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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Gemeinsame Stellungnahme zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts

Gemeinsame Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Jurist*innen (BASJ), des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb), des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) sowie der Initiative Nodoption

Der LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) dankt für die Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu den Eckpunkten für eine Reform des Abstammungsrechts und begrüßt, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform angestoßen wurde. Die vorliegende Stellungnahme wurde gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Jurist*innen (BASJ), des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb), des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) sowie der Initiative Nodoption verfasst.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Jurist*innen (BASJ), der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb), der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und die Initiative Nodoption haben dem Bundestag sowie dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfamilienministerium im Mai 2023 „Leitplanken für die Reform des Abstammungsrechts“ überreicht.  Die Leitplanken fassen aus Sicht von verschiedenen Mitgliedern der queeren Community (lesbische Mütter, schwule Väter sowie trans, inter und nicht binäre Personen als Eltern) acht Minimalforderungen zusammen, die an ein diskriminierungsfreies Abstammungsrecht zu stellen sind, um vielfältigen Familienkonstellationen gerecht zu werden. Gemessen an diesen Leitplanken setzen die Eckpunkte zur Reform des Abstammungsrechts wichtige Forderungen um, wie die Öffnung der zweiten Elternstelle für Frauen kraft Ehe und Anerkennung, die Einführung verbindlicher Elternschaftsvereinbarungen sowie die Öffnung des Samenspenderregisters für Privatspenden. Es verbleiben jedoch gewichtige Leerstellen. Mit Blick auf den nun zügig zu erarbeitenden Gesetzentwurf ergibt sich auf Grundlage des Eckpunkte-Papiers zudem dringender Korrekturbedarf mit Blick auf das Kindeswohl.

Im Einzelnen:

I. Zwei Eltern für alle Kinder ermöglichen

Das geltende Recht sieht zwei Elternstellen für ein Kind vor. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Rechtsanwendung durch Standesämter und Gerichte wird die zweite Elternstelle bislang jedoch nur an einen „Mann“ als „Vater“ vergeben. Menschen anderen Geschlechts können nur auf dem Wege der (Stiefkind)Adoption in die zweite Elternstelle einrücken. Das Freibleiben der zweiten Elternstelle dient nicht dem Kindeswohl. Das Leitplanken-Bündnis fordert deshalb, zwei rechtliche Eltern für alle Kinder zu ermöglichen. Diese Forderung ist im Eckpunkte-Papier bislang nicht umfassend umgesetzt.

Öffnung der zweiten Elternstelle für Frauen kraft Ehe und Anerkennung

Das Leitplanken-Bündnis begrüßt es ausdrücklich, dass das Eckpunkte-Papier unter Punkt IV.1.a) die Öffnung der zweiten Elternstelle für Frauen kraft Ehe oder Elternschaftsanerkennung vorsieht und damit die bestehende Diskriminierung von Zwei-Mütter-Familien und ihren Kindern beenden will.

Leerstelle: trans und inter sowie nicht binäre Elternschaft

Die große Leerstelle des Eckpunkte-Papiers betrifft trans, inter und nicht binäre Personen als rechtliche Eltern. Schon die Überschrift „Eintrag der Elternschaft im Personenstandsregister“ unter IV.1.b) verkennt das Problem. Es geht nicht nur darum, wie eine Elternschaft im Personenstandsregister eingetragen wird (das „Wie“). Vielmehr wird trans, inter und nicht binären Personen aktuell in vielen Fällen schon das „Ob“ der Elternschaft (ohne Adoption) verwehrt. So können z. B. Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit Geschlechtseintrag „divers“ aktuell zumindest nach herrschender Auffassung nicht gemäß § 1592 Nrn. 1 und 2 BGB zweiter Elternteil werden. Auch dieser abstammungsrechtliche Status quo dürfte verfassungswidrig sein (vgl. BVerfG, B. vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16) und ist dringend mit einer Reform zu beseitigen. Mit anderen Worten muss die rechtliche Elternschaft für alle Personen gleichermaßen ohne Ansehung ihres Geschlechts ermöglicht werden.

