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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Das 2. Mawjoudin Queer Film Festival in Tunesien

Auf dem Weg in die Öffentlichkeit

In Tunesien wird Homosexualität immer noch mit Strafe bedroht. 2018 saßen 147 Personen wegen entsprechender Urteile in Gefängnissen. Dass Menschen trotzdem friedlich ein queeres Festival feiern können, zeigt die Gegensätze und Widersprüche, die sich in Tunesien seit der friedlichen Revolution in 2011 entwickelt haben.

Es braucht Mut und Selbstvertrauen, um im Zentrum von Tunis eine queere Veranstaltung zu besuchen. Dennoch kamen über 1.000 Besucher*innen zum 2. Mawjoudin Queer Film Festival und damit doppelt so viele wie bei der Premiere des Festivals im letzten Jahr.

Erneut wurde das Festival durch die Hirschfeld-Eddy-Stiftung mit Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert, und so feierten die Besucher*innen vom 22. bis 25. März 2019 queere Kunst und Kultur, sahen über 30 Filme und Kurzfilme, nahmen an Workshops und Podiumsdiskussionen teil oder genossen es einfach, in den Cafés der Veranstaltungsorte ohne Angst vor Repressionen die Zeit miteinander zu verbringen.

Um Filmschaffende in Tunesien zu fördern, gab es vor dem Festival erstmalig einen Wettbewerb. Mit dem Preisgeld konnte die beste Idee für einen queeren Kurzfilm realisiert und bei der Festivaleröffnung gezeigt werden. Tarek Sardi gewann mit seinem Konzept: Ein schwuler Mann trifft nach drei Jahren Gefängnis auf seinen ehemaligen Geliebten. Dieser hatte damals mit seinen Aussagen bei der Polizei zur Verurteilung beigetragen.

Artikel 230 kriminalisiert Homosexualität nach wie vor

Denn in Tunesien wird Homosexualität immer noch mit Strafe bedroht. Artikel 230 des Strafgesetzbuches sieht im schlimmsten Fall bis zu drei Jahre Gefängnis vor. Alleine im letzten Jahr wurden nach inoffiziellen Angaben über 120 Personen wegen Homosexualität und „Verstoß gegen die guten Sitten“ verhaftet. 2018 saßen 147 Personen wegen entsprechender Urteile der Gerichte in tunesischen Gefängnissen.

Dass Menschen trotzdem friedlich ein queeres Festival feiern können, zeigt genau die Gegensätze und Widersprüche, die sich in Tunesien seit der friedlichen Revolution in 2011 entwickelt haben. Die große Mehrheit der jungen Menschen will, dass sich etwas ändert. Ihnen geht die Entwicklung viel zu langsam voran. Die seit 2014 geltende neue Verfassung hat Hoffnungen geweckt, denn sie garantiert Gleichberechtigung und persönliche Freiheiten – Menschenrechte, die aber in vielen Gesetzen und auch in Teilen der tunesischen Gesellschaft noch keine Berücksichtigung finden.

Kommission überprüft notwendige Änderungen aufgrund der neuen Verfassung

Die Regierung hatte zuletzt eine Kommission damit beauftragt, aufzuzeigen, wo aktuelle gesetzliche Regelungen nicht mit der neuen Verfassung im Einklang stehen. Der Bericht der Kommission wurde im letzten Jahr veröffentlicht. Neben der Beseitigung der Benachteiligung von Frauen, beispielsweise im tunesischen Erbrecht, fordert er auch die Entkriminalisierung von Homosexualität. Zwar schlägt die Kommission die Abschaffung der Strafvorschrift vor, hat zuletzt aber als Alternative auch die Umwandlung der Regelung in einen Bußgeldtatbestand ins Spiel gebracht.

In einer Podiumsdiskussion während des Festivals stellte sich die Vorsitzende der Kommission, Bochra Bel Haj Hmida, den teilweise unangenehmen Fragen der Teilnehmer*innen. Sie rief die Community auf, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich aktiv für ihre Rechte und ihre persönlichen Freiheiten einzusetzen. Dafür sollten sie die demokratischen Formen des Protestes nutzen, sich mit LSBTI-freundlichen Politiker*innen verbünden und nachhaltig auf Veränderung drängen.

Publikation zur Entstehungsgeschichte des Artikels 230

Zur öffentlichen Diskussion werden sicherlich auch Ramy Khouli und Daniel Levine-Spound beitragen. Ihre von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung geförderte wissenschaftliche Publikation ist gerade erschienen und beschreibt die Entstehungsgeschichte des Artikels 230 und die schrecklichen Auswirkungen bis in die Gegenwart. Die gesammelten Erkenntnisse über die Kriminalisierung von Homosexualität wollen die Autoren bei Veranstaltungen in ganz Tunesien vorstellen und mit dem Publikum diskutieren.

Bei so viel Engagement gibt es Anlass zur Hoffnung für LSBTI in Tunesien.

Guido Schäfer
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Foto: Selma Agrebi

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