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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Einsamkeit unter LSBTIQ*

Politik zeigt Auswirklungen auf die (mentale) Gesundheit

LSBTIQ*-Personen gelten als besonders vulnerable Gruppe, die einem erhöhten Risiko für Einsamkeit ausgesetzt ist. Trotz wachsender gesellschaftlicher Akzeptanz und rechtlicher Fortschritte erleben viele von ihnen weiterhin soziale Isolation, Diskriminierung und ein Gefühl gesellschaftlicher Entfremdung. Diese Erfahrungen wirken sich negativ auf das psychische Wohlbefinden aus und erhöhen die Gefahr chronischer Einsamkeit – ein Umstand, der in der bisherigen Forschung nur unzureichend berücksichtigt wurde.

Ein wichtiger Baustein der Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit ist die wiederkehrende Erhebung und Veröffentlichung von validen Zahlen und Fakten zu Einsamkeit in Deutschland. Umgesetzt wird dies durch das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. mit dem „Einsamkeitsbarometer“. Das erste Einsamkeitsbarometer, eine Betrachtung der Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland, wurde im Mai 2024 veröffentlicht. Am 20. Juni 2026 wurde die Einsamkeitsfokusanalyse zu LSBTIQ* Personen: Lebenslagen und Resilienzfaktoren im BMBFSJ vorgestellt, wo sich unser Verband durch ein Statement einbrachte und die wir im Folgenden zusammenfassen:

Es ist die erste umfassende Analyse des Einsamkeitserlebens lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie queerer Menschen (LSBTIQ*-Personen). Die Analyse wurde auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP – jährliche repräsentative Wiederholungsbefragung von Privathaushalten), sowie mit Daten der Studie LGBielefeld aufbereitet.

Zentrale Erkenntnisse

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queeere (LSBTIQ*) Personen sind eher von Einsamkeitsbelastungen betroffen als nicht LSBTIQ* Personen. Während 16,1 Prozent der LSBTIQ*-Personen eine erhöhte Einsamkeit aufweisen, sind es bei cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen Personen 10,7 Prozent.

Es gibt Unterschiede in den Einsamkeitsbelastungen innerhalb der Gruppe der LSBTIQ* Personen. Sowohl die sexuelle Orientierung als auch die geschlechtliche Identität haben einen deutlichen Einfluss auf das Einsamkeitsempfinden. Einige Gruppen aus der LSBTIQ*-Community sind eher von erhöhter Einsamkeitsbelastung betroffen. So weisen trans* Personen und Befragte, die sich einem anderen Geschlecht als den Antwortmöglichkeiten zugehörig sehen, eher erhöhte Einsamkeitsbelastungen auf. Am stärksten betroffen sind nicht-binäre Personen: In dieser Gruppe ist mehr als die Hälfte der befragten Personen von einer erhöhten Einsamkeitsbelastung betroffen.

LSBTIQ*-Personen weisen eine höhere Depressivität als cisgeschlechtliche und zugleich heterosexuelle Personen auf. Während 18,2 Prozent der LSBTIQ*-Personen eine eher hohe Depressivität aufweisen, sind es bei den cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen
Personen lediglich 11,7 Prozent. Gesundheit und Einsamkeit bedingen einander: Eine erhöhte Einsamkeitsbelastung kann zu einer schlechteren Gesundheit führen, eine schlechte Gesundheit kann ebenso zu einer erhöhten Einsamkeitsbelastung führen. LSBTIQ*-Personen erfahren regelmäßig Diskriminierung: 40,1 Prozent der LSBTIQ*-Personen berichten über eher regelmäßige Diskriminierungserfahrungen. Dabei erfahren einsame LSBTIQ*-Personen mit
55,7 Prozent deutlich häufiger Diskriminierung als nicht einsame LSBTIQ*-Personen mit 32,9 Prozent.

