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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Stellungnahme zum Entwurf eines Aktionsplans „Queer leben!“ der Bundesregierung

Anforderungen des LSVD an einen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt

Auszug aus der Stellungnahmen des LSVD zum Entwurf „Queer leben! - Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ vom 30. August 2022

Lesben und Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) in Deutschland haben viel an persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit erkämpft. Immer mehr LSBTI leben selbstbewusst, offen und akzeptiert. Die Ehe für alle ist ein Meilenstein in der Geschichte der Bürgerrechte in Deutschland und macht unsere Gesellschaft ebenso gerechter wie das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum dritten positiven Geschlechtseintrag.

Obgleich LSBTI in den letzten Jahrzehnten viel an Akzeptanz erkämpft und gewonnen haben, werden sie viel zu oft im Alltag als Menschen zweiter Klasse behandelt, verleugnet, beleidigt, verbal oder gar physisch bedroht und angegriffen. Das haben die vielen Übergriffe auf LSBTI auf CSDs in diesem Jahr gezeigt, insbesondere die beiden brutalen Attacken auf trans* Personen in Münster und Bremen. LSBTI-Feindlichkeit ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, die Heterosexualität, Zweigeschlechtlichkeit und binäre Männlich- und Weiblichkeitsvorstellungen als alleinige Normen definiert, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt dagegen tabuisiert, abwertet und ausgrenzt. LSBTI-feindliche Beleidigungen und Herabwürdigungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen, Anfeindungen und Übergriffe bis hin zur offenen Gewalt gehören weiterhin zum Alltag in Deutschland. Wenn Menschen sich deshalb nicht unbefangen im öffentlichen Raum bewegen können, ist das ein massiver Angriff auf die Freiheit. Schließlich stehen der vollen gesellschaftlichen Teilhabe von LSBTI und der umfassenden Verwirklichung ihrer Menschenrechte aber auch weiterhin strukturelle und institutionelle Barrieren im Weg.

Die letzte Bundesregierung hat die Chance auf einen nachhaltigen Aktionsplan gegen LSBTI-Feindlichkeit vertan. In Zusammenarbeit mit dem Netz gegen Rassismus und dem Bundesverband Trans* (BVT*) hat der LSVD in dem gemeinsamen Papier „Menschenrechte schützen, Diskriminierungen beseitigen“ deutlich gemacht, was für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben notwendig wäre und was zu einem effektiven Abbau von Benachteiligungen und einer präventiven Strategie gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit führen würde. Diese zivilgesellschaftlichen Anforderungen an einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, Homophobie und Transfeindlichkeit wurden von der Bundesregierung zwar als Anlage an den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus veröffentlicht, aber in der Praxis wurde bislang kaum etwas davon aufgegriffen. Von daher ist es sehr zu begrüßen, dass der Queer-Beauftragte der Bundesregierung nun den Entwurf eines Aktionsplans der Bundesregierung vorlegt.

Eine freie Gesellschaft muss allen Menschen garantieren, jederzeit, an jedem Ort, ohne Angst und Anfeindung verschieden sein zu können. Ein wirksamer Aktionsplan wäre ein staatliches Bekenntnis, dass LSBTI als gleichwertiger Teil zu Deutschland gehören und ein Recht darauf haben, angst- und diskriminierungsfrei zu leben.

Anforderungen des LSVD an einen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt

  • 1. Grundsätzliche Anforderungen an einen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt

    Für den LSVD sind folgende grundsätzlichen Anforderungen an einen Aktionsplan von Bedeutung:

     

    • eindeutige Zielvereinbarungen und belastbare Selbstverpflichtungen
    • klare Zeit- und Arbeitspläne zur Umsetzung der Maßnahmen
    • Erarbeitung und Umsetzung sollte interdisziplinär von allen zuständigen Ministerien im engen Dialog mit der Zivilgesellschaft und den Communitys auf Augenhöhe erfolgen.
    • Im Zusammenhang mit dem Aktionsplan müssen angemessene Haushaltsmittel zur Umsetzung der Maßnahmen bereitgestellt werden. Dies umfasst auch die für eine nachhaltige Durchführung des Aktionsplans notwendige strukturelle Ausstattung der einbezogenen zivilgesellschaftlichen Organisationen.
    • Die Steuerung und Implementierung der Maßnahmen des Aktionsplans sollte ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft erfolgen, z.B. über einen Beirat. In regelmäßigen Abständen sollten darüber hinaus die einzelnen Schritte des Aktionsplans evaluiert, Strategien und Maßnahmen reflektiert und diese anhand der gemachten Erfahrungen angepasst und weiterentwickelt werden. Über diesen jeweils aktuellen Stand muss die Bundesregierung den Bundestag regelmäßig informieren.
    • Wichtig ist zudem, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit nicht isoliert, sondern im Sachzusammenhang mit der Prävention und Bekämpfung anderer Erscheinungsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angegangen werden. Das eröffnet eine intersektionale Perspektive, die der Vielfalt von LSBTI Rechnung trägt und auch Mehrfachdiskriminierungen in den Blick nimmt.

     

    Diese Anforderungen sehen wir im Entwurf des Aktionsplans „Queer leben!“ zum Teil nur unzulänglich berücksichtigt.

  • 2. Ziele und Maßnahmen für einen wirkungsvollen Aktionsplan
    • 2.1 Rechtliche Anerkennung (Punkt 1)
      • 2.1.1 Aufnahme des Diskriminierungsverbots queerer Menschen in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (Punkt 1.1)

        Fundamentale Normen des Zusammenlebens wie das Diskriminierungsverbot müssen in der Verfassung für alle Menschen sichtbar sein. Es braucht eine Ergänzung des Gleichbehandlungsartikels. In einem erweiterten Art. 3 Abs. 3 GG müssen in Zukunft auch queere Menschen ausdrücklich vor Diskriminierung geschützt werden.

         

        Der Gleichheitsartikel ist die Antwort auf die nationalsozialistische Selektions- und Verfolgungspolitik. Er ist geprägt von der Erkenntnis, dass die Menschlichkeit insgesamt gefährdet ist und Barbarei droht, wenn auch nur einer Gruppe von Menschen die gleichen Grund- und Menschenrechte streitig gemacht werden. Dennoch hatte man 1949 zwei Gruppen ausgespart: Menschen mit Behinderungen und LSBTI. So hat das Grundgesetz schwule Männer jahrzehntelang nicht einmal vor schweren Menschenrechtsverletzungen wie der Strafverfolgung nach § 175 StGB geschützt. Menschen mit Behinderungen wurden im Rahmen der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit 1994 endlich aufgenommen. Ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für LSBTI fehlt in der Verfassung weiterhin. Das wirkt sich bis heute negativ auf deren Lebenssituation in Deutschland aus.

         

        Wir begrüßen daher die vorgeschlagene Maßnahme zur längst überfälligen Aufnahme der sexuellen Identität im Gleichheitsartikel des Grundgesetzes. Die Bundesregierung muss weiterhin den Dialog mit Bundestag und Bundesländern suchen und gleichzeitig in der Zivilgesellschaft für diese Änderung werben.

      • 2.1.2 Reform des Abstammungs- und Familienrechts (Punkt 1.2)

        Die Öffnung der Ehe hat unsere Gesellschaft gerechter, offener und demokratischer gemacht. Doch nach wie vor gibt es gesetzlichen Regelungsbedarf. Regenbogenfamilien in ihren diversen Konstellationen müssen endlich rechtlich anerkannt und abgesichert werden. Kein Kind darf wegen seiner Familienform benachteiligt werden. Das Abstammungs- und Familienrecht muss an die gelebte Familienvielfalt angepasst werden.

         

        Wir begrüßen daher grundsätzlich die vorgeschlagenen Maßnahmen. Sie bleiben jedoch hinter dem Koalitionsvertrag zurück. Die notwendige Reform des Abstammungs- und Familienrechts muss die gesamte gelebte Familienvielfalt rechtlich anerkennen. Gerade im Interesse des Kindeswohls muss die Bereitschaft zur Übernahme elterlicher Verantwortung in allen Familienformen vom Recht besser anerkannt und unterstützt werden. Dazu gehören etwa die Möglichkeit verbindlicher Elternschaftsvereinbarungen vor der Zeugung, die Verteilung von elterlicher Verantwortung auf mehr als zwei Personen und ein selbstbestimmter Eintrag von trans* und inter* sowie nichtbinären Eltern in der Geburtsurkunde.

         

        Wir fordern daher folgende zusätzliche Maßnahmen:

        • Im Familien- und Abstammungsrecht werden alle Diskriminierungen von Familien gleichgeschlechtlicher Eltern, trans* und inter* Eltern sowie nichtbinärer Eltern beim Adoptionsrecht und beim Recht auf Familiengründung beseitigt (Anpassung der §§ 1591 ff. BGB). Die Bundesregierung wird hierzu einen Gesetzentwurf vorlegen, der diesen Anforderungen vollumfänglich entspricht.
        • Ein selbstbestimmter Eintrag von trans* und inter* sowie nichtbinären Eltern in der Geburtsurkunde wird ermöglicht.
        • Die Möglichkeit verbindlicher Elternschaftsvereinbarungen vor der Zeugung und der Verteilung von elterlicher Verantwortung auf mehr als zwei Personen wird geschaffen.
        • Das Samenspenderregister wird auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden geöffnet.
        • In allen Bundesgesetzen und in öffentlichen Schriftstücken wird Geschlechtervielfalt sprachlich und inhaltlich berücksichtigt.
        • Zur Sensibilisierung und Fortbildung der Regelstrukturen in der Familienhilfe, bei den Jugendämtern und anderen Beratungsstellen wird ein bundesweites Projekt angestoßen. Die Regenbogenkompetenz von Fachkräften in der Beratungsarbeit und in der Verwaltung wird flächendeckend erhöht. Das BMFSFJ kann an das „Projekt “Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien– Erfordernisse und Potenziale in professioneller Begleitung” anknüpfen und die aufgebaute Expertise im Rahmen eines Projektes weiterentwickeln.
      • 2.1.3 Aufhebung des Transsexuellengesetzes / Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes (Punkt 1.3)

        Für die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt und Selbstbestimmung braucht es eine menschenrechtsorientierte Reform des Transsexuellenrechts. Trans* Personen, die sich bis zum 11.01.2011 gemäß § 8 TSG einem die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterziehen sowie sterilisieren lassen mussten, um personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung zu finden und/oder eine Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft eingehen zu können, müssen eine Entschädigung erhalten. Wir weisen darauf hin, dass die Entschädigung von inter* Personen, die ohne ihre Einwilligung als Minderjährige geschlechtsverändernd operiert worden sind, gesondert geregelt werden sollte.

