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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD)

Am 23. August 2022 hat der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Stellung genommen zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz für ein Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Sehr geehrter Herr Dr. Bösert,

vielen Dank, dass Sie uns Gelegenheit geben, zu dem Referentenentwurf Stellung zu nehmen.

Wir konzentrieren uns in unserer Stellungnahme auf die geplante Neuregelung in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB (Artikel 1 Nr. 2 des Entwurfs), die wir begrüßen. Darüber hinaus weisen wir auf zusätzliche Reformschritte hin, die aus unserer Sicht für eine effektive Bekämpfung von Hasskriminalität erforderlich sind.

1. Hasskriminalität gegen LSBTI in Deutschland

Trotz vieler rechtlicher und gesellschaftlicher Fortschritte kann es sehr gefährlich sein, in Deutschland im öffentlichen Raum als lesbisch, schwul, bisexuell, trans- oder intergeschlechtlich (LSBTI) erkannt oder dafür gehalten zu werden. Tagtäglich werden Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf queere Menschen in Gewalt ausleben. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines gleichgeschlechtlichen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen.

2020 gab es laut Bundesinnenministerium (BMI) 782 registrierte Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI, darunter 154 Gewalttaten (144 Körperverletzungen) (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität 2019 und 2020, 04.05.2021). Dabei sind drei schwulenfeindlich motivierte Morde nicht in diese Statistik eingegangen oder wurden unter den Gewalttaten nicht explizit genannt. 2021 wurden laut BMI 1.051 LSBTI-feindliche Straftaten in der Statistik verzeichnet (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Antwort auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Ulle Schauws (Bündnis 90 / Die Grünen) vom 18.03.2022, 29.3.2022, Anlage 2 und Anlage 3). Es ist davon auszugehen, dass ein erhebliches Dunkelfeld besteht. Das bestätigen sowohl das BMI als auch eine der beiden LSBTI-Ansprechpersonen der Berliner Polizei, Sebastian Stipp, der das Dunkelfeld auf 80 bis 90 Prozent schätzt (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Antwort auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Ulle Schauws (Bündnis 90 / Die Grünen) vom 18.03.2022, 29.3.2022, S. 2.). Dafür spricht auch das Ergebnis einer Studie der EU-Grundrechte-Agentur, wonach lediglich 13 Prozent der Betroffenen die Straftat angezeigt haben (EU-Grundrechte-Agentur (FRA), „A long way to go for LGBTI equality”, 2020, S. 48).

An dieser im Mai 2020 veröffentlichten Studie hatten sich rund 16.000 Menschen in Deutschland beteiligt. Die Ergebnisse der Studie sind auch sonst alarmierend: 45 Prozent der Befragten vermeiden es danach oft oder immer, mit ihrem Partner*/ ihrer Partnerin* in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. 13 Prozent der Befragten aus Deutschland berichteten, dass sie in den letzten fünf Jahren gewalttätig angegriffen wurden, weil sie LSBTI sind. Besonders groß wird die Bedrohung durch Anfeindungen auf der Straße und im Öffentlichen Nahverkehr erlebt (EU-Grundrechte-Agentur (FRA), „A long way to go for LGBTI equality”, 2020, S. 40).

Angesichts solcher Zahlen ist ein Handeln der Politik dringend erforderlich. Eine demokratische Gesellschaft darf das nicht achselzuckend hinnehmen. Frei und sicher leben – das muss auch für LSBTI gelten.

2. Ergänzung von § 46 Abs. 2 StGB um geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe (Art. 1 Nr. 2 RefE SanktionenrechtsÜbG)

Der LSVD begrüßt, dass der Referentenentwurf die Aufnahme „geschlechtsspezifischer“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichteter“ Beweggründe in den Strafzumessungskatalog des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorsieht. Damit setzt das Bundesjustizministerium den Koalitionsvertrag um und erfüllt eine langjährige Forderung der Zivilgesellschaft.

Die ausdrückliche Ergänzung LSBTI-feindlicher Beweggründe als Beispiele für menschenverachtende Tatmotive ist ein wichtiger und notwendiger Schritt im Kampf gegen queerfeindliche Hasskriminalität. Wir erleben immer wieder, dass die Polizei bei Straftaten gegen LSBTI nur den Tathergang ermittelt, sich aber nicht bemüht aufzuklären, welche Beweggründe die Täter veranlasst haben, die betroffene Person als Opfer auszusuchen. Auch die Staatsanwaltschaften nehmen solche Straftaten oft nicht ernst und verweisen beispielsweise Opfer von Beleidigungen, tätlichen Beleidigungen und Sachbeschädigungen auf den Privatklageweg.

