Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

UN fordert justiziable Definition von Rassismus

Abschließende Bemerkungen kritisieren Deutschland

Deutschland muss Rassismus definieren — das ist ein wichtiges Ergebnis der Staatenüberprüfung vor dem UN-Antirassismus-Ausschuss. Im deutschen Recht fehlt eine Definition von rassistischer Diskriminierung, die den Anforderungen der UN-Antirassismuskonvention (ICERD) gerecht wird. Zwar verbieten das Grundgesetz und das Allgemeine Gleichstellungsgesetz rassistische Diskriminierung, aber die Unbestimmtheit und Unklarheit des Begriffs verhindern, dass deutsche Gerichte, Strafverfolgungsbehörden und auch Betroffene sich auf das UN-Abkommen berufen können. Ausdrücklich heißt es in den abschließenden Bemerkungen (concluding observations), dass das Fehlen einer Definition eine Zurückhaltung bei den Gerichten bewirke, sich auf das Abkommen zu beziehen.

Nach Artikel 1 ICERD meint der Ausdruck „Rassendiskriminierung“  „jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“

1969 hat die Bundesrepublik das „Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung“ (die UN-Antirassismuskonvention) unterzeichnet. Alle darin enthaltenen Forderungen müssen umgesetzt werden. Ob und wie weit die Vertragsstaaten das getan haben, wird regelmäßig durch ein sogenanntes Staatenüberprüfungsverfahren ermittelt. Im Mai 2015 fand die Überprüfung Deutschlands vor dem UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung (CERD) in Genf statt. Die Bundesregierung hat dazu schon 2013 ihren offiziellen Bericht zum Stand der Umsetzung von ICERD eingereicht.

Aus der Zivilgesellschaft sind eine Reihe von Alternativberichten erarbeitet worden, etwa vom Türkischen Bund Berlin Brandenburg und dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Das Forum Menschenrechte hat unter Federführung der Diakonie  ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Gruppen initiiert und einen Bericht vorgelegt, der auch eine Passage zur Verschränkung von Homo- und Transphobie mit Rassismus enthält. Dieser Parallelbericht  wurde Ende April bei einer Veranstaltung im Rahmen von Crossings & Alliances vorgestellt.

UN kritisiert Begriff „Fremdenfeindlichkeit“

Die Staatenüberprüfung vor dem UN-Antirassismus-Ausschuss ist formalisiert: Die Vertreter_innen der Zivilgesellschaft werden angehört und die Regierung kann auf die Kritik reagieren. Die Anhörung im Mai 2015 dauerte mehrere Tage und wurde live im Internet übertragen.

Die Übertragung zeigte, wie ein Ausschussmitglied angeregt durch die Alternativberichte eine Vertreterin der Bundesregierung nach der Verwendung einzelner Ausdrücke befragte. In den CERD-Alternativberichten wurde „Fremdenfeindlichkeit“ kritisiert, weil das Wort — anders als „Rassismus“ — irritierenderweise nahelegt, dass nur „Fremde“, also keine Deutschen in dieser feindlichen Weise angegangen werden. Damit wird nicht nur die Existenz Schwarzer Deutscher ignoriert, sondern auch eine Fremd-Nicht-Fremd-Opposition verfestigt.
Almut Wittling-Vogel, Beauftragte der Bundesregierung für die Menschenrechte, nahm dazu Stellung. Wittling-Vogel verteidigte die Verwendung des Begriffs und wollte ihn nicht aufgeben. Sie argumentierte, dass der Begriff zeige, dass es sich um eine Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit handele.

CERD-Ausschuss verlangt Sensibilisierung für intersektionale Diskriminierung

Mit den concluding observations schließt der Ausschuss die Überprüfung ab. Es werden Empfehlungen, Lob und Kritik ausgesprochen. Das Lob für Deutschland fällt 2015 dünn aus, die Kritik umfangreich, was viel mit dem Skandal um die NSU-Ermittlungen zu tun hat.

Der CERD-Ausschuss spricht vom „Versagen“ Deutschlands, die nach ICERD schutzwürdigen Gruppen vor Diskriminierung zu schützen und fordert, allen Formen von rassistischer Diskriminierung stärker entgegenzutreten. Institutionen sollen Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus ergreifen, und es wird ausdrücklich gefordert, intersektionale Diskriminierung bei der Verknüpfung von Rassismus mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität anzuerkennen:

the Committee is concerned that the State party is not adequately addressing other forms of racial discrimination, including institutional anti-Muslim racism, discrimination experienced by women from minority groups and the intersectionality between LGBTI discrimination and racial discrimination.”

Es wird auch empfohlen, den Begriff „Migrationshintergrund“ nicht mehr im Zusammenhang mit rassistischer Diskriminierung zu verwenden. Wenn diejenigen, die Rassismus erleben, immer wieder als „Menschen mit Migrationshintergrund“ bezeichnet werden, dann verdeckt dieser Begriff laut CERD-Ausschuss, dass darunter auch viele deutsche Staatsbürger_innen sind. Außerdem würden Minderheiten ausgeschlossen, die seit Jahrhunderten zur deutschen Gesellschaft gehören.

Der Ausschuss empfiehlt zudem, nicht mehr von „Fremdenfeindlichkeit“, sondern treffender von „rassistischer“ Gewalt oder „rassistischer Diskriminierung“ zu sprechen.

Bisher ist es unmöglich, das Ausmaß rassistischer Diskriminierung einzuschätzen, weil Daten über die Zusammensetzung der Bevölkerung fehlen. Der UN-Ausschuss betont die Bedeutung statistischer Daten für die Auseinandersetzung mit rassistischer Diskriminierung und fordert Deutschland auf, brauchbare Zahlen zu erheben. Dabei sollen Kriterien wie Geschlecht, Religion und Indikatoren ethnischer Vielfalt einbezogen werden. Die Angaben sollen auf Selbstidentifizierung basieren und anonym und freiwillig sein.

Sarah Kohrt
Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Leitung Plattform LGBTI-Menschenrechte

Weitere Informationen