         

        Wir begrüßen daher die vorgeschlagenen Maßnahmen dem Grunde nach, wünschen uns jedoch klarere Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Inhalte des Gesetzentwurfs:

        • Die Bundesregierung wird umgehend ein Gesetz zur Abschaffung des TSG und zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes vorlegen. Insbesondere werden die Vornamens- und Personenstandsänderung mit einer Erklärung beim Standesamt ab 14 Jahren ermöglicht; die Begutachtungspflicht wird abgeschafft; das Offenbarungsverbot wird gestärkt und Verstöße werden wirksam sanktioniert; ein gesetzlicher Anspruch auf Neuausstellung von Zeugnissen und Arbeitsdokumenten bei Namens- bzw. Personenstandsänderung wird eingeführt.
      • 2.1.4 Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

        Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) weist noch Lücken auf, die dringend geschlossen werden müssen, um einen umfassenden und effektiven Antidiskriminierungsschutz zu gewährleisten.

         

        Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen daher grundsätzlich, fordern jedoch eine Konkretisierung:

        • Die Novellierung des AGG wird in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Verbänden – einschließlich der Verbände der von Diskriminierung Betroffenen – vorgenommen.
        • Die Novellierung wird den Diskriminierungsschutz durch das AGG stärken, insbesondere durch die Einführung einer Prozessstandschaft und eines Verbandsklagerechts, die Verlängerung von Klagefristen, die Einführung von Sanktionsregelungen und die Streichung ungerechtfertigter Ausnahmeregelungen wie insbesondere Art. 19 Abs. 5 S. 3 und 5 AGG (Wohnraum), sowie die Erweiterung der Diskriminierungsgründe einschließlich der dezidierten Benennung des Diskriminierungsgrundes ‚Geschlechtsausdruck‘.
        • Die AGG-Novellierung wird staatliches Handeln in den Diskriminierungsschutz einbeziehen.
        • Für die Bereiche, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen – wie beispielsweise Bildung und Polizei –, unterstützt die Bundesregierung die Verabschiedung von Landesantidiskriminierungsgesetzen.
        • Es wird ein Verfahren institutionalisiert, das Gesetzesvorhaben, Vorschriften und Amtshandlungen auf Diskriminierungswirkungen entlang der Kriterien eines erweiterten AGG hin überprüft.
        • Der Einsatz gegen Diskriminierung wird als gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung anerkannt.
        • Das Vergaberecht wird hinsichtlich einer besseren Förderung von Vielfalt überprüft. Bei Auftragsvergaben aus Mitteln der öffentlichen Hand sind Antidiskriminierungsgrundsätze zu beachten.
        • Die Bundesregierung gibt ihre Blockadehaltung gegenüber der EU- Gleichbehandlungsrichtlinie 2008/426 (2008/0140/APP) auf und unterstützt aktiv den weiteren Verhandlungsprozess.
      • 2.1.5 Geflüchtete LSBTIQ* (Punkt 1.5)

        Einige LSBTI fliehen aus den Verfolgerstaaten nach Deutschland. Noch immer gibt es dabei beträchtliche Hürden für verfolgte LSBTI, in Deutschland anerkannt zu werden. Für LSBTI müssen faire und qualifizierte Asylverfahren tatsächlich gewährleistet sein. Oft wird die Verfolgungssituation im Herkunftsland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verharmlost, Antragstellende werden vorschnell als unglaubwürdig eingestuft bzw. wird gegen EU-Rechtsprechung verstoßen, um ihre Anträge abzulehnen.

         

        LSBTI fliehen aus politischen Systemen und Gesellschaften, in denen Homosexualität, Trans- oder Intergeschlechtlichkeit häufig massiv geächtet und tabuisiert sind und ihnen Gefahr für Freiheit, Leib und Leben droht. Besonders gefährdet sind Menschen, deren Geschlechtsausdruck nicht der Norm entspricht. Deutschland muss ihnen wie auch allen anderen Personen, die vor Krieg, Gewalt, Folter und Verfolgung fliehen, Aufnahme gewähren und sie davor schützen, erneut Ziel von Anfeindungen und Gewalt zu werden. Damit in Deutschland für LSBTI-Flüchtlinge faire Asylverfahren tatsächlich gewährleistet sind, muss diese Ausgangssituation umfassend und kultursensibel berücksichtigt werden.

         

        Im Koalitionsvertrag wurde die Einrichtung einer besonderen Rechtsberatung für queere Geflüchtete vereinbart. Diese kann nach unserem Verständnis nicht identisch sein mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag an anderer Stelle vereinbarten Einführung einer flächendeckenden, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung. Aus unserer Sicht heißt „besonders“ in diesem Kontext, dass die Beratung durch spezialisierte LSBTI-Beratungsstellen stattfindet. LSBTI-Antragsteller*innen haben in der großen Mehrzahl ein Leben lang erfahren, dass sie Verbrecher*innen, Perverse, Kranke, Sünder*innen und eine Schande für ihre Familien und ihre Gesellschaft

         

        Die vorgeschlagenen Maßnahmen müssen konkretisiert werden:

        • Besondere Schutzbedarfe wie LSBTI werden bei der Zuweisung von Geflüchteten im EASY-Verfahren berücksichtigt.
        • Die Vergabe humanitärer Visa an verfolgte LSBTI wird deutlich ausgeweitet.
        • Die Praxis der „Diskretionsprognosen“ wird abgeschafft. Ausgangspunkt bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit muss ein im Alltag geoutetes, offen queeres Leben sein.
        • Eine flächendeckende, durch spezialisierte LSBTI-Organisationen durchgeführte, besondere Rechtsberatung für queere Geflüchtete wird eingeführt.
        • In Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen werden die im BAMF Beschäftigten noch stärker für den Umgang mit Asylsuchenden, die wegen drohender Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in Deutschland Schutz suchen, sensibilisiert und über die rechtliche und gesellschaftliche Lage in den Herkunftsländern informiert. In diese Schulungen werden nicht nur die Entscheider*innen, sondern auch die Dolmetscher*innen, die bei Verfahren hinzugezogen werden, einbezogen.
        • Die Behördenmitarbeiter*innen werden im Wahrnehmen von Traumata geschult. Es ist sicherzustellen, dass auf kompetente Stellen verwiesen werden kann, auch um erneuten Traumatisierungen bei Asylsuchenden vorzubeugen.
        • Die asylrechtlichen Bedingungen werden so angepasst, dass Erfahrungen sexualisierter Gewalt sowie sexualitäts- und geschlechtsspezifischer Verfolgungen auch nach dem Erstkontakt noch angegeben werden können und ins Asylverfahren einfließen, weil die Mitteilung solcher Erfahrungen ein Mindestmaß an Vertrauen voraussetzt. Es wird psychologische und medizinische Unterstützung angeboten.
        • Die Dienstanweisung Asyl (DA-Asyl) des BAMF wird entsprechend der Regelung zu frauenspezifischer Verfolgung dahingehend ergänzt, dass LSBTI, wenn sie dies wegen der Besonderheit ihres Verfolgungsschicksals wünschen, von einer*einem Sachbearbeiter*in des Geschlechts ihrer Wahl angehört als auch ein*e Dolmetscher*in mit dem Geschlecht ihrer Wahl eingesetzt wird.
        • Es wird ausgeschlossen, dass Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden, wenn dort beispielsweise homosexuelle Handlungen strafrechtlich verboten sind.
        • Bei den Integrationskursen für Migrant*innen werden auch Informationen über die rechtliche und gesellschaftliche Situation von LSBTI in Deutschland, die Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten und unterschiedlicher Lebensweisen in ihrer ganzen Breite im Lehrplan verankert und Adressen von LSBTI-Beratungsstellen und Selbsthilfeorganisationen bereitgestellt. Entsprechende Konzepte einer Pädagogik der Vielfalt kommen sowohl in Orientierungs- als auch in Sprachkursen zur Geltung.
    • 2.2 Teilhabe (Punkt 2)
      • 2.2.1 Geschlechtergerechte Sprache (Punkt 2.1)

        Wir begrüßen den Vorschlag eines Gremiums für geschlechtergerechte Sprache. In das Gremium sollten LSBTI-Selbstvertretungen einbezogen werden.

