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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Forschungsbericht: Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys

Veröffentlichung durch Aidshilfe und Robert-Koch-Institut am 15.05.2023

Personen aus trans und nicht-binären Communitys haben in vielen Regionen der Welt eine erhöhte Vulnerabilität für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI). In Deutschland fehlten bislang Daten zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Menschen. Daher wurde an der Deutschen Aidshilfe (DAH) und am Robert Koch-Institut (RKI) eine partizipative Studie zusammen mit Community-Vertreter*innen geplant und durchgeführt, die vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurde. Im Rahmen der Studie wurden Fragestellungen zur sexuellen Gesundheit mit qualitativen und quantitativen Methoden untersucht und erstmals Daten dazu erhoben und ausgewertet. Die Studie wurde von Oktober 2020 bis April 2023 durchgeführt. (Quelle; RKI/ Aidshilfe)

Zur sexuellen Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys ist bisher wenig bekannt. Auch ist unklar, wie viele Personen in Deutschland leben, die sich im trans und/oder nicht-binären Spektrum verorten.

1. Zusammenfassung der Studie

Personen aus trans und nicht-binären Communitys haben in vielen Regionen der Welt eine erhöhte Vulnerabilität für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI). In Deutschland fehlten bislang Daten zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Menschen.

Daher wurde an der Deutschen Aidshilfe (DAH) und am Robert Koch-Institut (RKI) eine partizipative Studie zusammen mit Community-Vertreter*innen geplant und durchgeführt, die vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurde. Im Rahmen der Studie wurden Fragestellungen zur sexuellen Gesundheit mit qualitativen und quantitativen Methoden untersucht und erstmals Daten dazu erhoben und ausgewertet. Die Studie wurde von Oktober 2020 bis April 2023 durchgeführt.

Im Rahmen des qualitativen Studienteils, der an der DAH durchgeführt wurde, wurden mit Fokusgruppen und Interviews Daten zur Sprache bezüglich Sexualität und Körper, zu Belastungsfaktoren auf die sexuelle Gesundheit, zu unterstützenden Aspekten für ein positives Selbstbild sowie zu Hindernissen in der Inanspruchnahme von Testangeboten erhoben. Insgesamt nahmen 59 Personen teil. Es zeigte sich, dass es keinen Community-Konsens bezüglich verwendeter Begriffe für vergeschlechtlichte Körperteile gibt, stattdessen möchten trans und/oder nicht-binäre Menschen gefragt werden, welche Begriffe verwendet
werden. Wir konnten zudem sowohl Belastungs- als auch Empowermentfaktoren für die sexuelle Gesundheit identifizieren. Während (sexualisierte) Gewalterfahrungen, Minoritätenstress, Geschlechtsdysphorie und internalisierte Transnegativität zu erhöhter Vulnerabilität und verringerter sexueller Verhandlungskompetenz führen, wirken sich Konsens und Kommunikation in der Sexualität sowie Körperaneignung, Selbsterfahrung, Transitionsprozesse, bestärkende Partner*innen und Anschluss an die Communitys bestärkend auf die sexuelle Gesundheit aus. Beratungsangebote, die nicht auf trans und/oder nicht-binäre Menschen spezialisiert waren, wurden von den Teilnehmer*innen des qualitativen Studienteils in der Regel als unzureichend empfunden, da beim Personal sowohl Fachexpertise als auch die Sensibilität fehlte, um adäquat zu versorgen.

Die wenigen spezialisierten Angebote, die es bundesweit gibt, wurden gut angenommen und hervorgehobenIm Rahmen des quantitativen Studienteils, der am RKI durchgeführt wurde, wurden Informationen erhoben, in welchem Ausmaß Personen aus trans und nicht-binären Communitys von HIV und STIs betroffen sind, welche Faktoren bei Sexualität und sexuellen Risiken eine Rolle spielen und welche Erfahrungen und Bedarfe im Kontext von Sexualität und HIV/STI-Prävention, Beratung und Versorgung bestehen. Insgesamt konnten
Angaben von 3.077 Teilnehmer*innen ausgewertet werden, wobei nicht alle Teilnehmer*innen jede Frage beantworteten. Der Anteil der Befragten mit selbst-berichteter HIV-Diagnose lag bei 0,7%, die häufigste erhaltene STI-Diagnose waren Chlamydien (4,5%) und Gonorrhoe (2,7%). Über 30% der Befragten gaben eine hohe Zufriedenheit mit dem Sexualleben an und Einflussfaktoren konnten charakterisiert werden.

