2. Einführung und Klärung der Begrifflichkeiten
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Dieses Bekenntnis zur Menschenwürde ist der erste Satz in Artikel 1 des Grundgesetzes. Hieraus leiten sich die Werte und Grundrechte der deutschen Verfassung ab. So bindet das allgemeine und umfassende Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes Legislative, Exekutive und Judikative unmittelbar.
Gerade in einer sich wandelnden Gesellschaft, verbunden mit der Globalisierung der Wirtschaft und den Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft müssen die grundlegenden Menschenrechte – wie z.B. das Verbot der Diskriminierung und das Recht auf Gleichbehandlung – im Alltag immer wieder neu durchgesetzt werden. Es bedarf der Gleichbehandlung unabhängig von Geschlecht, Lebensalter, Religion, sozialer Zugehörigkeit, dem Vorhandensein einer Behinderung, der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität sowie dem Schutz vor rassistischer Diskriminierung.
Eine Grundanforderung an einen Nationalen Aktionsplan ist, Kohärenz mit den völkerrechtlichen Instrumenten des Menschenrechtsschutzes der Vereinten Nationen und des Europarates herzustellen, soweit diese noch nicht besteht.
2.1 Rassistische Diskriminierung
Rassistische Diskriminierung ist durch die internationalen Menschenrechtsabkommen, wie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung vom 7. März 1966 (UN-Antirassismuskonvention), weltweit geächtet. Diese Ächtung findet im Instrumentarium des Europarats sowie dem Europarecht und dem deutschen Grundgesetz weitere Grundlagen.
Rassistische Diskriminierung umfasst nach Artikel 1.1. dieser UN-Konvention jede auf den dort genannten Merkmalen beruhende „Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung“ mit dem Ziel oder der Folge, „dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten oder Grundfreiheiten“ im Bereich des öffentlichen Lebens „vereitelt oder beeinträchtigt“ wird. Für die Beurteilung ausschlaggebend ist die Wirkung rassistischen Handelns und nicht die Motivation.
Die Bundesregierung nimmt in ihrem Staatenbericht an den UN-Antirassismusausschuss 2013[1] (Ziffern 31-48) vier besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen wahr: Sinti und Roma, jüdische Gemeinschaften, muslimische Menschen und Schwarze Menschen[2]. Dieselben Bevölkerungsgruppen stellt auch der zivilgesellschaftliche Parallelbericht mit entsprechenden Hintergrundpapieren vor.[3] Solche Benennungen und Darstellungen können allerdings nie als vollständig und abschließend verstanden werden; sie sind Ergebnis von immer wieder neu zu führenden gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.
Der Schutz der Konvention erstreckt sich ohne Unterschied auf alle von rassistischer Diskriminierung Betroffenen. Er erfasst Gruppen wie Geflüchtete, Sinti und Roma, ‚People of Color‘ oder Menschen, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, Negativzuschreibungen erfahren. Die Grundsätze und Ziele, die sich aus diesem menschenrechtlichen Verständnis für verschiedene politische Handlungsfelder ergeben, sind von Bundesregierung und Zivilgesellschaft in der Grundsatzerklärung des Forums gegen Rassismus vom 6. Oktober 2015[4] niedergelegt.
Rassistische Diskriminierung vollzieht sich in der Regel als gesellschaftlicher Prozess mit den folgenden Kennzeichen:
- Konstruktion von Gruppenzugehörigkeiten,
- Zuschreibung von negativen Eigenschaften an Menschen „anderer“ Gruppenzugehörigkeiten im gesellschaftlichen Diskurs,
- diskriminierende oder rassistische Handlungen, Normen und Strukturen.
Rassismus kann sich in rassistischen Äußerungen, direkter und indirekter Diskriminierung (Ungleichbehandlung), in rassistisch motivierten Straf- und Gewalttaten als auch in institutionellen oder strukturellen Formen von Ausgrenzung äußern.
Rassistische Diskriminierung muss, wenn sie auftritt, klar und direkt benannt werden. Die oft zu beobachtende Scheu vor der Nutzung des Wortes Rassismus sollte überwunden werden. Eine Umschreibung durch Ausdrücke wie „Fremdenfeindlichkeit“ ist nicht zielführend, da sich dahinter die Konstruktion von Anderssein verbirgt und so die Täter*innenperspektiven übernommen werden.
Rassismus wird in Deutschland weithin mit organisiertem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Dies führt zu der fälschlichen Annahme, dass Menschen oder ihre Taten, die sich nicht dem rechtsextremen Milieu zuordnen lassen, nicht rassistisch sein können und verstellt den Blick auf institutionelle und strukturelle Formen von Rassismus.
Eine unreflektierte Gleichsetzung von Rassismus mit Rechtsextremismus ist zu vermeiden. Rechtsextremismus wird in der Regel mit der Zugehörigkeit zu einer rechtsextremen Organisation oder Partei und deren Ideologie und Handlungen verknüpft. Er setzt ein mehr oder weniger festgefügtes Weltbild mit autoritären Vorstellungen voraus. Der „Alltagsrassismus“ als täglich erlebbares Phänomen sowie rassistische Diskriminierungen sind nicht zwingend mit einer rechtsextremen Einstellung verbunden und treten auch außerhalb des Rechtsextremismus auf.
