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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Was können Vereine und Initiativen tun bei rechten Angriffen und Diffamierungen?

Fallbeispiele und Ergebnisse vom Fachforum " Zivilgesellschaft im Fadenkreuz von rechts"

Rechtspopulistischen Ideologien und Attacken entgegenzutreten ist auch für zivilgesellschaftliche Organisationen eine Herausforderung. Drei Fallbeispiele zeigen mögliche Strategien auf, mit denen auf rechtspopulistische Attacken reagiert werden kann

Graphic Recording von den Ergebnissen des Fachforums:  Was können Vereine und Initiativen tun bei rechten Angriffen und Diffamierungen?

Am 02. April 2019 fand in Magdeburg die 4. Regionalkonferenz des LSVD-Projekts "Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken" statt. Im Fachforum "Zivilgesellschaft im Fadenkreuz von rechts" berichteten Pascal Begrich (Miteinander e.V.), Anja Reuss (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma), Fabian Pfister (Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt) vom Umgang mit diffamierenden Angriffen und rechtspopulistischen Attacken. Anhand der drei Fallbeispiele wurde gemeinsam diskutiert wie Organisationen auf solche Attacken reagieren könnten. Moderiert wurde das Fachforum vom LSVD-Pressesprecher Markus Ulrich.

Eine Publikation stellt die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der 4. Regionalkonferenz dar. Die Broschüre "Gegensteuern – Rechtspopulismus die Stirn bieten" kann hier als pdf heruntergeladen werden oder solange der Vorrat reicht auch als Printversion bestellt werden per Mail an presse@lsvd.de.

Was ist legitime Kritik? Was ein diffamierender Angriff?

zivilgesellschaft-im-fadenkreuz-von-rechts-grafik.pngWo hört Kritik auf? Woran erkennt man einen diffamierenden Angriff?

Für die Teilnehmenden des Fachforums bezieht Kritik sich auf die realen Aktivitäten der Organisation.

Kritik stellt eine sachliche, konstruktive und berechtigte Auseinandersetzung dar. Eine Diskussion oder ein Austausch ist dabei möglich und gewollt. Kritik kann zwar auch emotional geäußert werden, will aber nicht persönlich verletzen.

Dagegen sind Angriffe pauschale und herabwürdigende Urteile, oftmals „unterhalb der Gürtellinie“. Bei Angriffen werden die Argumente des Gegenübers ignoriert oder gar nicht zugelassen. Es geht dabei nicht um die Verbesserung der Arbeit, denn eine sachbezogene Diskussion ist oft nicht gewollt. Im Vordergrund steht lediglich die Absicht, andersdenkende Personen oder Organisationen zu diskreditieren.

Fallbeispiel 1: Reaktionen auf eine rechtspopulistische Kampagne gegen Bildungsarbeit von "Miteinander e.V."

Kurzvorstellung des Falls

Miteinander e.V. versteht sich als Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt. Der Verein betreibt eine Geschäftsstelle und mehrere öffentlich geförderte Projekte.

Thematische Schwerpunkte der Arbeit sind die Förderung von demokratischen Entwicklungen, die Opfer-Beratung für Betroffene rechter Gewalt, die Bildungs-Arbeit und die De-Radikalisierungs-Arbeit.

Im Rahmen einer rechtspopulistischen Diffamierungs-Kampagne wurde Miteinander e.V. bei verschiedenen Anlässen wiederholt angegriffen. Die Bildungs-Arbeit des Vereins wurde diffamiert als angebliche „Indoktrination“ von Jugendlichen, die Fortbildungen verleumdet als „Förderung des Linksextremismus“. Die Projekt-Förderungen wurden als „Verschwendung von Steuermitteln“ betitelt.

Es kam auch zu persönlichen Angriffen, in welchen den Mitarbeitenden des Vereins fehlende Fachlichkeit und persönliche Bereicherung vorgeworfen wurde. Selbst vor hasserfüllten Mails sowie Stalking von Personen in ihrem Wohnungsumfeld schreckten die Angreifenden nicht zurück.

Anfragen im Landtag zum Verein sowie gezielte Hetz-Kommentare in den sozialen Medien waren ebenfalls Teil der Diffamierungs-kampagne gegen den Verein Miteinander e.V.

Vor diesem Hintergrund gab es eine Anfrage einer Zeitung, die dem rechten Spektrum zuzuordnen ist: Miteinander e.V. solle Stellung zum Vorwurf des Linksextremismus beziehen. Die Recherche der Zeitung bezog sich dabei auf die Teilnahme des Vereins an einer Tagung, an der auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung der Partei DIE LINKE beteiligt war.