Während 45,3% der Befragten angaben, in den letzten fünf Jahren einen HIV/STI-Beratungswunsch gehabt zu haben, haben nur 26,5% eine Beratung in Anspruch genommen. Barrieren für die Inanspruchnahme von Beratung wurden identifiziert, z.B. erfahrene oder erwartete Diskriminierung. Von den Befragten, die eine Beratung in Anspruch genommen haben, waren 66,5% mit der letzten Beratung sehr bis eher zufrieden und 15,7% der Befragten eher bis sehr unzufrieden. Der Anteil der zufriedenen Befragten war höher, wenn die Beratung auf trans und nicht-binäre Menschen ausgerichtet war (88,4%) als bei einem allgemeinen Beratungsangebot (62,4%).

2. Transitionsprozesse

Die Ergebnisse der Online-Befragung zeigen, wie divers Transitionsprozesse sind und es auch innerhalb der Geschlechterspektren keinen vorgefertigten Weg gibt. 2.985 Personen machten Angaben, wann sie anfingen, sich ihrer geschlechtlichen Identität bewusst zu werden (missing: 92). Der Median liegt bei einem Wert von 15 Jahren (Interquartilabstand 11-20). Der Bewusstwerdungsprozess liegt im Median bei 3 Jahren (Interquartilabstand 2-5, n = 2.937, missing: 140) und endet im Median mit 19 Jahren (Interquartilabstand 15-
25, n = 2.939, missing: 138). Von 3.010 Befragten haben 91,0% bereits einer anderen Person ihre geschlechtliche Identität mitgeteilt (äußeres Coming-out, missing: 67). Die Befragten waren zu diesem Zeitpunkt im Median ca. 21 Jahre alt (Interquartilabstand 17-26, n = 2.744, missing: 333). Mit 87,6% gaben die meisten Befragten an, dass es in ihrem Leben eine oder mehrere Phasen gab, in denen sie versucht haben, in ihrem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht zu leben (n = 2.691, missing: 386). Zum Zeitpunkt der Befragung gab mit 53,8% etwa die Hälfte der Befragten an, im Alltag entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität zu leben, 40,7% taten dies teilweise und 5,6% nicht (n = 2.914, missing: 163).

Von den angleichenden Maßnahmen, um das eigene Erscheinungsbild (engl. gender expression) und/oder den Körper der geschlechtlichen Identität anzupassen, werden von den meisten Befragten Anpassungen im alltäglichen Leben genutzt (siehe Tabelle).

Angleichende Maßnahmen im alltäglichen Leben in %

Neuer oder angepasster Vorname verwendet 77,2
Angepasstes Pronomen verwendet 79,9
Geschlechtsausdruck angepasst (z.B. Verhalten, Stimme, Gangart, Kleidung) 76,0
Nicht-operative körperliche Anpassungen vorgenommen (z.B. Rasur, Frisur,
Tattoos, Packing, Tucking, Binding, Epithese, Piercing, Kosmetik)
78,3

Deutlich seltener werden medizinische Maßnahmen in Anspruch genommen, um den Geschlechtsausdruck der geschlechtlichen Identität anzupassen (Abbildung 7 und Tabelle 6). Von den medizinischen Maßnahmen zur Anpassung des Geschlechtsausdrucks werden am häufigsten eine Hormontherapie (47,8%), gefolgt von einer Epilation (21,4%), einer Brust-OP (18,8%) und Logopädie (15,2%) in Anspruch genommen.

Binär weiblich bzw. männlich verortete Personen nehmen die meisten medizinischen Anpassungsmaßnahmen und einzelne davon am häufigsten in Anspruch. Dies betreffen insbesondere die Hormontherapie und angleichende Operationen der Genitalien (weibliches Spektrum: 71,5% und 20,9%, männliches Spektrum: 74,8% und 11,5%). Die Hälfte der Personen im weiblichen Spektrum nahm eine Epilation in Anspruch (51,7%) und noch 39,0% eine Logopädie. Personen im männlichen Spektrum nahmen fast zur Hälfte eine Operation der Brust (46,5%) und ein kleinerer Teil auch Logopädie (10,5%) in Anspruch. Personen im nicht-binär, weiblichen Spektrum nahmen insbesondere eine Hormontherapie (36,8%), eine Epilation (24,8%) und Logopädie (14,7%) in Anspruch. Knapp die Hälfte der Personen im nicht-binär, männlichen Spektrum nahm eine Hormontherapie (45,4%) in Anspruch und noch ein Viertel ließ eine Operation der Brust (23,7%) durchführen. Personen im nicht-binären Spektrum nahmen am seltensten medizinische Angleichungsmaßnahmen in Anspruch. Am häufigsten wurden eine Hormontherapie (15,1%) und eine Brust-OP (7,2%) angegeben.