         

        Darüber hinaus fordern wir folgende Maßnahme:

        • Der Bund wirkt darauf hin, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) Empfehlungen zur Verwendung von geschlechtergerechter Sprache für Schulen erarbeitet.
      • 2.2.2 Forschung und Datenerhebung zur Lebenssituation von LSBTIQ* ausbauen (Punkt 2.2)

        Es gibt zwar inzwischen vermehrt Forschung über die Lebenssituation von LSBTI in Deutschland, ebenso zu Diskriminierung und LSBTI-Feindlichkeit. Dennoch sind noch viele sozialwissenschaftliche Forschungen heteronormativ angelegt. In ihnen bleiben LSBTI als Teil der Bevölkerung häufig unberücksichtigt. In den Hochschulen, in Forschung und vor allem in der Lehre muss die Lebenssituation von LSBTI endlich angemessen berücksichtigt werden. Dabei ist auch die bislang nur marginal staatlich unterstützte Forschung über Ausmaß, Erscheinungsformen und Ursachen von LSBTI-Feindlichkeit zu fördern, um unter Hinzuziehung der Zivilgesellschaft Gegenstrategien optimieren zu können.

         

        Wir begrüßen daher die vorgeschlagenen Maßnahmen vollumfänglich. Wir schlagen zusätzlich vor:

        • Initiierung und Förderung von Forschungsprojekten zur Lebenslage von inter* Personen sowie zu ihrer Teilhabe an der medizinischen und psychosozialen Versorgung.
        • Das Bundesamt für Statistik wird für geschlechtliche Vielfalt sensibilisiert. Die statistische Erfassung von trans*, inter* und nichtbinären Personen wird sichergestellt. Die Belange von trans*, inter* und nichtbinären Personen in den Berichten des Bundes werden berücksichtigt.
        • Förderprogramme für LSBTI-Nachwuchswissenschaftler*innen werden aufgelegt.
      • 2.2.3 Förderung von gesellschaftlicher Akzeptanz (Punkt 2.3)
        • 2.2.3.1 LSBTIQ*-Themen in Bildungseinrichtungen und in Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften (Punkt 2.3.1)

          Ein Aktionsplan für Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt muss die Bereiche Aus-, Fort- und Weiterbildung adressieren, weil insbesondere die Lernorte Kita, Hort und Schule tragende Einrichtungen der Prävention von Diskriminierung und der Förderung von Akzeptanz sind. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Bereich „Schule und Bildung“ im Rahmen der föderalen Ordnung im Wesentlichen in der Zuständigkeit der Länder liegt. Auch auf Bundesebene muss darauf hingewirkt werden, dass in den Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungeneine angemessene Thematisierung unterschiedlicher sexueller Orientierungen, geschlechtlicher Identitäten und Familienformen stattfindet, damit LSBTI und Kinder aus Regenbogenfamilien die Erfahrung einer frühen Ausgrenzung und Diskriminierung erspart bleibt. Die Bundesregierung sollte Programme der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung zur umfassenden Aufklärung über LSBTI, ihre rechtliche und gesellschaftliche Situation zwecks Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit auflegen und intensivieren.

           

          Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind nicht konkret genug. Wir schlagen vor:

          • Die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften aller Schulformen und des pädagogischen Fachpersonals umfasst die Vermittlung von Sensibilität für die Vielfalt sexueller Orientierungen, geschlechtlicher Identitäten, Geschlechtsmerkmale sowie des Geschlechtsausdrucks. Die Erarbeitung dieser Programme erfolgt in Abstimmung mit der Expertise von NGOs und außerschulischen Bildungsprojekten. Die Teilnahme von Lehrkräften an solchen Programmen wird verbindlich geregelt.
          • Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die Bundesländer bestehende Aktionspläne zur Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie gegen LSBTI-Feindlichkeit weiterzuentwickeln. Besonders in Bayern und Niedersachsen wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass solche Aktionspläne gemeinsam mit LSBTI-Vereinen und Initiativen entwickelt werden.
          • In allen Schulformen und im Rahmen der vorschulischen Bildung werden LSBTI sowohl in Unterrichtsinhalten aller Fächer und in Lernmitteln als auch im Alltag der Lernenden nicht als Ausnahmen, sondern als gleichwertige und gleichberechtigte Zugehörige einer vielfältigen, inklusiven Gesellschaft dargestellt. Die dargestellten Personen entsprechen den verschiedenen Lebenswelten der Lernenden und repräsentieren eine große Vielfalt; dabei werden Lernmittel barrierearm gestaltet (z.B. in einfacher und leichter Sprache, mehrsprachig, vorlesbar). Das BMFSFJ und das BMF initiieren gemeinsam mit der KMK und Schulbuchverlagen einen Dialogprozess, um die Sichtbarkeit von gesellschaftlicher Vielfalt in Schul- und Unterrichtsmaterialien zu verbessern. Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die KMK eine Empfehlung zum Thema „Regenbogenkompetenz in Schule und Unterricht“ auf den Weg bringt. Um Kinder- und Jugendliche im Umgang mit LSBTI-Feindlichkeit und queerfeindlichen Narrativen zu stärken, bringt die Bundesregierung ein entsprechendes Projekt und weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahmen auf den Weg.
          • In der beruflichen Bildung und Berufsausbildung wird der Abbau von Vorurteilen verankert. Ergänzend zur fachlichen Ausbildung wird das Bewusstsein für Vielfalt am Arbeitsplatz und im Umgang mit Kolleg*innen und Kund*innen gefördert. Dazu zählt auch, wie sich junge Berufstätige gegen Diskriminierung wehren können.
          • Eine altersgerechte und LSBTI-sensible Sexualaufklärung wird als eigenständiger Aspekt des schulischen Bildungsauftrags gewährleistet.
          • Für inter*- und trans* sowie nichtbinäre Personen jeden Alters werden rechtssichere, verlässliche und diskriminierungsarme Rahmenbedingungen in Bildungs- und Freizeiteinrichtungen geschaffen und Leitlinien für die Praxis entwickelt. In ihnen wird die korrekte Ansprache, die Berücksichtigung des Identitätsgeschlechts im geschlechtergetrennten (nicht koedukativen) Unterricht, genderneutrale Toiletten und Umkleiden, Schutz und Beratung in der Transition und im Fall von Diskriminierung und Gewalt geregelt.
          • Die Bundesregierung fördert rechtlich und pädagogisch fundierte Handlungsempfehlungen zum diskriminierungsfreien Umgang mit trans*- und inter* Kindern und Jugendlichen (z.B. Führung von Vornamen in Dokumenten wie Klassenbüchern und Schüler*innenakten oder Änderung von Zeugnissen auf Wunsch auch vor einer gerichtlichen Vornamens- und Personenstandsänderung).
          • Außerschulische Bildungsprojekte, die die Akzeptanz von diskriminierten Gruppen unterstützen und eine intersektionale Perspektive auf Diskriminierung einnehmen, werden langfristig gefördert.
          • Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die KMK ihre Inklusions- und Diversity-Strategien erweitert und dabei die Kriterien sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität, Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsausdruck einbezieht.
          • Die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung gegen LSBTI-Feindlichkeit wird gestärkt. Dies gilt ebenso für die Erwachsenenbildung und die berufliche Bildung. Dabei werden auch die Volkshochschulen und Bildungsprojekte für Eltern explizit miteinbezogen.
          • An den Hochschulen werden Koordinierungsstellen für Diversität, Gleichbehandlung, Antidiskriminierung und Inklusion eingerichtet. Diese folgen einem horizontalen Ansatz, gehen intersektional vor und werden strukturell und finanziell ausreichend ausgestattet.
          • Lehrinhalte an Hochschulen werden auf LSBTI-feindliche Inhalte überprüft. So sollten z.B. keine kolonialistischen oder trans* pathologisierenden Inhalte unterrichtet werden.
          • Hochschulinterne Förderprogramme zur Gleichstellung der Geschlechter sowie Wissenschaftsförderungsprogramme werden ausgebaut und auch für LSBTI-Personen zugänglich gemacht. Die Vergabe von Fördermitteln des Bundes wird an die Einhaltung dieser Kriterien gekoppelt. Der Bund initiiert hierzu Modellprogramme und Forschungsprojekte.
        • 2.2.3.2 Sensibilisierung der Kinder- und Jugendhilfe

          Jugendhilfe und Jugendarbeit müssen sich dem Problem LSBTI-Feindlichkeit noch viel intensiver stellen, gerade in der Aus- und Fortbildung. LSBTI-Jugendarbeit muss stärker anerkannt und unter Einbeziehung der Jugendlichen weiterentwickelt werden. Das darf nicht nur in Großstädten geschehen. Auch Jugendliche, die außerhalb der Ballungsräume leben, brauchen Zugang zu informierter und vorurteilsfreier Beratung, Unterstützung, Empowerment sowie diskriminierungsfreien Freizeitangeboten. Notwendig sind zielgruppenspezifische Programme. Dies gilt auch für junge LSBTI mit Migrationsgeschichte.

           

          Durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz und die Reform des SGB VIII sind erstmals auch trans*, inter* und nichtbinäre junge Menschen explizit im § 9 SGB VIII benannt worden. Jedoch fehlt es an der Basis der Kinder- und Jugendarbeit und -hilfe an Konzepten und Strategien, wie der gesetzliche Auftrag konkret umgesetzt werden kann.

