LSVD erfolgreich: Umwandlung in Ehe ist rückwirkendes Ereignis
Innerhalb bestimmter Fristen kann die Umwandlung zu rückwirkenden Vorteilen führen
Der Gesetzgeber wollte durch das Eheöffnungsgesetz die letzten Unterschiede zwischen Ehegatten und Lebenspartner rückwirkend beseitigen. Zu diesem Zweck sollten bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6665 v. 11.11.2015, S.10) erläutert Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG wie folgt:
"Nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe haben die Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner die gleichen Rechte und Pflichten, als ob sie am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten. Damit wird die bestehende Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten (…) rückwirkend beseitigt. Dies bedeutet, dass bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssen." (Hervorhebung nicht im Original)
Die rückwirkende Änderung von rechtkräftigen Verwaltungsakten ist im Einkommensteuerrecht in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung und im Verwaltungsrecht, also hinsichtlich des Familienzuschlags, in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) des Bundes bzw. in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Bundesländer vorgesehen.
Das Finanzgericht Hamburg hat die Rückwirkung des Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG für den Bereich des Steuerrechts durch Urteil vom 31.07.2018 (1 K 92/18) bestätigt.
Diese Rückwirkung passte der Steuerverwaltung nicht. Sie befürchtete hohe Rückforderungen und behauptete deshalb, eine rückwirkende Aufhebung schon bestandskräftiger Bescheide sei vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen. Das Finanzamt Hamburg-Ost hat deshalb gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg Revision eingelegt.
Das Bundesfinanzministerium versuchte auch, seine Auffassung in den Entwurf des "Gesetzes zur Umsetzung des Eheöffnungsgesetzes" unterzubringen, siehe BT-Drs. 19/4670 v. 01.10.2018. Allerdings sollte dort Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG nicht ausdrücklich eingeschränkt werden. Darauf haben sich die beiden Fachministerien, das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium, offenbar nicht einigen können.
Sie haben stattdessen in den Gesetzentwurf einen höchst merkwürdigen Vorschlag aufgenommen: In dem Entwurf wird Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG als § 20a Abs. 5 LPartG noch einmal wiederholt. Die beiden Vorschriften unterscheiden sich zwar im Wortlaut geringfügig, besagen aber inhaltlich dasselbe. Aber die Begründungen der beiden Vorschriften unterscheiden sich diametral.
Während in der Begründung von Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG, wie schon erwähnt, gesagt wird, dass durch die Vorschrift die Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten rückwirkend beseitigt werde; deshalb müssten bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden, wird in der Begründung des Gesetzentwurfs zu dem inhaltlich gleichlautenden § 20a Abs. 5 LPartGE behauptet, dass die Vorschrift keine Rückwirkung habe. Die Bestandskraft von Bescheiden oder die Verjährung werde durch das Eheöffungsgesetz nicht durchbrochen.
Diese Begründung war so schon in dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums enthalten. Das Finanzgericht Hamburg hat sie unter Randnote 26 seines Urteils vom 31.07.2018 als "nicht zutreffend" bezeichnet.
Der LSVD hat mit Briefen und Gesprächen immer wieder versucht, das Bundesfinanz- und das Bundesjustizministerium umzustimmen, und darauf hingewiesen, dass die Betroffenen empört seien, dass ausgerechnet zwei SPD-geführte Ministerien die Gleichstellung wieder so torpedieren wie früher die CDU/CSU.
Das hatte schließlich Erfolg. Die Koalition hat eingelenkt und in das "Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften" vom 11.12.2018 (BGBl. I S. 2338) folgende Regelung aufgenommen (siehe Art. 13 des Gesetzes):
Artikel 97 § 9 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO)
"(5) Wurde eine Lebenspartnerschaft bis zum 31. Dezember 2019 gemäß § 20a des Lebenspartnerschaftsgesetzes in eine Ehe umgewandelt, sind § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 sowie § 233a Absatz 2a der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden, soweit die Ehegatten bis zum 31. Dezember 2020 den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung an eine Ehe anknüpfender und bislang nicht berücksichtigter Rechtsfolgen beantragt haben."
Das Gesetz ist am 15.12.2018 in Kraft getreten. Die neue Regelung ist erst während der Beratung des Gesetzes im Finanzausschuss in das Gesetz eingefügt worden. Der Finanzausschuss hat sie in seiner "Beschlussempfehlung und Bericht" wie folgt begründet (BT-Drs. 19/5595 v. 07.11.2018, S. 88):
„Steuerrechtlich ist umstritten, ob diese Umwandlung der Lebenspartnerschaft ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung (AO) darstellt oder nicht. Nach Auffassung der Bundesregierung stellt die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung dar, weil die Steuergesetze zur Gleichstellung der Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten bereits entsprechend den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) angepasst wurden. (…) Durch die Entscheidungen des BVerfG sowie die im Anschluss vorgenommenen gesetzlichen Änderungen wurde erstmals eine neue Rechtslage geschaffen, die zu einer geänderten rechtlichen Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts führte. Eine Ungleichbehandlung von Ehegatten und Lebenspartnern wurde bereits damals beseitigt, durch das Eheöffnungsgesetz konnte sich damit keine geänderte und außerdem auch noch rückwirkende Rechtslage ergeben.
Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit soll in Artikel 97 § 9 des Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO) ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich bestimmt werden, dass § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 sowie § 233a Absatz 2a AO entsprechend anzuwenden sind, wenn die Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe bis zum 31. Dezember 2019 erfolgt ist und die Ehegatten bis zum 31. Dezember 2020 gemeinsam den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines - konkret zu bezeichnenden - Steuerbescheids zwecks nachträglicher Berücksichtigung an eine Ehe anknüpfender, bislang aber noch nicht berücksichtigter Rechtsfolgen beantragt haben. Mit der Regelung soll es dem betroffenen Personenkreis innerhalb einer gesetzlich bestimmten Frist ermöglicht werden, die Anpassung von Steuerbescheiden ungeachtet zwischenzeitlich eingetretener Bestandskraft und Festsetzungsverjährung herbeizuführen. Die im Gesetz bestimmten Fristen sind ausreichend bemessen; sie haben zum Ziel, dass nach ihrem Ablauf Rechtsfrieden eintritt. Dies ist nicht zuletzt deshalb geboten, weil die Finanzbehörden die Steuerakten nach Ablauf einer angemessenen Aufbewahrungsfrist vernichten und die Anpassung der früheren Steuerbescheide damit faktisch häufig nicht mehr sachgerecht möglich ist.“
Die Formulierung "im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit" soll wohl deutlich machen, warum sich die Koalition entschlossen hat, trotz der angeblich mangelnden Rückwirkung von Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG die Rückwirkung für bestandskräftige Steuerbescheide zu bestätigen. Das überzeugt nicht. Dafür hätte es genügt, dass die Steuerverwaltung den Ausgang des Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof abwartet.
Die Begründung trifft gleichwohl zu. Denn die Befristung des Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG bis zum 31.12.2019 für den Bereich des Steuerrechts dient tatsächlich der "Rechtsklarheit und Rechtssicherheit". Ohne diese Befristung hätten die Lebenspartner die Umwandlung ihrer Lebenspartnerschaft in eine Ehe beliebig lang hinausschieben können. Danach hätten sie noch vier Jahre Zeit für den Antrag auf Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide gehabt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). In der Begründung wird mit Recht darauf hingewiesen, dass diese uferlose Möglichkeit, abgeschlossene Vorgänge wieder aufzugreifen, nicht mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass "die Finanzbehörden die Steuerakten nach Ablauf einer angemessenen Aufbewahrungsfrist vernichten und die Anpassung der früheren Steuerbescheide damit faktisch häufig nicht mehr sachgerecht möglich ist".
Der Gesetzgeber hat somit die Neuregelung Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG für den Bereich des Steuerrechts aus Gründen der "Rechtsklarheit und Rechtssicherheit" befristet. Damit hat er aber zugleich die Rückwirkung der Regelung für bestandskräftige Bescheide im Übrigen bestätigt.
Das strahlt natürlich auf die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG in anderen Rechtsbereichen aus wie z.B. den Familienzuschlag der Beamten. Beim Familienzuschlag hat inzwischen auch das Bundesministerium des Innern eingelenkt. Das Bundesverwaltungsamt hat einem Betroffenen mitgeteilt, „dass ich aufgrund der Entscheidung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, dass Ansprüche nach dem Bundesbesoldungsgesetz aufgrund des Eheöffnungsgesetzes nunmehr zu erfüllen sind, meinen ablehnenden Bescheid“ widerrufen habe. Sie können die Mitteilung des Bundesverwaltungsamt hier herunterladen.
Es gibt auch Kritik an der Befristung durch Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO. Teilweise wird vertreten, dass die Umwandlung ein rückwirkendes Ereignis und die Befristung deshalb irrelevant sei (vgl. Rüsch, DStR 21/2021, 1211 ff.). Folgt man dieser Auffassung, kann auch nach Ablauf der in Art. 97 § 9 Abs. 5 EGAO genannten Frist die rückwirkende Änderung von Steuerbescheiden beantragt werden. Hierzu gibt es bislang keine Rechtsprechung. Über die oben angesprochene Revision zum Bundesfinanzhof wurde aufgrund der Verabschiedung des "Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften" nicht mehr entschieden.