Differenziert nach Spektren geschlechtlicher Identitäten zeigt sich, dass binär verortete Personen deutlich häufiger beide rechtliche Änderungen vornehmen als Personen, die sich auch oder ausschließlich im nichtbinären Spektrum verorten.

Hürden auf dem Weg der körperlichen und/oder rechtlichen Transition

Der Zugang zum Gesundheitssystem stellt für 16,0% eine aktuelle und/oder in der Vergangenheit vorhandene Hürde da (missing: 551), wohingegen dies für 62,0% keine Hürde darstellte und für 22,0% nichtzutreffend war (Tabelle 9). Deutlich höher war jedoch der Anteil derjenigen, die angaben, dass sie Schwierigkeiten hatten, einen geeigneten Behandlungsplatz für die Transition zu finden, zu der 2.447 Teilnehmer*innen Angaben machten (missing: 630). Für 71,2% dieser Befragten stellte dies eine aktuelle und/oder in der Vergangenheit liegende Hürde da, für 16,2% keine Hürde und für 12,6% war dies nichtzutreffend Diskriminierungserfahrungen im Kontakt mit Behandler*innen waren für 57,1% eine Hürde, der sie sich zum Befragungszeitpunkt oder in der Vergangenheit gegenübersahen (missing: 706). 25,4% gaben dies nicht als Hürde im Rahmen ihrer Transition an und 17,4% gaben an, dass diese Hürde nicht auf sie zutraf. Bezüglich der Leitlinien des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDS-Leitlinien) machten 2.272 Befragte eine Angabe, ob diese eine Hürde im Rahmen ihrer Transition darstellten (missing: 805). Insgesamt 72,5% gaben an, dass diese eine Hürde zum Befragungszeitraum und/oder in der Vergangenheit darstellten, für 14,9% waren diese keine Hürde und 12,5% gaben an, dass dies nicht auf ihre Situation zutrifft. Weiterhin wurde abgefragt, ob sich die Befragten im Rahmen der sozialen Situation Hürden auf dem Weg der Transition gegenübersahen und 2.552 Teilnehmer*innen machten hierzu Angaben (missing: 525). Von diesen gaben 61,5% an, dass sie Hürden in der sozialen Situation hatten, 30,5% gaben an, dass sie keine Hürden hatten und 8,0% gaben an, dass dies nicht auf sie zutrifft.

  Keine
Hürde
(%)

Hürde in
der
Vergangenheit (%)
Aktuell
eine
Hürde
(%)
Aktuell und
in der
Vergangenheit eine
Hürde (%)
Trifft
nicht
zu (%)
Finanzielle Situation (z.B.
Kosten für angleichende
Maßnahmen oder Gutachten
oder Gerichtskosten)
18,3 15,7 25,3 29,7 11,0
Berufliche Situation (z.B. keine
Freistellung, Befürchtung, den
Arbeits-/ Ausbildungsplatz zu
verlieren, (Angst vor
Diskriminierung im Job)
29,4 17,1 19,6 19,8 14,2
Zugang zum
Gesundheitssystem (z.B. keine
Krankenversicherung, kein
sicherer Aufenthaltsstatus)
62,0 6,0 4,9 5,1 22,0
Keinen Behandlungsplatz bei
unterstützenden oder fachlich
kompetenten Ärzt*innen,
Therapeut*innen, Kliniken o.ä.
gefunden
16,2 26,3 19,9 25,0 12,6
Diskriminierung im Kontakt
mit Behandler*innen
(Ärzt*innen, Therapeut*innen,
Kliniken o.ä.)
25,4 24,4 10,7 22,0 17,4
Leitlinien des MDS (z.B.
Diagnosen, zweigeschlechtliche
Norm)
14,9 15,0 23,8 33,8 12,5
Soziale Situation (z.B. religiöse,
kulturelle, familiäre Hürden)
30,5    21,3 14,5 25,7 8,0

