Ergebnisse der Podiumsdiskussion Freiheitsgefährdungen für LGBTI durch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
Dokumentation des Kongresses „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015
Aleksej Urev, Landeskoordinator der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW, berichtet von vielfältigen Diskriminierungserfahrungen, die von Anpöbelei bis zu Gewalttaten reichen. Die Orte sind zahlreich: von Schule, eigener Wohnung und Arbeitsplatz bis hinein in die TV-Sender, in denen homophobe und transphobe Einstellungen (re-)produziert werden. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Gleichstellung und Bekämpfung von Diskriminierung lassen zu wünschen übrig. Urev wünscht sich, dass Homo- und Transphobie auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten immer mit gesehen wird: "Andere müssen mit ins Boot geholt, und gemeinsam müssen Gegenstrategien entwickelt werden. Wir müssen uns vernetzen und zusammen nach außen auftreten." Von der Politik erwartet er eine klare Positionierung für Vielfalt und gegen Diskriminierung sowie mehr Ressourcen für Community-basierte Projekte, denn nur sie können einen Beitrag zur Erhellung der Dunkelziffer von Diskriminierung und Gewalt leisten.
Aleksej Urev, Landeskoordination Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule NRW, Rubicon e.V., Jahrgang 1979, geboren in Tjumen, Russische Föderation, Migration in die BRD im Zuge der Spätaussiedlung, lebt seit 1999 in Köln / Leverkusen. Studium der Jurisprudenz in Tjumen und der Sozialen Arbeit in Köln. Engagement und Mitarbeit in verschiedenen Antidiskriminierungsprojekten mit Schwerpunkt "Diversitäts- und vorurteilsbewusste Jugend- und Erwachsenenbildung" in Deutschland, Russland und Südafrika. Zurzeit angestellt bei Rubicon e.V. in Köln im Aufgabenfeld "Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in Nordrhein-Westfalen".
Dr. Zülfukar Çetin von der Stiftung Wissenschaft und Politik betont den Zusammenhang von Homophobie und Rassismus sowie die Tatsache von Mehrfachdiskriminierung. Da die dominanten Strukturen in der Gesellschaft heteronormativ, männlich und Weiß sind, fühlen sich viele Menschen dieser Gesellschaft nicht ganz zugehörig. Die Wissenschaft kann dieses Problem nur sehr begrenzt angehen. Sie kann die Problembereiche erkennen, benennen, analysieren und beschreiben, doch nur politischer Aktivismus ist letztlich in der Lage, Netzwerke zu mobilisieren und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung aktiv zu werden.
Zülfukar Çetin lehrt an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin im Bereich Soziale Arbeit. Seine Doktorarbeit zu Homophobie und Islamophobie wurde 2014 im Rahmen des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahrs mit dem Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Seit Oktober 2014 arbeitet er an seinem Post-Doc-Projekt "LSBTI-Politik und -Bewegung in der Türkei" als Mercator-IPC-Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist Vorstandsmitglied des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg. Seine letzte Publikation "Gespräche über Rassismus. Perspektiven und Widerstände" ist im März 2015 im Verlag Yılmaz-Günay erschienen.
Carolin Hesidenz von der Info– und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-DOK der Stadt Köln weist darauf hin, dass die extreme Rechte das Thema 'Geschlecht' zentral besetzt. So fordert z.B. die Neonazi-Szene die Wiedereinführung des Paragrafen 175. Der Rechtspopulismus pflegt dagegen mehr das Feindbild Islam und gibt sich zu diesem Zweck hin und wieder sogar 'homosexuellenfreundlich'. Pegida wiederum verteufelt Islam und sexuelle Selbstbestimmung bzw. Gender Mainstreaming. Gegen solche rechtsextremistischen Stimmungen kann Bildung einen wichtigen Beitrag leisten. Doch auch ‚institutionalisierte Menschenfeindlichkeit‘ ist laut Hesidenz ein großes Problem. Besonders von Politik und Verwaltungen wünscht sie sich mehr Offenheit zur Selbstreflexion sowie die Bereitschaft zur Infragestellung, auch zur Veränderung eigener Strukturen. Ein gutes Vorbild ist das NRW-Eckpunktepapier gegen Rechtsextremismus.
Carolin Hesidenz ist freie Mitarbeiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln, außerdem freiberuflich Trainerin in der politischen Bildungsarbeit. Ihre Themenschwerpunkte sind extreme Rechte, (Anti-) Rassismus sowie aktuelle rechte Mobilisierungen wie HoGeSa, PEGIDA und die "Besorgten Eltern". Unter anderem ist sie beim Netzwerk für Demokratie und Courage aktiv.
