Das öffentliche Interesse an den Olympischen Spielen nutzen
Lieber einmischen als boykottieren
Hilft es Lesben und Schwulen in Russland, wenn die Olympischen Winterspiele in Sotchi boykottiert werden? Das Russian LGBT-Network, ein Zusammenschluss von Projekten aus 13 Regionen in Russland, hat die Frage aufgegriffen: „Wir sollten unsere Stimme erheben, nicht abhauen (we should speak up, not walk out)“ ist die Antwort.
In der Ende Juli veröffentlichten Stellungnahme begrüßen sie ausdrücklich die internationale Solidarität und die Unterstützung durch LGBTI-Projekte in der ganzen Welt. Ihr Vorschlag: Die internationale Beachtung der Spiele zu nutzen. Ein Boykott berge das Risiko, dass es bei einer ohnmächtigen Geste bleibe. Stattdessen solle die Veranstaltung genutzt werden, um sich mit den Betroffenen in Russland zu solidarisieren.
Die Olympischen Spiele seien ein Gelegenheit von einzigartigem Potential, die es ermögliche, dass sich Personen, Organisationen, Diplomaten und Regierungen für die Olympischen Ideale aussprechen, für Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit unabhängig von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Nicht die Teilnahme an den Spielen sei eine Unterstützung für das Regime, sondern das Schweigen.
“Do not boycott the Olympics – boycott homophobia!”, der Aufruf unserer russischen Freundinnen und Freunde schließt mit der Aufforderung, sich solidarisch zu zeigen und dafür Sorge zu tragen, dass der Stolz der LGBT-Bewegung, Menschenrechte und Freiheit einen Platz in Sotchi finden.
Das Anti-Homosexuellen-Gesetz ist eine neue Form der Verfolgung von Lesben, Schwulen und Transgender. Trotz des großen internationalen Protests ist das Gesetz von der Duma verabschiedet worden, ja der Entwurf wurde sogar noch verschärft. Das Gesetz fällt in die dritte Amtszeit von Putin und steht im Zusammenhang mit einer Reihe anderer Gesetze und Maßnahmen, die die demokratischen Rechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit einschränken. NGOs und Personen aus Russland, die international agieren, von Europa oder den USA unterstützt werden oder einfach den Kontakt zum Ausland suchen, gelten als Staatsfeinde und Spione und werden mit aller Härte verfolgt.
Angriff auf die Zivilgesellschaft
Nicht zuletzt die Razzien der russischen Behörden bei Nichtregierungsorganisationen machen deutlich, dass das Antihomosexualitätsgesetz zu einer systematischen Unterdrückungspraxis gehört. Es ist nicht nur verboten, über Homosexualität zu sprechen, sondern überhaupt verboten, sich für Freiheitsrechte einzusetzen. Der neue Kanon der Gesetze ist ein Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft und dient der Stabilisierung der „Putinokratie“: Es geht um das Verbot jeder echten Aufklärung und politischen Meinungsäußerung. Stets werden Menschenrechtsverteidiger und demokratische Organisationen unter dem Verweis auf angeblich russische Werte eingeschüchtert und mundtot gemacht.
Die Unterstützung für LGBTI in Russland muss daher immer den ganzen Kanon der Menschenrechte im Blick haben und sollte im Kontext zivilgesellschaftlicher Arbeit stehen. Der LSVD arbeitet daher sowohl hier in Deutschland als auch in Russland eng mit anderen Menschenrechtsorganisationen zusammen. Auch die Aktion Freundschaftskuss ist darauf gerichtet, die Kontakte zu pflegen, die Menschenrechtsthemen immer wieder anzusprechen und in allen Begegnungen Lesben, Schwule und Transgender nicht zu vergessen.
Was wir bedenken müssen
Die Aktionen dürfen unsere Freundinnen und Freunde in Russland nicht überfordern, sie müssen selbst erst erkunden, wie bei der geschilderten Gesetzeslage ihre Arbeit künftig aussehen kann. Zudem dürfen wir LGBT nicht der Gefahr aussetzen, vom Putin-Regime zu Sündenböcken abgestempelt zu werden, weil wir ausschließlich LGBT-Themen in den Vordergrund stellen. Wir müssen die prekäre Menschenrechtslage in Russland insgesamt anprangern. Das heißt, wir müssen Allianzen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen bilden und die Zusammenarbeit mit russischen Multiplikatoren und Kritikern des Regimes suchen. Mit unserer Antidiskriminierungskonferenz im vergangenen Oktober in St. Petersburg haben wir das mit Erfolg gemacht. All das aber wird ohne Wirkung bleiben, wenn die Regierungen, insbesondere die Mitglieder des Europarates, nicht klare und einhellige Worte für die Demokratie und Menschenrechte in Russland finden und in allen Bereichen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Zusammenarbeit eine klare menschenrechtliche Haltung einnehmen.
Was kann ich tun?
Vorschläge dazu, wie sich jeder/jede engagieren kann, haben wir hier im Blog zusammengestellt.
Renate Rampf
LSVD-Hauptstadtbüro