Herr Kehlmann schreibt, als Sie in Amerika die Welt vermessen haben, hätten Sie sich an indigene Minderjährige herangemacht, sie sogar misshandelt?

Dafür gibt es keine Belege. Nein, das ist frei erfunden. Ich hatte sicher einen unkonventionellen Lebensstil. Aber wer so etwas behauptet, der kennt mich nicht und weiß gar nicht, wie ich drauf war.

Wie war es mit Ihrem Beziehungsleben, als Sie alt wurden?

Ich bin sehr dankbar, dass ich Johann Seifert an meiner Seite hatte. Ich habe ihn Mitte 1827 als Kammerdiener gewonnen, als ich in Berlin in der Oranienburger Straße meine Mietwohnung bezog. Johann Seifert blieb für den Rest seines Lebens bei mir. Ich muss gestehen: Manchmal sah ich mich außerstande, ihm, der mir während drei Jahrzehnten zur Seite stand, den Salär zu zahlen. Ende 1858 übergab ich ihm meine gesamte Bibliothek als Schenkung.

Die Familie reagierte auf diese Teilung des Nachlasses mit "tiefer Betroffenheit".
Aber nun noch eine ganz andere Frage zu dem, was aktuell gerade über Sie diskutiert wird. Das Deutsche Historische Museum (DHM) wirft Ihnen in der gerade laufenden Ausstellung vor, menschliche Gebeine aus den spanischen Kolonien geraubt zu haben.

Das Interesse an solchen wissenschaftlichen Exponaten war damals riesig. Schon während meines Aufenthalts in Jena habe ich, von großer Neugier Goethes begleitet, 1797 die Leichen eines Bauern und seiner Frau, die vom Blitz erschlagen worden waren, auf meinen Seziertisch geholt, um die Auswirkung von Elektrizität auf den menschlichen Körper zu untersuchen.

Hatten Sie keine Gewissensbisse?

Es war für die Wissenschaft. Aber ich trug auch Zweifel in mir. Durchaus. Sie haben mich so viel zu meinen Männerfreundschaften ausgefragt. Werden die in dieser Ausstellung auch ausgeleuchtet?

Nein, davon habe ich gar keine Erwähnung gesehen. Das DHM wollte wohl die Sammlung im schräg gegenüber liegenden, noch im Entstehen begriffenen Humboldt Forum kritisieren.

Mit Recht. Klar, Berlin braucht eine weltläufige, kosmopolitische Einrichtung, zumal angesichts der nationalistischen Tendenzen jetzt in Ihrer Zeit. Allerdings: Das Ausstellungskonzept mit der kolonialen Beutekunst, na ja. Werden Kolonialismus, Sklaverei und globale Umweltzerstörung dort ausreichend deutlich angesprochen? Das Konzept reduziert mich auf den Naturforscher und blendet meine sozialkritischen Beobachtungen aus, scheint mir. Krass finde ich ja auch die Fassade dieses Baus, die dem Stadtschloss der preußischen Monarchie nachempfunden ist. Das ist völlig gegen mein Lebensempfinden. So richtig im Reinen war ich mit dem preußischen Regime nie, ich war mehr für die Demokratie.

Sie haben als Kammerherr dem König aus Ihren Werken vorgelesen und jedes Jahr 2500 Taler Pension kassiert.

Nerven Sie mich damit nicht. Meine Forschungstätigkeit hat mein Erbe und meine Einnahmen mehr als aufgefressen. Ich befand mich voll zwischen den Fronten. Den einen Tag stand ich 1848 beim König auf dem Balkon in seinem Stadtschloss, den andern Tag marschierte ich an der Spitze des Trauerzugs für die gefallenen Revolutionäre. Von den aufrührerischen Massen habe ich nichts gehalten, von den brutalen Polizeieinsätzen aber auch nichts. Ich wollte damals ein vereinigtes Deutschland, wie so viele andere auch, und zwar ein föderales.

Welche Bilanz ziehen Sie nach Ihrem langen und bewegten Leben?

Ich hege die schale Hoffnung, dass der Wunsch nach Veränderung nicht für immer verschwunden ist. Dieses Verlangen ist ewig wie der elektromagnetische Sturm, den die Sonne ausstrahlt.

Vielen Dank für das Interview!

Johannes Brandstäter

Zum Nachlesen: Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur.