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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Schulbücher: mangelhaft

Mechanismen und Akteure: Tagungsbericht II

Es sind nicht nur irgendwelche Texte: Schulbücher haben Gestaltungsmacht, sie sind das Paradigma des Lernens, setzen den Rahmen für den Unterricht, leiten Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrende.

Es sind nicht nur irgendwelche Texte: Schulbücher haben Gestaltungsmacht, sie sind das Paradigma des Lernens, setzen den Rahmen für den Unterricht, leiten Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrende.

Die Diskussion auf der Konferenz „Sexuelle Identität und Gender. (K)Ein Thema in Schulbüchern?“ (2012) mit Lehrenden, politische aktiven Menschen und Eltern fragte auch nach den Mechanismen und Akteuren in diesem Prozess.

Schulische Sexualerziehung vor allem im Biologie-Unterricht verortet

Den Schulausschuss der Kultusminister-Konferenz (KMK) vertrat auf der Konferenz Beate Proll vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg. Proll äußerte sich kritisch zur Dominanz des biologischen Diskurses im Rahmen der schulischen Sexualerziehung. „Auffällig bei den untersuchten Biologie-Büchern ist, dass hier zum Teil nicht dem aktuellen Fachdiskurs entsprechende und somit fehlerhafte sowie verkürzte Informationen zur Sexualität dargestellt würden; Sexualität ist mehr als Reproduktion.“

Das Thema sexuelle Identitäten und Gender sollte nicht nur als spezielle Unterrichtseinheit behandelt, sondern in die Regel-Anforderungen beispielsweise im Biologie-, Ethik- oder Politikunterricht integriert werden. Außerdem sei darauf zu achten, dass im Schulalltag die Vielfalt von Identitätsentwürfen akzeptiert und somit niemand ausgegrenzt wird. Um diese Thematik bundesweit in Schulen stärker zu etablieren, wäre es günstig, wenn ein großes Bundesland auch auf KMK-Ebene initiativ werden würde.

Geschichte von Verfolgung und Gleichstellung als Unterrichtsthema

Die Abschiebung in die Biologie, erklärt Guido Mayus von den „Schwulen Lehrern in der GEW Berlin“, liege an fehlendem Wissen und daran, dass es als sexuelles Thema gesehen wird. „Was mit Sexualität zu tun hat, nimmt niemand gerne im Unterricht auf. Das wäre einfach zu lösen, wenn stattdessen die Geschichte von der Verfolgung und der Gleichstellung erzählt wird.“ Seit 2003 gäbe es Verhandlungen mit der Bundeszentrale für politische Bildung, dazu endlich ein Heft in der Reihe „Informationen zur politischen Bildung“ herauszugeben.

Es gibt inzwischen eine Reihe von Untersuchungen zum Thema Schulbücher. Der angehende Lehrer Danilo Ziemen hat für seine Diplomarbeit 31 Schulbücher des politischen Unterrichts untersucht. „Wenn es um Phänomene des Alltags geht oder problematische Situationen wie Naturkatastrophen und Verkehrsunglücke, dann gilt das als Angelegenheit des Politikunterrichts. Nur bei Homosexualität heißt es, das gehört in die Biologie“. Die „Informationen für politische Bildung“ der BpB zum Thema Familie hält er für vollkommen ungeeignet: „Das liest sich wie ein Roman aus den 50er Jahren aus Westdeutschland.“

Fehlende Sichtbarkeit bedeutet auch fehlende Anerkennung

Dass Regenbogenfamilien nicht vorkommen, so Dr. Elke Jansen (LSVD), zeige zweierlei: Sie sind nicht gewünscht, und sie werden nicht als Familien anerkannt. Beides muss problematisiert werden. Sie schlägt den Verlagen vor, mal einen Blick in den Duden zu werfen. „Der Begriff Regenbogenfamilien hat dort 2009 Eingang gefunden.“

Conny Kempe-Schälicke, von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin meint, die meisten Debatten zur Integration von LGBTI sind sehr universitär, es ist wichtig, mehr in die Öffentlichkeit zu gehen. Wer das macht, ist zunehmend auch Druck ausgesetzt. „Ich habe schon Morddrohungen erhalten, weil ich mich in der Verwaltung für Lesben und Schwule einsetze.“

Die Diskussion ist als sogenannter Fishbowl angelegt, es sind zwei Stühle frei, die dem Publikum immer wieder die Gelegenheit geben, sich in die Debatte einzumischen. Einen Stuhl nutzt Simôn Zobel, vom Bundesverband Intersexuelle Menschen. Zobel erinnert daran, wie viel fehlerhafte Informationen über Intermenschen verbreitet werden. Gerade in diesem Themenbereich gelte „in Büchern steht oft was Falsches, nämlich, dass es nur Mann und Frau gibt; nichts Anderes und nichts dazwischen.“ Hilfreich sei jeder Versuch, Intersexualität aus dem Randgruppenbereich herauszuholen.

Detlef Mücke von den „Schwulen Lehrern in der GEW Berlin“ kritisiert die Entscheidungsträger als mutlos. Seit 2005 gebe es einen Bundestagsbeschluss, eine Bestandsaufnahme zur Lebenssituation schwuler und lesbischer Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Die Bundesregierung weigere sich aber seitdem hartnäckig, eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben. Die Bundeszentrale für politische Bildung sei gefordert, in ihren Handreichungen die Verfolgung von Homosexuellen (§ 175), die Regenbogenfamilien und die Gleichstellungsanforderungen zu thematisieren.

Und wer prüft nun eigentlich die Bücher?

Wer entscheidet, welches genommen wird? Es gibt 16 Bundesländer, in einzelnen, etwa in Schleswig-Holstein und Hamburg, ist die Auswahl und Genehmigung der Schulbücher gar nicht mehr Aufgabe der Ministerien. Dort entscheiden die Schulen, welche Bücher sie anschaffen.

Andere Bundesländer haben genaue Vorgaben. Die großen Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Niedersachsen haben den größten Einfluss, sie geben praktisch die Regeln vor. Dort kommen von den Kultusministerien genaue Vorgaben. Die Verlage richten sich danach, weil das die größten Kunden sind und bieten entsprechendes Schulmaterial auch den anderen Bundesländern an. Schulbücher müssen Prüfungen erfüllen.

Renate Rampf
LSVD-Pressesprecherin

 Foto: LSVD/ Caro Kadatz