           

          Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen nicht weit genug und sollten ergänzt werden:

          • Gemeinsam mit den Bundesländern wird auf eine Sensibilisierung der Regelstrukturen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie -hilfe durch die fachgerechte Ausbildung sowie Schulung und Fortbildung von Fachkräften sowie von Jugendleiter*innen hingewirkt.
          • Krisenwohnmöglichkeiten für LSBTI-Jugendliche werden eingerichtet.
          • In allen geeigneten Handlungsfeldern des Kinder- und Jugendplans des Bundes werden LSBTI-Themen ausdrücklich berücksichtigt.
          • Die Arbeit gegen gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit, der Abbau von Benachteiligungen und die Unterstützung der Jugendlichen gegenüber Vorurteilen und Anfeindungen wird strukturell gefördert.
          • Selbstorganisationen von und für queere Jugendliche werden stärker unterstützt. Finanzielle Förderung wird auf allen Ebenen zugänglich gemacht.
          • Internationale Jugendaustauschprogramme, die vom Bund gefördert werden, beinhalten Aspekte von LSBTI.
          • Wissenschaftliche Studien zur Lebenssituation Jugendlicher werden durchgeführt, um eine angemessene Auseinandersetzung mit ihren Lebensrealitäten zu ermöglichen. Dabei werden auch Aspekte von Mehrfachdiskriminierungen und Intersektionalität berücksichtigt. Das gilt besonders für den Bereich Schule.
          • Die Bundesregierung wird gemeinsam mit den Bundesländern darauf hinwirken, dass Jugendhilfeeinrichtungen und Jugendhilfemaßnahmen der Akzeptanz der Vielfalt sexueller Orientierungen, geschlechtlicher Identitäten und von Geschlechtsmerkmalen Rechnung tragen, gegenüber LSBTI-Feindlichkeit sensibilisiert sowie befähigt werden, dieser entgegenzuwirken und auf ein diskriminierungsfreies Umfeld hinzuarbeiten. Dazu wird die Kinder- und Jugendarbeit und -hilfe mittels Fortbildungsprojekten befähigt, den gesetzlichen Auftrag des § 9 SGB XIII umzusetzen. Gleiches gilt für die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit. Die Bundesregierung legt zudem ein „Bildungsprogramm Regenbogenkompetenz“ auf und sorgt dafür, dass die im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ im Handlungsfeld gegen Homosexuellen- und Transfeindlichkeit entwickelten Materialien bedarfsgerecht auch in den Ländern zur Verfügung stehen. Das Bildungsprogramm kann gemeinsam von Bund und Ländern getragen werden.
          • Freizeiteinrichtungen, -angebote sowie Empowerment für LSBTI Jugendliche und junge Erwachsene werden regelhaft gefördert.
        • 2.2.3.3 Diskriminierungsfreies Umfeld im Sport (Punkt 2.3.3)

          Sport muss allen offen stehen. Im Breiten- wie im Spitzensport brauchen wir eine Kultur des Respekts. Das gilt nicht nur für die Jugendarbeit von Sportverbänden, sondern auch für die Sport-Senior*innenarbeit. Auch alte und ältere Sportler*innen sollten in der Strategie für den Sport berücksichtigt werden. In die Ausbildung von Trainer*innen sowie von Jugendleiter*innen muss die Befähigung, Vielfalt zu fördern sowie Diskriminierungen zu erkennen und ihnen entgegenzutreten, verpflichtend integriert werden. Hier müssen auch Themen wie Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität aufgegriffen werden.

           

          Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Zusätzlich fordern wir folgende Maßnahmen:

          • In der Sportpolitik werden die Antidiskriminierungsarbeit sowie die Prävention von LSBTI-Feindlichkeit stärker gefördert.
          • Die Sportspitzenverbände werden aufgefordert, Konzepte und Kampagnen gegen Diskriminierung bzw. für Vielfalt und Inklusion im Amateur- und Leistungssport zu entwickeln.
          • Die Bundesregierung arbeitet darauf hin, dass LSBTI-Feindlichkeit beim „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit (NKSS)“ als ein weiterer Schwerpunkt im Bereich der Prävention aufgeführt wird.
          • Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass das FIFA Anti-Discrimination Monitoring-System (Diskriminierungsbeobachtung der FIFA) bei Spielen der oberen Spielklassen in allen deutschen Fußballstadien umgesetzt wird.
        • 2.2.3.4 Schutz vor LSBTIQ*-Feindlichkeit am Arbeitsplatz (Punkt 2.3.4)

          Diskriminierungen bis hin zu Mobbing aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität sind auch am Arbeitsplatz immer noch anzutreffen. Der Bund als Arbeitgeber und Dienstleister muss als positives Beispiel dienen, indem er sich zu einer konsequenten Diversity-Strategie verpflichtet, die LSBTI ausdrücklich einschließt und sich in einem Leitbild zur Akzeptanz und Wertschätzung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowohl der Arbeitnehmenden als auch der Bürger*innen bekennt. Seine Bediensteten, insbesondere die Dienststellen, das Führungspersonal sowie Beauftragte und Personalrät*innen, sollten in Aus-, Fort- und Weiterbildung spezifisch für Vielfalt und LSBTI-Belange sensibilisiert werden. Dies betrifft insbesondere: die Bundesministerien, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundespolizei, die Bundeswehr und die Bundesagentur für Arbeit.

           

          Wir fordern daher folgende zusätzliche Maßnahmen:

          • Staatliche Institutionen, die als Arbeitgeber auftreten, wie Polizei, Verwaltung und Bildungseinrichtungen, gleichen ihre Belegschaft der Zusammensetzung der Bevölkerung an. Eine innerbetriebliche Diskriminierungsbeschwerdestelle muss zur Verfügung stehen. Anonymisierte Bewerbungsverfahren sind ein regelmäßig genutztes Instrument. Führungskräfte, Mitarbeitende sowie Betriebs- und Personalrät*innen werden in Aus-, Fort- und Weiterbildung spezifisch für Vielfalt und LSBTI-Belange sensibilisiert. Außerdem werden Fortbildungen zum AGG durchgeführt. Dies betrifft insbesondere: die Bundesministerien, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundespolizei, die Bundeswehr und die Bundesagentur für Arbeit. Hierzu sollte auch die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung im Bundesministerium des Innern und für Heimat ihre Fort- und Ausbildungsprogramme LSBTI-inklusiv ausgestalten, um die Regenbogenkompetenz der Mitarbeitenden des Bundes zu erhöhen.
          • Es wird eine staatliche Aufsicht eingerichtet, um sicherzustellen, dass Betriebe die Verpflichtung aus dem AGG umsetzen, zum Schutz vor Diskriminierung erforderliche Maßnahmen zu treffen.
          • Wissenschaftliche Analysen bezüglich einer diskriminierenden Praxis im Bereich Beschäftigung werden verstärkt in Auftrag gegeben.
          • Gemeinsam mit dem BMAS wird das BMFSFJ ein Förderprogramm auf den Weg bringen, um LSBTI-Mitarbeitenden-Netzwerke zu unterstützen. Die Strukturen der Deutschen Arbeitgeber*innenkammern, wie zum Beispiel der IHKs, werden genutzt, um Unternehmen stärker zum Thema „Queer am Arbeitsplatz“ zu sensibilisieren.
        • 2.2.3.5 LSBTIQ*-Senior*innenpolitik und Altenhilfe (Punkt 2.3.5)

          Sowohl die Angebote der offenen Altenhilfe als auch die ambulanten und stationären Angebote der Altenpflege sind zumeist nicht für die besonderen Bedürfnisse und Lebenslagen älterer LSBTI ausgerichtet. Demoskopische Erhebungen legen nahe, dass in der heute älteren Generation Vorurteile gegen LSBTI stärker verbreitet sind als in der Gesamtgesellschaft. Der Gefahr von Ausgrenzung, Anfeindung und Diskriminierung von LSBTI muss in allen Bereichen der Altenhilfe und Senior*innenarbeit entgegengewirkt werden. Zugangsbarrieren aufgrund der Lebensgeschichte und Lebenslage müssen abgebaut, ehrenamtliche und professionelle Strukturen ausgebaut, Verantwortliche und Mitarbeitende in Verwaltung und bei den Trägern von Angeboten sensibilisiert werden. Es bedarf einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse auch von älteren LSBTI in allen Bereichen der Senior*innenpolitik und der Altenhilfe.

           

          Für viele ältere LSBTI gehört es zum Alltag, dass sie von anderen nicht so wahrgenommen werden, wie es ihrer Realität entspricht. Dieser Effekt verstärkt sich bei lesbischen, trans* und bisexuellen Frauen, weil die öffentliche Wahrnehmung immer noch stärker auf Männer gerichtet ist. Ihre Interessen und Bedarfe müssen stärker sichtbar gemacht werden. Zudem sind Frauen angesichts des Gender Pay Gaps in Erwerbsbiografien und Entlohnung und des daraus resultierenden Gender Pension Gaps stark von Altersarmut bedroht, was die Selbstbestimmungs- und Teilhabemöglichkeiten einschränkt. Frauenpaare sind von Gender Pay Gap und Pension Gap potenziell doppelt betroffen.

           

          Unter den heute hochbetagten LSBTI, die strafrechtliche Verfolgung sowie staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung erlebt und internalisiert haben, ist der Anteil derer groß, die versteckt leben und beispielsweise in Einrichtungen der Altenpflege „nicht auffallen wollen“.

           

          Sowohl die Angebote der offenen Altenhilfe als auch die ambulanten und stationären Angebote der Altenpflege sind zumeist nicht für die besonderen Bedürfnisse und Lebenslagen älterer LSBTI ausgerichtet. Das gilt besonders für die Bedarfe von alten und älteren trans* und inter* Personen. Die Angebote der Altenhilfe werden deshalb oftmals nicht in Anspruch genommen.

           

          Der Gefahr von Ausgrenzung, Anfeindung und Diskriminierung von LSBTI muss in allen Bereichen der Altenhilfe und Senior*innenarbeit entgegengewirkt werden. Zugangsbarrieren aufgrund der Lebensgeschichte und Lebenslage müssen abgebaut, ehrenamtliche und professionelle Strukturen ausgebaut, Verantwortliche und Mitarbeitende in Verwaltung und bei den Trägern von Angeboten sensibilisiert werden und Selbstvertretungen von queeren Senior*innen gefördert werden.

