Stellungnahme des LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinien über Standards für Gleichbehandlungsstellen
Berlin, 14.10.2024
Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt begrüßt die rasche Umsetzung der Richtlinien über Standards für Gleichbehandlungsstellen und bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Zugleich möchten wir darauf hinweisen, dass die sehr kurze Stellungnahmefrist von sieben Tagen die zivilgesellschaftliche Beteiligung von hauptsächlich ehrenamtlich organisierten Organisationen an diesem Gesetzgebungsprozess erheblich erschwert.
I. Grundsätzliche Einschätzung
Die beiden Richtlinien verfolgen das Ziel, durch die Verbesserung der Wirksamkeit der Gleichbehandlungsstellen den Diskriminierungsschutz in Europa zu stärken, Gleichbehandlung zu fördern und Unterstützung für von Diskriminierung Betroffene unionsweit zu gewährleisten. Dazu sollen gemeinsame Standards für die in den Mitgliedsstaaten eingerichteten Gleichbehandlungsstellen geschaffen werden. Die Richtlinien sehen dazu vor, dass die Unabhängigkeit der Gleichbehandlungsstellen in ihren Aufgaben und der Ausübung ihrer Zuständigkeit gewährleistet wird, Möglichkeiten alternativer Streitbeilegung geschaffen werden und von Diskriminierung Betroffene vor Gericht stärker unterstützt werden können.
Diese Anliegen unterstützt der LSVD⁺ vollumfänglich. Die Ausweitung der Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist vor allem im europäischen Vergleich lange überfällig, wie etwa die von der Europäischen Kommission zur Vorbereitung des Richtlinienvorschlags erstellte vergleichende Analyse (SWD (2022) 386 final) zeigt.
Der antidiskriminierungsrechtliche Schutz in Deutschland kann durch die Umsetzung der Richtlinien verbessert werden, insbesondere durch die geplante Einführung eines Schlichtungsverfahrens und der Möglichkeit der Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände. Damit diese Instrumente auch praktische Wirksamkeit entfalten, sind jedoch einige Nachschärfungen im Entwurf nötig. Insbesondere im Hinblick auf prozessuale Rechte der Gleichbehandlungsstellen wie ein eigenes Klagerecht sowie Untersuchungs- und Entscheidungsbefugnisse setzt der Entwurf die Vorgaben der europäischen Richtlinien nicht um.
Schließlich ist es wichtig festzustellen, dass es sich bei der Umsetzung der Richtlinien nicht um die lange ausstehende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) handelt. Zur Umsetzung der Gleichbehandlungs-Richtlinien ist die Bundesregierung europarechtlich verpflichtet. Die Reform des AGG, die u. a. den Anwendungsbereich des Gesetzes auf öffentliche Stellen erweitern und Diskriminierungskategorien und Formen ergänzen soll, wurde im Koalitionsvertrag versprochen, steht aber weiterhin aus und ist angesichts der steigenden Diskriminierungszahlen (u.a. im Jahresbericht der ADS ersichtlich) dringend notwendig.
II. Zum Gesetzesentwurf im Einzelnen
1. Alternative Streitbeilegung
Die Schaffung einer Schlichtungsstelle und eines Schlichtungsverfahrens wurden lange gefordert und sind ausdrücklich zu begrüßen. Das Instrument des Schlichtungsverfahrens ist etwa aus dem Verbraucher*innenschutz bekannt und hat sich bewährt.
Damit das Schlichtungsverfahren jedoch praktisch genutzt werden kann, müssen die Geltendmachungsfristen im AGG angepasst werden. Die zweimonatige Frist für die Geltendmachung von Schadensersatz und Entschädigung, die § 15 Abs. 4 S. 1 und § 21 Abs. 5 S. 1 AGG vorsehen, ist dem Arbeitsrecht entlehnt. Während die rasche Klärung eines arbeitsrechtlichen Verhältnisses wünschenswert ist, bedürfen Diskriminierungssachverhalte in der Regel mehr Zeit, in der sich Betroffene der ihnen widerfahrenen Diskriminierung bewusstwerden, sich über mögliche rechtliche Schritte informieren und entsprechend agieren können. Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es einen Vorschlag aus dem Bundesministerium der Justiz, die Geltendmachungsfristen auf sechs Monate zu verlängern, der aber nicht umgesetzt wurde. Eine Fristverlängerung ist erst recht geboten, wenn nun ein alternatives Streitbeilegungsinstrument eingeführt wird.
Damit ein Schlichtungsverfahren realistisch durchgeführt werden kann, sollten die Geltendmachungsfristen in § 15 Abs. 4 und § 21 Abs. 5 AGG auf 12 Monate angehoben werden.
2. Prozessuale Rechte
Damit Betroffene ihr Recht auf Gleichbehandlung tatsächlich in Anspruch nehmen können, ist eine wirksame Rechtsdurchsetzung geboten.
a. Prozessstandschaft
In der Praxis zeigt sich, dass viele Betroffene von Diskriminierung aufgrund der großen zeitlichen, psychischen und nicht zuletzt finanziellen Belastung von einem gerichtlichen Verfahren absehen.
Die in § 23 Abs. 3 AGG-E vorgesehene Möglichkeit der Prozessstandschaft, die es Antidiskriminierungsverbänden ermöglicht, das Recht einer diskriminierten Person im eigenen Namen geltend zu machen, ist daher sehr zu begrüßen und kann dazu beitragen, Betroffene zu entlasten.