Auch mit Blick auf die (dann nur noch deklaratorische) Eintragung im Personenstandsregister sind die Eckpunkte unklar, indem sie auf die „allgemeinen Regelungen des Personenstandsrechts“ verweisen. Es ist jedoch gerade im Hinblick auf das rechtliche Geschlecht bislang gar nicht geklärt, was diese allgemeinen Regelungen sein sollen. Besagen sie zum Beispiel, dass die Elternstellen geschlechtsunabhängig besetzt werden und dann entsprechend dem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag des jeweiligen Elternteils mit „Mutter“ oder „Vater“ oder „Elternteil“ benannt werden? Oder gerade nicht? Das Eckpunkte-Papier umgeht diese sich aufdrängende Frage so leichtfüßig, dass zu befürchten ist, dass es beim bisherigen verfassungswidrigen Zustand bleiben soll bzw. dieser für Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ noch vertieft werden würde. Diese könnten sich nach einer Reform des Abstammungsrechts nicht einmal mehr auf eine nachträglich entstandene Lückenhaftigkeit des Gesetzes berufen, sollte die Reform diese Lücke zementieren. In diesem Punkt ist die Reform des Abstammungsrechts zwingend mit dem Selbstbestimmungsgesetz in Einklang zu bringen und darf nicht hinter die Zusagen des Entwurfs des SBGG zurückfallen. Dort wurde ausdrücklich erklärt, dass es sich nur um eine Übergangslösung bis zur anstehenden Reform des Abstammungsrechts handeln soll (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 1. November 2023, Drucks. 20/9049, S. 53). Diese Zusage muss eingehalten werden.

Umsetzungsmöglichkeiten

Wie bereits in unseren Leitplanken vorgeschlagen, wäre das geltende Abstammungsrecht minimalinvasiv anzupassen, indem

  • 1591 BGB um folgenden Absatz 2 ergänzt wird: Vater eines Kindes ist ein Mann in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. Elternteil eines Kindes ist eine Person ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. (vgl. Leitplankenforderung 4)
  • 1592 BGB um folgenden Absatz 2 ergänzt wird: Mutter eines Kindes ist eine Frau in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. Elternteil eines Kindes ist eine Person ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ in entsprechender Anwendung der Regelung in Absatz 1. (vgl. Leitplankenforderung 1)
  • 5 Abs. 3 TSG und § 11 TSG ersatzlos gestrichen werden. (vgl. Leitplankenforderung 3)

II. Elternschaftsvereinbarungen ermöglichen

Das Leitplanken-Bündnis begrüßt es ausdrücklich, dass zukünftig Elternschaftsvereinbarungen ermöglicht werden sollen (vgl. Leitplankenforderungen 5 und 6). Die vorgesehenen Regelungen sind sachgerecht und decken einen tatsächlich vorhandenen Bedarf ab – sowohl auf Seiten der intendierten Eltern als auch der Personen, die rechtssicher gerade keine Elternverantwortung für das Kind übernehmen wollen.

Allerdings geben wir zu bedenken, dass Vereinbarungen über die rechtliche Elternschaft auch noch bis zur Geburt des Kindes möglich und einvernehmlich änderbar sein sollten. Andernfalls steht zu befürchten, dass ein erheblicher Anteil von Familien von der Regelung ausgeschlossen bleibt. Nicht alle Menschen werden sich bereits vor der Zeugung umfangreich über die Möglichkeiten der rechtlichen Absicherung ihrer Familienkonstellation informiert haben; zudem ist durchaus denkbar, dass sich Bedarfe und Wünsche nach Zeugung und vor der Geburt verändern.