           

          • Die Interessen und Bedürfnisse auch von älteren LSBTI werden in allen Bereichen der Senior*innenpolitik und der Altenhilfe berücksichtigt, z.B. in der Demografiestrategie der Bundesregierung, beim Altenbericht des BMFSFJ, bei der Förderung von Modellprojekten zu selbstbestimmtem und gemeinschaftlichem Wohnen, bei der Förderung des intergenerativen Dialogs aus dem Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und in der Quartiersarbeit im Rahmen des Programms „Anlaufstellen für ältere Menschen“.
          • Umfassende Konzepte für eine kultursensible, biografieorientierte Versorgung, Pflege und Begleitung von LSBTI sind notwendig. Sie werden in die Aus- und Weiterbildung sowie in die Organisations- und Personalentwicklung in der Altenarbeit und Altenpflege integriert.
          • Bei der Entwicklung der Gemeinsamen Strategie gegen Einsamkeit des BMFSFJ werden besonders LSBTI-Lebensweisen und Identität berücksichtigt und Selbstvertretungen einbezogen.
          • Die Bundesregierung stößt ein Forschungsprojekt zu Anlauf- und Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungserfahrungen von LSBTI und Menschen mit HIV in der offenen sowie in der ambulanten, teil- und vollstationären Altenhilfe, in den Reha-Einrichtungen und Geriatrien an.
          • Das BMFSFJ fördert gemeinsam mit dem BMG und den Ländern den Aufbau und die Weiterentwicklung von überregionalen und regionalen Fach-/Koordinierungsstellen Alter(n) und Pflege von LSBTI und Menschen mit HIV.
          • Das BMFSFJ stellt die Berücksichtigung von LSBTI in bundesweit repräsentativen Quer- und Längsschnittstudien, beispielsweise im Deutschen Alterssurvey, sicher.

           

        • 2.2.3.6 Stärkung der Erinnerungskultur (Punkt 2.3.6)

          Wir begrüßen, dass sowohl die Forschung zur Verfolgung homo- und bisexueller Männer und Frauen in der NS-Zeit als auch darüber hinaus ebenso gestärkt werden soll wie die Sichtbarmachung der LSBTI-Emanzipationsgeschichte. Denn: Erinnerung setzt Wissen voraus. Und: Aus Erinnerung an Vergangenes müssen Konsequenzen für die Gegenwart und Zukunft gezogen werden. Dies gilt auch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, deren Nennung allein unter dem Punkt Stärkung der Erinnerungskultur die Arbeit der Stiftung jedoch nicht allein auf das Erinnern beschränken darf. Wir weisen deshalb ausdrücklich darauf hin, dass die geplante Aufstockung der Mittel für die Stiftung auch weiterhin der Förderung von Bildungs- und Forschungsprojekten zu geschlechtlicher und sexueller Diversität, dem Entgegenwirken einer gesellschaftlichen Diskriminierung von LSBTI in Deutschland und der Förderung der Akzeptanz von LSBTI dienen müssen.

          Ebenfalls begrüßen wir das Vorhaben, anlässlich von LSBTI-Gedenktagen die öffentliche Aufmerksamkeit durch Veranstaltungen und andere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die Situation von LSBTI zu stärken. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag in seiner Gedenkstunde am Tag des Gedenkens an die Opfer des NS am 27.1.2023 erstmals queere Opfer in den Mittelpunkt stellt. Dabei kann es aber nicht bleiben; folgen müssen entsprechende Veranstaltungen auf regionaler und lokaler Ebene, die neben einer ideellen auch einer finanziellen Unterstützung bedürfen.

          Zur Situation von Lesben im Nationalsozialismus sind viele Fragen offen: zu Unterdrückung und Verfolgung und grundlegend zu ihrem Leben in einem „Männerstaat“, der Frauen aus dem öffentlichen Leben drängte, sie ideologisch auf die Mutterrolle festlegte und ihnen zumindest in den ersten Jahren ab 1933 durch Einschränkungen der Berufstätigkeit die eigenständige Existenzsicherung außerhalb einer Ehe erschwerte. Es gilt, Mechanismen und Praktiken von Unterdrückung und Verfolgung zu untersuchen: das bedrängte und eingeschränkte Leben in einer Diktatur, die Selbstorganisation und Möglichkeiten der Selbstartikulation in Medien und Kunst zerschlug und die eine scharfe Sozialkontrolle, unterstützt von der Denunziationsbereitschaft zahlreicher williger Helfer, etablierte. Ebenso nicht ausreichend erforscht sind die Repressionen gegen trans*Menschen.

          Deshalb fordern wir, dass das BMFSFJ gemeinsam mit dem BMBF ein Förderungsprogramm anstößt, um eine entsprechende Forschung zur Verfolgungs- und Unterdrückungsgeschichte von LSBTI in Gedenkstätten zu unterstützen.
          Über den Vorschlag, ein Programm „Jugend erinnert“ hinaus sollten das BMG und das BMFSFJ gemeinsam intergenerative Begegnungen von LSBTI und Menschen mit HIV fördern. Aus diesen Begegnungen wird eine Zeitzeug*innen Dokumentation veröffentlicht, um auf Stigmatisierung und Diskriminierung von LSBTI mit HIV aufmerksam zu machen.

          Wir unterstützen die vorgeschlagenen Maßnahmen und fordern darüber hinaus:

          • Ideelle und finanzielle Unterstützung regionaler und lokaler Veranstaltungen zum Gedenken an die queeren Opfer des Nationalsozialismus aus Bundes- und Landesmitteln
          • BMFSFJ und BMBF stoßen ein Förderprogramm zur Erforschung der Verfolgungs- und Unterdrückungsgeschichte von LSBTI in Gedenkstätten an.
          • BMFSFJ und BMG fördern ein Programm für intergenerative Begegnungen von LSBTI und Menschen mit HIV.
      • 2.2.4 Fehlende Themen
        • 2.2.4.1 Demokratiefördergesetz

          LSBTI-Feindlichkeit ist kein hinzunehmendes Übel, sondern Ausdruck antidemokratischen Denkens. Engagement, Aufklärung und Dialog sind wirksame Gegenmittel. Denn Respekt setzt Wissen vom Anderen und über Verschiedenheit voraus. Der Kampf gegen LSBTI-Feindlichkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen sind aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Bundesprogramme zur Demokratieförderung und zur Prävention von menschenfeindlichen Ideologien wie Rechtsextremismus oder Islamismus müssen die Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit und das Empowerment von LSBTI als Regelthema ausdrücklich ausweisen. Demokratieförderung und zivilgesellschaftliche Arbeit gegen menschenfeindliche Ideologien müssen auf eine solide gesetzliche und finanzielle Grundlage gestellt werden.

           

          Ein erstes Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz wurde im Frühjahr 2022 vorgestellt. Das Papier begründet das Demokratiefördergesetz auch mit der Zunahme von Queerfeindlichkeit, die das friedliche Zusammenleben in unserem Land in besorgniserregender Art und Weise beschädigt. Bei den Themen Empowerment, Intersektionalität und Stärkung der Beratung für Betroffene von Hasskriminalität bleibt der erste Aufschlag deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Die Förderung von intersektional arbeitenden Projekten sowie die Absicherung von bereits erfolgreich arbeitenden Strukturen bleiben unerwähnt. Beides muss klarer als Ziel des Gesetzes benannt werden. Denn besonders Empowerment ist für marginalisierte Gruppen ein Schlüssel zur selbstbewussten und diskriminierungsarmen Teilhabe. All das braucht eine langfristige Absicherung. Nur so wird Demokratie nachhaltig gefördert.

           

          Es ist zu begrüßen, dass mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit 2015 ein entsprechendes Förderinstrument geschaffen wurde, das erstmals ausdrücklich auch die Förderung von Modellprojekten gegen Homophobie und Transfeindlichkeit umfasst. Gleichwohl erfüllt das Programm – wegen seiner unzureichenden rechtlichen Grundlage – die Anforderungen des Abschlussberichts nur inhaltlich, nicht aber strukturell.

           

          • Die Bundesregierung schafft eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Förderung von Maßnahmen für Demokratie, Weltoffenheit und gegen Rassismus.
          • Die Bundesprogramme zur Demokratieförderung, gegen Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden verstetigt und weiter ausgebaut.
          • Das Aufgabenfeld der Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit und des Empowerments von LSBTI wird zukünftig in allen Bundesprogrammen als Regelthema ausdrücklich ausgewiesen.
          • Nationale Aktionspläne und alle Bundesprogramme zur Demokratieförderung, Vielfaltsgestaltung und Extremismus-Prävention werden durch das neue Demokratiefördergesetz kohärent gerahmt. Es ist notwendig, sie zusammenzudenken, zu fördern und intersektional zu betrachten. Nur so können diese Programme und Aktionspläne ihre volle Wirkung entfalten.
        • 2.2.4.2 Medien

          Die Medien stehen in der Verantwortung, LSBTI-Diskriminierung nicht zu befördern, sondern ihr aktiv entgegenzuwirken und dabei Antirassismus, Feminismus und LSBTI-Rechte nicht gegeneinander auszuspielen. Die Bundesregierung sollte sie medienpolitisch darin unterstützen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Printmedien und digitale Medien stehen mit der Freiheit ihrer Berichterstattung unter dem Schutz des Grundgesetzes. Sie haben gleichwohl eine Verantwortung bei der Einhaltung anderer Grundrechte. LSBTI werden in den Medien mitunter herabgesetzt, mit diskriminierenden Begrifflichkeiten als Randgruppe dargestellt und öffentlich unter Druck gesetzt, ihre Existenz zu rechtfertigen. Der in der Regel weitgehend praktizierte Gebrauch rein männlicher Personenbezeichnungen schließt Frauen und weitere Geschlechter sprachlich systematisch aus. Hier müssen Medien ein besseres Sensorium entwickeln.

