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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Sichtbarkeit bringt zuerst Gewalt mit sich

Entwicklungen für LSBTI auf dem Westbalkan

IMG_2678.jpgDas zweite Panel auf der Konferenz „Time for Change – Making Promises Reality“ diskutierte unter dem Titel „Taten statt Worte“ konkrete und spürbare Verbesserungen für LSBTI in den Ländern des westlichen Balkans. Vladana Vasić vom Sarajevo Open Centre machte deutlich, dass Diskurse über die Entkriminalisierung von Homosexualität in Jugoslawien durch den schrecklichen Krieg jäh gestoppt wurden und die Erinnerung daran in der Nachkriegsgesellschaft verloren gegangen ist. Das ist der Grund, dass die Menschenrechtspolitik oft falsch verknüpft wird mit der Präsenz von ausländischen Armeen und Politiker*innen nach Kriegsende. Ein Erfolg der Zivilgesellschaft war das Bilden von Koalitionen unterschiedlicher Minderheiten, um Antidiskriminierungspolitiken und Sensibilisierung und Prävention für Hasskriminalität auszubauen. Die jüngere Generation hat auch in Bosnien-Herzegowina früher und überhaupt ein Coming-out. Da sie nun ihr Recht auf Sichtbarkeit überhaupt wahrnehmen und selbstbewusster werden, erklärt auch ein Anwachsen von häuslicher und schulischer Gewalt gegen LSBTI durch Eltern, Familienangehörige oder Mitschüler*innen, die damit nicht klar kommen. Gesetzliche Maßnahmen gegen Hassgewalt müssen nun in die Praxis umgesetzt werden. Vertrauensbildende Maßnahmen mit Polizei soll die Community ermutigen, Anzeige zu erstatten. Mit ihren Workshops hat das Sarajevo Open Center bislang ca. 3.000 Polizist*innen erreichen können. Doch nach wie vor werden Drohungen gegen LSBTI von Polizei und Staatsanwaltschaft erst dann ernst genommen, wenn es zu körperlicher Gewalt gekommen ist.

IMG_2465.jpgIn Mazedonien herrschte über elf Jahre politischer Stillstand bezüglich der Verbesserung der Situation von LSBTI. Kocho Andonovski vom LGBTI Support Center Macedonia erzählt, dass in dieser Zeit die Vergangenheit glorifiziert wurde, LSBTI als Feinde der Nation ausgemacht wurden und die Gesellschaft nur über Exklusionen von all jenen, die angeblich nicht dazugehören, beschrieben wurde. Das autoritäre Regime brauchte immer mehr Feinde, um sich zu legitimieren. Zwangsläufig wächst damit auch die Gegner*innenschaft und führte letztlich dazu, dass in einer „Bunten Revolution“ das Regime gestürzt wurde. Unter dem neuen Premierminister Zoran Zaev von der Sozialdemokratischen Liga Mazedoniens weht nun ein deutlich anderer Wind. Blieben vorher allein sechs Angriffe auf das LGBTI Support Center ohne polizeiliche Untersuchung, besuchte Zaev zum fünfjährigen Jubiläum das Center. Es gibt nun offizielle Unterstützung. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, um konkrete Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Bislang müssen z.B. Trans* zum Beispiel nach Belgrad reisen, wenn sie geschlechtsangleichende Maßnahmen wünschen. Die Möglichkeiten von Ein- und Ausreise und damit ihr Recht auf Freizügigkeit werden aber erschwert bis verunmöglicht durch den alten Geschlechtseintrag im Sozialversicherungsausweis bzw. Pass.

IMG_2569.jpgBoglarka Fedorka, von Transgender Europe, betonte die Unterschiedlichkeit von Diskriminierungserfahrungen, die Trans* machen. Denn sie sind nicht nur von Transphobie betroffen. Pathologisierung, erschwerter bis fehlender Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitsmarkt, soziale Isolation und ständiges Gefühl der Angst und Bedrohung sind Konstanten im Alltag für Trans*. Auch Politiken, die Sexarbeit kriminalisieren, haben bisweilen verheerende Konsequenzen für Trans* genau wie HIV-Politiken, Armutspolitiken oder Gesundheitspolitiken zu HIV/AIDS. Es stellt sich immer die Frage, wer mit welchen Maßnahmen aus der Transcommunity zurückgelassen wird, für wen sich die Situation verschlechtert. Rückblickend auf den EU-Beitrittsprozess ihres Geburtslandes Ungarn stellte sie fest, dass einerseits auch durch erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Druck, sehr viele Maßnahmen, Richtlinien und Gesetze verabschiedet wurden, andererseits fehlte jedoch die Zeit für kritische Diskussionen oder Konsultationen sowohl in der Community als auch in der ungarischen Gesellschaft insgesamt. So wird heutzutage das Anti Hate Crime Gesetz gegen Roma eingesetzt, die als „antiungarisch“ gelten. Die Verfassung kriminalisiert zudem Obdachlosigkeit,  fatal wenn LSBTI von ihrer Familie oder Vermieter*innen rausgeworfen werden, entweder aus transphoben Motiven oder weil sie aufgrund der fehlenden Erwerbschancen, die Miete nicht bezahlen können.

In der gesamten Region des Westbalkans ist RYCO, das Regional Youth Cooperation Office, aktiv. Das Jugendnetzwerk organisiert im Rahmen des „Berlin-Prozesses“, der diplomatischen Initiative zur EU-Erweiterung, Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs, zwischen Schulen, Universitäten und außerschulischen Jugendeinrichtungen. Frank Morawietz berichtet, dass Sexualität insgesamt und LSBTI im Besonderen stark tabuisiert seien, Wissen und Dialog zum Thema fehlen. Es gibt wenig Beratung für Angehörige, Lehrkräfte sind ähnlich wie in Deutschland häufig überfordert, so dass Jugendliche sehr allein gelassen werden. Die internationalen Treffen wollen das ändern.

In der abschließenden Diskussion wurde auch über die ambivalente Rolle von Ana Brnabic, der offen lesbischen Ministerpräsidentin Serbiens diskutiert. Denn einerseits betont sie, dass alles gut sei, es in Serbien keine Homophobie gäbe und sie die orthodoxe Kirche respektiere. Das widerspricht sich nicht nur mit den Erfahrungen der Aktivist*innen und LSBTI insgesamt, sondern kann die Anliegen der Community sogar delegitimieren. Andererseits ist sie offen lesbisch, besucht den Pride und auch homophobe Politiker*innen, Religionsführer*innen und Entscheidungsträger*innen müssen sie treffen und sich so auch mit Homosexualität auseinandersetzen.

Markus Ulrich
LSVD-Pressesprecher