3. Berichtete Erfahrungen von Diskriminierung und Benachteiligung

Trans und nicht-binäre Menschen berichten in verschiedenen Lebensbereichen von Diskriminierungserfahrungen und Benachteiligungen. Im quantitativen Studienteil stellten wir den Teilnehmer*innen Fragen, inwiefern ihre geschlechtliche Identität respektiert wird bzw. sie sich in diesem Zusammenhang diskriminiert fühlten. 39,7% der Befragten gab an, dass ihre geschlechtliche Identität manchmal oder nie respektiert werde und mehr als die Hälfte der Befragten (60,3%) berichtete, dass dies meistens oder immer der Fall sei (missing: 463). Dennoch gaben auch fast zwei Drittel der Teilnehmer*innen (62,4%) an, dass sie im Zusammenhang mit ihrer geschlechtlichen Identität manchmal und 22,1%, dass sie meistens oder immer diskriminiert werden (missing: 790).

Die Lebensrealitäten von trans und nicht-binären Menschen sind nicht nur durch ihre geschlechtliche Identität geprägt, sondern werden zusätzlich durch weitere soziale Verortungen und deren Verwobenheit beeinflusst (z.B. sexuelle Orientierung, Alter, chronische Erkrankungen, sowie körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen/ -behinderungen, Herkunft, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Religion, soziale Herkunft). Das Zusammenwirken von verschiedenen Zugehörigkeiten und Zuschreibungen und den damit verbundenen Privilegien bzw. Benachteiligungen und Diskriminierungen wird als Intersektionalität beschrieben.

Die Teilnehmer*innen der quantitativen Teilstudie wurden nach verschiedenen möglichen Benachteiligungen, Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen gefragt. Die entsprechenden Items wurden partizipativ erarbeitet. Erfragt wurden Erfahrungen im alltäglichen Leben, in medizinischen und sexuellen Kontexten sowie nach Benachteiligungen in den Bereichen Bildung, Beruf und Wohnen, die materielle bzw. finanzielle Nachteile mit sich bringen. Weitere detaillierte Angaben zu den jeweiligen Kontexten und Ausformungen der berichteten Erfahrungen konnten im Rahmen der quantitativen Befragung nicht erhoben werden, so dass die einzelnen Erfahrungen hier nicht weiter eingeordnet oder bewertet werden können. Die berichteten Daten beruhen auf den Erfahrungen und Einschätzungen der Teilnehmer*innen.

Jemals eine Form von Rassismus erfahren zu haben, gaben insgesamt 19,8% der Befragten an (n = 1.934, missing: 1.143). Mögliche Rassismuserfahrungen wurden in der partizipativ angelegten Studie in verschiedenen Kontexten abgefragt (Tabelle 10). Wenn eine Person mindestens einem der Items im Fragebogen zustimmte, wurde sie zu der Personengruppe hinzugezählt, die berichteten, jemals eine Form von Rassismus erfahren zu haben.

Weitere mögliche Diskriminierungserfahrungen wurden ebenfalls erhoben, die verschiedene intersektionale Aspekte und Zugehörigkeiten umfassen: Von Antisemitismuserfahrungen berichteten 3,1% der Teilnehmer*innen (n = 1.817, missing: 1.260) und von Altersdiskriminierung 41,2% der Befragten (n = 1.698, missing: 1.379). Aufgrund des Körpergewichts gaben 49,8% der Befragten an, jemals diskriminiert worden zu sein (n = 1.856, missing: 1.221). Mögliche Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen sowie Behinderung/ Beeinträchtigung wurden für den sexuellen Kontext abgefragt und von 15,0% der Befragten berichtet (n = 1.443, missing: 1.634).