Barbara Loth, die Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, bestätigt, dass es in Berlin eine hohe Dunkelziffer von Anfeindungen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gibt. Gegen diese Minderheitenfeindlichkeit engagiert sich der Senat auf mehreren Ebenen. So entwickelte er ein Programm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sowie die 'Initiative Sexuelle Vielfalt', für die bis jetzt 2,5 bzw. 1 Million Euro zur Verfügung gestellt wurden. Der Senat, so Loth, hat die Zivilgesellschaft eingebunden und Expert_innen-Netzwerke geschaffen. Er fördert außerdem Opferhilfe, Beratung und Sensibilisierungsarbeit in Gesellschaft und Verwaltung der Stadt wie z.B. die Registerstellen in Berlin, wo sich auch Opfer homo- und transphober Gewalt melden können.
Barbara Loth, seit Dezember 2011 Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Zuvor war sie ab 2006 Bezirksstadträtin für Wirtschaft, Verkehr und Gesundheit in Berlin Steglitz-Zehlendorf. Seit 2006 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Berliner SPD. Loth war von 1991-2006 Richterin am Arbeitsgericht Berlin und von 2004 bis 2006 Vorsitzende des Hauptrichterrats der Berliner Richterinnen und Richter. Als Staatssekretärin ist Loth zuständig für den Bereich der Landesarbeitsgerichte, Integration und Migration, Frauen und Gleichstellung und für die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS).
Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, lobt die Bemühungen in Berlin und NRW, weist aber auch auf andere Bundesländer hin wie etwa Bayern, wo es keine derartigen Initiativen gibt. In Bezug auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene verweist Ferner auf die Zwänge des Koalitionsvertrages. Die Bundesregierung hat im BMFSFJ ein eigenes Querschnittsreferat "Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Geschlechtsidentitäten" geschaffen, das die Koordinierung für den Bereich LSBTI innerhalb der Bundesregierung übernommen hat. Es widmet sich auch der Projektförderung (der Kongress "Respekt statt Ressentiment" wurde so ermöglicht). Das Programm „Demokratie leben“ fördert insgesamt zehn Projekte mit vier Millionen Euro. Elke Ferner hebt die Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe zum Themenkomplex Trans- und Intergeschlechtlichkeit hervor, die unter der Federführung des BMFSFJ die Arbeit aufgenommen hat, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf in Bezug auf die Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen zu gewährleisten. Zudem arbeitet eine Arbeitsgruppe aus BMFSFJ und BMI aktuell daran, den bestehenden 'Nationalen Aktionsplan' gegen Rassismus um die Aspekte Homo- und Transphobie zu erweitern. Auch Symbolpolitik hat für Ferner eine Bedeutung, z.B. das Hissen der Regenbogenflagge vor dem Ministerium in 2014, die Unterzeichnung der IDAHO-Erklärung durch Ministerin Schwesig sowie klare Statements, dass Diskriminierung nicht hinnehmbar ist.
Elke Ferner, geboren am 5. Mai 1958 in Idar-Oberstein, verheiratet. Nach der Ausbildung zur EDV-Kauffrau arbeitete sie bis 1990 als Programmiererin in verschiedenen Großbetrieben. Von 1990 bis 1998 und seit 2002 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. In den Jahren 1998 bis 2000 war sie als beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen tätig. Seit Dezember 2013 ist sie Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit 2004 ist sie Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) und seit 2007 Mitglied im Parteivorstand der SPD. Von 2005-2007 war sie Stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD und gehörte von 2007-2011 dem Präsidium der SPD an.
Dr. Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, erklärt, dass das Thema Homo- und Transphobie alle dem Naturrecht unterworfenen Religionen angeht. Was nicht der Fortpflanzung dient, wird allen von diesen Religionen abgelehnt. Allein der Protestantismus in Deutschland hat durch eindeutige Positionierungen dieses Problem überwunden. Kirchliche Strukturen seien veränderungsresistent, weil sie oft sakralisiert und damit unantastbar sind. Kommen Veränderungsprozesse jedoch von oben, sind sie umsetzbar. So hat z.B. der Kirchenkreis Mitte für sein Netzwerk an Kitas und Schulen das Konzept "Open and Affirming" aus der New Yorker Partnergemeinde eingeführt: Formulare wurden modernisiert, Personal wird in Richtung Regenbogenkompetenz geschult, bei Einstellungsgesprächen wird auch nach Sexualpädagogik und LSBTI-Themen gefragt. "Das gehört ganz klar dazu, schließlich ist die Evangelische Kirche ein Tendenzbetrieb", erklärt Dr. Höcker.
