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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Hamburg trifft St. Petersburg

Fünf Jahre Fachaustausch im Rahmen der Städtepartnerschaft

Fünf Jahre deutsch-russischer Fachaustausch des LSVD Hamburg mit St. Petersburg — liebe Barbara, lieber Wolfgang wie kam es eigentlich zu dieser außergewöhnlichen und erfolgreichen Partnerschaft?

2010 haben wir beschlossen, dass LSBTI auch Thema des Deutsch-Russischen Jugendaustauschs sein sollte — im Rahmen der seit Jahrzehnten bestehenden Städtepartnerschaft Hamburg-St. Petersburg. Über den Kontakt von Wanja Kilber zu „Coming Out“ in St. Petersburg haben wir dann die Weichen für unser bilaterales Austauschprojekt gestellt. Mit finanzieller Unterstützung der Stadt und der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch konnten wir bisher zwölf bilaterale Maßnahmen durchführen, d.h. Hamburger*innen besuchen St. Petersburg, St. Petersburger*innen besuchen Hamburg.

Wie hat sich während dieser Zeit die Lebenssituation von LSBTI in St. Petersburg und Russland entwickelt? Zuletzt kamen grauenhafte Nachrichten von brutaler Verfolgung aus der Teilrepublik Tschetschenien.

Die Situation hat sich dramatisch verschlechtert. Einschüchterung und Überwachung durch die Staatsmacht sowie die deutliche Zunahme der Gewalt gehören zum Alltag. In Russland sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung – aber ein solches Ausmaß wie in Tschetschenien hat es bisher nicht gegeben.

Mit welchen Herausforderungen haben Eure Freund*innen in St. Petersburg zu kämpfen? Ist es dort überhaupt noch möglich, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren?

Die Gesetzgebung behindert die Arbeit massiv: Das Antihomosexualitätsgesetz ist eine ständige Bedrohung für die Organisationen. Das Agentengesetz hat dazu geführt, dass „Coming Out“ und „Side by Side“ ihren Status als Nichtregierungsorganisation aufgeben mussten und für die Fortsetzung ihrer Arbeit mehr denn je auf Spenden angewiesen sind. Auch wenn ein offenes Leben zumeist nicht möglich ist, finden die Aktivist*innen mit Mut und Optimismus immer wieder neue Wege.

Welche Erfahrungen habt ihr mit den deutschen oder mit den europäischen Auslandsvertretungen in St. Petersburg gemacht? Sind diese eine eine Unterstützung?

2013 wurden wir in das Deutsche Generalkonsulat eingeladen. Im Schwedischen Generalkonsulat haben wir 2015 an einer Veranstaltung im Rahmen des Queerfestes von Coming Out teilgenommen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass vor allem skandinavische Konsulate ihre Räume anbieten. Eine negative Erfahrung gab es in diesem Jahr: Im Rahmen des 60. Jubiläumsjahres der Städtepartnerschaft sollte der LSVD zur „Deutschen Woche“ in St. Petersburg eine Veranstaltung zu Menschenrechten für LSBTI in Deutschland durchführen. Nach vielem Hin und Her wurde sie wegen angeblicher baulicher Mängel im Deutschen Generalkonsulat abgesagt. Wir glauben aber eher, das sie nicht gewollt war.

Wie erleben eigentlich die St. Petersburger*innen ihre Begegnungen mit der Community in Hamburg?

Die Möglichkeit, sich weitgehend offen und frei bewegen zu können, gibt ihnen Kraft und ermutigt sie in ihrem Engagement. Kritische Debatten gibt es zum Thema „Gewalt“. Für russische Aktivist*innen gehören tätliche Übergriffe zum Alltag – sie sind es gewohnt und finden, dass dieser Aspekt zu sehr von uns dramatisiert wird. Dadurch würden sie häufig nur in der „Opferrolle“ wahrgenommen, was den Dialog auf Augenhöhe erschwert.

Gibt es etwas was ihr durch den Austausch gelernt habt?

Wenn deutsche Bürokratie auf russisches Improvisationstalent stößt, suchen wir gemeinsam nach einer Lösung. Wir konnten unser Verständnis für politische und gesellschaftliche Prozesse in beiden Ländern schärfen.

Was erwartet ihr für die nächsten Jahre? Wie wird der Austausch weitergehen?

Ziel ist es, den Austausch fortzusetzen. Ob und wie sich die Rahmenbedingungen verändern, wissen wir  nicht. Aber die Stadt Hamburg hat uns ihre Unterstützung zugesagt.

Danke für Euer tolles ehrenamtliches Engagement und weiterhin viel Erfolg.

Foto: LSVD Hamburg