           

          • Medienschaffende sollten die Darstellung in Wort und Bild von durch LSBTI-Feindlichkeit betroffenen Minderheiten regelmäßig reflektieren und eine die Menschenwürde respektierende Berichterstattung gewährleisten.
          • Die Besetzung von Aufsichtsgremien wie etwa denen der Deutschen Welle sollte die Vielfalt der Bevölkerung Deutschlands angemessen widerspiegeln – auch der Personen(gruppen), die LSBTI-feindliche Diskriminierung erleben. Die Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit ist in den Programmgrundsätzen zu verankern.
          • Zivilgesellschaftliche Initiativen sowie wissenschaftliche Untersuchungen, die zu einer Offenlegung LSBTI-feindlicher Diskurse beitragen sowie Hassrede, Hassmusik und Hetze in sozialen Netzwerken und auf Onlineportalen effektiv entgegenwirken, bedürfen der dauerhaften öffentlichen Finanzierung und Unterstützung.
          • Die heutige Vielfalt unserer Gesellschaft muss sich endlich auch in den Rundfunk- und Fernsehräten abbilden. Alle Staatsverträge und gesetzlichen Grundlagen zu öffentlich-rechtlichen Medien müssen dahingehend überprüft werden, ob die jeweiligen Rundfunk- und Fernsehgremien diese Anforderung erfüllen. LSBTI müssen in diesen Gremien überall angemessen vertreten sein.
    • 2.3 Sicherheit (Punkt 3)
      • 2.3.1 Schutz vor Gewalt, Übergriffen und Anfeindungen, Verbesserung der statistischen Erfassung, bessere Unterstützung, Hilfe und Information für Opfer von Hassrede (Punkte 3.1, 3.2 und 3.3)

        Massivste Ausdrucksform von Homophobie und Transfeindlichkeit ist Hasskriminalität. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen zum Thema legen nahe, dass LSBTI ein deutlich höheres Risiko haben, Opfer von gewalttätigen Attacken zu werden als der Bevölkerungsdurchschnitt. In Deutschland bestehen eklatante Forschungslücken im Hinblick auf LSBTI-feindliche Hasskriminalität. Es müssen Untersuchungen in Auftrag gegeben werden, um empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sowie belastbare Erkenntnisse über den Umgang von Polizei und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität zu erlangen. Erforderlich ist ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTI-feindliche Gewalt, das neben kriminologischer Forschung und Rechtstatsachenforschung auch die Entwicklung zielgenauer Konzepte zu Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen zum Gegenstand hat.

         

        Im Strafgesetzbuch müssen ausdrücklich auch LSBTI-feindliche Motive benannt werden. Denn alle Erfahrung zeigt: Wenn homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Gesetz benannt ist, werden diese Motive in der Praxis der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen und damit auch bei der Strafzumessung kaum Beachtung finden. Nur ein Bruchteil LSBTI-feindlicher Hasskriminalität wird angemessen registriert und klassifiziert. Notwendig ist daher eine Reform der polizeilichen Erfassungssysteme, damit LSBTI-feindliche Hasskriminalität in ihren realen Ausmaßen gesellschaftlich sichtbar wird.

         

        Hasspropaganda schürt ein Klima der Gewalt. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie gilt auch für Meinungen, die wir klar ablehnen. Aber alle, die andere menschenverachtend beleidigen, zur Gewalt aufrufen und Menschen bedrohen, müssen rechtlich belangt werden. Geltendes Recht muss konsequent gegen strafbare Inhalte im Internet angewandt werden. Wir fordern hierfür mehr staatliches Engagement durch gute Ausstattung von Polizei und Justiz. Auch müssen die Anbieter stärker in die Pflicht genommen werden hinsichtlich zeitnaher Löschung rechtswidriger Inhalte und verbesserter Auskunftspflichten gegenüber den Behörden. Feindlichkeit gegen LSBTI darf dabei nicht ignoriert oder verharmlost werden. So sind in der Theorie auch LSBTI gesetzlich vor Volksverhetzung geschützt. Die Praxis sieht aber anders aus. Im einschlägigen Straftatbestand (§ 130 StGB) werden als mögliche Ziele von Volksverhetzung nur „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe(n)“ ausdrücklich hervorgehoben, LSBTI aber nicht genannt. Das führt mit dazu, dass es trotz massiver Hetze in diesem Bereich kaum ernsthafte Ermittlungen und nur sehr wenige Verurteilungen wegen Volksverhetzung gibt. Hier ist eine ergänzende Klarstellung im Gesetz erforderlich. Das gilt ebenso für § 192a StGB (verhetzende Beleidigung), der um geschlechtsspezifische Hassgewalt zu ergänzen ist.

         

        Von LSBTI wird immer wieder von Erfahrungen mit Herabwürdigung und Schuldumkehr durch die Polizei berichtet, die LSBTI davon abhalten, Gewalttaten zu melden. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren regelmäßig die Praxis der Polizei in polizeilichen Pressemeldungen. Die Wortwahl gegenüber LSBTI ist in vielen Fällen vorurteilsbeladen, wenn z.B. bei homophoben Gewalttaten von Straftaten im „Homosexuellen-Milieu“ gesprochen wird oder wenn das Geschlecht von Trans*Personen falsch benannt wird.

         

        Zusätzlich zum bereits vorgesehenen Maßnahmenkatalog, den wir sehr unterstützen, halten wir folgende Maßnahmen für notwendig:

        • Die Bundesregierung wird einen Regelungsvorschlag zur klarstellenden Ergänzung von § 130 StGB um LSBTI-feindliche Hasspropaganda und zur Ergänzung von § 192a StGB um geschlechtsspezifische Hassgewalt vorlegen.
        • Forschungsprojekte zu Ausmaß und Erscheinungsformen LSBTI-feindlicher Hassgewalt sowie über den Umgang von Polizei und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität werden gefördert.
        • Die Diskurs- und Kritikfähigkeit (Fehlerkultur) bei der Polizei wird gestärkt. Die Polizei erhält zusätzliche Ausbildung und Coaching für eine vorurteils- und diskriminierungsfreie Polizeiarbeit, wie dies in den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses vorgeschlagen wurde. Es werden unabhängige Beschwerdestellen zur Untersuchung von polizeilichem Fehlverhalten eingerichtet.
        • Eine bundesweit arbeitende Meldestelle für LSBTI-feindliche Hasskriminalität wird eingerichtet. Diese Meldestelle kann nicht nur die Daten aus den Ländern zusammenführen, sondern auch gemeinsam mit ähnlichen Projekten in den Bundesländern (bspw. Berlin, NRW) die Sensibilität erhöhen und entsprechende Module an der Deutschen Hochschule der Polizei anbieten.
        • Schutzkonzepte und Zufluchtsräume speziell für trans* und inter* Personen werden entwickelt, die auch den Bedürfnissen von kranken, behinderten und LSBTI of Color Rechnung tragen. Erfahrung von Mehrfachdiskriminierung und intersektionale Perspektiven werden bei allen Schutzkonzepten berücksichtigt.
      • 2.3.2 Gewaltschutz für geflüchtete LSBTIQ* (Punkt 3.4)

        Es braucht das Recht auf eine unabhängige Rechtsberatung sowie verbindliche und wirksame Schutzkonzepte für LSBTI in Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Residenzpflichten wie Wohnsitzauflagen können gerade für vulnerable Gruppen wie LSBTI-Geflüchtete eine Bedrohung darstellen. Hier bedarf es gesetzlicher Änderungen.

         

        Unterbringung, Versorgung und Betreuung von asylsuchenden Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*-, Inter*- und queeren Menschen muss so organisiert werden, dass es nicht zu Anfeindungen, Einschüchterungen und Diskriminierungen kommt. Das gilt für die Situation in Unterkünften genauso wie in deren Umfeld.

         

        Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen nicht weit genug. Wir schlagen vor:

        • Ein Bund-Länder-Dialog über die Verbesserung der Situation von LSBTI-Geflüchteten wird initiiert. Teil des Dialogs wird die Schaffung geeigneter Schutzeinrichtungen sowie die Implementierung eines Konzepts zur Erkennung besonderer Schutzbedarfe sein.
        • Schulungsangebote für Unterbringungseinrichtungen zum Umgang mit LSBTI-Geflüchteten werden gefördert.
        • Schulungsmaßnahmen für Anbieter von Integrationskursen zur Behandlung von LSBTI-Themen in Integrationskursen werden gefördert.
      • 2.3.3 Häuslichen Gewalterfahrungen von LSBTIQ* begegnen (Punkt 3.5)

        Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Wir schlagen darüber hinaus folgende Maßnahmen vor:

        • Zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Verbände der queeren Selbstvertretung und dem Anti-Gewalt-Bereich werden bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention einbezogen.
        • Die Bundesregierung initiiert einen Bund-Länder-Dialog zur Förderung von Sensibilisierungs- und Fortbildungsangeboten für Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen.
        • Die Bundesregierung fördert gemeinsam mit den Bundesländern den Auf- und Ausbau von Krisenwohnmöglichkeiten für LSBTI, die von häuslicher Gewalt, beispielsweise durch Familienangehörige, betroffen sind – sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene und Senior*innen. Bestehende Angebote werden dabei unterstützt, ihre Angebote LSBTI-inklusiv auszugestalten und auch die Bedarfe von trans*, inter* und nichtbinären Personen zu berücksichtigen.
      • 2.3.4 Schutz jugendlicher LSBTIQ* vor sexualisierter Gewalt (Punkt 3.6)

        Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Wir schlagen darüber hinaus folgende Maßnahmen vor:

        • Anlaufstellen und Beratungsstrukturen für LSBTI Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, werden durch bundesweite Vernetzung gestärkt. Die bestehenden Regelstrukturen werden zum professionellen und diskriminierungsfreien Umgang mit LSBTI Lebensweisen und Identitäten fortgebildet.
        • Empirische Forschungsvorhaben zur Prävention und zu den Folgen von sexualisierter Gewalt bei LSBTI Jugendlichen werden initiiert und gefördert.
      • 2.3.5 Gewaltschutz für LSBTIQ* in Gefängnissen (Punkt 3.7)

        Wir unterstützen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Insbesondere inter* und trans* Personen in Haft sind mit Ausgrenzungen und untragbaren Situationen konfrontiert. Daneben gibt es besondere medizinische und therapeutische Bedarfe von LSBTI, deren Gewährleistung sichergestellt werden muss.

