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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Staatliches Bekenntnis dafür, dass LSBTI ein Recht darauf haben, angst- und diskriminierungsfrei zu leben

Eröffnungsstatement von Markus Ulrich (LSVD) bei der öffentlichen Anhörung im Ausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN „Vielfalt leben - Bundesweiten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auflegen“ fand am 16.12.2019 eine öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt". Markus Ulrich vom LSVD war als Sachverständiger von der Grünen Bundestagsfraktion eingeladen.

Sehr geehrte Vorsitzende, sehr geehrte Abgeordnete!

Deutschland 2019: „Bespuckt ES. Schlagt ES. Früher wärst Du vergast worden, aber auch heute kriegen wir Dich noch.“ Diese Hassbotschaft findet eine trans* Frau an ihrer Wohnungstür. Ein lesbisches Paar geht Arm in Arm die Straße entlang. Es wird von drei Jugendlichen lesbenfeindlich beleidigt und verfolgt. Nach drei Jahren Mobbing sehen sich ein evangelischer Pfarrer und sein Mann gezwungen, die Gemeinde und die Stadt zu verlassen.

Laut Bundesinnenministerium wurden im ersten Halbjahr 2019 bereits 245 Fälle von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung erfasst, davon 54 Gewaltdelikte. Jeden Tag mindestens einer. Und das ist die Spitze des Eisbergs. Selbst bei der Polizei geht man von einer Dunkelziffer von 80 - 90% aus.

Ideologien der Ungleichwertigkeit, die Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als alleinige Normen definieren, tabuisieren, werten ab und grenzen aus. Diese Fälle alltäglicher LSBTI-Feindlichkeit werden auch unterstützt durch gesellschaftliche Autoritäten und staatliche Politik. Ein intergeschlechtlich geborenes Kind hat keine Garantie körperlich unversehrt seine Kindheit zu verbringen, weil Ärzt*innen es für krank halten und ihren geschlechtlichen Normen anpassen wollen. Die trans* Frau müsste zwei demütigende Gutachten absolvieren, die sie selbst bezahlen muss – will sie ihren Geschlechtseintrag ändern. Gründet das lesbische Paar eine Familie, dann müsste die eine selbst als Ehefrau der biologischen Mutter, ebenfalls erstmal ein Jahr geprüft werden, ob sie „gut genug“ ist auch rechtlich Elternteil zu sein. Entgegen der Rechtsprechung wird LSBTI-Geflüchteten durchaus eine Anerkennung der Verfolgung mit dem Hinweis verweigert, sich doch in ihrem Heimatland einfach zurückzuhalten. In der katholischen Kirche und den meisten muslimischen Verbänden wird beteuert, man wolle selbstverständlich Lesben, Schwule und Bisexuelle nicht diskriminieren. Die offizielle Position gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität sei eine „Sünde“, man erwarte Enthaltsamkeit, steht dazu absurderweise für viele in keinem Widerspruch.

Diese Schlaglichter geben Einblicke in die Realität von LSBTI. Ohne Frage: In jahrzehntelangen Kämpfen wurden Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung und gesellschaftlichen Akzeptanz von LSBTI erkämpft und gewonnen. Aber: Gleichzeitig werden sie im Alltag auch heute noch benachteiligt, verleugnet, beleidigt oder angegriffen. Ihre Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf körperliche Unversehrtheit und Nicht-Diskriminierung werden auch durch staatliche Politik eingeschränkt oder nicht vollständig garantiert. LSBTI überlegen sich sehr genau, ob, wann und wo sie sich outen.

Zugleich zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass eine zukünftige positive Entwicklung keineswegs selbstverständlich ist. Grundrechtsfeindliche Homogenitätsvorstellungen, völkische Ausgrenzungsideologien und religiös-fundamentalistische Bewegungen sind auch durch die Abwertung von LSBTI geprägt und sind deutlich lautstärker geworden. Mit großer Energie wird dafür gekämpft, LSBTI weiterhin gleiche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten zu verweigern, ihre Erfolge zurückzudrehen und sie aus dem öffentlichen Leben zu drängen.

„Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen.“ – das schreibt die aktuelle Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag. Wie dieses Ziel genau erreicht werden soll; das bleibt der Vertrag schuldig.

Uns wird derzeit eher vor Augen geführt, wie fragil und zerbrechlich Normen des respektvollen und gewaltfreien Umgangs eigentlich sind. Unabhängig davon, dass sie im Alltag oft nicht eingelöst werden, plötzlich gelten sie nicht mal mehr als allgemein menschliche Werte, sondern als abzulehnende „linksgrün versiffte Umerziehung“. Ein aggressives und menschenfeindliches Klima ist wieder salonfähig. In den kommenden Jahren gilt es eine offene und demokratische Gesellschaft zu verteidigen und zu stärken. Daher fordert der LSVD einen wirksamen und auf die Zukunft gerichteten Nationalen Aktionsplan gegen LSBTI-Feindlichkeit. Das wäre ein staatliches Bekenntnis, dass LSBTI als gleichwertiger Teil zu Deutschland gehören und ein Recht darauf haben, angst- und diskriminierungsfrei zu leben.

Aus diesen Gründen unterstützen wir als Lesben- und Schwulenverband (LSVD) den Antrag „Vielfalt leben – Bundesweiten Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auflegen“ der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Denn eine freie Gesellschaft muss es allen Menschen garantieren, jederzeit, an jedem Ort, ohne Angst und Anfeindung verschieden zu sein.

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