Berthold Höcker, Jahrgang 1958, vertritt die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz am Runden Tisch zur Akzeptanz sexueller Vielfalt des Landes Berlin. Der gelernte Orgelbauer studierte ursprünglich Kirchenmusik. Nach dem Abitur am Abendgymnasium promovierte er in Theologie und machte einen Diplomabschluss in Psychologie. Es folgten diverse Stationen im In- und Ausland. Seit 2009 ist er als Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte tätig. Höcker ist Autor zahlreicher Bücher zu Fragen von Unternehmensberatung und Unternehmensethik, u.a. publizierte er zum Thema "Segnung von Partnerschaften".
Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung) beklagt auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen eine neue Welle der Minderheitenfeindlichkeit. Die diskriminierten Gruppen ziehen sich jedoch oft zurück, weil es ihnen an Selbstreflexion über ihre Eigenverantwortung in Bezug auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fehlt. So werden sie häufig eher zu gesellschaftlichen Objekten statt zu handelnden Subjekten. Auch Diskriminierungsopfer sind nicht vor der Reproduktion von Vorurteilen gefeit. Aber Selbstreflektion könne man auch nicht immer nur von anderen erwarten. Eine solche Einstellung befördere statt einer Solidarisierung zwischen verschiedenen Gruppen eher eine Art von Opfer-Konkurrenz.
Anetta Kahane, Tochter jüdischer Kommunisten, die vor dem nationalsozialistischen Regime aus Deutschland fliehen mussten, war nach der politischen Wende in der DDR erste und zugleich letzte Ausländerbeauftragte des Magistrats von Ost-Berlin. 1991 gründete sie die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA e.V.), deren Hauptbetätigung die Unterstützung und Trägerschaft verschiedener interkultureller Projekte in Schulen und im Schulumfeld ist. Im gleichen Jahr erhielt sie die Theodor-Heuss-Medaille stellvertretend mit anderen für "Die friedlichen Demonstranten des Herbstes 1989 in der damaligen DDR". Kahane ist Mitglied im Kuratorium der Theodor-Heuss-Stiftung. 1998 war sie als Stiftungsratvorsitzende an der Gründung der Amadeu Antonio Stiftung beteiligt und ist seit 2003 hauptamtliche Vorsitzende der Stiftung. Für ihr Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus erhielt sie 2002 den Moses-Mendelssohn-Preis. Publikationen: "Ich durfte, die anderen mußten", in: von Wroblewsky (Hg): "Zwischen Thora und Trabant. Juden in der DDR", Aufbau-Verlag, Berlin 1993 und "Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten", Rowohlt Verlag Berlin 2004
Günter Dworek (LSVD) erinnert an die heftigen Auseinandersetzungen um das AGG vor zehn Jahren. Damals gab es ein gutes solidarisches Bündnis für Nichtdiskriminierung, das man neu beleben könnte. Auf der Bundesebene muss endlich – unter Einbindung der Zivilgesellschaft – mit der Arbeit am 'Nationalen Aktionsplan' begonnen, der Name des Aktionsplans entsprechend aktualisiert werden. Der Bund kann wichtige Impulse setzen: in Bezug auf die Menschenrechtsbildung, die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Zivilcourage, in rechtlicher Hinsicht durch die Reform des Transsexuellengesetzes und die Ehe für Alle sowie die Prävention im Hinblick auf die Täter_innen. Dagegen hält „schlechte Symbolpolitik“ weiterhin die Exklusion aufrecht, wie das gerade vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Hasskriminalität demonstriert, in dem Homo- und Transphobie aus nicht nachvollziehbaren Gründen fehlen. Dies muss im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes dringend revidiert werden. Der LSVD kündigt an, "nicht eher Ruhe zu geben, bis diese Ziele erreicht sind."
Günter Dworek, Jahrgang 1960, lebt und arbeitet in Berlin. Er ist ehrenamtliches Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) sowie Stiftungsratsvorsitzender der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die Stiftung für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Dworek ist seit vielen Jahren engagiert in der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik, ebenso in der Erinnerungsarbeit. So gehörte er zu den Initiatoren des 'Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen' in Berlin.