So hätten die Teilnehmenden des Fachforums reagiert

Die Gruppe diskutierte vor allem darüber, welche möglichen Reaktionen es gibt und welche Entscheidungen getroffen werden sollten. Mehrheitlich sprachen die Teilnehmenden sich dafür aus, diese Anfrage nicht zu ignorieren. Lieber kurz und sachlich in möglichst einfacher Sprache antworten. In der Antwort sollte man auf das eigene demokratische Selbstverständnis verweisen. Die Antwort könne man auch auf der eigenen Webseite und in den sozialen Medien veröffentlichen.

Vorschläge für weitere Schritte:

  • Information über die Anfrage weitergeben an: Vorstand, Mitarbeitende, Fördermittelgeber*innen, befreundete Vereine, Journalist*innen, Abgeordnete usw.
  • abgestimmte Sprach-Regelungen zu wiederkehrenden Vorwürfen sammeln, um diese schnell zur Hand zu haben und nicht jedes Mal neu abstimmen zu müssen
  • Abstimmung mit anderen angegriffenen Trägern, Unterstützung organisieren
  • Nachbereitung: Wurde unser Statement verbreitet? Wurde es verstanden? Wer hat uns verteidigt?

Tatsächliche Reaktion der Organisation

  • Miteinander e.V. war klar, dass es sich um eine Gratwanderung handelt, ob und wie sie auf den Vorwurf eingehen sollten. Als Antwort wurde lediglich formuliert, dass der Verein keinen Grund sehe, Stellung zu beziehen.
  • Bei dieser Antwort wurde darauf geachtet, wer zum potentiellen Leser*innen-Kreis der Zeitung gehört und festgestellt, dass diese nicht zum eigenen Adressat*innen-Kreis zählen.
  • Eine Abstimmung mit anderen angegriffenen Trägern erwies sich als sinnvoll, um ein gemeinsames Vorgehen zu vereinbaren.
  • Die Anfrage wurde schließlich zum erneuten Anlass genommen, um mit anderen Trägern über gesamtgesellschaftliche Fragen zu diskutieren. Gemeinsam wurde beraten, wie Vielfalt stärker gefördert werden kann.

Fallbeispiel 2: Angriff auf Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt nachdem dieser sich gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD-Fraktion ausgesprochen hatte

Kurzvorstellung des Falls

Der Kinder- und Jugendring repräsentiert einen großen Teil der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen-Anhalt. Er nimmt ferner die politische und fachliche Vertretung seiner Mitglieder in Gremien wahr. Der Ring unterhält eine Geschäftsstelle und eine Fachstelle für die JugendLeiter-Card (JuLeiCa). Seine Hauptaufgabe ist die kinder- und jugendpolitische Interessens-Vertretung in den demokratischen Strukturen.

Vor der Landtagswahl 2016 beschäftigte sich der Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt mit der Bedeutung eines möglichen Einzugs der AfD in den Landtag. Dazu wurde ein Leitfaden geprüft, einstimmig verabschiedet und nach der Landtagswahl veröffentlicht. In diesem Leitfaden sprach sich der Kinder- und Jugendring aufgrund gegensätzlicher Haltungen gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Er begründete das mit öffentlichen Äußerungen und politischen Stellungnahmen dieser Partei.

Es sollte auch keine Einladung an Vertreter*innen der AfD zu eigenen Veranstaltungen geben, sondern lediglich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit deren Positionen.

Die Gegen-Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Kinder- und Jugendring wurde von der AfD als „linksradikale Vereinigung“ zur „Indoktrination“ von Kindern und Jugendlichen bezeichnet. Diese Stellungnahme der AfD wurde in einer regionalen Zeitung veröffentlicht.

Der Auftrag für die Gruppenarbeit lautete, in einem solchen Kontext auf eine kurzfristige Presseanfrage zu reagieren. Die Teilnehmenden sollten entscheiden, ob sie dazu ein Statement herausgeben würden, in dem sie die Reaktion der AfD auf ihren Leitfaden kommentieren.

So hätten die Teilnehmenden des Fachforums reagiert

  • Ziel: Klarstellung des Beschlusses
  • Zielgruppen: Entscheidungs-Träger*innen der Kinder- und Jugend-Förderung, Mitglieder des Kinder- und Jugendrings
  • verantwortlich: Vorstand und Geschäftsführung 
  • Zeitrahmen beachten: bei einer Presseanfrage gibt es lediglich zwei Stunden Zeit zur Beantwortung, danach ist Redaktionsschluss. 
  • Als kurzfristige Maßnahmen wurde genannt: Argumente zusammenfassen, Pressemitteilung mit Bezug auf den Verbandsbeschluss, als eine sachlich-reflektierte Reaktion, jedoch keine direkte Antwort und keine wortwörtliche Aufnahme der Vorwürfe
  • Als mittelfristige Maßnahmen sah man: rechtliche Schritte gegen Verleumdung prüfen, eine Mitglieder-Versammlung zur Rückendeckung einberufen, Öffentlichkeits-Arbeit für ähnliche Anfragen vorbereiten, Mitglieder des Kinder- und Jugendrings schulen (mit FAQs) 
  • Strategie: aktiv zur Entscheidung des Verbandes stehen

Tatsächliche Reaktion der Organisation

Nach mehreren Telefonaten hatte die Organisation beschlossen, kein Pressestatement herauszugeben.