Wenn LSBTI-feindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Normentext genannt ist, finden diese Beweggründe in der Praxis der polizeilichen Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertung keine angemessene Beachtung. Das hebt auch die Gesetzesbegründung hervor, wenn sie bemerkt, dass die grundsätzlich bereits mögliche strafschärfende Berücksichtigung LSBTI-feindlicher Motive als „sonstige menschenverachtende Beweggründe […] bislang nur beschränkten Einfluss auf die Rechtspraxis gehabt“ habe (S. 18). Wir begrüßen daher, dass der Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Nennung dieser Beweggründe „ein klares Zeichen gegen Hasskriminalität“ setzen und „die Bedeutung der Gleichwertigkeit der Geschlechter sowie der Freiheit des Auslebens der eigenen sexuellen Orientierung“ hervorheben möchte.

Positiv bewerten wir die im Referentenentwurf gewählten Begriffe „geschlechtsspezifisch“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtet“. Der Begriff „geschlechtsspezifisch“ ist geeignet, alle Motive zu erfassen, die sich gegen ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Geschlechtsidentität richten. Damit erfasst er nicht nur frauen- und männerfeindliche Beweggründe, sondern auch Hass gegen trans* und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Personen. Erfreulich ist überdies, dass mit dem Begriff „gegen die sexuelle Orientierung gerichtet“ ausdrücklich alle sexuellen Orientierungen erfasst sind und dies in der Gesetzesbegründung noch einmal ausdrücklich bestätigt wird.

3. Weitere erforderliche Maßnahmen im Kampf gegen Hasskriminalität

Das bestehende Strafrecht ist grundsätzlich geeignet, Hasskriminalität entschieden entgegenzutreten. Das Problem liegt in seiner konsequenten Anwendung durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte. Um diese sicherzustellen, sind zusätzliche Änderungen in der Strafprozessordnung und in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) notwendig. Daneben sind Maßnahmen zur Fortbildung und Sensibilisierung von Polizeibeamt*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innensinnvoll bzw. erforderlich.

3.1 Größere Berücksichtigung menschenverachtender Beweggründe im gesamten Stadium des Strafverfahrens

Für eine effektive strafrechtliche Erfassung und Verfolgung von Hasskriminalität müssen menschenverachtende Beweggründe stets erfasst und in jedem Stadium des Verfahrens gewürdigt werden – von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Wir schlagen daher vor, auch in folgenden Vorschriften Änderungen vorzunehmen:

3.1.1 Änderungen in der Strafprozessordnung (StPO)

158 StPO: In § 158 StPO ist das Verfahren bei Strafanzeige und Strafantrag geregelt. Dort sollte der Hinweis ergänzt werden, dass bei der Aufnahme von Strafanzeige und Strafantrag Umstände nach § 46 Abs. 2 StGB verpflichtend erfragt und dokumentiert werden müssen.

163 StPO: In § 163 StPO ist das Ermittlungsverfahren durch die Polizei geregelt. Hier sollte ergänzt werden, dass die Erforschung der Straftat insbesondere alle Umstände nach § 46 Abs. 2 StGB umfassen soll.

3.1.2 Änderungen in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) des Bundesinnenministeriums

Die RiStBV sind Verwaltungsvorschriften bzw. innerdienstliche Weisungen für die weisungsgebundenen Bediensteten der Justizverwaltung und werden durch das Bundesinnenministerium erlassen. Sie richten sich in erster Linie an die Staatsanwaltschaft und die Polizei und enthalten ergänzende Verwaltungsvorschriften für Straf- und Bußgeldverfahren. Für die Gerichte sind sie nicht bindend, enthalten jedoch amtliche Wertungen und sollten bei Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden.

Damit spielen die Vorgaben der RiStBV in der Praxis der Strafverfahren eine wesentliche Rolle. Folgende Nummern sollten aus unserer Sicht angepasst werden:

Nr. 15 Abs. 5 RiStBV: Diese Vorschrift betrifft die Aufklärung der für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat bedeutsamen Umstände. In Absatz 5 heißt es: „Soweit Anhaltspunkte für rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe bestehen, sind die Ermittlungen auch auf solche Tatumstände zu erstrecken.“ Die Vorschrift ist an § 46 Abs. 2 StGB angelehnt und sollte entsprechend der im RefE vorgesehenen Änderung von § 46 Abs. 2 StGB um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzt werden.

Nr. 86 Abs. 2 RiStBV: Diese Vorschrift regelt, inwieweit bei Privatklagedelikten (zB. Beleidigung) ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Sofern ein öffentliches Interesse besteht, ist die Straftat von Amts wegen zu ermitteln, andernfalls kann das Verfahren eingestellt und die betroffene Person auf den Privatklageweg verwiesen werden. Das öffentliche Interesse ist nach Nr. 86 Abs. 2 RiStBV bei Hasskriminalität grundsätzlich gegeben – auch hier orientiert sich der Wortlaut an § 46 Abs. 2 StGB: „Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen […] der rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe des Täters“. Diese Vorschrift sollte entsprechend der im RefE vorgesehenen Ergänzung von § 46 Abs. 2 StGB um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzt werden. Diese Ergänzung ist aus unserer Sicht dringend notwendig: Tatsächlich kommt es regelmäßig vor, dass Staatsanwaltschaften LSBTI-feindliche Straftaten wie beispielsweise (tätliche) Beleidigungen und Sachbeschädigungen nicht ernstnehmen und die Betroffenen auf den Privatklageweg verweisen – entgegen Nr. 86 Abs. 2 RiStBV!  

