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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Unterhaltungswert Homophobie?

Dokumentation des Kongresses „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015

dr.-jobst-paul1.jpg"Es gibt keinen speziellen homophoben, sexistischen, rassistischen, antisemitischen, autoritaristischen usw. Code der Diskriminierung. Es gibt nur einen einzigen, der gegen die unterschiedlichsten, jeweils konstruierten ‚Minderheiten‘ in Stellung gebracht werden kann, mit den unterschiedlichsten Begründungen und auf den unterschiedlichsten Diskursebenen." (Jobst Paul)

In der aktuellen Situation sollte man sich nicht nur um herkömmliche, sondern auch um nachhaltige Antworten bemühen. Im Konferenzprogramm schlagen sich offenbar beide Perspektiven nieder. Einerseits wird auf eine rechtspopulistisch-fundamentalistische Allianz hingewiesen, gegen die sich eine umfassende „gesamtgesellschaftliche“ Strategie richten soll. Entsprechend wird in den drei Foren jeweils eine ‚gute‘ Praxis von Politik, Pädagogik und Medien gegen eine andere, negative gesetzt. Eine solche binäre Strategie des ‚Kampfes‘ ist zwar verständlich, aber sie muss hinterfragt werden, denn sie hat nicht verhindert, dass sich eine fundamentalistische Allianz radikalisieren und bis in die gesellschaftliche Mitte hinein entwickeln konnte.

Schwachstellen des Kampf-Szenarios liegen insbesondere darin, dass es dem rechtspopulistischen Kalkül eines ‚Kulturkampfes‘ in die Hände arbeiten kann. Zugleich reproduziert man – mit dem Verharren in binären Selbst- und Gegen-Zuschreibungen – die schlechte Spielregel, die man bekämpfen will, bzw. man tabuisiert sie noch weiter. Das Kampf-Szenario kann auch zu Missverständnissen führen. So bedeutet die Erringung von Rechten nicht automatisch, dass sich das homophobe gesellschaftliche Potential verringert. Oder: Von Diskriminierung betroffen zu sein bedeutet nicht automatisch, selbst frei von ausgrenzenden Routinen zu sein. Das Kampf-Modell hat also Leerstellen, die vielleicht sogar das System am Laufen halten.

Deshalb plädiere ich für ein strategisches Konzept, welches diese Leerstellen in den Blick nimmt. Bausteine dazu liegen im Konferenzprogramm bereit. Die Rede ist dort nämlich davon, dass der Ausgrenzungsdiskurs alle von uns als Opfer treffen kann. Er kann jeder und jedem von uns – buchstäblich, das heißt, wie ein Label – angehängt werden. Und er kann uns auch über Mehrfachdiskriminierungen kumulativ treffen. Hinter diesen Feststellungen verbergen sich entscheidende Beobachtungen. Ich nenne zwei:

Erstens: Es gibt keinen speziellen homophoben, sexistischen, rassistischen, antisemitischen, autoritaristischen usw. Code der Diskriminierung. Es gibt nur einen einzigen, der gegen die unterschiedlichsten, jeweils konstruierten ‚Minderheiten‘ in Stellung gebracht werden kann, mit den unterschiedlichsten Begründungen und auf den unterschiedlichsten Diskursebenen. Der betreffende Code ist also die Basis für einen extrem breiten, extrem variablen und verwandlungsfähigen Diskurs.

Zweitens: Dieser arbeitet umgekehrt mit einem begrenzten Bausatz von Erzähl-Motiven, die keinerlei inhaltliche Verbindung zu denen haben, die herabgesetzt und diskriminiert werden. Das Sex-Label z.B. kann allen und jeder angehängt werden, Frauen, Behinderten, Juden, Homosexuellen [und Heterosexuellen], Fremden, Muslimen, Franzosen usw. - es tut nur so, als hätte es etwas mit der Sexualität der Betroffenen zu tun. Angesichts der ungeheuerlichen Wirkungen, die diese Praxis angerichtet hat und immer noch anrichtet, klingt es eigentlich wie eine gute Nachricht, dass sie nur von einem Code lebt. Denn den kann man dann ja knacken.

Die schlechte Nachricht: Unsere kulturelle Praxis ist mit diesem Code – seit Jahrhunderten – in innigster Weise verwoben, er bestimmt Hierarchien, Justiz, Gehorsams- und Loyalitätsnetze, Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen, Erziehungsstile und -ziele und vieles mehr. Susanne Kappeler hat einmal versucht, in eine Formel zu packen, wer und was alles vom erwähnten binären Code betroffen sein kann, welche Abmessungen gemeint sind.

Nach Kappeler geht es stets um „a hierarchy between the superior norm and the deviant >other<: man/woman, white/black, adult/child, First World/Third World, national/foreign, human/animal, [human] culture/nature, heterosexual/homosexual, Aryan/Jew, Christian/Jew, Christian/Muslim, healthy/sick, abled/disabled, civilized/primitive, and so forth.”

Die erste entscheidende Frage wäre natürlich, wie unsere Kultur die Binarität zwischen der erhöhenden Selbst- und der herabsetzenden Fremdzuschreibung codiert. Könnte man das sichtbar und bewusst machen, würde man diese Codierung zum Thema machen, statt sie als naturwüchsig hinzunehmen oder sie zu reproduzieren, könnte man ihr vielleicht ihre Macht nehmen. Dazu müssten wir alle zu einem sehr intensiven, langanhaltenden Lernprozess bereit sein, wobei das Forum, auf dem er sich entfalten sollte, in der Tat die Medien sind, wo hate speech hauptsächlich reproduziert wird.

