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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Familienpopulismus und Antifeminismus als Kitt zwischen extremer Rechter und ‚Mitte der Gesellschaft‘

Dokumentation des Kongresses „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015

Antifeminismus, Gender Mainstreaming als Feindbild, Kampfvokabel "Frühsexualisierung" und "Genderismus" - was sie bedeuten und wie die extreme Rechte und die AfD an die "Mitte der Gesellschaft" anknüpfen will.

"Am Diskurs um ‚Gender‘ und eine angebliche "Frühsexualisierung" wird deutlich, wie über politische Lager hinweg ein anti-moderner Diskurs über die Ordnung der Geschlechter und familiale Lebensformen geführt wird, in welchen sich auch die neonazistische extreme Rechte problemlos einreihen kann." (Juliane Lang, M.A.)

In vehementen Angriffen gegen Feminismus und Gender hat die extreme Rechte seit Mitte der 2000er Jahre Themen ausgemacht, von denen sie sich Anschluss an Debatten um Geschlechterrollen und -Verhältnisse im bürgerlichen Mainstream verspricht. Die strömungsübergreifende Kampagne zielt nur vorgeblich auf Kursänderungen aktueller Familien- und Gleichstellungspolitiken: vielmehr geht es der extremen Rechten um Deutungsmacht und Einfluss in eben jene Diskurse, von denen sie andernorts ausgeschlossen ist.

Offen antifeministische Angriffe der Extremen Rechten

Offen antifeministische Angriffe gegen Gender und die gleichstellungspolitische Strategie des Gender Mainstreaming startete die extreme Rechte erstmals im Sommer 2006. Vorweg gingen ihnen mediale Debatten im Frühsommer 2006 um die Äußerungen der ehemaligen Nachrichtensprecherin Eva Herman sowie ein breit zitierter Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem „Gender Mainstreaming“ als „politische Geschlechtsumwandlung“ bezeichnet wurde.

Dies griffen auch Akteure der extremen Rechten auf und initiierten eine spektrenübergreifende Kampagne gegen „die Frauen-Quotenregelung, die Homo-Ehe und die frühkindliche Sexualaufklärung, um nur drei kleine Bausteine des Gender Mainstreaming zu nennen“. Richteten sich die völkisch argumentierenden Angriffe anfänglich noch gegen den Begriff ‚Gender‘ und die „gesellschaftszersetzende Maßnahme ‚Gender Mainstreaming‘“, griff man später auf den Begriff des „Genderismus“ zurück.

"Genderismus" als Kampfvokabel von Gabriele Kuby

Mit den Termini des „Genderismus“ und der „gegenderten Gesellschaft“ – in den Diskurs eingeführt und geprägt durch die christlich-fundamentalistischen Aktivistinnen Gabriele Kuby und Inge Thürkauf – wurde Gender und die Annahme einer sozialen Gewordenheit von Geschlecht an ein gesellschaftliches Untergangsszenario angebunden und zum allumfassenden Feindbild erklärt. Es gelang der extremen Rechten, aus dem vormals weitgehend unbekannten Begriff ‚Gender‘ ein umfassendes Feindbild zu stilisieren und im diskursiven Wissensbestand der Szene zu verankern.

Heute dient der Begriff des „Genderismus“ einem heterogenen Milieu von Gender-Kritiker_innen auch außerhalb der extremen Rechten zur Bestimmung eines Untergangsszenarios und gemeinsamen Feindbildes. Dies zeugt von Anknüpfungspunkten zum Antifeminismus eines breiten Spektrums von Akteuren, wobei Themen von geschlechter- und familienpolitischer Relevanz hier als Scharnier zwischen extremer und bürgerlicher Rechter dienen.

Bekannte Feindbilder bei der AfD

Neben anderen ist es heute die Alternative für Deutschland [AfD], die mit ihren altbekannten Argumenten von „Genderismus“ und „gegenderter Gesellschaft“ gegen den Einbezug einer Pädagogik der Vielfalt in die Lehrpläne allgemeinbildender Schulen [Stichwort „Frühsexualisierung“] sowie gegen die Öffnung der bürgerlichen Ehe für homosexuelle Paare polemisiert. Die AfD versteht sich laut ihrer Vorsitzenden Frauke Petry nicht als völkisch rechte, wohl jedoch als „Familienpartei“, die einer „menschenfeindlichen Ideologie wie dem verqueren Genderismus [...], der uns mit aller Macht aufgezwungen werden soll“, entgegen treten will.