Ein eigenes Verbandsklagerecht ist jedoch nicht vorgesehen, sollte allerdings zusätzlich geschaffen werden.
Um Klageverfahren durchzuführen, benötigen auch die Antidiskriminierungsverbände die entsprechenden Ressourcen. Ohne die entsprechende finanzielle Absicherung der Prozessstandschaft geht das Instrument ins Leere.
Um die Prozessstandschaft der Antidiskriminierungsverbände praktisch zu ermöglichen, sollte ein Rechtshilfefonds bei der ADS geschaffen werden.
b. Stellungnahmen
Der Entwurf räumt in § 27 Abs. 5 AGG-E der ADS das Recht ein, sachverständige Stellungnahmen vor Gericht abzugeben. Das ist zu begrüßen und in vielen anderen Mitgliedstaaten längst üblich. Der Wortlaut des neu zu schaffenden § 27 Abs. 5 AGG schränkt diese Möglichkeit jedoch ein: Die ADS soll nur „im überparteilichen Interesse oder auf Ersuchen des Gerichts zu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung“ Stellungnahmen abgeben. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinien (EU) 2024/1499 und 2024/1500 stellt jedoch keine Bedingungen für die Abgabe einer Stellungnahme auf. Richtlinienkonform ist es daher geboten, auf diese Bedingungen für die Abgabe einer Stellungnahme zu verzichten.
Auch besteht keine Pflicht der Gerichte, die Stellungnahmen zur Kenntnis zu nehmen. Um der Einschätzung der ADS effektiv Gehör zu verschaffen, sollte § 27 Abs. 5 AGG-E um eine entsprechende Berücksichtigungspflicht ergänzt werden.
III. Fehlende Umsetzung der Richtlinien
Insbesondere im Hinblick auf prozessuale Rechte bleiben die Möglichkeiten der ADS hinter denen anderer europäischer Gleichbehandlungsstellen zurück. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der ADS muss sie zudem strukturell und finanziell gestärkt werden.
1. Prozessuale Befugnisse
a. Eigenes Klagerecht
Art. 10 Abs. 3 der Richtlinien (EU) 2024/1499 und 2024/1500 fordert, den Gleichbehandlungsstellen mindestens eines der dort genannten prozessualen Rechte einzuräumen. Entweder das Recht, im Namen eines oder mehrerer Opfer ein Gerichtsverfahren einzuleiten, das Recht, zur Unterstützung eines oder mehrerer Opfer an Gerichtsverfahren teilzunehmen, oder das Recht, Gerichtsverfahren im eigenen Namen einzuleiten, um das öffentliche Interesse zu schützen.
Keines dieser Rechte ist im Entwurf zur Umsetzung der Richtlinien vorgesehen. Die Prozessstandschaft soll nach dem Entwurf den Antidiskriminierungsverbänden und nicht der ADS selbst eingeräumt werden.
Zur richtlinienkonformen Umsetzung sollte der ADS ein eigenständiges Klagerecht eingeräumt werden, um in Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung Feststellungsurteile erwirken zu können.
b. Untersuchungsbefugnisse
Art. 8 Absatz 2 der Richtlinien (EU) 2024/1499 und 2024/1500 legt eigene Untersuchungsbefugnisse der Gleichbehandlungsstellen fest. Geschaffen werden muss ein Rahmen zur Durchführung von Untersuchungen, der es den Gleichbehandlungsstellen ermöglicht, den Sachverhalt aufzuklären. Dazu müssen den Gleichbehandlungsstellen insbesondere wirksame Rechte auf Zugang zu Informationen und Dokumenten eingeräumt werden, die erforderlich sind, um feststellen zu können, ob eine Diskriminierung vorliegt. Dies betrifft auch die Ermöglichung der Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen zu diesem Zweck. Nur wenn solche Untersuchungsbefugnisse bestehen, kann die ADS, wie im Entwurf vorgesehen, informierte Stellungnahmen abgeben.
Solche Untersuchungsbefugnisse der ADS müssen ergänzt werden.
c. Entscheidungsbefugnisse
Art. 9 der Richtlinien (EU) 2024/1499 und 2024/1500 legt neben der Befugnis, Stellungnahmen abzugeben, auch die Befugnis fest, Entscheidungen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Diskriminierung abgeben zu können. Neben Schadensersatz und Entschädigung wollen viele Betroffene primär, dass ihnen widerfahrenes Unrecht anerkannt wird und sich nicht wiederholt. Die Richtlinien legen in Art. 9 Abs. 2 die Befugnis der Gleichbehandlungsstellen fest, in solchen Fällen Maßnahmen zur Abhilfe auszusprechen.
Entsprechende Entscheidungsbefugnisse sollten ergänzt werden.
2. Stärkung der ADS
Art. 3 der Richtlinien (EU) 2024/1499 und 2024/1500 fordern die institutionelle und funktionelle Unabhängigkeit der Gleichbehandlungsstellen. Dazu trifft der Entwurf allerdings keine Regelung. Die institutionelle Verknüpfung der ADS mit dem BMFSFJ auf personeller und finanzieller Ebene gefährdet die Unabhängigkeit der ADS.
Die unabhängige Finanzierung sowie die Hoheit der ADS über Personal sowie Ausstattungs- und Organisationsangelegenheiten sollte sichergestellt werden.