Auf welchem Weg dies geschehen kann, das muss ich hier offen lassen. Ich beschränke mich auf den Stoff, auf hate speech, den wir alle täglich in den Blog-Seiten finden und wo alle Komponenten des Ausgrenzungscodes dargeboten werden. Es ist z.B. sehr auffällig, dass dort gegen die Opfergruppen oder Opferpersonen oft das Motiv der Dummheit, d.h. des fehlenden Verstandes aktiviert wird. Damit wird zunächst die Unfähigkeit oder der Unwille zur ‚Triebkontrolle‘ codiert. Auf der nächsttieferen Bedeutungsebene wird den Herabgesetzten totaler Egoismus, ja ein Freiheitsideal zugeschrieben, der/das sich kollektiven Zielen, dem sogenannten Gemeinwohl [der Zivilisation] entzieht und/oder entgegenstellt.

Beim Ausmalen der Triebstruktur derer, die herabgesetzt werden sollen, spielen schließlich drei derbe Motive die Hauptrolle: das Sexmotiv, das Ausscheidungsmotiv und das Fressmotiv. Was das Ausscheidungsmotiv betrifft, genügt der Hinweis auf den Begriff der Fäkalsprache, der auf diesen Motivbereich hinweist. Ich erinnere aber auch an die angeschlossenen, weniger derben ‚Erzählbereiche‘ Krankheit, Erreger, fehlende Hygiene usw. Dieses Motivfeld ist auch bei Gegen-Zuschreibungen, zum Beispiel gegen Rechte oder Nazis usw. beliebt [vgl. ‚braune Brühe‘]. Aber auch der Begriff ‚shit storm‘ lebt davon.

Ein eklatanter Fall, in dem das Fressmotiv eine zentrale Rolle spielte, war der Begriff ‚Döner-Morde‘. Die verantwortlichen Behörden handelten, und die Medien berichteten entsprechend der Logik, die der Begriff, den sie ja selbst geprägt hatten, nahelegte. Kurz zusammen gefasst erzählt der Begriff den gierigen, d.h. tödlichen Kampf einer Meute um Beute. Die Meute stand – in den ‚Köpfen‘ der Behörden und vieler Medien – für den ‚Clan‘ aus dem Orient, der sich bei diesem Kampf untereinander umbringt. Über diese handlungsleitende Vorstellung setzten die Behörden die Opfer und ihre Angehörigen gleichermaßen herab. Nachdem der Begriff aufflog, waren jene Medien, die den Begriff gepusht hatten, die ersten, die ihn plötzlich verurteilten. Nur – sie konnten nicht erklären, warum er rassistisch war, sondern erfanden aus dem Stegreif oft abenteuerliche Thesen. An keiner dieser Stellen gab es die Kompetenz, die Funktionsweise des Ausgrenzungsdiskurses zu analysieren. Das ist mein Punkt.

Schließlich zum Sex-Motiv, das auf das Schreckgespenst vom ‚totalen‘ Sex abhebt, der uns alle konsumieren will. Unter rassistischer Begründung geht es mit dem Argument ‚explosionsartiger Vermehrung‘ [und daher Bedrohung] einher, unter homophober Begründung mit der Verweigerung ‚ordnungsmäßiger‘ Vermehrung. Ideologisch zielt das Motiv auf die Verpflichtung zum loyalen, kontrollierten, dem Gemeinwohl verpflichteten Kinderkriegen. Dies ist im Kern der Erzählstoff des westlichen Ausgrenzungscodes bzw. der Kern der bürgerlichen Moral unter dem Motto „Gott, Familie, Abendland“. Es ist eine Münze, die lediglich weit ergegeben wird, gewiss ist es aber keine hart erkämpfte ‚persönliche Überzeugung‘. Es ist – kurz gesagt – heiße Luft mit politischem Anspruch. Aber gerade deshalb muss die ungeheuer massive Energie der Geschichte in sich zusammen fallen, sobald die Bloßstellung gelingt.

Über die Abmessungen des Ausgrenzungsdiskurses und über die Widerstände gegen die erwähnte Bloßstellung sollte man sich allerdings keine Illusionen machen. Als kultureller Code wirkt die Geschichte subkutan in der ganzen Breite der Medien und der medialen Unterhaltung und in allen relevanten Segmenten unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Und dennoch muss man den Lernprozess an irgendeiner Stelle beginnen, egal an welcher, und dafür insbesondere die Medien als Partner gewinnen.

Dr. Jobst Paul, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Kulturwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Sein Schwerpunkt ist die Erforschung des binaristischen westlichen Ausgrenzungscodes (code of dehumanization), u.a. mit Blick auf Biologismus, Rassismus und Antisemitismus. Daneben leitete er zwischen 2005-2006 das Forschungsprojekt "Staat, Nation, Gesellschaft" zu gesellschaftspolitischen Interventionen deutsch-jüdischer Autoren im 19. Jahrhundert und koordiniert seit 2006 die Edition "Deutsch-jüdische Autoren des 19. Jahrhunderts. Schriften zu Staat, Nation, Gesellschaft".

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