“LGBT*IQ -Netzwerke am Arbeitsplatz sind mehr denn je gefordert”
Claudia Feiner aus dem Mitarbeitenden-Netzwerks “Proud@Porsche” im Gespräch mit Kerstin Fritzsche vom LSVD
Im Land der Autobauer arbeiten logischerweise auch sehr viel mehr LSBTTIQ in der Automobilbranche. Wie sieht es hier mit Vielfalt und Antidiskriminierungsarbeit aus, und wie können Firmen mit ihrem Diversity Management während der Pandemie sichtbarer werden – nach außen und nach innen? Wir haben dazu Claudia Feiner getroffen. Sie ist Gründerin des Mitarbeitenden-Netzwerks “Proud@Porsche” und hat ein unternehmensübergreifendes LSBTTIQ-Berufsnetzwerk für den Südwesten initiiert. Und dieses macht natürlich auch eine Aktion zum Diversity-Tag.
Wann habt Ihr Euch gegründet, wie viele seid Ihr und was war der Anlass?
Als ich 2017 bei Porsche anfing, war ich auf der Suche nach Mitarbeiternetzwerken, um möglichst schnell Anschluss im Unternehmen zu finden. Zu der Zeit gab es außer den Betriebssportgruppen noch keine weiteren Mitarbeiter-Communities bei Porsche. Entsprechend gab es auch noch keine LGBT*IQ-Community, und so kam es, dass ich zunächst allein Proud@Porsche gründete. Man muss sich bei uns nicht anmelden o.ä., insofern gibt es keine konkrete Mitgliederzahl der Community. Ich verweise aber immer gerne darauf, dass sich – je nach Studie – ja zwischen 5 und 10% der Bevölkerung der LGBT*IQ-Community zuordnen. Wenn wir diese Zahlen auf die derzeit etwas mehr als 32.000 Mitarbeitenden von Porsche anwenden, sprechen wir also von einer Gruppe, die zwischen 1.800 und 3.600 Personen umfasst. Das ist so viel wie ein kompletter Standort bei uns. Das Bild hilft immer sehr gut, auch intern zu vermitteln, wie relevant die LGBT*IQ-Community bei Porsche ist.
Claudia Feiner
Wie seid Ihr organisiert?
Die Community wird von einem 6-köpfigen Kernteam betreut. Zu dritt teilen wir uns die Funktion der Netzwerk-Vertretung; eine weitere Kollegin übernimmt den PR-Teil; jeweils ein Kollege bildet die Schnittstelle zur Personalabteilung und einer zur Abteilung „Vielfalt und Chancengleichheit“, der Porsche Diversity-Abteilung, wenn man so möchte. Diese interdisziplinäre Zusammensetzung hat sich ungemein bewährt. So können wir sicherstellen, dass auch die thematisch verwandten Unternehmensabteilungen bei allen Themen mitinvolviert sind und wir eng abgestimmt gemeinsam an den Projekten arbeiten.
Wie siehst Du das Diskriminierungspotenzial in eurem Unternehmen? Wie oft seid Ihr gefragt? Hat sich seit Eurer Gründung was geändert/verbessert und wenn ja, wie genau, in welchem Bereich? Was sind Fälle, die Euch zugetragen werden? Wie reagiert Porsche auf Euch bzw. unterstützt Euch? Denn viele Unternehmen sind ja bei der Charta der Vielfalt, aber wir haben schon von Fällen gehört, wo es mit der Umsetzung eher schwierig ist.
Bei uns arbeiten tausende Menschen. Ich denke, wenn es um das Thema Diskriminierungspotential geht, bildet die Belegschaft hier ganz klassisch einen guten Querschnitt unserer Gesellschaft ab. Nicht jede*r will sich am Arbeitsplatz outen, das ist auch gar nicht das Ziel. Wichtig ist es aber, als Unternehmen einen geschützten Raum anzubieten. Sichtbarkeit kann nur entstehen, wenn man als Mitarbeiter*in erste Schritte aus einer vertrauensvollen, sicheren Umgebung heraus machen kann und sich der Rückendeckung des Unternehmens gewiss sein kann. Diese Umgebung haben wir in den vergangenen Jahren aufspannen können. Seit der Gründung von Proud@Porsche vor vier Jahren ist viel ins Rollen gekommen. Das Thema Diversity allgemein ist mehr ins Licht gerückt und gestärkt. So ist der Baustein Diversity inzwischen Teil von Porsches Nachhaltigkeitsstrategie 2030. Große Unternehmen bewegen sich naturgemäß oft eher langsam, aber sie bewegen sich. So haben wir vergangenes Jahr trotz Corona eine Kampagne organisiert, bei der vor dem Porsche Museum sechs Porsche aufgereiht in Regenbogenfarben standen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen – doch genau diese Signale sind wichtig, nach außen und vor allem nach innen hin zur Belegschaft. Und um etwas zu bewegen, gilt wie so oft: Es steht und fällt so vieles mit engagierten Mitgliedern der LGBT*IQ-Community selbst. Das höre ich aber aus allen Unternehmen.
