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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Bundestag berät Verschärfung des Asylsystems

LSVD kritisiert diskutierte Einstufung von LSBTIQ*-Verfolgerstaaten als ''sicher''

Pressemitteilung vom 11.10.2023

Berlin, 11.10.2023. Im September wurde im Eilverfahren ohne ausreichende Frist zur Verbändebeteiligung im Vorfeld ein Kabinettsentwurf für die Aufnahme von Georgien und Moldau auf die Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ beschlossen. Nun soll der Bundestag am Donnerstag diesen Entwurf erstmalig beraten. Im Vorfeld forderte der Innenausschuss des Bundesrats nun auch die Listung der Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien sowie Armeniens und Indiens als „sicher“.  Dazu erklärt Patrick Dörr aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD):

Die 1996 verfassungsrechtlich klar definierte Bedeutung von „Sicherheit“ in Bezug auf Herkunftsstaaten muss aufrechterhalten werden! Anstatt eine Ausweitung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten um Georgien, Moldau, die Maghreb-Staaten, Indien und Armenien voranzutreiben, gilt es daher konsequenterweise Ghana und Senegal von der Liste zu streichen. Das Nachgeben unter dem populistischen Druck und die weitere Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“ würde den Begriff „sicher“ endgültig aushöhlen und sinnentleeren. Es wäre ein fatales Zeichen für die Menschenrechte in Europa und weltweit.

Weder in Ghana noch im Senegal sind in allen Landesteilen alle Bevölkerungsgruppen vor Verfolgung sicher – wie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Landes auf die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ lauten. Trotzdem werden beide Staaten als solche gelistet, sodass Schutzsuchende aus diesen Ländern beschleunigte Verfahren durchlaufen. In den Maghreb-Staaten drohen – ebenso wie in Ghana und Senegal – Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Personen (LSBTIQ*) mehrjährige Haftstrafen. In Tunesien sind erzwungene Analuntersuchungen an schwulen und bisexuellen Männern zur angeblichen Feststellung gleichgeschlechtlicher Handlungen, die international als Folter anerkannt sind, staatlich gefördert. In Georgien und Moldau, die durch einen im Kabinett bewilligten Gesetzesentwurf als „sicher“ erklärt werden sollen, sind die Regierungen nicht willens oder in der Lage, LSBTIQ* zu schützen. Teile beider Staaten werden von Russland kontrolliert und entziehen sich somit dem möglichen Verfolgungsschutz durch den Staat. Gegen diese Einordnung der beiden Staaten haben sich auch über 8000 Personen in einer Petition an die Bundesregierung ausgesprochen. Der LSVD hat heute seine Stellungnahme zusammen mit 26 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen an die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas geschickt.

Statt eine Ausweitung der Liste auf Georgien, Moldau, die Maghreb-Staaten, Indien und Armenien anzustreben, sollte bereits die Einstufung von Ghana und Senegal überdacht werden, weil auch dort LSBTIQ* vor staatlicher Verfolgung nicht sicher sind, wie auch von deutschen Verwaltungsgerichten bestätigt wurde. Fünf dieser Urteile belegen auch eindrücklich, welche Gefahr mit der Einstufung von LSBTIQ*-Verfolgerstaaten als sichere Herkunftsstaaten einhergeht: Die betroffenen Personen aus den angeblich sicheren Herkunftsstaaten Ghana und Senegal waren nach negativen Asylbescheiden Wochen, Monate und teils sogar Jahre ausreisepflichtig. Erst in den mündlichen Hauptverhandlungen konnten die Verwaltungsgerichte die Zweifel an ihren Verfolgungsgeschichten ausräumen und sprachen ihnen den Flüchtlingsstatus auf Grund der massiven Gefährdung zu.

Zum Hintergrund:
Eine Ausweitung der Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten träfe LSBTIQ* Asylsuchende aus diesen Ländern besonders hart. Erstens outen sich viele aufgrund von Angst, Scham und fehlender rechtlicher Aufklärung im Asylverfahren erst sehr spät. Zweitens wird ihnen ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität im Asylverfahren häufig nicht geglaubt. Im Falle der geplanten Einstufung als sichere Herkunftsstaaten würden ihre Anträge in beiden Fällen als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Sie hätten nur eine Woche Zeit, dagegen zu klagen, und könnten auch trotz Klageerhebung aus dem laufenden Verfahren heraus abgeschoben werden.

Weiterlesen:
Schreiben an Bundestagspräsidentin Bas zusammen mit 26 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Deutschland, Europa und der Welt

Die Stellungnahme wird mitunterzeichnet von den folgenden zivilgesellschaftlichen Organisationen:

  • 6Rang (Iranian Lesbian and Transgender Network)
  • Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V.
  • AllOut
  • BumF – Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.
  • Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V.
  • CSD Deutschland e.V.
  • Deutsche Aidshilfe e.V.
  • International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA –World )
  • European Region of the International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA-Europe)
  • Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz
  • Just Human e.V.
  • Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
  • Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
  • Katholisches LSBT+ Komitee
  • Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
  • Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V.
  • PROUT AT WORK
  • Rainbow Railroad
  • Rainbow Refugees Mainz
  • Regenbogenforum e.V.
  • Rosa Asyl 2.0 Nürnberg
  • Queeramnesty Berlin
  • Schwulenberatung Berlin
  • Transgender Europe
  • vielbunt e.V. - Darmstadt
  • XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V



Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten

Asylrecht: Ghana und Senegal keine sicheren Herkunftsstaaten (lsvd.de)

Dossier zum Maghreb (LSVD)

Dossier „Zwangsanaluntersuchungen in Tunesien“ (LSVD)

Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – „, Georgien: LGBTQI+“ vom 06.09.2023

Petition mit AllOut gegen die Einstufung von Georgien und Moldau als „sichere Herkunftsstaaten“ (ca. 8.000 Unterschriften)

Die folgenden Organisationen der Zivilgesellschaft haben sich bereits beim Referent*innenentwurf gegen die Listung von Georgien und Moldau ausgesprochen:

Amnesty International Deutschland e.V., AWO Bundesverband e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Deutscher Anwalt Verein, Diakonie Deutschland, Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS), Gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – und der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., Neue Richtervereinigung e.V., Der Paritätische Gesamtverband, Pro Asyl

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