Resilienzquellen gegen Einsamkeit: soziale und gesellschaftliche Teilhabe

LSBTIQ* Personen weisen eine hohe Zufriedenheit mit ihrem Familienleben und ihrer Freund*innenschaft auf. Trotz des hohen Niveaus der Zufriedenheit sind LSBTIQ* Personen mit 75,7 Prozent etwas unzufriedener mit ihrem Familienleben als cisgeschlechtliche und
zugleich heterosexuelle Personen mit 83,3 Prozent. Demgegenüber sind LSBTIQ* Personen mit 80,8 Prozent etwas zufriedener mit ihrem Freundeskreis als cisgeschlechtliche und zugleich heterosexuelle Personen mit 79,5 Prozent.

Eine feste Partner*innenschaft schützt vor erhöhter Einsamkeitsbelastung. LSBTIQ* Personen, die angeben, in einer festen Partner*innenschaft zu sein, sind mit 19,9 Prozent deutlich seltener von Einsamkeit betroffen als LSBTIQ* Personen, die in keiner festen Partner*innenschaft sind, mit 46,5 Prozent.

Auch gesellschaftliche Teilhabe schützt vor einer erhöhten Einsamkeitsbelastung. LSBTIQ*-Personen haben eine stärkere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als cisgeschlechtliche und zugleich heterosexuelle Personen. Dies gilt für ehrenamtliche Tätigkeiten (19,7 Prozent der LSBTIQ* Personen versus 17,1 Prozent der cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen Personen), sportliche Aktivitäten (62,9 Prozent der LSBTIQ* Personen versus 59,1 Prozent der cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen Personen) sowie künstlerische Tätigkeiten (37,4 Prozent der LSBTIQ* Personen versus 23,5 Prozent der cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen Personen).

Ausgewählte Handlungsempfehlungen der Einsamkeitsfokusanalyse der Autor*innen

  • Das Thema der Prävention und Linderung von Einsamkeit bei LSBTIQ* Personen sollte als ressortübergreifende Aufgabe verstanden werden. Es betrifft gesetzliche Regelungen, Gesundheits-, Sozial- und Gleichstellungspolitik, aber beispielsweise auch Stadtplanung und Forschung.
  • Ausbau der Wissensbasis: Aus methodischer Sicht ist die aktuelle Datenlage zu den Lebensumständen von LSBTIQ* Personen in Deutschland unzureichend, um die Einsamkeitsbelastungen von LSBTIQ* Personen in Deutschland nach sexueller Orientierung, nach Geschlechtsidentität oder etwa auch nach räumlichen Faktoren feingliedrig aufzuschlüsseln. Eine entsprechende Datenbasis ist gleichwohl für eine evidenzbasierte Entwicklung neuer beziehungsweise eine Anpassung vorhandener Maßnahmen und Strukturen notwendig, um Risikofaktoren und Resilienzquellen identifizieren zu können und darauf aufbauend geeignete Maßnahmen evidenzbasiert ableiten zu können.
  • Bei LSBTIQ*-Personen übernimmt der Freundeskreis oftmals eine Schutzfunktion, die die Familie bei cisgeschlechtlichen und zugleich heterosexuellen Personen hat (Stichwort Wahlfamilie). Somit erhalten Maßnahmen zur Stärkung von Beziehungen außerhalb der Kernfamilie, auch im rechtlichen Sinne, eine besondere Bedeutung.
  • Menschen mit Diskriminierungserfahrung fühlen sich häufiger einsam als Menschen, die keine Diskriminierung erleben. Auf LSBTIQ* Personen trifft das in besonderem Maße zu. Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung können dabei auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen: Politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität sollten flächendeckend in allen Ländern umgesetzt werden. Zusätzlich sollten homo- und transfeindliche Motive ausdrücklich in den Straftatbeständen zu Hasskriminalität, Hassrede, den Grundsätzen der Strafzumessung sowie dem Tatbestand der Volksverhetzung erwähnt werden.
  • Eine besondere Aufmerksamkeit kommt dem Thema „Aufklärung und Sensibilisierung“ zu, und das auf mehreren Ebenen: Auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene ist es wichtig, grundsätzlich auf eine Enttabuisierung von Einsamkeit hinzuwirken. Dabei sollten auch Minderheiten wie LSBTIQ* Personen in den Blick genommen werden. Darüber hinaus ist es wichtig, durch gezielte Maßnahmen in der Community selbst für das Thema Einsamkeit zu sensibilisieren. Ein weiterer Aspekt sind die Sensibilisierung und Aufklärung von Fachkräften und Multiplikator*innen über zielgruppenspezifisches Wissen zu Einsamkeit bei LSBTIQ* Personen.
  • Schaffung und Stärkung von Maßnahmen zur Prävention und Linderung von Einsamkeit bei LSBTIQ* Personen. Das betrifft die Schaffung von zielgruppenspezifischen Maßnahmen, die sich explizit an LSBTIQ* Personen richten, die Sensibilisierung innerhalb allgemeiner Maßnahmen sowie die Stärkung von Unterstützungs- und Selbsthilfestrukturen in der LSBTIQ*-Community.

