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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Stellungnahme des LSVD zum Entwurf zum „Diskussionspapier: Auf dem Weg zu einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“

Papier des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom 01.03.2023

Der (LSVD begrüßt es sehr, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit auf den Weg bringen und dabei einen intersektionalen Ansatz verfolgen will.

zum Diskussionspapier „Auf dem Weg zu einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“

Diskriminierung als Risikofaktor für Einsamkeit

Diskriminierung ist für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche sowie queere Personen (LSBTIQ*) immer noch Lebensrealität. Diskriminierungen können gerade bei LSBTIQ* auch von Bezugspersonen wie Familie und Freund*innen ausgehen und dadurch zu Vereinzelung und sozialer Isolation führen. Aus der Sicht des LSVD ist entscheidend, die verschiedenen Bedarfe von durch Diskriminierung marginalisierten Gruppen nicht nur in die Strategieplanung einzubeziehen, sondern das Augenmerk besonders auf miteinander verschränkte Mehrfachmarginalisierungen zu legen. Denn ein schwuler cis Mann ohne Migrationsgeschichte ist von anderen spezifischen Diskriminierungen betroffen als beispielsweise eine lesbische trans* Frau mit Migrationsgeschichte. Gerade mehrfachmarginalisierte Personen haben ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Deshalb muss die gesundheitliche Versorgungslage, auch für psychische Gesundheit, durch ein ausreichendes und flächendeckendes Therapieangebot stark verbessert werden. Im Strategiepapier muss noch deutlicher werden, dass nicht die Identität einer Person der ursächliche Grund für Diskriminierungen und darauf aufbauend für Einsamkeit ist, sondern vielmehr die diskriminierenden Einstellungen und Strukturen, die es daher zu beseitigen gilt.

Besondere Vulnerabilität von LSBTIQ* für Einsamkeit

Wie groß der Bedarf an spezifischen Unterstützungsangeboten in der Gruppe der LSBTIQ* ist, verdeutlicht eine britische Studie aus dem Jahr 2022[1]. In der Umfrage gaben 42 % der befragten LSBTIQ* an, dass sie sich während des Lockdowns mehr Unterstützung für ihre mentale Gesundheit gewünscht hätten. 64 % wünschten sich mehr Unterstützung durch Organisationen, die auf die Bedarfe von LSBTIQ* spezialisiert sind.  Mit Blick auf die Zukunft muss eine Strategie gegen Einsamkeit der Bundesregierung daher dafür sorgen, dass mögliche zukünftige Maßnahmen des Gesundheitsschutzes – wie beispielsweise die zeitweise Beschränkung der zugelassenen Kontaktpersonen auf die Familie oder Besuchsverbote in Senior*innenheimen – auch auf die Bedarfe und Lebensrealitäten von LSBTIQ* ausgerichtet sind. Expert*innen warnen davor, dass das Risiko für Pandemien zunimmt [2]. Bei Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen muss der Zugang zu LSBTIQ*-Unterstützungsorten jederzeit gewährleistet bleiben – denn der Ort, an dem Menschen wohnen, ist nicht immer auch ein sicherer Ort für sie. Insbesondere Lesben, bisexuelle Frauen sowie trans* und inter* Personen sind in erhöhtem Maße von häuslicher Gewalt betroffen [3].

Besonders während der durch COVID-19 bedingten Lockdowns zeigte sich wie unter einem Brennglas, dass neben Singles, Alleinlebenden und Menschen im Homeoffice auch LSBTIQ* ein hohes Risiko für Einsamkeit und Isolation haben[4]. Ein besonders stark erhöhtes Risiko für Einsamkeit haben asexuelle und trans* Menschen, die in der Hälfte der Fälle einsam waren [5]. Ältere Menschen gehören generell zur Risikogruppe für Einsamkeit. Für die Gruppe älterer LSBTIQ* ohne Partner*innen oder Mitbewohner*innen ist das Risiko von Einsamkeit und Isolation noch größer, da diese oftmals keine jüngeren familiären Angehörigen haben, die sich um sie kümmern.