III. Präkonzeptionelle Übernahme von Verantwortung ermöglichen

Bisher können Erklärungen zur Übernahme elterlicher Verantwortung erst nach der Zeugung rechtsverbindlich abgegeben werden. Nur bei Anfechtungs- und Feststellungsmöglichkeiten bindet das geltende Recht in §§ 1600 Abs. 4 und 1600d Abs. 4 BGB die Eltern und den Samenspender an präkonzeptionelle Erklärungen. Dies verunsichert werdende Regenbogenfamilien und ist mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber sollte deshalb zukünftig nicht nur präkonzeptionelle Elternschaftsvereinbarungen ermöglichen, sondern auch die Anerkennung der Elternschaft sollte schon vor der Zeugung des Kindes zulässig sein.

IV. Mangelhafte Rückwirkung der Regelungen für bereits geborene Kinder

Das Eckpunkte-Papier sieht für Kinder, die nach der Einführung der Ehe für alle und vor Inkrafttreten der Reform in Ehen von zwei Frauen hineingeboren wurden, keine automatische und rückwirkende Zuordnung zur zweiten Mutter vor. Es soll jedoch eine Mutterschaftsanerkennung ermöglicht werden.

Das Leitplanken-Bündnis hält eine solche Regelung für unzureichend. Schon für die genannte Fallgruppe der miteinander verheirateten Frauen ist die vorgesehene Rückwirkung mangelhaft: Es ist nicht begründbar, die gemeinsame Elternschaft beider Frauen noch von einer Elternschaftsanerkennung abhängig zu machen. Vielmehr muss eine formlose Anzeige gegenüber dem Standesamt genügen, um die rückwirkende Zuordnung zum zweiten Elternteil zu ermöglichen. Für Fälle, in denen bereits ein übereinstimmender Antrag auf Feststellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses an das Familiengericht gestellt oder eine gemeinsame Elternschaft im Rahmen der Geburtsanzeige oder im Verfahren auf Eintragung im Geburtenregister geltend gemacht wurde, sind diese als gleichwertige Erklärung im Sinne des vorherigen Satzes zu werden (vgl. Leitplankenforderung 7).

Das Leitplanken-Bündnis kritisiert ausdrücklich, dass das Eckpunkte-Papier für nichteheliche Eltern und deren Kinder eine Rückwirkung bislang nicht vorsieht. Auch für Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit Geschlechtseintrag „divers“ sowie für Eltern mit einer Änderung des Personenstands fehlt eine Regelung, mit der das Unrecht des geltenden Abstammungsrechts rückwirkend beseitigt wird. Das ist weder mit den Interessen dieser Eltern und ihrer Kinder zu vereinbaren noch mit dem Ziel der Entlastung von Gerichten und Behörden. Diese bleiben und werden vielmehr durch die Fortführung der dort noch anhängigen Verfahren und durch weitere, derzeit noch nicht anhängige Verfahren belastet, in die die Familien durch die fehlende Rückwirkung gezwungen werden.

Zudem ist auch der unter IV.8. des Eckpunkte-Papiers vorgesehene Rückwirkungszeitpunkt unzureichend.

V. Öffnung des Samenspenderregisters

Bislang können nur Samenbank-Spenden registriert werden. Deshalb ist nur für Kinder, die mittels kommerzieller Kinderwunschbehandlung unter Mitwirkung einer Samenbank gezeugt wurden, das Recht auf Kenntnis der Abstammung sichergestellt. Kindern, die unter Mitwirkung privater Spenden gezeugt wurden, bleibt diese Rechtssicherheit verweigert. Das Leitplanken-Bündnis begrüßt es, dass die Eckpunkte vorsehen, das Register auch für private Spenden zu öffnen (vgl. Leitplankenforderung 8).

VI. Abkehr vom Vorrang des Kindeswohls

Als Leitplanken-Bündnis kritisieren wir mit Nachdruck die in dem Eckpunkte-Papier beabsichtigte Abkehr vom Kindeswohlprinzip und die damit einhergehende Stärkung der genetischen Abstammung.