Berichtete mögliche Diskriminierungserfahrungen im täglichen Leben

  Nie
(%)
In den
letzten 12
Monaten
(%)
In den
letzten 5
Jahren
(%)
Vor über 5
Jahren
(%)
Ich wurde mit Blicken oder Gesten herabgesetzt (z.B. angestarrt). 5,9 73,1 14,7 6,3
Ich wurde beleidigt, beschimpft oder ausgelacht. 13,9 49,3 23,5 13,3
Mir wurde gedroht, mich zu verlassen oder den Kontakt abzubrechen. 59,6 13,6 16,8 9,9
Personen haben den Kontakt zu mir abgebrochen. 38,1 20,5 27,3 14,1
Ich wurde mit einem falschen Pronomen oder einem Namen angesprochen, den ich nicht mehr nutze. 8,5 79,8 8,3 3,4
Meine geschlechtliche Identität wurde nicht ernst genommen. 7,7 73,5 14,2 4,6
Mir wurde gesagt, dass ich psychisch krank bin. 28,1 48,5 17,2 6,2
Mir wurde gesagt, dass ich mich psychotherapeutisch behandeln lassen sollte, um meine geschlechtliche Identität zu verändern. 52,0 26,5 14,7 6,8
Mir wurden unangemessene Fragen zu meinem Körper oder zu meiner Sexualität gestellt. 14,1 65,3 16,3 4,3
Mir wurde gedroht, mich als trans bzw. nicht-binär zu outen. 86,8 6,9 4,6 1,7
Ich wurde ungefragt geoutet. 38,1 40,7 17,1 4,1
Ich wurde lächerlich gemacht. 21,3 42,6 20,0 16,1
Ich wurde gegen meinen Willen fotografiert oder gefilmt. 46,4 24,9 18,3 10,4
Mir wurde Gewalt angedroht oder ich wurde körperlich bedroht. 41,4 20,7 18,9 18,9
Ich wurde körperlich angegriffen. 55,5 8,2 14,1 22,2
Ich wurde körperlich angegriffen. 80,9 5,9 6,4 6,7

Berichtete Benachteiligungen in den Bereichen Bildung, Beruf und Wohnen

  Nie
(%)
In den
letzten 12
Monaten
(%)
In den
letzten 5
Jahren
(%)
Vor über 5
Jahren
(%)
Ich habe meine Papiere/ Dokumente nicht geändert bekommen. 58,3 25,7 11,9 4,1
Ich konnte eine Ausbildung nicht machen oder eine Schule oder Universität nicht
besuchen.
7,0 7,0 8,5 8,6
Mir wurde gekündigt oder ich musste eine Bildungseinrichtung verlassen. 79,0 5,6 8,6 6,8
Ich wurde vom Jobcenter als unvermittelbar eingestuft. 91,8 2,9 2,5 2,8
Ich wurde im Berufs- und/ oder Bildungsbereich gemobbt bzw. schlechter anerkannt als meine Kolleg*innen. 53,5 13,8 17,6 15,1
Meine Arbeitsleistungen wurden vergleichsweise schlechter bewertet oder herabgesetzt. 58,8 18,2 14,6 8,5
Ich habe weniger Gehalt als eine andere Person mit vergleichbarer Tätigkeit erhalten. 68,2 15,7 11,0 5,2
Ich habe eine Wohnung nicht bekommen. 64,4 14,8 14,8 7,5

Berichtete Erfahrungen und erlebte Situationen im medizinischen Bereich

  Nie
(%)
In den
letzten 12
Monaten
(%)
In den
letzten 5
Jahren
(%)
Vor über 5
Jahren
(%)
Ich habe bestimmte medizinische Leistungen nicht in Anspruch genommen, weil ich Sorge hatte, unangemessen behandelt zu werden. 21,5 64,2 12,8 1,4
Ich wurde mit falschem Namen oder falschen Pronomen angesprochen. 17,9 59,5 16,8 5,9
Mir wurden im Begutachtungsgespräch oder während der medizinischen Behandlung unangemessene Fragen gestellt. 36,1 36,4 21,6 6,0
Mein Anliegen wurde nicht ernst genommen. 17,8 55,1 22,8 4,3
Persönliche Ansichten und Einstellungen der Behandler*innen haben Diagnose bzw. Therapieentscheidungen beeinflusst. 19,2 51,3 24,5 5,1
Ich musste die Behandler*innen über trans bzw. nicht-binäre Fragen aufklären (z.B. medizinische oder rechtliche Aspekte, Lebenssituation). 21,6 60,4 15,5 2,5
Ich musste Ärzt*innen wechseln, da sie sich nicht kompetent für mich fühlten, aber auch keine Schulung machen wollten. 58,0 25,3 13,5 3,2
Meine Identität als trans oder nicht-binäre Person wurde nicht ernst genommen, weil ich eine psychiatrische Diagnose habe. 67,4 18,5 10,6 3,5
Meine Identität als trans oder nicht-binäre Person wurde nicht ernst genommen, weil ich „zu jung“ bin. 72,3 7,9 8,5 11,3
Meine Identität als trans oder nicht-binäre Person wurde aufgrund meiner Religion / Weltanschauung nicht ernst genommen. 96,2 2,4 0,9 0,5
Meine Identität als trans oder nicht-binäre
Person wurde nicht ernst genommen, weil ich eine Behinderung habe oder gesellschaftlich behindert werde.
88,3 7,8 2,6 1,3