Es geht aber ja im Diversity Management nicht nur um LSBTTIQ – wie läuft das bei Euch, gibt es auch sozusagen Quer-Allianzen? Eine:n Vielfaltsbeauftragte:n?
Wie bereits erwähnt hat Porsche eine eigene Abteilung, die sich explizit mit Perspektivenvielfalt und Chancengleichheit beschäftigt. Hier stehen alle Diversitäts-Dimensionen auf der Agenda. Am ähnlichsten zur LGBT*IQ-Community ist sicherlich das Frauennetzwerk she@Porsche. Hier arbeiten wir so oft als möglich gemeinsam an Diversity-Themen bei Porsche.
Und wie ist das gerade dezentral in Pandemie-Zeiten? Denn Corona hat Sichtbarkeit und auch Netzwerken ja nicht gerade einfacher gemacht…
Der komplette Safe Space der LGBT*IQ-Community ist mit einem Mal aus dem Alltag verschwunden. Also diejenigen Orte, an denen sich die Mitglieder der Community willkommen fühlen können, eingeladen und gemeint sind. Wenn die Safe Spaces im privaten Umfeld nun verschwunden sind, welche bleiben dann noch übrig? Wie gelingt es uns in der jetzigen Situation als Community, die täglichen Micro-Begegnungen und -Interaktionen, die uns mit unserer Umwelt verbinden, zu ersetzen? Wie können wir Mitgliedern der Community vermitteln, dass sie noch immer gesehen und ihre Bedürfnisse wahrgenommen werden? Aus meiner Sicht sind hier nun die LGBT*IQ -Netzwerke am Arbeitsplatz gefordert. Im Gegensatz zum Wegfall des privaten Soziallebens befinde ich mich als Arbeitnehmer*in auch weiterhin in einem sozialen System. Der Anschluss an eine Peergroup, z.B. eine LGBT*IQ-Community, aber auch jede andere Community, ist hier relativ einfach und niederschwellig möglich. Wir brauchen sie, die LGBT*IQ Safe Spaces am Arbeitsplatz. Jetzt gerade mehr denn je. Digitalisierung kann uns Räume, eine Öffentlichkeit, eine Plattform ermöglichen, der sich prinzipiell jeder Mensch anschließen kann, weil kluge Technologie einstige Barrieren einreißen kann.
In dieser neuen Öffentlichkeit lassen sich (gerne auch asynchrone) Debatten führen, die wir brauchen, um Konsens und Regeln auszuhandeln. Wir können Projekte initiierten, neue Erkenntnisse erlangen, ja, im besten Fall Gemeinschaft erzeugen. Die Digitalisierung bietet uns also ein immenses Mobilisierungspotential, sei es zum Beispiel über eben jenen öffentlichen Diskurs oder über Sichtbarkeit in Social Media. Ich sehe es als meine Aufgabe, mittels digitaler Medien einen Mehrwert für meine Communities zu generieren, Plattformen aufzuspannen und zur Teilhabe einzuladen.
Wie ist das mit straight allies? Ist das Thema, wird das mitgedacht?
Allies sind der Hebel, um Sichtbarkeit und Relevanz im Unternehmen zu gewinnen. Aus diesem Grund haben wir nicht nur den Personalvorstand als Paten für unsere Community, sondern auch Allies aus dem oberen und mittlerem Management, die sichtbar für das Thema LGBT*IQ bei Porsche einstehen. Unsere Events und Aktionen sind explizit immer als „Proud@Porsche and Friends“ betitelt. Wir haben zum Beispiel hunderte Sticker mit dem Schriftzug „I support Proud@Porsche“ und unserem Logo drucken lassen. Die haben wir in der Belegschaft verteilt. So können die Kolleg*innen ganz einfach ein sichtbares Zeichen für Solidarität, Akzeptanz und Diversity setzen.
Du warst maßgeblich beteiligt, Anfang 2020 eine Vernetzung der queeren Vertretungen von Unternehmen der Region Stuttgart zu initiieren. Warum ist das notwendig, und was habt Ihr bisher gemeinsam erreicht?