         

        Daher schlagen wir ergänzend folgende Maßnahmen vor:

        • Der Zugang zu notwendigen medizinischen und therapeutischen Behandlungen nach dem höchsten verfügbaren fachlichen Standard für LSBTI Personen in Haft wird gewährleistet.
        • Die Achtung der geschlechtlichen Selbstdefinition von trans* und inter* Personen in Haft in allen Belangen wird sichergestellt.
    • 2.4 Gesundheit (Punkt 4)
      • 2.4.1 Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von LSBTIQ* (Punkt 4.1)

        Das Verhältnis der Medizin zu LSBTI ist historisch durch Pathologisierung und Paternalismus auf der einen, sowie leidvolle Erfahrung und Misstrauen auf der anderen Seite geprägt. Psychologie und Medizin sowie alle im Gesundheitswesen tätigen Menschen, Organisationen und Institutionen sollten LSBTI vorurteilsfrei gegenüberzutreten. Wenn diese bei einem Praxisbesuch negative Reaktionen oder gar medizinische Gewalt befürchten müssen, dann beeinträchtigt das die gesundheitliche Versorgung massiv. Die historische und bis in die Gegenwart anhaltende Stigmatisierung und (Psycho-) Pathologisierung von LSBTI hat nachhaltige psychosoziale Folgen für die Betroffenen. Dies gilt insbesondere auch für Menschen mit HIV, die nach wie vor einer erheblichen Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Die Aufarbeitung der Pathologisierungsgeschichte von Homosexualität sowie die gesellschaftliche Rehabilitierung und finanzielle Entschädigung der Opfer von (Psycho-)Pathologisierung und medizinischer Gewalt sollte vorangetrieben werden.

         

        In Deutschland können die meisten Menschen mit einer HIV-Infektion dank der medizinischen Fortschritte und Versorgung inzwischen ein gutes und selbstbestimmtes Leben führen. HIV-Medikamente verhindern auch eine HIV-Übertragung. Selbstbewusst, offen und ohne Angst vor Ausgrenzung leben zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Prävention und Therapie.

         

        Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Gleichberechtigung und volle gesellschaftliche Teilhabe. Mit dem 2009 in Kraft getretenen UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist dafür eine wichtige menschenrechtliche Grundlage geschaffen. Auch für LSBTI mit Behinderungen muss diese UN-Konvention volle Geltung im Alltag erlangen. Sie haben Anspruch auf Achtung ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität sowie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die frei gewählte Lebensweise. Voller Diskriminierungsschutz muss in allen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen gelten. Für LSBTI mit Behinderungen ist es daher wichtig, dass beides für sie ermöglicht wird: die Chance, in den eigenen vier Wänden oder in anderen selbstbestimmten Wohnformen wohnen zu können und dafür im Bedarfsfall ausreichende Unterstützung zu erhalten, aber ebenso die Gewissheit, in Einrichtungen der Behindertenhilfe offen und diskriminierungsfrei leben zu können. Träger und Verbände müssen entsprechend sensibilisiert werden und Fachkräfte dafür geschult sein.

         

        Studien und Forschung über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTI fehlen nach wie vor. Die Erstellung eines gruppenspezifischen Berichts zur gesundheitlichen Lage von LSBTI in Deutschland als konkrete Handlungsanleitung für zielgruppensensible Gesundheitsförderung unter Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven ist notwendig.

        • Die Aufklärungsarbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird LSBTI-inklusiv gestaltet.
        • Die Bundesregierung ergreift Maßnahmen zum Aufbau einer barrierefreien gesundheitlichen Versorgung für wohnungslose und geflüchtete LSBTI als besonders vulnerable Gruppen.
        • Für LSBTI mit Behinderungen wird die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vollständig umgesetzt. Sie haben Anspruch auf Achtung ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität sowie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die frei gewählte Lebensweise. Voller Diskriminierungsschutz muss in allen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen gelten. Träger und Verbände für Menschen mit Behinderungen werden entsprechend sensibilisiert und Fachkräfte dafür geschult.
        • Die Finanzierung von Angeboten für LSBTI-Sexarbeiter*innen wird gestärkt. Gewaltschutzkonzepte werden in Zusammenarbeit mit Initiativen, die LSBTI-Sexarbeiter*innen vertreten, entwickelt.
      • 2.4.2 Vollständige Zulassung von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM), und trans Menschen zur Blutspende (Punkt 4.2)

        Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Abschaffung der Diskriminierung von homo- und bisexuellen Männern und trans* Personen.

      • 2.4.3 Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen (Punkt 4.3)

        Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Bei einer Novellierung des Gesetzes ist insbesondere das Schutzalter hochzusetzen bzw. gänzlich abzuschaffen. Zudem ist klarzustellen, dass das Gesetz auch nichtbinäre Identitäten schützt (BVerfGE v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16).

         

        Zusätzlich halten wir folgende Maßnahme für erforderlich:

        • In der Öffentlichkeit wird breit über die Gefährlichkeit sogenannter Konversionsangebote aufgeklärt. Es werden Maßnahmen für eine gesellschaftliche Ächtung dieser Angebote ergriffen.
      • 2.4.4 Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (sog. OP-Verbot) (Punkt 4.4)

        Inter* Personen erleben das Gesundheitswesen oft als Ort der Gewalt. Wir begrüßen daher die vorgeschlagenen Maßnahmen. Wir weisen darauf hin, dass die Entschädigung von inter* Personen, die ohne ihre Einwilligung als Minderjährige geschlechtsverändernd operiert worden sind, gesondert geregelt werden sollte und nicht gemeinsam mit dem Selbstbestimmungsgesetz, welches Entschädigungen für Zwangsmaßnahmen nach dem TSG-Verfahren enthalten soll.

         

        Wir schlagen zusätzlich folgende Maßnahmen vor:

        • Die Verjährungsfristen für Verletzungen der geschlechtlichen Selbstbestimmung (§ 199 StGB) und der Aufbewahrungspflicht für Patient*innenakten (§ 630 f. Abs. 3 BGB) werden deutlich verlängert.
        • Es wird ein bundeszentrales Register zur Erfassung aller genitalverändernden Behandlungen an Kindern, die nicht selbst einwilligungsfähig sind, geschaffen, um eine lückenlose Evaluation und Zugriff für die betroffenen Personen bis zum vollendeten 48. Lebensjahr zu gewährleisten.
      • 2.4.5 Trans*- und inter* spezifische Gesundheitsversorgung sicherstellen (Punkt 4.5)

        Trans* Personen wird eine bestmögliche physische und seelische Gesundheit oftmals unmöglich gemacht. Die Psychopathologisierung von Transidentitäten und entwürdigende Zwangsbegutachtungen müssen abgeschafft werden. Trans* Personen müssen das Recht haben, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Die oft langwierigen Verfahren bei den Krankenkassen zur Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen und Operationen müssen durch entsprechende Richtlinien vereinfacht, beschleunigt und vereinheitlicht werden. Eine flächendeckende Versorgungsstruktur sowie ausreichende Fachkenntnisse und Sensibilität für trans* und inter* auf Seiten der Gesundheitsdienstleistenden einschließlich Hebammen, Beschäftigten in Krankenkassen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Pflegepersonal, muss gewährleistet werden.

         

        Die Aufarbeitung der Pathologisierungsgeschichte von Inter- und Transgeschlechtlichkeit sowie die gesellschaftliche Rehabilitierung und finanzielle Entschädigung der Opfer von (Psycho-)Pathologisierung und medizinischer Gewalt sollte vorangetrieben werden.

         

        Im Fall von trans* Personen wird das Erreichen bestmöglicher physischer und seelischer Gesundheit durch das in der Praxis in unzulässiger Weise mit der Psychopathologisierung von Transidentität verknüpfte Transsexuellengesetz (inkl. der Zwangsbegutachtung), starre unzugängliche und am Bedarf vorbeigehende Richtlinien der medizinischen Behandlung und Begutachtung (inkl. Zwangspsychotherapien), die verspätete oder Nichtgewährung notwendiger Gesundheitsleistungen durch Krankenkassen, belastende und zum Teil diskriminierend und fachlich fehlerhaft durchgeführte Pflichtbegutachtungen durch den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), das Fehlen einer flächendeckenden Versorgungsstruktur sowie unzureichende Fachkenntnisse oder diskriminierendes Verhalten auf Seiten der Gesundheitsdienstleistenden verhindert.

