Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität
Stellungnahme des LSVD vom 17. Januar 2020 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
Ihr Schreiben vom 18. Dezember 2019
Aktenzeichen II A 2 – 4603/9-2-45 650/2019
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank, dass Sie uns Gelegenheit geben, zu dem Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Wir konzentrieren uns in unserer Stellungnahme auf die geplante Neuregelung in § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB (Artikel 1 Nr. 1 des Entwurfs).
Bereits bei der letzten Änderung von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB hat der LSVD in seiner Stellungnahme gegenüber dem BMJV kritisiert, dass mit der Aussparung von homophober und transfeindlicher Gewalt eine gefährliche Abwertung der im Normentext nicht genannten Formen von Hasskriminalität erfolgt. Leider wird dies fortgeschrieben.
Schon angesichts dessen, dass der Massenmord an den europäischen Juden im Zentrum der nationalsozialistischen Herrschaft stand, und angesichts der neuen Bedrohungen durch Antisemitismus unterstützen wir es ausdrücklich, dass der Katalog der Strafzumessungsgründe nunmehr um „antisemitische“ Beweggründe erweitert werden soll. Wir halten es aber im hohen Maße für bedenklich, dass dies die einzige Änderung in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB bleiben soll.
1. Die historische Dimension und die Kriminalitätsentwicklung
Als Begründung für die Erweiterung führt der Referentenentwurf überzeugend im Wesentlichen an: Die besondere geschichtliche Verantwortung Deutschland auf Grund der Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sowie die Zunahme der erfassten Hasskriminalität mit antisemitischen Hintergrund.
Der Entwurf bleibt aber jede Begründung schuldig, warum homophobe und transfeindliche Hasskriminalität erneut ausgespart bleibt. Auch bei diesen Formen der Hasskriminalität verzeichnet die Kriminalstatistik eine Zunahme, so z.B. im ersten Halbjahr 2019 einen Anstieg vom 46 % gegenüber den Vergleichszeitraum 2018 (245 gegenüber 168 Straftaten, vgl. BT-Drs. 19/12934), wobei Fachleute betonen, dass bislang ohnehin nur ein Bruchteil der homophoben und transfeindlichen Straftaten überhaupt adäquat erfasst wird.
Auch die geschichtliche Verantwortung Deutschlands kann angesichts der Verbrechen der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung wohl kaum bestritten werden. Besonders hervorzuheben ist vor allem, dass die Verfolgung hier nicht mit der NS-Zeit endete, sondern in der Bundesrepublik strafrechtlich bruchlos fortgesetzt wurde. Noch jahrzehntelang wurde mit § 175 StGB NS-Recht gegen Homosexuelle angewandt und damit ein Klima der Homophobie legitimiert und befördert, das bis heute negative Auswirkungen hat. Auch die diskriminierende Gesetzgebung im Transsexuellenrecht trug und trägt zu Vorurteilen gegenüber transgeschlechtlichen Menschen bei. Dass in der Bundesrepublik Deutschland durch staatliches Handeln jahrzehntelang Homophobie und Transfeindlichkeit in der Gesellschaft erheblich mitverursacht und befeuert wurden, begründet eine besondere historische Verantwortung, homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nun endlich wirksam und nachhaltig zu bekämpfen.
2. Die rechtstatsächlichen Auswirkungen
Zurecht führt der Entwurf in seiner Begründung als rechtspolitisches Ziel der ausdrücklichen Aufnahme von antisemitischen Beweggründen an:
„Schließlich unterstreicht die Ergänzung nochmals konkret für antisemitische Taten, dass die Ermittlungsbehörden ihre Ermittlungen schon frühzeitig auf solche für die Bestimmung der Rechtsfolgen bedeutsamen Motive zu erstrecken haben.“
Es ist unverständlich und offen diskriminierend, dass die Bundesregierung dies den Ermittlungsbehörden in Bezug auf homophobe und transfeindliche Taten weiterhin nicht ausdrücklich nahebringen will. Wir erleben immer wieder, dass die Polizei bei Straftaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) nur den Tathergang ermittelt, aber sich nicht bemüht aufzuklären, welche Beweggründe die Täter veranlasst haben, die betroffene Person als Opfer auszusuchen. Auch die Staatsanwaltschaften nehmen solche Straftaten oft nicht ernst und verweisen beispielsweise Opfer von Beleidigungen, tätlichen Beleidigungen und Sachbeschädigungen auf den Privatklageweg.
Ein Verweis in der Gesetzesbegründung, wonach Tatmotive, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität richten, vom Begriff der „sonstigen menschenverachtenden“ Beweggründe umfasst werden, hilft nicht weiter. Das hat für die Praxis kaum Belang. Wenn homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Normentext genannt ist, finden diese Beweggründe in der Praxis der polizeilichen Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertung keine angemessene Beachtung.
Das ist rechtstatsächlich längst belegt beim vergleichbaren Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB). Dort werden als mögliche Ziele von Volksverhetzung „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe(n)“ ausdrücklich hervorgehoben. Sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sind dagegen nicht benannt. Das Ergebnis: Entscheidungen zu homophober oder sexistischer Volksverhetzung sind trotz weit verbreiteter homophober und sexistischer Hassreden äußerst selten. Die von den Gerichten entschiedenen Fälle beziehen sich „fast ausschließlich auf rassistische, antisemitische und rechtsextremistische Äußerungen.“ (Lembke, Ulrike: Kollektive Rechtsmobilisierung gegen digitale Gewalt, 2017, S. 7, https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/e-paper_43_kollektive_rechtsmobi.pdf). Auch in § 130 StGB wäre demnach eine ergänzende Klarstellung erforderlich.
3. Homophobie und Transfeindlichkeit nicht länger unsichtbar halten
Täter, die aus Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche Menschen zuschlagen, zielen darauf, diese aus dem öffentlichen Raum in die Unsichtbarkeit zu treiben. Es ist ein fatal falscher Weg, wenn der Gesetzgeber Homophobie und Transfeindlichkeit in den einschlägigen Strafrechtsnormen weiterhin tabuisiert und unsichtbar hält. Von daher sollte das Gesetzgebungsverfahren genutzt werden, um § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB sowie § 130 StGB so auszugestalten, dass sie die empirisch belegten Erscheinungsformen von Hasskriminalität angemessen im Wortlaut benennen.
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