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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD)

Am 24.10.2022 hat der LSVD Stellung genommen zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für ein Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 11.10.2022.

Sehr geehrte Mitglieder der Arbeitsgruppe M4 Asylrecht und Asylverfahren,

der LSVD bedankt sich für die Gelegenheit, zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat Stellung zu nehmen.

Wir weisen vorab darauf hin, dass eine Frist von zwölf Tagen für die Abgabe einer Stellungnahme sehr kurz bemessen ist. Insbesondere für zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die häufig ehrenamtlich arbeiten, stellen solch kurze Fristen hohe bzw. unüberwindbare Hürden für die Abgabe einer Stellungnahme dar. Wir bitten darum, bei künftigen Beteiligungen eine Frist von wenigstens drei, besser vier Wochen vorzusehen.

Wir sehen den Gesetzentwurf an vielen Stellen kritisch. Wenn auch das Bedürfnis nach einer Entlastung von Behörden und Gerichten verständlich ist, ist eine Beschleunigung der Asyl(gerichts)verfahren durch eine Beschneidung von Betroffenenrechten aus unserer Sicht der falsche Weg.

1. Grundsätzliche Problematik des Gesetzentwurfs: Beschleunigung auf Kosten der Qualität

Die Beschleunigung von Entscheidungen in Asylprozessen steht im Koalitionsvertrag. Dort steht allerdings auch: Asylverfahren müssen fair und rechtssicher ablaufen. Verwaltungsgerichte sollen durch qualitativ hochwertige Entscheidungen des BAMF entlastet werden. Die Gewährleistung von Fairness und Rechtssicherheit lassen sich im vorliegenden Entwurf allerdings vermissen. Dieser konzentriert sich überwiegend auf Beschleunigung und lässt die Qualität der Asyl(gerichts)entscheidungen dahinter zurücktreten.

Das Interesse an zügigen Asylentscheidungen und an einer Entlastung von Behörden und Gerichten darf nicht auf Kosten der Rechte geflüchteter Menschen auf ein faires Asylverfahren gehen. Geflüchtete fürchten nicht selten massive Verfolgungshandlungen bis hin zu Folter und Tod in ihren Herkunftsländern. Wenn jemand von Verfolgung, Folter und Tod bedroht ist, hat das stets Vorrang vor jeder Verfahrensbeschleunigung. Ein Gesetz zur Beschleunigung von Asyl(gerichts)verfahren muss dies im Blick haben.

2. Positiv zu bewertende Änderungen

2.1 Die Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung begrüßen wir (§ 12a AsylG-E). Um die Qualität der Beratung sicherzustellen, müssen ausreichend Haushaltsmittel bereitgestellt werden, die fest im Bundeshaushalt verankert sein müssen. Der Umfang der Haushaltsmittel muss groß genug sein, um einen angemessenen Beratungsschlüssel von maximal 1:150, Sprachmittlung, Maßnahmen der Qualitätssicherung und eine koordinierende Fachbegleitung durch Verbände zu gewährleisten. Die eingesetzten Asylverfahrensberater*innen müssen über ein hohes Maß an Qualifikation verfügen sowie hinsichtlich besonderer Schutzbedarfe und etwaiger Traumata ausgebildet und sensibilisiert sein. Eine qualitativ hochwertige, niedrigschwellige und flächendeckende behördenunabhängige Beratung entlastet die Behörden und Gerichte, indem sie u.a. die Stellung aussichtsloser Asylanträge verringert und die Qualität der Asylbescheide erhöht.

An dieser Stelle weisen wir jedoch auch darauf hin, dass die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung nach § 12a AsylG-E nicht deckungsgleich ist mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag vorgesehenen besonderen Rechtsberatung für queere Verfolgte. Diese muss ebenfalls im Gesetz verankert werden, und zwar so, dass ihr besonderer Charakter deutlich wird. Denn: Die Vulnerabilität von LSBTI geht mit spezifischen Bedarfen einher, die nur durch eine möglichst flächendeckende Rechtsberatung durch LSBTI Organisationen gedeckt werden können.

LSBTI-Geflüchtete haben in der großen Mehrzahl ein Leben lang vermittelt bekommen, dass sie Verbrecher*innen, Perverse, Kranke, Sünder*innen und eine Schande für ihre Familien und ihre Gesellschaft sind. Sich gegenüber Regelstrukturen – seien sie nun staatlich (BAMF, Landesbehörden) oder in freier Trägerschaft (z.B. Caritas, Diakonie) – als LSBTI zu erkennen zu geben, stellt für sie in den Wochen und Monaten unmittelbar nach der Ankunft eine oft unüberwindliche Hürde dar. Häufig sind Geflüchteten-Angebote von LSBTI-Beratungsstellen, wie es sie bereits in zahlreichen Städten gibt, die einzige Chance auf einen Zugang zu entsprechender Versorgung. LSBTI-Anlaufstellen sind oft der erste Ort, an dem sich queere Geflüchtete outen und damit ihre Bedarfe identifizierbar werden.

