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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Taliban-Herrschaft, russischer Einmarsch in die Ukraine, Todesstrafe für queere Menschen im Austragungsland der Fußballweltmeisterschaft 2022 und LSBTI-Feindlichkeit mitten in der EU: Bedrohte LSBTI schützen – jetzt erst recht!

Beschluss des 34. LSVD-Verbandstags am 24. April 2022

In den letzten Jahren haben der systematische Angriff gegen die LSBTI-Community in der russischen Teilrepublik Tschetschenien, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, die Androhung der Todesstrafe für queere Menschen in 11 Staaten und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, dass Menschenrechte konstant unter Druck stehen – auch und gerade für LSBTI. 

In den letzten Jahren haben der systematische Angriff gegen die LSBTI-Community in der russischen Teilrepublik Tschetschenien, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, die Androhung der Todesstrafe für queere Menschen in 11 Staaten und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, dass Menschenrechte konstant unter Druck stehen – auch und gerade für LSBTI. Dabei beginnt der Angriff auf die Community bereits vor unserer Haustür, durch rechtspopulistische Regierungen in Ungarn und Polen. Der LSVD fordert daher die Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um verfolgte LSBTI Personen im Ausland zu schützen und Menschenrechtsverteidiger*innen zu stärken. Gleichzeitig muss die Bundesregierung ihrer internationalen Pflicht nachkommen, bedrohte LSBTI in Deutschland aufzunehmen und Schutz zu bieten. Hierfür bedarf es großzügig ausgestalteter Aufnahmeprogramme, der verstärkten Vergabe humanitärer Visa, fairer Asylverfahren, einer sicheren Unterbringung und einer Asylverfahrensberatung durch Träger der queeren Community.

LSBTI aus der Ukraine unbürokratisch aufnehmen und bedarfsgerecht verteilen

Ausdrücklich begrüßen wir die Bemühungen der Bundesregierung, die Einreise und die Aufnahme von Personen aus der Ukraine möglichst unbürokratisch zu gestalten. Vielen LSBTI, die sich auch schon vor dem russischen Einmarsch häufig Anfeindungen gegenübersahen und deren Gefährdungslage sich zugespitzt hat, ist jedoch die Ausreise verwehrt. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, gegenüber der ukrainischen Regierung auf die besondere Vulnerabilität gerade auch schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Personen hinzuweisen und auf pragmatische Lösungen hinzuwirken. In Deutschland angekommen, ist es wichtig, dass aus der Ukraine geflüchtete LSBTI bedarfsgerechte Beratung und Unterstützung erhalten. Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen daher auf, bei der Verteilung geflüchteter LSBTI aus der Ukraine auf den Zugang zu LSBTI-spezifischer (einschließlich im Bedarfsfall medizinischer) Versorgung und auf LSBTI-spezifische Unterbringungsmöglichkeiten Rücksicht zu nehmen und sie vorzugsweise in den großstädtischen Raum zu verteilen. Bei der unbürokratischen Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine fordern wir die Bundesregierung auf, sich gegenüber den Kommunen dafür einzusetzen, dass diese auch auf nicht-ukrainische Geflüchtete, die ihren regelmäßigen Aufenthalt vor Kriegsbeginn in der Ukraine hatten, Anwendung findet. Viele dieser Drittstaatler*innen sind LSBTI aus Verfolgerstaaten, die ebenso wie Ukrainer*innen Schutz bedürfen.

Bedrohte afghanische LSBTI endlich aufnehmen

Wir fordern die Bundesregierung auf, ihrem Anspruch einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik gerecht zu werden und ein großzügiges Aufnahmeprogramm für Afghan*innen umzusetzen, das vor allem auch die besonders gefährdete Gruppe der LSBTI berücksichtigt. Der Krieg in der Ukraine darf nicht dazu führen, dass die Zusagen der Ampelregierung bezüglich der Aufnahme gefährdeter Afghan*innen in Vergessenheit geraten. Die Listen liegen der Bundesregierung vor und jeder Tag des Wartens bringt die betroffenen Personen weiter in Gefahr. Bei der Prüfung der Listen fordern wir die Bundesregierung auf, vom Kriterium „Menschenrechtsverteidiger*innen“ mindestens mit Bezug auf LSBTI Abstand zu nehmen. Denn: Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren LSBTI kriminalisiert, konnten sich nicht in Vereinen organisieren oder öffentlich für ihre Rechte eintreten. Nur „Menschenrechtsverteidiger*innen“ aufzunehmen, würde daher LSBTI von einem Aufnahmeprogramm faktisch ausschließen.