Die Idee habe ich mir von Nikita Baranov abgeschaut. Ein kleiner Shoutout an ihn an dieser Stelle nach Düsseldorf! Nikita hat vor einigen Jahren das LGBTI+-Netzwerk Rhein-Ruhr gegründet, ein Verbund dort ansässiger Unternehmen. Meine Initiative hat auch hier im Südwesten sofort reges Interesse geweckt. Die übergreifende (derzeit vor allem digitale) Vernetzung hilft uns, unsere Interessen und Kräfte zu bündeln und Erfahrungen der unterschiedlichen Unternehmen auszutauschen. Wir erarbeiten gemeinsame Themen und teilen Best-Practices. Als Beispiel: Ein Klassiker der Fragestellung für viele unserer Unternehmen lautet: „Wie erreichen wir die Kolleg*innen in der Produktion und Fertigung besser?“. Wir bieten eine niedrigschwellige, regionale Anlaufstelle für interessierte Unternehmen, die gerade oft auch erst anfangen, das Thema LGBT*IQ bei sich zu fördern. So ermöglichen wir praxisnahe Diversity-Arbeit außerhalb des Elfenbeinturms großer Konzerne. Das macht dieses Projekt so wertvoll und einzigartig und wichtig. Unser Queer-Verbund der LGBT*IQ-Netzwerke kann sich inzwischen wirklich sehen lassen. Er wächst nahezu monatlich und setzt sich jetzt bereits zusammen aus den Netzwerken von Bosch, Daimler, Deutsche Bank, Diconium, EnBW, Festo, HP, dem CSD-Stuttgart-Team, Philips, Porsche, dem Projekt 100% Mensch, SAP, Sissi That Talk, der Stadt Stuttgart selbst, Trumpf, Vector, der Polizei Baden-Württemberg, Vodafone, dem Völklinger Kreis und last but not least den Wirtschaftsweibern.
Im vergangenen Jahr entstand aus der Initiative heraus zum Beispiel eine gemeinsame Studiosendung im Rahmen des CSD Stuttgart mit dem Titel: “Vielfalt stärkt Europa! Grenzenlose Vernetzung in der Arbeitswelt”. Dieses Jahr ist eine gemeinsam organisierte Veranstaltung im Daimler Museum geplant. Da möchte ich aber noch nichts spoilern, und das wird maßgeblich davon abhängen, wie die Corona-Richtlinien bis dahin aussehen.
Zum Diversity-Tag starten wir außerdem eine gemeinsame Aktion auf Social Media. Dazu haben wir einen gemeinsamen Text entwickelt, den alle Mitglieder der beteiligten Netzwerke bei sich auf LinkedIn, Twitter, Instagram usw. teilen können. Bestärken wollen wir die Kampagne durch die Hashtags #MehrAls20000 (da wir mehr als 20.000 LGBT*IQ-Mitarbeitende repräsentieren) und #0711LiebtBunt.
Was denkst Du, wie Unternehmen Sichtbarkeit auch nach außen hin (glaubhaft) transportieren können? Gibt es Punkte, da wird’s zu kommerziell oder irgendwie komisch? Antonia Wadé von Audi spricht ja auch von “Diversity-Dimensionen”, die ein Unternehmen im Blick haben sollte. Und auch LSBTTIQ selbst sollten sich ja wohlfühlen. Ein Beispiel: Ich war vor zwei Jahren zuletzt auf dem CSD in München und war ehrlich gesagt zwiegespalten wegen der vielen Firmen-Trucks. Einerseits ist das natürlich toll, andererseits dachte ich auch: Toll, ist der CSD jetzt so kommerziell bzw bin ich hier auf einer queeren Jobmesse?
Ich möchte hier tatsächlich um Nachsicht und Geduld werben. Ich denke, was bei vielen Unternehmen zunächst nach kommerziellem Pinkwashing aussieht, ist oftmals ein erster Schritt. Das ist schon mal besser, als gar kein Zeichen zu setzen und sich überhaupt nicht zu positionieren. Außerdem werden sich die Unternehmen langfristig eh daran messen lassen müssen, wie ernst es ihnen mit Diversity ist, indem sie zeigen, was sie tatsächlich auch intern dafür tun und umsetzen. Hier ist es aber auch Aufgabe von Mitarbeitenden und Stakeholdern (wie z.B. den Aktionären), das aktiv einzufordern.
Ich kann alle nur ermutigen, selbst aktiv zu werden, wenn sie das Gefühl haben, auch in ihrem Unternehmen sollte etwas (oder mehr) für LGBT*IQ getan werden.
Claudia – vielen Dank für das Gespräch!
Wenn also auch ihr eine Anlaufstelle braucht, könnt ihr euch laut Claudia gerne an das unternehmensübergreifende Netzwerk hier im Südwesten wenden. Kontakt am besten per Mail an Proud@Porsche.de.
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- „Je öffentlichkeitswirksamer Unternehmen mit LSBTTIQ-Diversity agieren, desto höher ist der Einfluss auf die Unternehmenskultur“ - Interview mit Albert Kehrer von PROUT AT WORK