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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Leitplanken für die Abstammunsgrechtsreform

Bündnis übergibt Leitplanken dem Bundestagspräsidium

Ein Bündnis aus über dreißig Organisationen übergibt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau heute vor dem Kindergarten des Bundestags Leitplanken für eine Reform des Abstammungsrechts. Das geltende Abstammungsrecht verwehrt Kindern aus Regenbogenfamilien den zweiten Elternteil. 

Pressemitteilung vom 05.05.2023:

Berlin, 5. Mai 2023. Ein Bündnis aus über dreißig Organisationen übergibt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau heute vor dem Kindergarten des Bundestags Leitplanken für eine Reform des Abstammungsrechts. Das geltende Abstammungsrecht verwehrt Kindern aus Regenbogenfamilien den zweiten Elternteil. Es diskriminiert zudem weibliche, trans*, inter* und nicht-binäre Personen als Elternteile. Im Koalitionsvertrag ist eine Reform vereinbart, die Ampelregierung ist aber bisher nicht tätig geworden. Dazu erklärt Patrick Dörr, aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD):

Seit Jahren fordern wir eine Reform des Abstammungsrechts, damit Kinder in Regenbogenfamilien endlich gleiche Rechte haben. Ein Bündnis aus über dreißig Organisationen übergibt heute um 12:45 Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau vor dem Kindergarten des Bundestags Leitplanken für eine Reform des Abstammungsrechts. Die Leitplanken sind eine Aufforderung an den Bundestag, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform endlich auf den Weg zu bringen – und zwar in einer Weise, die keine neuen Diskriminierungen produziert und möglichst umfassend die vielfältigen Familienkonstellationen berücksichtigt. Dafür enthalten die Leitplanken konkrete Vorschläge, die schnell und ohne großen Aufwand umsetzbar sind. Erarbeitet haben die Leitplanken der Deutsche Juristinnenbund (djb), die Initiative Nodoption, die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) und der Lesben- und Schwulenverband (LSVD).

Es ist höchste Zeit, das Abstammungsrecht zu reformieren. Auch nach sechs Jahren „Ehe für Alle“ sind Kinder lesbischer, bisexueller, trans*, inter* und nichtbinärer Elternteile noch immer auf die Stiefkindadoption angewiesen, um einen zweiten rechtlichen Elternteil zu bekommen. Das sind sechs bis 18 Monate, in denen das Kind sorge-, unterhalts- und erbrechtlich nur durch einen Elternteil abgesichert und die Geburtsurkunde unvollständig ist. Mehrere Oberlandesgerichte haben die aktuellen Regelungen zum Abstammungsrecht schon dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil sie an deren Verfassungsmäßigkeit zweifeln. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus. Es gibt mehrere Petitionen mit insgesamt über 80.000 Unterschriften, die eine unverzügliche Abstammungsrechtsreform fordern.

Die Ampelregierung hat im Koalitionsvertrag eine umfassende Reform des Abstammungs- und Familienrechts zur besseren rechtlichen und gesellschaftlichen Absicherung von Regenbogenfamilien versprochen. Angekündigt sind vorgeburtliche Elternschaftsvereinbarungen, die Aufwertung der sozialen Elternschaft, die Öffnung des Samenspenderregisters für private Spenden, die Einführung einer Verantwortungsgemeinschaft, und die automatische Elternschaft beider Mütter, wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sofern nichts anderes vereinbart ist. Bisher hat die Bundesregierung weder Eckpunkte noch einen Gesetzentwurf für die versprochenen Reformen vorgelegt.

