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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Listung von Georgien und Moldau als „sichere Herkunftsstaaten“ im Bundestag

LSVD fordert Schutz queerer Geflüchteter und finanzierte Asylverfahrensberatung

Pressemitteilung vom 16.11.2023

Berlin, 16.11.2023. Heute Nachmittag wird über ein Gesetz im Bundestag abgestimmt, das Georgien und Moldau asylrechtlich als sogenannte sichere Herkunftsstaaten definieren soll. Der LSVD hatte im Voraus wiederholt darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz einen Bruch der Rechtssprechung vom Verfassungsgericht darstellt und dies eine Gefahr für lesbische, schwule, trans*, intergeschlechtliche und queere (LSBTIQ*) Geflüchtete aus diesen Herkunftsländern darstellt. Dazu wurde Patrick Dörr vom LSVD auch als Sachverständiger im Innenausschuss angehört; im Anschluss wurde eine entsprechende Petition auf AllOut mit knapp 8000 Unterschriften an den Ausschussvorsitzenden Dr. Castellucci übergeben. Zur Befassung des Bundestags mit dem Thema erklärt Patrick Dörr aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD):

Die Einstufung des eigenen Herkunftslands als "sicher" trifft LSBTIQ* Geflüchtete dabei besonders hart. Dies liegt vor allem daran, dass sie sich oft spät im oder gar erst nach Ablauf des Asylverfahrens outen – zu groß ist nach der Verfolgung oft die internalisierte Scham und Angst, zu gering das Wissen um Schutzrechte in Deutschland. Auch wenn queere Asylsuchende diese oft massiven inneren Hürden überwinden, wird ihnen sehr häufig die vorgetragene Orientierung bzw. Identität aus unterschiedlichen Gründen vom BAMF nicht geglaubt. In den beschleunigten Verfahren droht daher auch tatsächlich verfolgten LSBTIQ* Asylsuchenden regelmäßig die Abschiebung. Sollte der Bundestag deshalb heute entscheiden, Georgien und Moldau als „sichere Herkunftsstaaten“ zu listen, in denen LSBTIQ* vor Verfolgung nicht sicher sind, ist hilfsweise zumindest eine Regelung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche sowie queere Menschen einzufügen. Diese muss sicherstellen, dass Antragsteller*innen, die vor LSBTIQ*-feindlicher Verfolgung geflohen sind, nicht bzw. möglichst wenig von den negativen Folgen einer Bestimmung ihrer Herkunftsstaaten als sichere Herkunftsstaaten betroffen sind.

Wenn der Bundestag tatsächlich einer Ausweitung der Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten um Georgien und Moldau zustimmt, wäre es darüber hinaus von großer Dringlichkeit, die Qualität der im Asylverfahren eingerichtete, behördenunabhängige Asylverfahrensberatung auskömmlich zu finanzieren und die geplanten Kürzungen in Gänze zurücknehmen. Dabei ist besonders die besondere Asylverfahrensberatung für queere und weitere besonders vulnerable Gruppen entscheidend. Nur so kann sichergestellt werden, dass LSBTIQ* Schutzsuchende die rechtliche Aufklärung und Beratung erhalten, die ihnen zusteht und ohne die eine vollumfängliche Verwirklichung ihrer Schutzrechte nicht möglich ist.

Zudem gilt es, dafür zu sorgen – zur Not gesetzlich – dass die Bundesländer endlich ihrer Pflicht zur systematischen Erkennung besonderer Schutzbedarfe nachkommen. Dafür muss die Erkennung besonderer Schutzbedarf bei der Aufnahme – hierunter auch LSBTIQ* – bundesweit systematisch, flächendeckend und auf einem einheitlichen Niveau sichergestellt werden. Nun liegt es am Gesetzgeber, seinen europarechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und die Umsetzung der Schutzbedarfserkennung gesetzlich zu verankern. Dies würde auch deutlich dazu beitragen, dass sich LSBTIQ* Schutzsuchende frühzeitig im Asylverfahren outen, die notwendige Beratung erhalten und besser geschützt werden. Die negativen Folgen der mit den Gesetzentwürfen betriebenen Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten könnten somit zumindest abgefedert werden.

Zum Hintergrund:

Die Bundesregierung missachtet seit Jahren diese höchstrichterlichen Vorgaben, indem sie an der Listung von Ghana und Senegal festhält – beides Staaten, in denen LSBTIQ* vom Staat systematisch verfolgt werden. Auch in Georgien und Moldau sind LSBTIQ* nicht sicher. Teile beider Staaten werden de facto von Russland kontrolliert, was eine Einstufung ganz offensichtlich verfassungswidrig macht. Während darüber hinaus mit Bezug auf Moldau vor allem auch die Lage von Roma und Sinti einer Einstufung im Wege steht, ist dies mit Bezug auf Georgien vor allem die LSBTIQ*-feindliche Verfolgung. Asylsuchende aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten durchlaufen beschleunigte Verfahren, ihre Asylanträge werden in der Regel als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Klagefrist gegen eine solche Ablehnung ist auf nur eine Woche verkürzt. Am schwersten wiegt sicherlich, dass – wenn Geflüchtete gegen einen solchen Bescheid klagen – sie aus der laufenden Klage heraus abgeschoben werden können. Auch wenn queere Asylsuchende diese oft massiven inneren Hürden überwinden, wird ihnen sehr häufig die vorgetragene Orientierung bzw. Identität aus unterschiedlichen Gründen vom BAMF nicht geglaubt. In den beschleunigten Verfahren droht daher auch tatsächlich verfolgten LSBTIQ* Asylsuchenden regelmäßig die Abschiebung.

Der Lesben- und Schwulenverband freut sich über Spenden, um so seinen Einsatz für die Rechte von LSBTIQ*, besonders von geflüchteten LSBTIQ* aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, leisten zu können. Zum Spendenformular.

Weiterlesen:

Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten trotz LSBTIQ*-Verfolgung geplant (lsvd.de)

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