Die Eckpunkte sehen in IV.3.a) und IV.3.b) eine Durchbrechung des Statusprinzips vor: Statt einer raschen Zuordnung zum Wohl des Kindes führen die geplante Sperrwirkung von Feststellungsverfahren und die folgende gerichtliche Interessenabwägung zu Schwebezuständen. Dass nicht die gelebte sozial-familiäre Beziehung und das Kindeswohl, sondern mitunter die Interessen der leiblichen Väter Vorrang haben sollen, stellt einen Paradigmenwechsel dar und ist auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfG, - 1 BvL 1/11 -, Rn. 71 ff.).

Bisher ist das Kindeswohl unbestritten der entscheidende Aspekt des Abstammungsrechts. So hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 19.02.2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, unter Rn. 49 ausgeführt:

„Das Kindeswohl ist wesensbestimmender Bestandteil des Art. 6 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 108, 82 <102>). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung dient in erster Linie dem Schutz des Kindes. Sie beruht auf dem Gedanken, dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution. Das Elternrecht ist um des Kindes willen gegen Eingriffe des Staates geschützt (vgl. BVerfGE 59, 360 <376 f.>; 61, 358 <371 f.>).“

Die Eckpunkte verstoßen hiergegen in zweierlei Hinsicht:

Erstens liegt es im Kindeswohl, eine möglichst baldige zuverlässige Zuordnung der Elternschaft zu erhalten. Die Eckpunkte sehen in IV.3.a) und b) für Fälle, in denen es bisher diese zuverlässige Zuordnung gab, aufwändige Prüfungsverfahren und ein Aufschieben der Eltern-Kind- Zuordnung vor. Bereits dies ist mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren.

Zweitens wird unter IV.3.b) des Eckpunkte-Papiers lediglich erklärt, das Kindeswohl habe „Bedeutung“. Es „kann“ der „entscheidende Faktor“ sein. Das stellt eine Abkehr vom bundesverfassungsgerichtlich etablierten Vorrang des Kindeswohls dar.

Der auf Seite 10 der Eckpunkte aufgeführte Beispielsfall lässt sich im Übrigen schon nach aktuellem Recht leicht dadurch lösen, dass der leibliche Vater die Vaterschaft des „Sperrvaters“ anfechten kann. Sollte es sich nämlich lediglich um einen „Bekannten“ handeln, den die Mutter nur deshalb aufsucht, um die Vaterschaftsfeststellung zu verhindern, wird keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem „Sperrvater“ und dem Kind bestehen, die die gerichtliche Feststellung verhindern könnte. Sollte hingegen eine sozial-familiäre Beziehung zwischen „Sperrvater“ und Kind bestehen, ist diese aus Kindeswohlgründen unbedingt schützenswert; die Interessen des leiblichen Vaters müssen hier zwingend zurücktreten. Weitergehende Anfechtungsrechte sind kindeswohlwidrig.

Es bleibt darüber hinaus unklar, was mit der anzustellenden Erwägung gemeint sein soll, „ab wann sich der leibliche Vater um das Kind bemüht hat“. Von Bedeutung könnte allenfalls sein, ab wann er sich um die rechtliche Elternschaft bemüht hat. Auch das wäre aktuell schon im Rahmen einer vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung möglich und zukünftig auch im Rahmen einer präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung bzw. Vaterschaftsanerkennung. Es zeigt sich hier zum einen, wie wichtig es ist, den Beteiligten Möglichkeiten zu bieten, frühzeitig Rechtssicherheit zu erzeugen, zum anderen, dass Kindern die von ihnen dringend benötigte Rechtssicherheit nicht im Interesse leiblicher Väter, die von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht haben, verweigert werden darf.

Mit freundlichen Grüßen,

Patrick Dörr

Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD)

in Abstimmung mit

Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Jurist*innen (BASJ)

Deutscher Juristinnenbundes e.V. (djb)

Initiative Nodoption