2.2 Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans*-, Inter*- und Queer-Feindlichkeit
Die Begrifflichkeiten zur Benennung menschenfeindlicher Einstellungen sind nicht statisch, sondern zu Recht ständig Gegenstand von Diskussionen. Gegen den Begriff Transphobie werden Einwände wegen der Nähe zur Pathologisierung (Phobie = Angststörung) vorgebracht. Vor allem aber wird gegen den Begriff der Phobie argumentiert, dass damit die vermeintliche Angst der Täter*innen, nicht aber deren Aggressivität im Mittelpunkt steht. Von daher wird der Begriff Transfeindlichkeit verwendet.
Der Begriff Homophobie begegnet im Ursprung ähnlichen Bedenken, hat sich aber andererseits in den vergangenen Jahren im öffentlichen Sprachgebrauch in Deutschland als Sammelbegriff für Lesben- und Schwulenfeindlichkeit etabliert, der auch Anfeindungen gegen Bisexuelle miteinschließen kann und zumeist ohne gedanklichen Anklang an seine Ursprünge in der Sozialpsychologie gebraucht wird.
Daher wird Homophobie als eingeführter Begriff hier verwendet. „Homofeindlichkeit“ als analoge Begriffsbildung zu Transfeindlichkeit, wird in dieser Stellungnahme auch deshalb nicht verwendet, da Komposita zwischen deutschen Worten und der Vorsilbe „Homo-“ eine abwertende Tonalität haben. Für den Begriff Homosexuellenfeindlichkeit trifft das dagegen nicht zu, da die abwertend konnotierte Verkürzung „Homo“ nicht für sich steht. Als Oberbegriff findet im Folgenden auch der Begriff LSBTIQ*-Feindlichkeit bzw. -feindlich Verwendung.
LSBTIQ*-feindliche Straf- und Gewalttaten, Übergriffe und Anfeindungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen gehören zur Wirklichkeit in Deutschland. Homophobe und transfeindliche bzw. LSBTIQ*-feindliche Stimmen sprechen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*-, Inter*- und queeren Menschen gleiche Rechte und die gleiche Menschenwürde ab. Religiöse Fundamentalist*innen, Rechtspopulist*innen und Rechtsextreme kämpfen mit großer Verve und zunehmend gut vernetzt dafür, LSBTIQ* gleiche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten zu verweigern und sie aus dem öffentlichen Leben zu drängen. So laufen sie z.B. vielerorts mit Hassparolen gegen eine Pädagogik der Vielfalt an und sie kritisieren antifeministisch den angeblichen „Genderwahn“. LSBTIQ*-feindliche Einstellungen und Handlungen finden sich aber weit über das genannte Spektrum hinaus – auch in der so genannten „Mitte der Gesellschaft“.
Schließlich stehen der vollen gesellschaftlichen Teilhabe von LSBTIQ* und der umfassenden Verwirklichung ihrer Menschenrechte weiterhin strukturelle und institutionelle Barrieren im Weg.
Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan gegen Rassismus, Homophobie und Transfeindlichkeit die Rechte von Bisexuellen und intergeschlechtlichen Menschen sowie Personen mit weiteren sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und Geschlechtern gleichermaßen im Fokus hat.
Bereits 2006 haben namhafte internationale Expert*innen für Menschenrechte die so genannten »Yogyakarta-Prinzipien«[5] als erste systematische Gesamtschau auf die Menschenrechtsgewährleistung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender entwickelt. Eine Reihe von Staaten hat die Yogyakarta-Prinzipien bereits zu ihrer Handlungsgrundlage erklärt. Sie liefern wichtige Grundlagen und Impulse für einen Nationalen Aktionsplan in Deutschland, wobei sie um die Belange intergeschlechtlicher Menschen zu ergänzen sind.
Wichtig ist zudem, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans*-, Inter*- und Queer-Feindlichkeit nicht isoliert, sondern im Sachzusammenhang mit der Prävention und Bekämpfung anderer Erscheinungsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angegangen werden. Das eröffnet eine intersektionale Perspektive, die der Vielfalt von LSBTIQ* Rechnung trägt und auch Mehrfachdiskriminierungen in den Blick nimmt, da LSBTIQ* auch aus weiteren Gründen von Anfeindungen und strukturellen Benachteiligungen betroffen sein können.
[1] Bundesrepublik Deutschland, 19.-22. Staatenbericht an den UN-Antirassismusausschuss. Internet: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICERD/icerd_state_report_germany_19-22_2013_de.pdf
[2] ‚Schwarz‘ ist hier als politischer Begriff zu verstehen und wird daher groß geschrieben. Bundesrepublik Deutschland, 19.-22. Staatenbericht, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/SessionDetails1.aspx?SessionID=977&Lang=en
[3] Diakonie Deutschland (Hrsg.): Rassistische Diskriminierung in Deutschland, Parallelbericht an den UN-Antirassismusausschuss, Berlin 2015, http://rassismusbericht.de/un-antirassismusausschuss/
[4] Erklärung des Forums gegen Rassismus, 2015. Im Internet: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/11/erklaerung-fgr-2015.html
[5] Principles on the application of international human rights law in relation to sexual orientation and gender identity. Internet: http://www.yogyakartaprinciples.org. Deutsche Veröffentlichung dazu: Hirschfeld-Eddy-Stiftung (Hrsg.): Die Yogyakarta-Prinzipien. Berlin 2008. Internet: http://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/fileadmin/images/schriftenreihe/yogyakarta-principles_de.pdf