LSBTI-Beratungsstellen leisten somit durch ihre Beratungs- und Gruppenangebote bereits jetzt einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, zusätzlich zur Reform der Asylverfahrensberatung auch die Einführung einer „besonderen Rechtsberatung für queere Verfolgte“ vorzunehmen. Aus unserer Sicht heißt „besonders“ in diesem Kontext explizit nicht, dass LSBTI-Geflüchtete im angebotenen Leistungsumfang gegenüber hetero- bzw. cisgeschlechtlichen Antragsteller*innen bevorteilt werden, sondern dass ihre Beratung durch spezialisierte LSBTI-Beratungsstellen stattfindet. Nur so kann ihre Qualität sichergestellt werden – der direkte Lebensweltbezug der meisten LSBTI-Fachberatungsstellen ist notwendige Voraussetzung für den erforderlichen schnellen Vertrauensaufbau. Eine hohe Qualität der Beratung wiederum sorgt für qualitativ hochwertigere Entscheidungen des BAMF und damit für eine Entlastung der Gerichte. Nach unserem Verständnis geht die besondere Rechtsberatung für queere Geflüchtete über die Beratung zum Asylverfahren hinaus und umfasst auch die Rechtsberatung zu anderen spezifischen LSBTI-Themen wie zB. Fragen zur Gesundheitsversorgung, zur rechtlichen und medizinischen Transition usw.

2.2 Sinnvoll und notwendig ist die geplante Einführung einer Sicherheitsüberprüfung für Personen, die für das BAMF tätig werden sollen (§ 5 Abs. 6 AsylG-E). Diese Personen haben Zugriff auf große Bestände sensibler personenbezogener Daten, die bei LSBTI-Geflüchteten auch die verfassungsrechtlich besonders geschützte Intimsphäre umfassen. Diese Informationen können für die Geflüchteten und ihre Angehörigen hoch gefährlich sein, wenn sie in falsche Hände geraten oder zB. an Verfolgerstaaten weitergegeben werden. Die obligatorische Sicherheitsüberprüfung kann dabei helfen, potenziell gefährliche Personen mit demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungen rechtzeitig zu identifizieren und das berechtigte Interesse geflüchteter Personen an einer vertraulichen Behandlung ihrer sensiblen Daten zu schützen.

2.3 Zu begrüßen ist zudem, dass die bisherige obligatorische Regelüberprüfung nach drei Jahren ersatzlos gestrichen und eine Überprüfung nur noch anlassbezogen durchgeführt werden soll (§ 73b AsylG-E). Dies gewährleistet eine Verfahrensbeschleunigung, ohne die Rechte von Geflüchteten zu beschneiden.

2.4 Wir begrüßen, dass LSBTI-Geflüchtete in der Gesetzesbegründung ausdrücklich von der Möglichkeit der Video-Anhörung und Video-Dolmetschung ausgenommen werden (§ 17 Abs. 3 und § 24 Abs. 1 AsylG-E). Aus unserer Sicht wäre es höchst problematisch, wenn von LSBTI-Geflüchteten verlangt würde, intime persönliche Daten über ihr Sexualleben und erlittene geschlechtsspezifische Verfolgung per Videoübertragung gegenüber staatlichen Institutionen preiszugeben. Aus unserer Sicht ist jedoch notwendig, dass der Ausnahmecharakter der Video-Anhörung und der Video-Dolmetschung ausdrücklich im Gesetzestext verankert wird.

3. Kritik an den geplanten Reformen zur Beschleunigung asylrechtlicher Gerichtsverfahren

3.1 Problematisch erscheint uns die vorgesehene Erweiterung der Revisionsmöglichkeit für asyl-, abschiebungs- und überstellungsrelevante Tatsachenfragen (§ 78 Absatz 8 AsylG-E). Zwar begrüßen wir Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung und für größere Rechtsklarheit grundsätzlich. Die Erweiterung der Revisionsmöglichkeit auf Tatsachenfragen ist dafür jedoch aus unserer Sicht ungeeignet.

