Vielfalt als Thema für den deutschen OSZE-Vorsitz 2016
Tagung im Auswärtigen Amt
2016 übernimmt Deutschland den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Deutschen OSZE-Vorsitz lud Gernot Erler (MdB) am 02. November 160 geladene Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft u.a. auch den LSVD und die Hirschfeld-Eddy-Stiftung ein, um die Themenschwerpunkte vorzustellen.
Die drei Säulen der OSZE sind Fragen der Politik und des Militärs, der Wirtschaft und Umwelt und schließlich die Fragen der Menschenrechte. Die letzte Säule, etwas unscharf auch als Humane Dimension bezeichnet, umfasst Fragen der Meinungs- und Medienfreiheit, der Minderheiten sowie der Toleranz und Nichtdiskriminierung. Die Bundesregierung, so Erler, verfolge einen umfassenden Sicherheitsbegriff. Ihr sei klar, dass es ohne Achtung der Menschenrechte keine Sicherheit geben könne.
Leider stoße die Arbeit der OSZE, die nach dem Konsensprinzip vorgehe, immer wieder an ihre Grenzen. In Osteuropa werde vielfach der Vorwurf erhoben, die Kritik der OSZE richte sich zu sehr nach der Himmelsrichtung. Angesichts der militärischen Konflikte auf der Krim mit 1,4 Millionen Binnenflüchtlingen in der Ukraine und bereits mehr als 8.000 Toten auf Seiten beider Kriegsparteien sei die Arbeit der OSZE alles andere als ein Selbstläufer. Es gehe also auch darum, die Erwartungen zu managen. Die Bundesregierung will dazu über den Dialog mit allen OSZE-Staaten das erschütterte gegenseitige Vertrauen in Europa wieder herstellen. Abstriche bei den getroffenen allseitigen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten der OSZE dürfe es nicht geben. Die OSZE müsse gestärkt aus dem Jahr des deutschen Vorsitzes hervorgehen. Das könne mit Hilfe der OSZE-Missionen und Organisationen (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, BDIMR/ODIHR, die Hohe Kommissarin für Nationale Minderheiten und OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit) gelingen.
Erler ermunterte die vertretenen Nichtregierungsorganisationen sich in die Arbeit des Komitees für die Humane Dimension (HDIM) einzubringen. Am 6. und 7. Dezember 2016 werde zudem eine Parallelkonferenz zum OSZE-Rat stattfinden, die die Zivilgesellschaft einbinden solle. Schon vorher seien die Nichtregierungsorganisationen eingeladen, sich auf der Plattform für die zivile Solidarität (Civic Solidarity Platform) einzubringen.
Deutsche Aktivitäten seien ausdrücklich erwünscht. Der deutsche OSZE-Vorsitz werde vom Deutschen Institut für Menschenrechte unabhängig evaluiert. Erler ermunterte auch zu kritischen Anmerkungen.
Dieser Aufforderung folgten die Teilnehmenden unmittelbar. Erler hatte in seinen Ausführungen besonders auf den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten hingewiesen.
Helmut Metzner vom LSVD-Bundesvorstand in der anschließenden Fragerunde gegenüber Erler den Finger in die Wunde legt: Von allen Aspekten der „Humanen Dimension“ des OSZE-Prozesses sind Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie insbesondere trans- und intergeschlechtliche Menschen betroffen. Die Belange dieser auch über den osteuropäischen Raum hinaus weiter diskriminierten Gruppen scheinen in der Themenpalette für den deutschen OSZE-Vorsitz unbeachtet geblieben zu sein. Metzner bat daher darum, die Rechte von LSBTI immer mit zu bedenken. Diesen Anliegen wurde auch von Sarah Kohrt (LGBTI-Plattform der Hirschfeld-Eddy-Stiftung) und Dr. Julia Ehrt, (Transgender Europe) unterstützt. Wer Minderheiten z.B. in Osteuropa schützt, bekämpfe Fluchtursachen. Darin waren sich alle Anwesenden schnell einig. Gernot Erler versprach die Belange der LSBTI in der Agenda zu verankern.
„Die deutsche Präsidentschaft muss sich wegen der angespannten Situation leider besonders mit Fragen nicht nur der religiösen Toleranz und Nichtdiskriminierung befassen“, betonte auch Peter Wittschorek vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in Berlin. Er koordiniert gemeinsam mit Antje Leendertse aus dem Auswärtigen Amt die deutschen Aktivitäten im Jahr des OSZE-Vorsitzes. Wittschorek ermunterte das Auditorium, die OSZE an ihre eigenen Verpflichtungen zu erinnern und darin ernst zu nehmen. Bislang würde etwa die Hasskriminalität und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Genderidentität zu wenig angegangen, obwohl sich die OSZE den „Kampf“ für Diversität in ihre grundlegenden Dokumente geschrieben habe. Die OSZE stehe entsprechenden Aktivitäten in ihren Formaten offen gegenüber.
Die OSZE sehe die Nichtregierungsorganisationen (NGO) als wichtigen Expertenpool und politischen Partner im Dialog mit den Mitgliedsstaaten. Die OSZE-Institutionen könnten ihrerseits geschützte Räume für Menschenrechtsaktivist_innen ieten, die in ihren Handlungsspielräumen zunehmend gefährdet seien. Der deutsche OSZE-Vorsitz sei glaubwürdiger, wenn die deutschen NGO auch Defizite im Inland transparent machen würden. In den Arbeitsgruppen der Veranstaltung wurde das am Beispiel der fehlenden amtlichen Erfassung von homo- und transphober Hasskriminalität deutlich. Die konkrete Anregung die Opfer von Hasskriminalität unter den nach Deutschland angekommenen Flüchtlingen zu unterstützen, wurde von den Koordinatoren des OSZE-Vorsitzes gerne angenommen. LSBTI seien stets unter den ersten Opfern von gesellschaftlichen Konflikten.
Es müsse darum gehen, alle Minderheiten in einem gemeinsamen Ansatz für Vielfalt und Respekt zu vertreten. Die Arbeit für Akzeptanz müsse gruppenübergreifend erfolgen, um auch intersektionale Diskriminierung (Mehrfachdiskriminierung) erfolgreich zu bekämpfen. Enge Zusammenarbeit sei auch bei den Bildungsanstrengungen gefragt, wenn Stereotype abgebaut werden sollten. Es brauche eine Koalition aller Minderheitengruppen. Matthias Hui von der schweizerischen Organisation HumanRights.ch sieht die NGOs besonders gefordert, wenn es darum gehe, dafür Synergien zu finden und zu bündeln. Die Schweiz habe damit während ihres OSZE-Vorsitzes 2014 positive Erfahrungen gemacht.
Das Auswärtige Amt und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sicherten den Vertreter_innen der Zivilgesellschaft enge Zusammenarbeit und Informationsaustausch zu. Möglicherweise gäbe es auch noch Spielräume, die überwiegend ehrenamtlichen Strukturen der NGO in ihrer Arbeit durch das Auswärtige Amt zu fördern, wenn entsprechende Aktivitäten in den Zusammenhang der OSZE-Aktivitäten Deutschlands eingespeist werden könnten.
Die Veranstaltung zeigte großen Gestaltungsspielraum, der nun aber auch sinnvoll gefüllt werden müsse. Dieses Bewusstsein nehmen die Teilnehmenden sicher mit in ihre Organisationen. Der OSZE-Vorsitz bietet eine große Chance. Die NGO müssen sie ergreifen.
Helmut Metzner
LSVD-Bundesvorstand