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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Stellungnahme zum Dauerausschluss homo- und bisexueller Männer von der Blutspende

Anlässlich des jüngsten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)

Anlässlich des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 29.04.2015 zum generellen Ausschlussverbot homo- und bisexueller Männern von der Blutspende hat LSVD-Bundesvorstand Manfred Bruns dem Präsidenten der Bundesärztekammer die folgende Stellungnahme übermittelt.

Anlässlich des jüngsten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum generellen Ausschlussverbot homo- und bisexueller Männern von der Blutspende hat unser LSVD Bundesvorstand Manfred Bruns dem Präsidenten der Bundesärztekammer die folgende Stellungnahme übermittelt.

Nach den „Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie) — Zweite Richtlinienanpassung 2010“ werden „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)“, dauernd für die Blutspende ausgeschlossen, weil sie zu den Personen gerechnet werden, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HIV bergen. Diesen generellen Dauerausschluss aller MSM haben wir und viele andere seit langem als zu weit gehend und diskriminierend kritisiert.

Geschehen ist nichts, obwohl der „Wissenschaftliche Beirat“ der Bundesärztekammer und der Arbeitskreis „Richtlinien Hämotherapie“ schon 2010 in den Erläuterungen des Dauerausschlusses aller MSM angekündigt hatten, „dass ein Beratungsprozess zur Erarbeitung einer langfristig tragfähigen Lösung kurzfristig initiiert werden soll“.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.04.2015

Jetzt hat der EuGH mit seinem Urteil vom 29.04.2015 die Rechtslage geklärt. Wir hoffen deshalb, dass die Richtlinienanpassung bald in Angriff genommen und abgeschlossen wird, zumal die gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut“ und des Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“ in den neuen Erläuterungen von April 2012 schon alle maßgeblichen Gesichtspunkte aufgeführt und abgewogen hat.

Der EuGH hat entschieden, dass der Ausschluss von MSM von der Blutspende zulässig ist, „wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten (…) ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen.“

Als weniger belastende Methode hat der EuGH auf die systematische Quarantäne für Blutspenden von MSM hingewiesen, wobei auch die damit verbundenen Kosten mit abgewogen werden dürfen (Rn. 64). Ob diese Möglichkeit schon geprüft worden ist und welches Ergebnis die Prüfung hatte, ist uns nicht bekannt.

Der EuGH verlangt außerdem (Rn. 67), dass geprüft werden muss, „ob es durch gezielte Fragen zum seit der letzten sexuellen Beziehung verstrichenen Zeitraum im Verhältnis zur Dauer des „diagnostischen Fensters“, zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung möglich wäre, die Höhe des Risikos zu bewerten, das individuell durch den jeweiligen Spender aufgrund seines eigenen Sexualverhaltens besteht“.

Wenn die gezielte Befragung der Blutspender ausreicht, um das Risiko einer Übertragung von Infektionskrankheit im selben Maß zu minimieren wie der generelle Ausschluss aller MSM, ist dieser unverhältnismäßig. Er verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und — nach deutschem Recht — gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

Sexualanamnese durch Fragebögen

Mit seiner Feststellung, dass ein genereller Ausschluss der MSM für die Blutspende unzulässig ist, wenn eine gezielte Befragung der Spender ausreicht, knüpft der EuGH an die Vorgaben von Art. 19 der Richtlinie 2002/98/EG und Art. 3 der Richtlinie 2004/33/EG i.V.m. Anhang II Teil B Nr. 2 an. Dort wird vorgeschrieben: „Erfassung von Gesundheitszustand und Vorerkrankungen mittels eines Fragebogens und einer persönlichen Befragung durch einen qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs; sie enthält relevante Faktoren, die zur Identifizierung und zum Ausschluss von Personen beitragen können, deren Spende mit einem Gesundheitsrisiko für sie selbst oder mit dem Risiko einer Krankheitsübertragung für andere verbunden sein könnte.“

Aus den „Erläuterungen“ der gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut“ und des Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“ von April 2012 ergibt sich (Seite 39), dass eine Expertengruppe des „Arbeitskreises Blut“ bereits einen einheitlichen Spenderfragebogen entwickelt hat, der unter anderem sexuelle Risiken direkt erfasst. In einer Studie an 6.500 Neuspendern sei die Art der Befragung als verständlicher und nicht zu persönlich beurteilt worden. Es hätten mehr Spender mit sexuellen Risiken identifiziert werden können als mit den etablierten Fragebögen. In einer Folgeuntersuchung auch bei Mehrfachspendern habe sich aber gezeigt, dass die Akzeptanz dieser direkten Fragen bei einigen Spendern und Spendediensten nicht gegeben war.