Leitplanken zur Abstammungsrechtsreform

Das geltende Abstammungsrecht verwehrt Kindern queerer Eltern den zweiten Elternteil. Es
diskriminiert zudem weibliche, trans, inter und nicht-binäre Personen als Eltern. Wir fordern
die Gesetzgebung auf, umgehend die folgenden Maßnahmen zu ergreifen:

1. Zwei Eltern für alle Kinder ermöglichen.

Das geltende Recht sieht zwei Elternstellen für ein Kind vor. Nach dem Wortlaut des Gesetzes
und der Rechtsanwendung durch Standesämter und Gerichte wird die zweite Elternstelle
bislang jedoch nur an einen „Mann“ als „Vater“ vergeben.

Das Freibleiben der zweiten Elternstelle dient nicht dem Kindeswohl. Daher ist gesetzlich klarzustellen, dass die Regelungen für die Vaterschaft nach § 1592 BGB auch auf eine Frau oder eine Person ohne oder mit Geschlechtseintrag „divers“ entsprechend anzuwenden sind.
Die Elternbezeichnung ist dann „Mutter“ oder „Elternteil“. §§ 1594 und 1600d BGB sind entsprechend anzupassen.

Regelungsmöglichkeit/Forderung: § 1592 BGB wird um folgenden Absatz 2 ergänzt: Mutter eines Kindes ist eine Frau in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. Elternteil eines Kindes ist eine Person ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1.

2. Gleichbehandlung auch bei den Korrekturmöglichkeiten.

§ 1600 BGB räumt in besonderen Ausnahmefällen Korrekturmöglichkeiten für die Eltern-Kind-Zuordnung ein. Diese Korrekturmöglichkeiten müssen auch auf den zweiten Elternteil im
Sinne des § 1592 Abs. 2 BGB n.F. erstreckt werden. Regelungsmöglichkeit/Forderung: § 1600 BGB wird um folgenden Absatz 5 ergänzt: Die Absätze 1 bis 4 geltend entsprechend für den zweiten Elternteil gemäß § 1592 Abs. 2 BGB.

3. Identitätsverfälschung von trans Eltern beenden.

Für trans Personen stellt sich ein besonderes Problem. Sie werden, auch wenn ihr Kind nach Abschluss der Transition geboren wird, mit ihrem unzutreffenden Geschlecht und Vornamen im Geburtenregister eingetragen. Regelungsmöglichkeit/Forderung: § 5 Abs. 3 TSG und § 11 TSG werden ersatzlos gestrichen.

4. Diskriminierungen bei der Besetzung der ersten Elternstelle beseitigen.

§ 1591 BGB ist bislang beschränkt auf Frauen als Mütter. Um der Vielfalt der rechtlichen Geschlechtszugehörigkeit von Menschen gerecht zu werden, ist eine Zuordnung als Elternteil oder Vater auch für gebärende trans, inter, nicht-binäre oder geschlechtslose Personen zu ermöglichen.

Regelungsmöglichkeit/Forderung: § 1591 BGB wird um folgenden Absatz 2 ergänzt: Vater eines Kindes ist ein Mann in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. Elternteil eines Kindes ist eine Person ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1.

5. Verbindliche Übernahme von Verantwortung unabhängig von Ehe ermöglichen.

Queere Herkunftsfamilien sind vielfältig. Den größten Anteil machen Zwei-Mütter-Familien aus, die zu zweit Eltern sind. Daneben gibt es Regenbogenfamilien, in denen die Elternschaft nicht an die Paarkonstellation gebunden sein soll, etwa wenn ein lesbisches Ehepaar nicht lediglich einen privaten Samenspender sucht, sondern der Samenspender auch eine rechtliche und soziale Vaterrolle einnehmen will und soll.

Das geltende Recht kennt solche Konstellationen in Heterokontexten bei der sogenannten „Dreier-Erklärung“ nach § 1599 BGB. Bislang setzt diese Erklärung voraus, dass ein Scheidungsverfahren anhängig ist, und die Erklärung wird erst mit Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses wirksam. Die Koalition hat bereits angekündigt, die „Dreier-Erklärung“ auch unabhängig von einem Scheidungsverfahren zu ermöglichen.