Auch im medizinischen Bereich berichteten die Befragten von negativen Erfahrungen und Situationen. Am häufigsten berichteten die Teilnehmer*innen, dass ihr Anliegen nicht ernst genommen wurde (82,2%, missing: 1.339) und dass sie mit einem falschen Namen oder falschen Pronomen angesprochen wurden (82,1%, missing: 1.395). 78,5% gaben an, dass sie jemals eine medizinische Leistung nicht in Anspruch genommen haben, weil sie befürchteten, unangemessen behandelt zu werden (missing: 1.307). Insbesondere der letzte Punkt verweist auf Barrieren für die Inanspruchnahme von medizinischen Versorgungsleistungen.

Mögliche Diskriminierungserfahrungen, erlebte Situationen und Gewalterfahrungen im sexuellen Kontext

  Nie
(%)
In den
letzten 12
Monaten
(%)
In den
letzten 5
Jahren
(%)
Vor über 5
Jahren
(%)
Ein persönliches Treffen wurde verweigert oder
abgebrochen.
56,9 20,8 15,5 6,8
Mir wurde unterstellt, dass ich keinen Sex habe. 56,1 23,9 13,5 6,5
Ich wurde zum Sexobjekt gemacht (z.B. auf
meine körperlichen Eigenschaften reduziert,
fetischisiert).
32,8 41,0 19,0 7,2
Mir wurde gesagt, dass mir körperlich etwas fehlt (z.B. Körperteile oder -flüssigkeiten). 60,0 24,9 11,2 3,9
Ich wurde wegen meines Alters zurückgewiesen. 82,5 7,7 5,9 3,9
Ich wurde als Sexpartner*in zurückgewiesen. 51,2 23,1 18,1 7,5
Ich wurde in meiner geschlechtlichen Identität
nicht anerkannt.
29,7 40,1 22,7 7,5
Ich wurde aufgrund meiner Herkunft oder
Sprache zurückgewiesen.
97,3 1,3 0,5 1,0
Ich hatte das Gefühl, meine geschlechtliche
Identität mit meinem Verhalten beweisen zu
müssen.
21,4 58,0 15,3 5,3
Ich habe Rassismus erfahren (Ablehnung
aufgrund meiner Hautfarbe, meiner
Gesichtszüge, meiner Körperformen, meiner
Haare, meiner Sprache, meiner Herkunft und
damit verbundenen Stereotypen).
94,2 3,1 1,3 1,5
Ich wurde auf rassistisch-fetischisierende Weise
angesprochen.
92,4 4,0 2,3 1,3
Ich wurde gedrängt, mich in einer stereotypen
Art zu präsentieren oder zu verhalten.
43,9 29,3 17,7 9,1

4. Erfahrungen bei der Beratung zur sexuellen Gesundheit und HIV/STI

Positive Versorgungserfahrungen

Positive Versorgungserfahrungen bezogen sich einerseits auf Schwerpunktpraxen oder Checkpoints, die sich explizit einen Schwerpunkt im Bereich Trans/Nicht-Binarität angeeignet hatten, andererseits auf vereinzelte regionale Angebote. Bei Letzteren war die Expertise meist nicht institutionell verankert, sondern bezog sich auf eine Einzelperson, die die notwendige Expertise in das Projekt, den Träger oder die Praxis einbrachte, beispielsweise weil sie selbst trans und/oder nicht-binär war.

Insgesamt bezog sich ein großer Teil der positiven Versorgungserfahrungen auf Peer-Beratung. In der Peer-Beratung fühlten sich die Teilnehmer*innen in der Regel sicher vor diskriminierenden Versorgungserfahrungen, sie gingen davon aus, ihre trans/nicht-binär-spezifischen Fragen fachlich beantwortet zu bekommen und fanden es einfacher, diese auch zu thematisieren. Noah berichtete im Expert*inneninterview, dass sein Träger auch explizit mit dem Peer-Ansatz werbe. Die ratsuchenden Personen könnten direkt bei Anmeldung ankreuzen, von einer trans Person beraten werden zu wollen.