         

        • Die Begutachtungsanleitung „Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“ des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) vom 19.05.2009 wird abgeschafft oder in Zusammenarbeit mit trans* Verbänden menschenrechts- und medizinethisch basiert sowie an fachlicher Evidenz orientiert aktualisiert. Eine transitionsspezifische Gesundheitsversorgung, die sich an den S3-Leitlinien orientiert, wird sichergestellt.
        • Die Festschreibung der Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen (SGB V Kap. 3 Abschn. 5) zu bedarfsgerechten geschlechtsangleichenden Maßnahmen (u. a. Hormontherapie, Epilation, Mastektomie, Stimmtherapie, Brustaufbau, geschlechtsangleichende Genital-Operationen, Genitalepithesen, Facial Feminization, Haartransplantationen) wird gewährleistet.
        • Die flächendeckende Versorgung durch LSBTI-sensible, insbesondere inter*- und trans*-Kompetenz vermittelnde Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gesundheitsdienstleister*innen – einschließlich Hebammen, Krankenkassen-beschäftigten, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Pflegepersonal – wird gewährleistet.
        • Nationale Kompetenzzentren zu Trans- und Intergeschlechtlichkeit unter Federführung von trans*- und inter*-Selbstorganisationen und in Kooperation mit medizinisch-beraterischen Expert*innen werden aufgebaut. Ihre Aufgabe ist es, Bundes- und Ländereinrichtungen zu beraten und Leitfäden zu erstellen.
        • Der Zugang zu Peer-Beratung, Aufklärung über ihre Selbstbestimmungsrechte und – im Fall gewünschter oder notwendiger Behandlungen – eine umfassende medizinische Information wird für inter* Jugendliche gewährleistet.
        • Menschenrechtsverletzungen an inter* Personen, die im Säuglings-, Kindes- oder Jugendalter ohne die vorherige, freie und vollständig informierte Einwilligung nicht-überlebensnotwendigen medizinischen Behandlungen, insbesondere Sterilisierungen, unterzogen wurden, werden aufgearbeitet. Menschenrechtsverletzungen an Jugendlichen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks menschenrechtswidrig in Psychiatrien und ähnliche Einrichtungen eingewiesen wurden, werden gleichermaßen aufgearbeitet.
        • Eine gesundheitliche Versorgung, die auf die tatsächlichen gesundheitlichen Bedürfnisse von inter* Personen eingeht und deren Selbstbestimmung achtet, wird gewährleistet.
        • Die Aufarbeitung der Pathologisierungsgeschichte von Inter- und Transgeschlechtlichkeit sowie die gesellschaftliche Rehabilitierung und finanzielle Entschädigung der Opfer von (Psycho-)Pathologisierung und medizinischer Gewalt wird vorangetrieben.
        • Maßnahmen zur Förderung bzw. Gewährleistung sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung von trans* und inter* Personen mit Behinderung werden ergriffen.
      • 2.4.6 Förderung von Reproduktionsmedizin bei gleichgeschlechtlichen Paaren (Punkt 4.6)

        Wir begrüßen die vorgeschlagene Maßnahme zur Kostenübernahme bei künstlicher Befruchtung ausdrücklich. Bei der Kostenübernahme sind nicht nur gleichgeschlechtliche cis-weibliche Paare, sondern auch trans*, inter* und nichtbinäre Eltern zu berücksichtigen.

         

        Darüber hinaus sind jedoch weitere Maßnahmen erforderlich:

        • Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf vorlegen, der klarstellt, dass die assistierte Reproduktion allen Menschen unabhängig von Familienstand und sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität offensteht.
        • Die Bundesregierung setzt zeitnah die im Koalitionsvertrag vorgesehene Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die u.a. Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.
        • Der Zugang zur Kostenübernahme für Kryokonservierung vor Beginne einer Hormonbehandlung bei trans*, inter* und nichtbinären Personen wird erleichtert. Die entsprechende Richtlinie wird diesbezüglich angepasst.
    • 2.5 Stärkung von Beratungs- und Communitystrukturen (Punkt 5)

      Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung von Beratungs- und Communitystrukturen.

       

      Auch die Beratung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) muss gestärkt werden. Diese ist mit dem Mandat ausgestattet, Menschen mit Diskriminierungserfahrung zu beraten, Studien durchzuführen und Öffentlichkeitsarbeit zu gewährleisten. Eine Stelle auf Bundesebene ist aus zivilgesellschaftlicher Perspektive nicht ausreichend und die Zugangsmöglichkeiten für Betroffene sind unzureichend. Internationale Menschenrechtsgremien empfehlen Deutschland, die ADS mit der Zuständigkeit zur Untersuchung individueller Beschwerden und zur Einleitung gerichtlicher Verfahren zu beauftragen.

       

      • Ein unabhängiges, flächendeckendes und ortsnahes Beratungsangebot bezüglich Diskriminierung muss aufgebaut und durch eine öffentliche Finanzierung gefördert werden.
      • Die Befugnisse der ADS werden erweitert mit einem Mandat, auch bei Diskriminierungsvorkommnissen staatlichen Handelns Beratung anbieten zu können und durch die Gewährleistung von Unabhängigkeit in Anlehnung an das Deutsche Institut für Menschenrechte.
    • 2.6 Internationales (Punkt 6)

      In rund 70 Staaten wird Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt, in einigen Ländern sogar mit der Todesstrafe bedroht. Vielerorts sind staatliche Behörden an der Unterdrückung von LSBTI beteiligt, verweigern ihnen jeglichen Schutz vor Anfeindungen und Gewalt. In vielen Fällen schüren religiöse und politische Führer ein Klima des Hasses. LSBTI sollen eingeschüchtert und in die Unsichtbarkeit gedrängt werden. Verfolgung und Ausgrenzung, oft auch durch die eigene Familie, führt häufig zu bitterer Armut und einem Leben am Rand der Gesellschaft. Homophobe und transfeindliche Gewalttaten bleiben vielerorts ungeahndet, Polizei und andere Staatsorgane verweigern oftmals jede Hilfe oder sind selbst an der Hetze, Erpressung und Gewalt beteiligt.

       

      Auch in Europa schlägt LSBTI Menschen Hass entgegen. In einigen Staaten wurden Gesetze gegen angebliche „Propaganda von Homosexualität“ erlassen, die LSBTI in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit zwingen wollen und ihnen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit absprechen. Deutschland hat aus seiner Geschichte heraus eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen an LSBTI entschieden entgegenzutreten. Das LSBTI-Inklusionskonzept für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit muss konsequent beachtet, umgesetzt, evaluiert und angepasst werden. Die Bundesministerien, Deutschen Botschaften, die auswärtigen Kulturinstitute, etwa die Goethe-Institute, mit Steuergeldern finanzierte Stiftungen und Organisationen oder die Deutsche Welle sollen aktiv und nachhaltig die Menschenrechte von LSBTI und LSBTI-Menschenrechtsverteidiger*innen in aller Welt stärken.

       

      Seit der Machtübernahme der Taliban haben LSBTI in Afghanistan keine Existenzberechtigung. Das bei Aufnahmezusagen im Rahmen des sog. Brückenprogramms geforderte tätigkeitsbezogene Kriterium der Menschenrechtsverteidigung schließt LSBTI jedoch faktisch von der Aufnahme in Deutschland aus. Unter den bisherigen Aufnahmezusagen bewegen sich LSBTI-Afghan*innen im Promillebereich, trotz der von LSBTI-Organisationen eingereichten Listen mit Hunderten von gefährdeten Menschen. LSBTI sind eine der am meisten gefährdeten Personengruppen und dürfen bei den bestehenden Aufnahmemöglichkeiten nicht ignoriert werden.

       

      Wir begrüßen die vorgeschlagenen Maßnahmen und schlagen folgende zusätzliche Maßnahmen vor:

      • Die Bundesregierung wird LSBTI-Afghan*innen bei Aufnahmezusagen im Rahmen des Brückenprogramms und des Bundesaufnahmeprogramms adäquat berücksichtigen. Sie stellt sicher, dass die Aufnahmekriterien durch LSBTI-Afghan*innen erfüllbar sind. Es wird weder ein tätigkeitsbezogenes Merkmal (Menschenrechtsaktivismus) noch bereits erlebte Gewalt oder Folter zur Voraussetzung für Aufnahmezusagen gemacht.
      • Die Bundesregierung reflektiert die Verantwortung für die Kolonialgeschichte und Missionsgeschichte – wie im LSBTI-Inklusionskonzept in Punkt 1.5 formuliert. Sie ist ein handlungsleitender Aspekt. Forschungen zu diesem Themenbereich werden insbesondere in den Partnerländern gefördert.
      • Im Rahmen der ERC, der UN, der EU und anderer multilateraler Strukturen wirkt die Bundesregierung darauf hin, dass die jüngsten Fortschritte in der Menschenrechtsgewährung für LSBTI-Personen und Frauen erhalten bleiben und es keine Rückschritte gibt.
      • Erforderlich ist eine strukturell nachhaltige Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsarbeit für LSBTI, wie sie beispielsweise die „Hirschfeld-Eddy-Stiftung“ im Globalen Süden und Osteuropa leistet. Spezifische Vulnerabilitäten und Mehrfachdiskriminierung sind besonders zu berücksichtigen.
      • Im Rahmen einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik werden LSBTI-Projekte mit konkreten Mitteln unterlegt.
      • Die Bundesregierung verpflichtet sich, die Mittel, die sie für LSBTI-Projekte im Globalen Süden und Osteuropa aufbringt, auf mindestens 0,3 Prozent der Gesamtsumme der öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.
      • In Wirtschaftsdelegationen wird auf die menschenrechtliche Relevanz von Verfolgung und Diskriminierung von LSBTI-Personen hingewiesen. Ein Vorenthalten der Menschenrechte von LSBTI-Personen steht auch wirtschaftlichen Interessen Deutschlands entgegen.