Es ist bereits zweifelhaft, ob eine höchstrichterliche Klärung von asyl-, abschiebungs- und überstellungsrelevante Tatsachenfragen überhaupt zu einer Beschleunigung führen würde. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann immer nur eine Momentaufnahme sein, die die Auslandslage zum Zeitpunkt der Entscheidung widerspiegelt. Sie sagt nichts darüber aus, wie die Lage im betreffenden Staat im nächsten Monat, im nächsten Jahr oder in fünf oder zehn Jahren sein wird. Anders als bei Rechtsfragen können sich asyl-, abschiebungs- und überstellungsrelevante Tatsachenfragen oft und schnell ändern. Der Nutzen einer solchen Tatsachenklärung durch das Bundesverwaltungsgericht für die nachfolgenden Entscheidungen der Behörden und Gerichte ist daher zweifelhaft. Diese sind, wie die Gesetzesbegründung selbst betont, ohnehin weiterhin angehalten, die asyl-, abschiebungs- und überstellungsrelevante Tatsachenfragen in jedem Einzelfall zu prüfen und tagesaktuell zu erfassen. Hinzu käme der zusätzliche Begründungsaufwand, wenn von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen wird. Bei veränderter Tatsachenlage wäre jede Behörde und jedes Gericht zu einer abweichenden Entscheidung angehalten, wodurch es erneut zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung käme. Insofern ist der Mehrwert einer solchen Revisionsmöglichkeit als gering einzuschätzen.

Gleichzeitig besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass die Erweiterung der Revision auf Tatsachenfragen zu inhaltlich falschen Entscheidungen von Behörden und Gerichten führen wird. Wir sehen das reale Risiko, dass sich Behörden und Gerichte auf die Tatsachenentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts berufen werden, ohne die Tatsachenfragen erneut mit der nötigen Sorgfalt tagesaktuell und einzelfallbezogen zu prüfen. Eine Entscheidung über Tatsachen durch das Bundesverwaltungsgericht birgt die Gefahr, dass die Bewertung der Auslandslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung für künftige Asyl(gerichts)verfahren zementiert wird und aktuelle Ereignisse und Änderungen von Behörden und Gerichten nicht mehr in die Einzelfallbewertungen einbezogen werden. Das Ergebnis eines Asyl(gerichtlichen)verfahrens hängt jedoch ganz wesentlich von der Bewertung der Lage im Herkunftsstaat ab. Das betont auch die Gesetzesbegründung.

3.2 Kritisch sehen wir, dass eine Übertragung der Entscheidung auf Einzelrichter*innen fortan auch ohne Einverständnis der Beteiligten möglich sein soll (§ 79 Abs. 3 AsylG-E). Die hiervon erhoffte Verfahrensbeschleunigung geht zulasten des rechtlichen Gehörs der Kläger*innen. Bei Asylentscheidungen handelt es sich um Entscheidungen mit weitreichenden, teils lebensgefährlichen Folgen. Die Rechte der Kläger*innen sind daher in besonderem Maße zu schützen und dürfen nicht einer Beschleunigung um jeden Preis geopfert werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen eine ablehnende Entscheidung getroffen wird.

4. Kritik an den geplanten Reformen zur Beschleunigung der Entscheidungen in Asylverfahren des BAMF

4.1 Nicht nachvollziehbar ist für uns, dass sich die antragstellende Person in der Anhörung zwar von einem oder einer Rechtsanwält*in, einem oder einer Bevollmächtigten oder einem Beistand begleiten lassen kann, diese Person jedoch erst am Schluss der Anhörung eingreifen darf (§ 24 Abs. 8 AsylG-E). Anhörungen können viele Stunden dauern. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Begleitperson erst am Ende eingreifen können soll. Dadurch wird sich die Anhörung jedoch nur umso mehr in die Länge ziehen, insbesondere, wenn gleich zu Beginn der Anhörung Missverständnisse aufgetreten oder Fehler unterlaufen sind, die u.U. eine völlige Neubewertung der Lage erfordern. Die Regelung erscheint in höchstem Maße ineffektiv. Gleichzeitig schwächt sie die Rechtsposition der antragstellenden Person. Die entsprechende Richtlinienvorschrift in Art. 23 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2013/32/EU ist als Kann-Vorschrift ausgestaltet, sodass der deutsche Gesetzgeber nicht zu ihrer Umsetzung gezwungen ist.

4.2 Kritisch sehen wir auch, dass bei unzulässigen Folgeanträgen keine Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfolgen soll (§ 31 Abs. 3 S. 2 AsylG-E). Auch hierbei handelt es sich um eine Verfahrensbeschleunigung auf Kosten von Betroffenenrechten. Nach § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG muss bei unzulässigen Asylanträgen das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft werden. Hiervon kann nach bisheriger Rechtslage gem. § 31 Abs. 3 S. 2 AsylG abgesehen werden, wenn der antragstellenden Person anderweitig Schutz zuerkannt wird.