So schätzen wir die Studie ein:

Wir begrüßen diese Studie ausdrücklich: Denn Zahlen auch in ihrem breiten Verständnis des Phänomens Einsamkeit entscheidend, um effektive Strategien gegen Einsamkeit unter LSBTIQ* zu erarbeiten. Trotzdem weisen die Zahlen noch keine Erkenntnisse zum Einsamkeitsempfinden unter intergeschlechtlichen Menschen auf.

Aus Sicht der Community ist die Studie nicht verwunderlich, aber zeigt nochmal sehr deutlich: Die Community sieht sich derzeit massiven Angriffen ausgesetzt. Seit Jahren steigen die Zahlen von queerfeindlicher Hasskriminalität. Wir wissen von 55 Angriffen auf CSDs im letzten Jahr; dieses Jahr haben bereits Anschlagspläne und ein Angriff auf ein Vielfaltsfest Schlagzeilen gemacht. Auch queere Organisationen und Gedenkorte werden regelmäßig angegriffen. Wo ein Tatmotiv festgestellt wird, sind Täter*innen sind am häufigsten rechts eingestellt. Diese Bedrohungslage führt zu einem Gefühl gesellschaftlicher Entfremdung. Aus Angst und Panik ziehen sich manche von den Sozialen Medien zurück oder denken sogar übers Auswandern nach. Aber die Akzeptanz queeren Lebens sinkt weltweit und die bereits errungenen Fortschritte können wie der Blick in andere Länder zeigt, jederzeit wieder zurückgenommen werden.

Positive Gesetzesänderungen haben einen messbar positiven Einfluss auf das Gefühl von gesellschaftlicher Akzeptanz, die Psyche und das Einsamkeitsempfinden von LSBTIQ*. In den letzten Jahren wurden deutliche Fortschritte errungen, wie im Einsamkeitsbarometer dargestellt, aber die rechtliche Gleichstellung ist in Deutschland erst zu 69% erfüllt (ILGA Rainbow Map). Besonders die Ergänzung des Grundgesetzes und eine diskriminierungsfreie Reform des Familien- und Abstammungsrechts fordert die Community seit Jahren. Das kann auch dazu führen, dass LSBTIQ* tendenziell unzufriedener mit ihrem Familenleben sind.

Zum anderen führt Minderheitenstress und internalisierte Queerfeindlichkeit zu Distanzierung vom Umfeld und kann einen Teufelskreis der Angst befeuern, denn bei einem Coming-Out kann eine queere Person nicht nur ihr Umfeld verlieren, sondern auch Gewalt erfahren, andererseits bedeutet es einen immensen psychischen Druck und Einsamkeit, nicht als man selbst zu leben. Deswegen kommt der Wahlfamilie eine große Bedeutung im Leben von LSBTIQ* zu. Diese müssen z.B. bei Pandemiepoltik mit beachtet werden. Seit 2020 haben viele Community-Strukturen auch ihre Finanzierung verloren, dabei ist der Zugang dazu im Kampf gegen LSBTIQ* Einsamkeit aber wichtig. Dort werden Partner*innen kennengelernt, die einen Resilienzfaktor gegen Einsamkeit darstellen, und auch Freund*innenkreise aufgebaut. 