Rechtswidriger BAMF-Bescheidungspraxis ein Ende bereiten

Die Anfang des Jahres erfolgte Abschiebung von A. in einen Staat mit Todesstrafen für schwule Männer hat noch einmal gezeigt, wie willkürlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterhin in Bezug auf queere Geflüchtete entscheidet. Dem BAMF und dem Bundesministerium des Innern (BMI) hat der LSVD eine Liste mit Fällen vorgelegt, die aufzeigen, wie Deutschland noch immer an europarechtswidrigen Vorgaben bei der Bescheidungspraxis festhält. Wir fordern die Bundesregierung konkret auf, keine Prognosen mehr über „diskretes Leben“ anzustellen, um LSBTI-Personen in die schlimmsten Verfolgerstaaten abschieben zu können. Weiter fordern wir die Bundesregierung auf, dem Beispiel Frankreichs zu folgen und die verfassungswidrige Einstufung der LSBTI-Verfolgerstaaten Ghana und Senegal als „sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen. Auch erwarten wir, dass das BAMF Asylgesuche Geflüchteter, die Verfolgung aufgrund ihrer LSBTI-Identität in LSBTI-Verfolgerstaaten vortragen, nicht mehr als „offensichtlich unbegründet“ ablehnt. Alles andere widerspräche eklatant dem angekündigten queerpolitischen Aufbruch.

Unterbringung sicher gestalten – der Bund muss einschreiten

Die Verteilung und Unterbringung der großen Zahl Geflüchteter aus der Ukraine stellt Bund und Länder vor große Herausforderungen. Bereits vor dem Ukraine-Krieg war jedoch das System der Verteilung und Unterbringung vollkommen unzureichend. Queere Geflüchtete haben in den Landessammelunterkünften faktisch die Wahl, entweder geheim zu leben oder sich einer massiven Gefährdung auszusetzen. Deutschlandweit gibt es bisher kaum spezifische Unterbringungsmöglichkeiten. Die Bundesregierung hat zugesagt, die Unterbringungssituation für queere Geflüchtete verbessern zu wollen. Wir fordern sie daher auf, bei der Zuteilung queerer Geflüchteter ihren besonderen Schutzbedarf zu berücksichtigen und sie an Orten unterzubringen, wo ihre Sicherheit und ihre fachgerechte Versorgung sichergestellt werden können. Gleichzeitig muss das Versprechen der Bundesregierung nach sich ziehen, bereits bestehende Projekte für queere Geflüchtete und andere vulnerable Gruppen weiterzuentwickeln und auf die Schaffung spezifischer Unterbringungsmöglichkeiten in ausreichender Zahl hinzuwirken.

Queere Asylverfahrensberatung – flächendeckend und durch Träger der queeren Community

Die Bundesregierung hat zugesagt, dass eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung eingerichtet werden soll. Auch wurde die Schaffung einer „besonderen Rechtsberatung für queere Verfolgte“ zugesagt, die voraussichtlich in die Asylverfahrensberatung eingebettet werden soll. Für LSBTI-Geflüchtete ist es sehr oft ausschlaggebend, dass sie durch Beratungsstellen der queeren Community unterstützt werden. Oft sind diese die einzigen Stellen, denen sie sich anvertrauen und wo sie sozialen Rückhalt finden, oft auch in speziellen Gruppenangeboten für queere Geflüchtete. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, eine möglichst flächendeckende Rechtsberatung für queere Geflüchtete in explizit queerer Trägerschaft einzurichten. Dabei müssen die geförderten Angebote mehr als nur eine reine Asylverfahrensberatung umfassen und auch rechtliche Fragen etwa bei der Unterbringung, der rechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität und dem Zugang zu medizinischer Versorgung beinhalten.

Für Menschenrechte konsequent einstehen – auch bei der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar

In 11 Ländern droht die Todesstrafe für Lesben und Schwule, darunter in Katar, dem Austragungsland der Fußballweltmeisterschaft 2022. In Katar findet Missachtung und Einschränkung von Menschenrechten statt – nicht nur von LSBTI, sondern auch von Frauen und Arbeitsmigrant*innen. Besser wäre es gewesen, die Spiele im Vorfeld abzusagen und damit auch der FIFA, die für die Vergabe des Sportfestes an Katar verantwortlich ist, die rote Karte zu zeigen. Politik und Zivilgesellschaft sind nun dazu aufgefordert, die Fußballweltmeisterschaft 2022 zu einem Fest der universellen Menschenrechte und gegen die Diskriminierung von queeren Menschen zu machen: Durch friedlichen Protest und eine klare politische Haltung.

(beschlossen auf dem 34. LSVD-Verbandstag am 24. April 2022)

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