3.1.3 Weitere Maßnahmen

Für das hohe Dunkelfeld im Bereich der Hasskriminalität sind einerseits die unzureichende Ermittlung menschenverachtender Beweggründe und die mangelhafte statistische Erfassung von Hasskriminalität verantwortlich. Andererseits scheuen viele Betroffene aus Misstrauen gegenüber oder Angst vor der Polizei die Strafanzeige. Nicht immer zu Unrecht wird auch unter Polizeibeamt*innen Homophobie und Rassismus vermutet. Aus der Studie der EU-Grundrechteagentur ergibt sich: 23 Prozent der Betroffenen einer LSBTI-feindlichen Straftat in Deutschland sehen von einer Strafanzeige ab, weil sie Angst vor Homo- oder Transphobie bei der Polizei haben; 21 Prozent gehen nicht zur Polizei, weil sie kein Vertrauen in sie haben. Das sind alarmierende Zahlen.

Fortbildungen und Sensibilisierung für Polizei und Justiz: Für eine effektive Verfolgung von Hasskriminalität sind regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen zu Hasskriminalität für Staatsanwält*innen und Polizist*innen erforderlich. Fortbildungsangebote für Richter*innen sind ebenfalls sinnvoll. Das Erkennen und zutreffende Ermitteln menschenverachtender Beweggründe erfordert einerseits Kenntnis von rassistischen, antifeministischen und rechten Strukturen in Deutschland und andererseits Sensibilität gegenüber Betroffenen von rassistischer, antifeministischer und queerfeindlicher Hassgewalt.

LSBTI-Ansprechpersonen: Die Einrichtung von LSBTI-Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft und von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu Hasskriminalität und/oder zu queerfeindlicher Hasskriminalität kann dazu beitragen, die Anzeigebereitschaft Betroffener zu erhöhen und damit das Dunkelfeld zu erhellen.

3.2 Ergänzung von § 192a StGB (verhetzende Beleidigung) um geschlechtsspezifische Hassgewalt

Der neu eingeführte Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 192a StGB) ist – vermutlich unbeabsichtigt – zu eng formuliert. Er muss um geschlechtsspezifische Hassgewalt ergänzt werden.

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll § 192a StGB die Inhalte erfassen, die in anderen Fallkonstellationen unter den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StGB fallen würden (Gesetzesbegründung zu § 192a StGB, BT-Drs. 19/31115, S. 15). Das umfasst die Verbreitung von Hass gegen nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen oder Teile der Bevölkerung oder Einzelne wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen oder einem Teil der Bevölkerung.

Im Tatbestand von § 192a StGB werden jedoch als mögliche Ziele der Hassbotschaften nur aufgezählt: eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder Einzelne wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen. Damit sind zwar einerseits mehr Gruppen genannt als in § 130 StGB, weil auch Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Orientierung aufgezählt werden. Das Merkmal „Teile der Bevölkerung“ bzw. Einzelne wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Bevölkerungsteil fehlt jedoch.

Damit sind Hassbotschaften gegen Frauen, transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Personen, die von § 130 StGB erfasst sind, von § 192a StGB nicht erfasst. Der Anwendungsbereich von § 192a StGB ist damit enger als der von § 130 StGB, obwohl dies ausweislich der Gesetzesbegründung nicht so beabsichtigt war.

Dieses Versehen ist zu korrigieren. Es muss klargestellt werden, dass § 192a StGB auch frauen-, trans- und interfeindliche Inhalte erfasst. Wie die Statistiken des BMI und Umfragen zeigen, sind gerade diese Gruppen besonders stark von Hasskriminalität betroffen. Eine gesetzliche Klarstellung ist deshalb dringend erforderlich.

3.3 Klarstellende Ergänzung von § 130 StGB (Volksverhetzung)

Der Tatbestand der Volksverhetzung hebt als mögliche Ziele von Volksverhetzung „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe(n)“ ausdrücklich hervor. Sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sind dagegen nicht ausdrücklich benannt, sondern fallen unter das Merkmal „Teil der Bevölkerung“. Das Ergebnis: Entscheidungen zu homo- oder biphober, transfeindlicher oder sexistischer Volksverhetzung sind trotz ihrer weiten Verbreitung äußerst selten. Die von den Gerichten entschiedenen Fälle beziehen sich fast ausschließlich auf rassistische, antisemitische und rechtsextremistische Äußerungen,[9] also auf die im Gesetz ausdrücklich benannten Gruppen.

Ebenso wie bei § 46 Abs. 2 StGB ist daher in § 130 StGB eine ergänzende Klarstellung erforderlich, dass Gruppen, die durch ihr Geschlecht, ihre geschlechtliche Identität oder ihre sexuelle Orientierung bestimmt sind, Ziele von Volksverhetzung sein können.

Mit freundlichen Grüßen

Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)
LSVD-Grundsatzreferat