Familien- und Geschlechterpolitiken werden insbesondere vom dominanten rechts-konservativen Flügel der AfD auf die politische Agenda gesetzt und als Kampf des ‚kleinen Mannes‘ gegen eine übermächtige, EU-gesteuerte „Gender-Lobby“ stilisiert. Dass es sich bei der AfD mitnichten um den ‚kleinen Mann‘ handelt, ist leicht dem Wahlprogramm sowie einer soziologischen Analyse ihres Wähler_innenklientels zu entnehmen – nicht nur, aber auch in Bezug auf ihre geschlechter- und familienpolitische Agenda.

Familienpopulismus der AfD steht für klare Hierarchien und Privilegierung der "traditionellen" Familie

Es geht der AfD nicht darum, familien- und kinderfreundliche Lebensbedingungen für alle in Deutschland Lebenden zu schaffen. Ganz im Gegenteil: Sprecher_innen der Partei bezeichnen Familienpolitik offen als ‚Bevölkerungspolitik‘, die sich an der Norm der heterosexuellen Mehrkind-Familie orientiert und alle anderen familialen Lebensformen an den Rand drängt. Im Familienpopulismus der AfD geht es letztlich um den Erhalt von Privilegien in einer von Ungleichheiten durchzogenen Gesellschaft: um das Vorrecht der traditionellen Familie gegenüber vielfältigen familialen Lebensformen, von Heterosexuellen gegenüber Homosexuellen, von Männern gegenüber Frauen.

Anders als neonazistische Akteure von NPD & Co vermeidet die AfD in der Regel explizit völkische Argumentationen. Und doch wird am Diskurs um ‚Gender‘ und um eine angebliche „Frühsexualisierung“ deutlich, wie über politische Lager hinweg ein anti-moderner Diskurs über die Ordnung der Geschlechter und über familiale Lebensformen geführt wird, in welchen sich auch die neonazistische extreme Rechte problemlos einreihen kann.

Dabei ist die extreme Rechte nur ein Akteur unter vielen in ihren Angriffen gegen Gender: Antifeministische Argumentationen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Argumentationen von verbal-aggressiven Maskulinisten, selbsternannten „Lebensschützern“ und besorgniserregenden „besorgten Eltern“. Daneben sind es rechtsoffene bis offen rechte Zeitungen und Magazine, die antifeministischen Akteuren spektrenübergreifend als Bezugsgrößen dienen. Neben der ‚Jungen Freiheit‘ ist dies das rechts-offene ‚Compact-Magazin‘, das nach einer Konferenz unter dem Titel „Werden Europas Völker abgeschafft? Familienfeindlichkeit, Geburtenabsturz und sexuelle Umerziehung“ mit einer Schwerpunktausgabe zum Thema „Feindbild Familie – Politische Kriegsführung gegen Eltern und Kinder“ aufwartete.

Kongress "Feindbild Familie – Politische Kriegsführung gegen Eltern und Kinder“ vom Compact-Magazin / Jürgen Elsässer

Die Themen der Konferenz wie auch des Heftes lesen sich wie ein Glossar antifeministischer Schlagworte: „Geburtenabsturz, Sexuelle Umerziehung, Gender Mainstream, Schulfach Schwul, Frühsexualisierung, Raubtierfeminismus“. Zu diesen Themen im Heft kamen – neben altbekannten Antifeminist_innen wie Eva Herman, Gabriele Kuby und der vormaligen Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Goslar, Monika Ebeling – auch der mit seinen rassistischen Thesen bekannt gewordene Thilo Sarrazin und der ehemalige Bundesminister Norbert Blüm zu Wort.

In einem nachträglich veröffentlichten Zusammenschnitt der Konferenz heißt es: „Das Gender-Mainstreaming-Programm ist offensichtlich [...] eine Ideologie, deren Ziel es ist, eine neue Weltordnung zu schaffen. Eine Sozialideologie einer Mikro-Mikro-Minderheit, einer politischen Avantgarde, die ihr Programm mit großer systematischer Kraft zur Staatsdoktrin erhoben hat.“ Der Vorwurf der Ideologie wird hier und an anderer Stelle von Antifeminist_innen als argumentative Figur genutzt, die die eigene antidemokratische Haltung verschleiern soll und sich in einer antifeministischen Tradition bewegt.