Negative Versorgungserfahrungen

Nach den Erfahrungen der Teilnehmer*innen hatten viele Berater*innen keine Erfahrung mit trans und nicht-binären Menschen. Ihnen fehlte es sowohl an der nötigen Sozialkompetenz, um adäquat mit trans/nicht-binären Menschen in Kontakt zu treten, als auch an dem nötigen spezifischen Fachwissen. Daher erlebten viele Teilnehmer*innen unbeabsichtigte diskriminierende Situationen. Manchmal machten Teilnehmer*innen jedoch auch Versorgungserfahrungen mit offen transnegativ auftretendem Personal in der Versorgung.

Eine der am häufigsten genannten negativen Versorgungserfahrungen war, wenn Teilnehmer*innen nicht gemäß ihrer Geschlechtsidentität behandelt wurden oder behandelt werden konnten. Hier war oft schon die passende Anrede das Problem, wenn z.B. eine trans Frau als „Herr“ angesprochen wurde, das gewünschte Pronomen oder Namen nicht verwendet, ignoriert, vergessen oder auch nach mehrfacher Korrektur nicht korrekt verwendet wurde. Hiervon waren nicht-binäre Menschen besonders häufig betroffen. Diese Problematik setze sich in den Anamnesebögen fort, die in den entsprechenden Einrichtungen verwendet wurden. Teilnehmer*innen berichteten häufig davon, nur zwei Geschlechtsoptionen auf den Bögen ankreuzen zu können. Ein weiteres Problem waren gegenderte Bögen, nach männlich und weiblich sortiert, die allerdings nur auf cisgeschlechtliche Körper bezogen waren. Werden diese Bögen dann anhand des äußeren Erscheinungsbilds verteilt, stimmen die abgebildeten Genitalien und Schleimhäute gegebenenfalls nicht mit der körperlichen Verfasstheit der Behandlungssuchenden überein. Versorgungssuchende trans und nicht-binäre Personen machten so zunächst die Erfahrung, in dem Angebot, das sie gerade in Anspruch nehmen wollten, konzeptionell nicht mit eingeschlossen zu sein. Manche Teilnehmer*innen berichteten, in solchen Fällen nicht zu intervenieren, sondern stattdessen die „falsche“ Beratung in Anspruch zu nehmen, also zum Beispiel als trans Mann, der vorrangig aufnehmenden Vaginalverkehr mit schwulen Männern praktiziert, ausschließlich zu Analverkehr informiert zu werden. Andere Teilnehmer*innen berichteten, in solchen Situationen die eigene Transgeschlechtlichkeit zu thematisieren und manche beschrieben auch, sich situativ unterschiedlich zu entscheiden.

Zum anderen erlebten viele Teilnehmer*innen Situationen, in denen ihr eigenes Fachwissen das ihrer Berater*innen/ Versorger*innen überstieg. Viele Teilnehmer*innen berichteten mit Bezug auf Versorgungserfahrungen auch von Situationen, in denen das fehlende Grundlagenwissen zu trans und nicht-binären Lebenswelten zu falschen Vorannahmen auf Seiten der Berater*innen über Lebenswandel und Verhalten mit einem höheren Risiko für HIV/STI führte. Ein anderes auftretendes Problem waren die mangelnde Sensibilität und Rücksichtnahme auf spezifisch trans/nicht-binäre Fragestellungen in der Versorgungssituation.

Ein weiteres Thema war die fehlende Sensibilisierung von Gesundheitspersonal bei der Durchführung von Tests. Ein weiteres Thema, das öfter zur Sprache kam, waren negative Versorgungserfahrungen mit Institutionen (Aidshilfen, Beratungsstellen, Gesundheitsämter), die mit der eigenen Trans-Kompetenz warben, dies in der Praxis allerdings nicht erfüllen konnten. Diese Berichte kamen weniger häufig vor als Berichte über nicht kompetente Stellen, wurden von den Teilnehmer*innen aber mit deutlich mehr Empörung bis hin zu offener Wut vorgebracht. Ein weiteres strukturelles Problem ist die fehlende Anerkennung von trans/nicht-binären Personen als vulnerable Zielgruppe in Bezug auf HIV/STI. Als besonders belastend benannten die Teilnehmer*innen Versorgungserfahrungen, in denen sie Mehrfachdiskriminierung erfuhren bzw. in Bezug auf mehrere Identitätsaspekte keine adäquate Versorgungserfahrung machten.