Der Zugang zu Community-Strukturen variiert allerdings extrem. Oft sind finanzielle Ressourcen notwendig, um an Events teilnehmen zu können. Es fehlen vor allem seit der Pandemie spezifische Community-Orte für Frauen, Lesben* und trans* Personen. Zusätzlich zur Einbindung in die Regelstrukturen der Freizeitgestaltung, bräuchte es aufgrund mangelnder Sensibilität etwa in großen Sportvereinen eigentlich auch LSBTIQ*-spezifische Orte. Community- und Beratungsstrukturen sind oft finanziell so schlecht ausgestattet, dass sie keine barrierefreien Zugänge anbieten können. Es existiert außerdem ein extremes Stadt-Land-Gefälle, was z.B. Personen, die sich im Asylsystem befinden, die nicht ohne Weiteres ihren Landkreis verlassen können, von Teilhabe abhält. Jung und Alt brauchen einen gleichen Zugang. In der Realität sind alte LSBTIQ* allerdings oft in der Mobilität eingeschränkt, von Pflegenden abhängig und junge Queers in Bildungseinrichtungen oft Diskriminierungen ausgesetzt. Laut den letzten Zahlen aus NRW waren 70% der LSBTIQ* in ihrer Schulzeit Mobbing, Spott, Hänseleien, Beleidigungen oder Bedrohungen ausgesetzt waren, weil sie LSBTIQ* sind.

Deswegen ist Prävention und Aufklärungsarbeit besonders wichtig, die Regenbogenkompetenz von Multiplikator*innen zu erhöhen, sowie es Projekte von Demokratie leben! machen. Die Umsetzung des Aktionsplans Queer leben ist auch entscheidend für eine flächendeckende psychosoziale Versorgung. Aufklärungsprojekte, die gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirken, müssen wie der Aktionsplan Queer leben auskömmlich finanziert sein und politische Mittel wie das Demokratiefördergesetz in Betracht gezogen werden. Gerade wenn die Community so unter Druck ist wie jetzt und Länder und Kommunen Gelder streichen.

Diskriminierende Institutionen, Gesetze und Einstellungen gegenüber sexueller und Geschlechterdiversität stellen ein Risikofaktor für Einsamkeitsempfinden dar. Einsamkeit von LSBTIQ* geht alle in politischer Verantwortung etwas an, denn Minderheitenrechte sind der Kern einer Demokratie.

Weiterlesen:

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass sich zehn Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 16 und 30 Jahren stark und 35 Prozent moderat einsam fühlen. Besonders betroffen sind junge Frauen, junge Erwachsene ohne Erwerbstätigkeit, mit niedriger Bildung sowie mit Migrationsgeschichte. Stark einsame junge Erwachsene sind ebenso interessiert an Politik und zeigen ähnliches kurzfristiges politisches Engagement wie nicht einsame junge Erwachsene.
Sie neigen jedoch vermehrt zu Einstellungen und Überzeugungen, die politischem Engagement langfristig abträglich sind, so die Studie. Stark einsame junge Erwachsene sind weniger zufrieden mit der Demokratie, glauben weniger an die Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse und daran, dass Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen ihre Werte aktiv vertreten.
Um einsame junge Erwachsene besser politisch und sozial einzubinden und ihre politische Selbstwirksamkeit zu stärken, empfiehlt die Studie niedrigschwellige Angebote sowie eine Sensibilisierung für das Thema Einsamkeit und einen offenen Diskurs.