Die Angleichung der zweiten Elternstelle, wie unter 1. gefordert, führt nicht in jedem Fall dazu, dass die übernommene Elternverantwortung rechtlich abgebildet wird. Die Lösung kann nur sein, alternativ zu der Zuordnung der zweiten Elternstelle auf Grund von Ehe eine verbindliche Verantwortungsübernahme qua übereinstimmender Erklärungen zu ermöglichen. Regelungsmöglichkeit: § 1599 BGB wird um folgenden Absatz 3 ergänzt: Die Regelung des § 1592 Abs. 2 in Verbindung mit § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB gilt nicht, wenn eine dritte Person die Elternschaft vor der Geburt des Kindes anerkannt und der Elternteil nach § 1591 BGB sowie die mit ihm verheiratete Person dem zugestimmt haben.

6. Präkonzeptionelle Übernahme von Verantwortung ermöglichen.

Bisher können Erklärungen zur Übernahme elterlicher Verantwortung erst nach der Zeugung rechtsverbindlich abgegeben werden. Nur bei Anfechtungs- und Feststellungsmöglichkeiten bindet das geltende Recht in §§ 1600 Abs. 4 und 1600d Abs. 4 BGB die Eltern und den Samenspender an präkonzeptionelle Erklärungen. Dies verunsichert werdende Regenbogenfamilien und ist mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren. Regelungsmöglichkeit: § 1594 Abs. 4 wird geändert und wie folgt neu gefasst: Die Anerkennung ist schon vor der Zeugung des Kindes zulässig.

7. Diskriminierung auch rückwirkend beseitigen.

Die Elternschaft nach § 1592 Abs. 2 BGB n.F. in Verbindung mit § 1592 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann auch begründet werden für Kinder, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens schon geboren sind. Bereits erfolgte Erklärungen nach § 1597 Abs. 1 BGB bleiben wirksam. Die Elternschaft nach § 1592 Abs. 2 BGB n.F. in Verbindung mit § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann auch begründet werden, wenn die Ehe oder Lebenspartnerschaft des Elternteils nach § 1591 BGB bei Geburt bereits bestanden hat und beide Eltern die Zuordnung dem Standesamt gegenüber formlos anzeigen. Der übereinstimmende Antrag auf Feststellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses an das Familiengericht sowie die Geltendmachung der gemeinsamen Elternschaft im Rahmen der Geburtsanzeige oder im Verfahren auf Eintragung im Geburtenregister gelten als Anzeige im Sinne des vorherigen Satzes. Eine Rückwirkung ist ausgeschlossen, wenn das Kind im Zeitpunkt, in dem das Gesetz in Kraft tritt, bereits zwei rechtliche Eltern hat. In bestehende Statusverhältnisse soll durch die Reform nicht rückwirkend eingegriffen werden. Bei einer nicht mit §§ 1591 Abs. 2, 1592 Abs. 2 BGB n.F. zu vereinbarenden Bezeichnung eines Elternteils ist auf Antrag ein neuer Geburtenregistereintrag anzulegen.

8. Samenspenderregister öffnen.

Bislang können nur Samenbank-Spender registriert werden. Deshalb ist nur für Kinder, die mittels kommerzieller Kinderwunschbehandlung unter Mitwirkung einer Samenbank gezeugt wurden, das Recht auf Kenntnis der Abstammung sichergestellt. Kindern, die unter Mitwirkung privater Samenspender gezeugt wurden, bleibt diese Rechtssicherheit verweigert.

Regelungsmöglichkeit: Auch private Samenspender müssen ihre Informationen im Spenderregister hinterlegen können, um den Kindern ein unabhängiges Auskunftsrecht ab dem Alter von 16 Jahren zu ermöglichen.

Initiierende:
Deutscher Juristinnenbund, djb
Lesben- und Schwulenverband Deutschland, LSVD
Initiative Nodoption
Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen, BASJ

Fotos: Scarlett Werth