Von 2.322 Befragten wollten 45,3% in den letzten fünf Jahren eine Beratung zu sexueller Gesundheit und HIV/STI in Anspruch nehmen (missing: 755, Abbildung 18). Unabhängig von den Angaben zum Beratungswunsch nahm von 2.400 Befragten etwas über ein Viertel (26,5%) Beratung in den letzten fünf Jahren in Anspruch (missing: 677). Von den 636 Personen, die angaben, Beratung in den letzten fünf Jahren genutzt zu haben, antworteten noch 592 Befragte auf die Frage, ob sich das genutzte Angebot explizit an trans und nicht-binäre Menschen richtete (missing: 44). 16,2% bejahten diese Aussage.

10,9% der Teilnehmer*innen ohne Beratung innerhalb der letzten 5 Jahre berichteten, dass ein Grund für die Nicht-Inanspruchnahme war, dass sie keine Beratungsmöglichkeit in ihrer Nähe hätten. Von dieser Personengruppe wohnte über ein Drittel in einer Großstadt, während in einer Metropole lebende Menschen nur zu 10,5% und 14,2% der auf dem Land bzw. in einem Dorf lebenden Menschen diese Hürde benannten. Diese Befunde zeigen, dass trans und nicht-binäre Menschen auch in Großstädten eine Versorgungslücke wahrnehmen. Da die zugrundeliegenden Fallzahlen allerdings gering sind, ist die Aussagekraft beschränkt.

Die Teilnehmer*innen nehmen insbesondere Hürden für eine Inanspruchnahme wahr, die auf Scham, Stigmatisierung und erfahrende oder befürchtete Diskriminierung verweisen. Dieser Befund deckt sich mit bisherigen Forschungsergebnissen, die insbesondere auf Diskriminierung fokussieren [27, 96].

Übereinstimmend mit der Forschungsliteratur zeigt sich in den Daten eine Lücke zwischen Beratungswunsch und Inanspruchnahme durch trans und nicht-binäre Personen [50]. 45,3% der Befragten wollte in den letzten fünf Jahren eine Beratung zu sexueller Gesundheit und HIV/STI in Anspruch nehmen. Etwas über ein Viertel (26,5%) der Teilnehmer*innen hat in den letzten fünf Jahren Beratung in Anspruch genommen.

Erstmals für Deutschland konnten wir quantitativ beschreiben, welche Beratungsorte von trans und nichtbinären Personen genutzt werden und wie sie diese bewerten. Mit jeweils 23,7% wurden fachärztliche Praxen/ HIV-Schwerpunktpraxen sowie Checkpoints/ Aidshilfen und mit 22,5% wurden hausärztliche bzw. allgemeinmedizinische Praxen am meisten genutzt. Diese Beratungsorte wurden von den Befragten ähnlich bewertet. Etwa zwei Drittel waren sehr bis eher zufrieden mit der letzten Beratung und ein Drittel nur teilweise zufrieden bis sehr unzufrieden. Lediglich das Angebot der Checkpoints/ Aidshilfen wurde besser bewertet. Hier waren 78,9% sehr bis eher zufrieden und 21,1% teilweise zufrieden bis sehr unzufrieden. Es zeigte sich, dass die Zufriedenheit besser war, wenn das Beratungsangebot sich explizit an trans und nicht-binäre Menschen richtete. Jedoch waren auch die Mehrzahl der Teilnehmer*innen mit der letzten Beratung sehr oder eher zufrieden, auch wenn sich diese nicht explizit an trans und nicht-binäre Menschen richtete. Die Befragten gaben in Bezug auf Beratungen, die sich explizit an trans und nicht-binäre Menschen richtete, häufiger an, sich in ihrer geschlechtlichen Identität anerkannt zu fühlen und berichteten häufiger, dass auf trans und nichtbinäre Personen zugeschnittene Informationen zur Verfügung standen. Darüber hinaus gaben sie eher an, dass in der Beratung auf ihre individuellen Bedürfnisse und Lebenssituationen eingegangen wurde. Im Hinblick auf die Berücksichtigung intersektionaler Bedarfe hinsichtlich möglicher Rassismuserfahrungen, Mehrsprachigkeit und Religionszugehörigkeit sowie barrierearme Beratungsangebote und Wissen zu Bedarfen von Menschen mit chronischen Erkrankungen zeigten sich jedoch auch bei diesen Angeboten Defizite.

Quelle: Die ganze Studie als PDF.

Titelfoto von Negative Space