Nunmehr soll die Ausnahmeregel jedoch auch auf bestimmte Fälle erweitert werden, in denen kein anderweitiger Schutz besteht: nämlich auf unzulässige Folgeanträge, in denen das BAMF bereits in früheren Verfahren über das Vorliegen von Abschiebeverboten entschieden hat. Das heißt: Die antragstellende Person ist noch ohne Schutz und die ihr eigentlich noch verbleibende Schutzform der Abschiebungsverbote wird ihr genommen. Auch wenn dies in einem früheren Verfahren bereits geprüft worden ist: Es können Tatsachen eingetreten sein, die eine Neubewertung der Lage rechtfertigen. Denkbar ist beispielsweise, dass in der Zwischenzeit eine HIV-Infektion aufgetreten ist, die im Herkunftsland nicht angemessen behandelt werden kann, sodass bei einer Abschiebung ernsthafte Lebensgefahr droht. Denkbar ist ebenfalls, dass sich die Lage für LSBTI im Herkunftsland seither massiv verschlechtert hat, wie dies aktuell zB. in Pakistan zu beobachten ist. Dies könnte nach neuer Rechtslage nicht berücksichtigt werden.

Wichtig ist die Prüfung von Abschiebungsverboten auch in Fällen, in denen ein nach heutiger Kenntnis europarechtswidriger Ablehnungsbescheid vorliegt, weil das sog. „Diskretionsgebot“ angewendet worden ist. Diese Bescheide würden unter Zugrundelegung der überarbeiteten Dienstanweisung Asyl, nach der bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit ein geoutetes Leben zugrunde zu legen ist, heute positiv beschieden. Dies betrifft insbesondere Geflüchtete aus schlimmen Verfolgerstaaten wie Iran und Irak. Dies könnte nach neuer Rechtslage ebenfalls nicht berücksichtigt werden, wodurch Menschen unter Lebensgefahr in diese Länder abgeschoben werden würden.

Die geplante Einschränkung der Prüfung von Abschiebungsverboten bringt keine erhebliche Zeitersparnis für die Behörden, kann jedoch im Einzelfall dramatische Auswirkungen haben. Es ist daher nicht verhältnismäßig, die Schutzformen für Folgeantragstellende derart zu beschränken.

5. Lücke im Gesetzentwurf: Erweiterung der Berufungsgründe

Die Berufungsgründe für Asylgerichtsverfahren müssen erweitert werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass in Asylgerichtsverfahren Entscheidungen nicht angegriffen werden können, bei denen es ernstliche Zweifel an der Richtigkeit gibt oder bei denen von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abgewichen wird. Gerade in Asylverfahren muss die Richtigkeit der Entscheidung oberste Priorität haben, da Fehlentscheidungen lebensgefährlich sein können.

Wir fordern daher die Erweiterung der Berufungsgründe. Wie auch im normalen Verwaltungsprozessrecht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist in § 78 Abs. 3 AsylG die Berufung in Asylsachen zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Dies betrifft insbesondere instanzgerichtliche Würdigungen der Glaubhaftigkeit der klagenden Person. Selbst wenn es hierbei zu offensichtlichen Fehlentscheidungen kommt, haben Kläger*innen derzeit keine Möglichkeit, dies durch eine weitere Instanz überprüfen zu lassen.

Darüber hinaus ist die Berufung zuzulassen, wenn ein Urteil von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abweicht. Insbesondere die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sind in dem durch europäisches Recht massiv geprägten Asylrecht von wesentlicher Bedeutung. Sie sind für die deutschen Gerichte bindend. Dennoch gibt es derzeit keine Möglichkeit, gegen Urteile vorzugehen, die geltende europäische Rechtsprechung nicht oder fehlerhaft anwenden.

Wie wir aus unserer Arbeit mit Geflüchteten wissen, sind solche Urteile leider keine Einzelfälle. Beispielhaft lässt sich dies an der Nichtumsetzung eines EuGH-Urteils von 2013 zeigen, in welchem der Gerichtshof entschieden hat, dass bei der Gefahrenprognose für LSB-Geflüchtete nicht davon ausgegangen werden darf, dass diese sich in ihrem Herkunftsland diskret verhalten werden (EuGH, Urt. v. 7.11.2013, Rs. C 199/12 bis C 201/12). Trotz dieses Urteils wendeten deutsche Verwaltungsgerichte noch bis ins Jahr 2022 sog. „Diskretionsprognosen“ an und lehnten Kläger*innen mit dem Argument ab, dass diese sich im Herkunftsland durch ein diskretes Verhalten vor Verfolgung schützen könnten (vgl. Dörr/Träbert/Braun: LSBTI*-Asylanträge und das widerspenstige „Diskretionsgebot“, Asylmagazin 7-8/2021, 257 mit vielen Nachweisen). Diese Urteile standen klar im Widerspruch zum EuGH-Urteil von 2013, die betroffenen Kläger*innen konnten hiergegen jedoch nicht vorgehen.

Mit freundlichen Grüßen

Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)
LSVD-Grundsatzreferat

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