Die gemeinsame Arbeitsgruppe hat deshalb empfohlen, den dauerhaften Ausschluss für MSM von der Blutspende zugunsten einer zeitlich befristeten Zurückstellung aufzugeben. Die Rückstellfrist soll ein Jahr nach dem letzten Geschlechtsverkehr mit einem Mann betragen. Nach Presseberichten hat das Paul-Ehrlich-Institut als Reaktion auf das EuGH-Urteil angekündigt, dass man diese Empfehlung jetzt umsetzen wolle.

Das genügt den Anforderungen des Europäischen Rechts nicht. Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch geprüft werden muss, ob „Fragen zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung“ ausreichen, um die Sicherheit der Blutproben zu gewährleisten. Wenn durch solche Fragen festgestellt wird, dass ein Blutspender in einer monogamen Partnerschaft lebt oder dass er zwar im letzten Jahr Sexualverkehr mit anderen Männern hatte, dass dieser aber immer safe war, besteht kein Anlass, ihn von der Blutspende auszuschließen. Das wäre rechtswidrig.

Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass der generelle Ausschluss aller MSM ebenfalls nicht auf objektiven Fakten beruht, sondern nur auf den freiwilligen Angaben der Blutspender. Die Wahrscheinlichkeit, dass Blutspender den Sexualverkehr mit einem anderen Mann verschweigen, ist genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass sie der Wahrheit zuwider angeben, nur safe mit anderen Männern verkehrt zu haben oder in einer monogamen Partnerschaft zu leben. Aus den Erläuterungen der gemeinsamen Arbeitsgruppe ergibt sich sogar, dass durch Fragebögen mit gezielten Fragen nach sexuellen Risiken mehr problematische Spender identifiziert werden konnten als mit den etablierten Fragebögen.

Akzeptanz von direkten Fragen nach sexuellem Risikoverhalten

Fragebögen mit direkten Fragen nach sexuellem Risikoverhalten will man offenbar nicht einführen, weil einigen Spendern und Spendediensten solche Fragen zu weit gehen. Das können wir nicht nachvollziehen.

Nach der geltenden Richtlinie werden heterosexuelle Personen für die Blutspende ausgeschlossen, wenn sie Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern hatten. Danach muss man deshalb fragen. Davon abgesehen ist die Frage falsch gestellt. Es kommt nicht darauf an, ob heterosexuelle Blutspender häufig wechselnden Geschlechtsverkehr hatten, sondern ob dieser safe oder unsafe war. Außerdem reicht auch ein einmaliger unsafer Geschlechtsverkehr z.B. mit einer Prostituierten als relevantes Risiko aus. Eine Befragung der Blutspender ist deshalb nur sinnvoll, wenn nicht nur gefragt wird, ob sie einer Risikogruppe angehören, sondern wenn konkret nach riskantem Sexualverhalten während der maßgeblichen Zeit gefragt wird. Das muss ohne Rücksicht darauf geschehen, ob das den Blutspendern oder den vom EU-Recht als Fragestellern vorgeschriebenen „qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs“ peinlich ist.

Unterschiedliche Rückstellfristen

Im Übrigen wird in den „Erläuterungen“ der gemeinsamen Arbeitsgruppe nicht begründet, warum bei MSM höhere Rückstellfristen notwendig sind als bei anderem Sexualverhalten. Nach unserer Kenntnis hat das Sexualverhalten, das zu einer Infektion geführt hat, keinen Einfluss auf die Länge der „Fensterphase“, in der eine frische Infektion nicht nachgewiesen werden kann.

Wir erwarten deshalb,

  • dass die Überarbeitung der Hämotherapie-Richtlinien nicht mehr weiter verschleppt, sondern bald in Angriff genommen und abgeschlossen wird,
  • dass die verfehlte ausschließliche Beurteilung der Spender nach Risikogruppen aufgegeben und dass stattdessen vornehmlich auf riskantes Sexualverhalten abgestellt wird,
  • dass der Dauerausschluss von MSM für die Blutspende in eine zeitlich befristete Rückstellung umgewandelt wird,
  • dass die Rückstellfrist für MSM nicht höher ist als die Rückstellfristen bei sonstigen Risiken
  • dass MSM nicht von der Blutspende ausgeschlossen werden, wenn sie nur safe mit anderen Männern verkehrt haben oder in einer monogamen Partnerschaft leben.

Falls solche MSM weiterhin zeitlich oder auf Dauer für die Blutspende ausgeschlossen werden, werden wir die Betroffenen ermutigen, dagegen zu klagen und sie dabei als Beistand unterstützen. Dasselbe gilt, wenn für MSM nach einem risikobehaften Sexualkontakt längere Ausschlussfristen festgesetzt werde als für heterosexuelle Blutspender. Im Übrigen erscheint uns eine allgemeine Ausschlussfrist von vier Monaten zu hoch. In der AIDS-Prävention werden inzwischen sechs Wochen als ausreichen angesehen.

Manfred Bruns
LSVD-Bundesvorstand