In anti-etatistischer Manier und in Verkennung realer gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse inszeniert man sich als Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen eine machtvoll imaginierte Gender-Politik. Auch wenn sich die aktuellen antifeministischen Mobilisierungen [vorgeblich] gegen den Einfluss profeministischer Akteur_innen in unterschiedlichen Bereichen wie u.a. der Schulpolitik richten, lässt sich doch konstatieren: Es braucht keineswegs eine starke feministische Bewegung, um antifeministische Reflexe zu bedienen. Der Antifeminismus generiert sich selbst seine Anlässe der Mobilisierung und schafft sich eigens seine Feindbilder, wie zum Beispiel das einer „gegenderten Gesellschaft“, die mit der ursprünglichen gleichstellungspolitischen Strategie des Gender Mainstreaming nur noch wenig gemein hat.

Kampf um die Deutungshoheit über Begriffe wie Familie und Ehe

Angesichts der weitgehenden Unkenntnis über tatsächliche Gender-Politiken und angesichts eines Anti-Etatismus, der sich gegen eine angebliche Bevormundung seitens des Staates richtet, werden letztlich Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über Begriffe geführt. So sei die „richtige Verwendung von Begriffen“ eine Frage der „Taktik und der Macht: Wer die Begriffe beherrscht, beherrscht das Denken und beherrscht die Politik“.

Im Kampf um die Deutungshoheit über Begriffe wie Familie und Ehe, aber auch Geschlecht und Gender, versuchen antifeministische Akteur_innen, liberalen Auffassungen über familiale Lebensformen mit einem gezielten öffentlichen Gegendiskurs zu begegnen. Wenn Thilo Sarrazin in seinem Buch „Der neue Tugendterror“ schreibt, dass sich der „Begriff der Ehe von seiner inneren Logik her nur auf die sexuelle Beziehung von Partnern unterschiedlichen Geschlechts“ beziehen könne, dann macht er damit genau das, was anderenorts als Strategie beschrieben steht.

Im Zuge dessen, wie antifeministische Inhalte nicht nur extrem rechte Wahlkämpfe durchziehen, sondern in Teilen der Gesellschaft an Salonfähigkeit gewinnen, braucht es neue Bündnisse und neue Strategien der Auseinandersetzung. So wurden rund um die Events der Antifeminist_innen heterogene Bündnisse geschlossen, die aus unterschiedlichen Perspektiven den reaktionären Vorstellungen und Forderungen begegnen und sich für gelebte gesellschaftliche Vielfalt einsetzen.

Quellen

Lang, Juliane (2011): „Bedrohungsszenario ‚Gender’ – Der aktuelle Diskurs um Geschlecht im Rechtsextremismus“. Unveröffentlichte Magisterarbeit am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin.

AfD Sachsen, Wahlprogramm 2014.

Frey, Regina/Gärtner, Marc/Köhnen, Manfred/Scheele, Sebastian (2014): „Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse“, Kapitel 1. Herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung, 2. Auflage, Berlin: S. 9-23.

Scheele, Sebastian (2014): „Gender-Ideologie? Welche Fragen der Ideologie-Vorwurf aufwirft und warum gerade die Gender Studies einiges zu den Antworten beitragen“. In: Frey et al: Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie, a.a.O.: S. 48.

Schührer, Thomas, zitiert nach Sanders, Eike/Jentsch, Ulli/Hansen, Felix (2014): „Deutschland treibt sich ab. Organisierter ‚Lebensschutz‘, Christlicher Fundamentalismus, Antifeminismus“. Münster: S. 10.

Juliane Lang, M.A
Geschlechter- und Erziehungswissenschaftlerin, Mitglied im Forschungsnetzwerk ‚Frauen und Rechtsextremismus‘, studierte u.a. Gender Studies und ist Trainerin in der politischen Bildungsarbeit zu Rechtsextremismus und Geschlecht, Anti-Rassismus und in der pädagogischen Rechtsextremismus-Prävention. Bisherige Stationen: 'Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus' im Verein für demokratische Kultur sowie 'Dissens', Institut für Bildung und Forschung, beide in Berlin. Seit 2005 ist Lang wissenschaftlich und publizistisch zu Themen wie "Familien- und Geschlechterpolitiken der extremen Rechten" sowie "Antifeminismus als Scharnier zwischen bürgerlicher und extremer Rechter" tätig. 
Web: www.frauen-und-rechtsextremismus.de

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