Der Grund: Der anfragende Redakteur war dafür bekannt, dass ihm reißerische Schlagzeilen über alles gehen und dass daher eine sachliche und klarstellende Berichterstattung nicht gewährleistet ist.

Eine Woche später veröffentlichte die Organisation eine Erklärung auf der verbandseigenen Webseite, die den Beschluss des Kinder- und Jugendrings transparent öffentlich vermittelte.

Fallbeispiel 3: Reaktionen des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma e.V. auf antiziganistischen Kinderfilm "Nellys Abenteuer"

Kurzvorstellung des Falls

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist der Dachverband von 16 Landes- und Regional-verbänden. Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Zentralrats. Seit 2015 besteht ein Büro in Berlin. 

Anja Reuss zeigte Ausschnitte aus der SWR-Produktion „Nellys Abenteuer“. Anhand verschiedener Szenen aus dem Kinderfilm verdeutlichte sie den Teilnehmenden, wie problematisch Sinti und Roma in diesem Film dargestellt werden. Schnell wurde klar, dass der Film antiziganistische Vorurteile über Sinti und Roma reproduziert. Rumänische Roma werden entlang althergebrachter antiziganistischer Stereotype als bettelnd, stehlend, Kinder raubend, tanzend, schmutzig usw. und auf diese Weise essentialisierend als homogene Gruppe dargestellt.

Weitere negative Vorurteile, die in der Darstellung bedient werden, beziehen sich auf antiziganistische Elemente der angeblichen „Unzivilisiertheit“, „Triebhaftigkeit“ und „Heimatlosigkeit“ der Roma.

Besonders heikel ist dabei, dass es sich um einen Kinderfilm handelt, der bei der nachwachsenden Generation negative Vorurteile auslöst, weiter verbreitet und zementiert. Brisant ist außerdem, dass der Film mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Überdies erhielt er eine Empfehlung der Anti-Diskriminierungs-Stelle des Bundes (ADS) erhielt.

Ein wissenschaftliches Gutachten der Technischen Universität Berlin bestätigte die kritische Analyse des Zentralrats der Sinti und Roma. Dieser legte daraufhin Beschwerde beim SWR ein, um die Ausstrahlung des Films im Kinderprogramm des Fernsehsenders zu verhindern. Der Sender wies die Kritik jedoch zurück, unter anderem mit dem Argument, man habe schließlich an Original-Schauplätzen und mit den dort lebenden Menschen gedreht.

So hätten die Teilnehmenden des Fachforums reagiert

  • andere Mitglieder des Rundfunkrats ansprechen und mit deren Unterstützung Beschwerde einreichen
  • an die Anti-Diskriminierungs-Stelle des Bundes herantreten mit dem Ziel, dass sie die Unterstützung für den Film zurückzieht 
  • Guidelines zum Erkennen von Antiziganismus herausgeben und der
    Bundesprüfstelle für jugend-gefährdende Medien wie auch den Förder-Einrichtungen und den Filmschaffenden zur Kenntnis geben
  • Die Forderung aufstellen, dass es eine Vertretung von Sinti und Roma in allen Rundfunkräten geben muss
  • Filmförder-Stellen ansprechen mit dem Ziel, ihre Förderungs-Kriterien so zu verändern, dass explizit keine diskriminierenden Filme gefördert werden 
  • Als Minderheit selbst emanzipatorische Filme drehen

Tatsächliche Reaktion der Organisation

  • Ansprache der Anti-Diskriminierungs-Stelle des Bundes : Nach Darlegung der Kritik des Zentralrats am Film schloss sich die ADS der Kritik an und forderte den SWR auf, das Logo und die Empfehlung der ADS zu entfernen.
  • Der Zentralrat der Sinti und Roma führte eine internationale Konferenz zum Thema Antiziganismus im Film“ durch und veröffentlichte dazu eine Dokumentation.
  • Der Zentralrat gab eine Handreichung für Filmschaffende mit ‚Do’s and Dont’s‘ heraus.
  • Der Zentralrat reichte eine Beschwerde beim Rundfunkrat des SWR ein.
  • Der Zentralrat sorgte dafür, dass sich der ZDF-Fernsehrat mit dem Film befasste. Zwar wurde die Ausstrahlung im KiKa so nicht verhindert, doch sieht das ZDF inzwischen von weiteren Ausstrahlungen ab.

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