Datenlage durch Forschungsfinanzierung verbessern

Um die Belastung durch Einsamkeit für LSBTIQ* in Deutschland in Zukunft effektiv zu verringern, muss die Forschung über LSBTIQ*-Lebensrealitäten und deren Bezug zu Einsamkeit nachhaltig intensiviert werden. Problematisch ist auch, dass sich viele bereits erhobenen Daten zum Thema nur auf das binäre Geschlechtersystem von Mann und Frau beziehen. Wenn eine Strategie gegen Einsamkeit ihre volle Wirksamkeit entfalten soll, dann ist es zentral, bei der Datenerhebung auch trans* und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Personen mitzudenken. Denn die Vermutung liegt nahe, dass die oben beschriebene Mehrfachdiskriminierung und das damit verbundene Risiko für psychische Krankheiten, sowie die (auch durch das sogenannte Transsexuellengesetz institutionalisierte) Pathologisierung auch das Risiko für die subjektiv empfundene Einsamkeit erhöhen.

Versorgungslage mit Community- und Beratungsangeboten

Gerade auf dem Land ist die Gefahr der Vereinzelung besonders hoch, bedingt u. a. durch die geringe Versorgungslage mit Community- und Beratungsangeboten für LSBTIQ* in Deutschland im ländlichen Raum – diese muss im Strategiepapier verankert werden. Eine Verbesserung der Versorgungslage hat auch eine demokratiestärkende Wirkung, denn Vereinzelung und Einsamkeit können erwiesenermaßen vorhandene Radikalisierungstendenzen und Verschwörungsglauben verstärken. Diese gehen oft mit LSBTIQ*-Feindlichkeit und Vorstellungen von rigiden Rollen für Frau und Mann einher[6]. Wenn sich die Versorgungslage flächendeckend verbessert, ermöglicht das allen geschlechtlichen Identitäten ein freieres und selbstbestimmteres Leben.

Wirksamkeit durch Finanzierung von praktischen Maßnahmen

Der Entwurf des Diskussionspapiers enthält wichtige Ansätze. Allerdings stellt sich aus zivilgesellschaftlicher Sicht die Frage, wie eine erfolgreiche praktische Umsetzung gewährleistet werden kann. Eine wirksame Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit muss mit Haushaltsmitteln, insbesondere zur Förderung von Beratungs- und Communitystrukturen unterlegt sein, um beispielsweise auch die Vereinzelung von LSBTIQ* im ländlichen Raum durch bedarfsorientierte Angebote zu unterstützen. Eine besondere Bedeutung für die Stiftung von Verbindung kommt hierbei der Zivilgesellschaft zu, welche durch die Maßnahmen der Bundesregierung gefördert werden muss. Zusätzlich müssen die bestehenden Strukturen aus Fachkräften der Sozialen Arbeit, aber insbesondere auch der Kinder- und Jugendarbeit, sowie Pflegepersonal für Senior*innen über die Bedarfe von LSBTIQ* aufgeklärt sowie für die Vulnerabilität von LSBTIQ* und anderen diskriminierten Gruppen für Einsamkeit sensibilisiert werden. Die Maßnahmen der Bundesregierung gegen Einsamkeit müssen auch mit entsprechenden Mitteln aus dem Bundeshaushalt Die praktische Umsetzung einer Strategie gegen Einsamkeit muss als verbindliche Selbstverpflichtung und als Querschnittsaufgabe zwischen Bund und Ländern, sowie insbesondere auch den verschiedenen Ressorts der Bundesregierung begriffen werden. Dabei ist die Zusammenarbeit des BMFSFJ mit dem BMG, dem BMI, aber auch dem BMF entscheidend.

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[1] https://lgbt.foundation/coronavirus/hiddenfigures

[2] https://www.who.int/activities/preventing-epidemics-and-pandemics

[3] EU-Grundrechte-Agentur (FRA), „A long way to go for LGBTI equality”, 2020

[4] https://www.fh-muenster.de/hochschule/aktuelles/pressemitteilungen.php?pmid=8229

[5] ebd.

[6] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/11/alles_einzelfaelle.pdf