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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Erfahrungen von inter* Menschen in Deutschland

Coming-out, Offenheit und Diskriminierung im Alltag, in der Schule, im Gesundheitswesen und am Arbeitsplatz

Coming-out, Offenheit und Diskriminierung im Alltag, in der Schule, im Gesundheitswesen und am Arbeitsplatz. Ergebnisse der Befragung von 160 inter* Menschen in Deutschland im Rahmen der Studie der EU-Grundrechteagentur von 2020

Erfahrungen von intersexuellen/ intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland. Ergebnisse der Studien

Am 14. Mai 2020  hat die EU-Grundrechteagentur (FRA) die Ergebnisse des zweiten großen LGBTI-Survey veröffentlicht. An der Onlineumfrage haben sich knapp 140.000 Menschen aus 30 Ländern (28 EU-Staaten inkl. Großbritannien, Serbien und Nordmazedonien) beteiligt. Sie ist damit die größte internationale Umfrage unter LGBTI.

Aus Deutschland haben sich insgesamt 16.119 Menschen an der Umfrage beteiligt, ca. 160 davon waren inter* Menschen (knapp 1%). Hier veröffentlichen wir die Ergebnisse zu ihren Erfahrungen im Alltag, mit Diskriminierung und Hassgewalt. Hier finden sich die Ergebnisse für lesbische und bisexuelle Frauen sowie für schwule und bisexuelle Männer sowie und transgeschlechtliche Personen.

  1. Coming-out und Offenheit im Alltag
  2. Erfahrungen mit Hassgewalt
  3. Erfahrungen mit Diskriminierung
  4. Erfahrungen am Arbeitsplatz
  5. Gesundheitliche Lage und Diskriminierung im Gesundheitswesen
  6. Diskriminierung an der Schule

1. Coming-out und Offenheit im Alltag

Diagnose und medizinische Eingriffe

Wurde die Variante der Geschlechtsmerkmale (variation of sex characteristics) durch medizinisches Personal ermittelt?

  • bei 15% mit einer spezifischen Diagnose und klarer Information
  • bei 25% ohne spezifische Diagnose und klarer Information
  • 43% haben es selbst festgestellt
  • 13% haben es durch andere erfahren

In welchem Alter wurde die Variante der Geschlechtsmerkmale durch medizinisches Personal ermittelt?

  • 3% bei Geburt
  • 14% in der Kindheit
  • 25% in der Adoleszenz
  • 46% später

Bei 29% wurde eine medizinische Behandlung oder Intervention an den Geschlechtsmerkmalen durchgeführt. Bei 46% wurden diese Eingriffe ohne eine informierte Einwilligung vorgenommen.

  • mit 5 Jahren oder jünger: 24%
  • mit 6-9 Jahren: 10%
  • mit 10-14 Jahren: 6%
  • mit 15-17 Jahren: 3%
  • mit 18-24 Jahren: 15%
  • mit 25-34 Jahren: 23%
  • mit 35-54 Jahren: 19%

Coming-out

Wie alt warst du als du zum ersten Mal bemerkt hast, dass dein Geschlecht nicht mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt.

  • mit 5 Jahren oder jünger: 23%
  • mit 6-9 Jahren: 21%
  • mit 10-14 Jahren: 21%
  • mit 15-17 Jahren: 7%
  • mit 18-24 Jahren: 15%
  • mit 25-34 Jahren: 6%
  • mit 35-54 Jahren: 2%

Wie alt warst du als du erstmalig jemanden anderem davon erzählt hast?

  • mit 5 Jahren oder jünger: 10%
  • mit 6-9 Jahren: 4%
  • mit 10-14 Jahren: 20%
  • mit 15-17 Jahren: 12%
  • mit 18-24 Jahren: 17%
  • mit 25-34 Jahren: 13%
  • mit 35-54 Jahren: 6%
  • 15% haben es noch niemandem erzählt

Wie alt warst du als du erstmalig bemerkt hast, dass du eine Variation der Geschlechtsmerkmale hast?

  • mit 5 Jahren oder jünger: 9%
  • mit 6-9 Jahren: 9%
  • mit 10-14 Jahren: 28%
  • mit 15-17 Jahren: 14%
  • mit 18-24 Jahren: 15%
  • mit 25-34 Jahren: 10%
  • mit 35-54 Jahren: 5%

Wie alt warst du als du erstmalig jemanden erzählt hast, dass du inter* bist?

  • mit 5 Jahren oder jünger: 1%
  • mit 6-9 Jahren: 1%
  • mit 10-14 Jahren: 7%
  • mit 15-17 Jahren: 9%
  • mit 18-24 Jahren: 17%
  • mit 25-34 Jahren: 9%
  • mit 35-54 Jahren: 9%
  • 42% haben es noch niemandem erzählt

Geschlechtsangleichende Maßnahmen

Wurden geschlechtsangleichende Maßnahmen durchgeführt, damit dein Körper besser zu deiner Geschlechtsidentität passt?

  • 46% haben sich keinen geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterzogen
  • mit 5 Jahren oder jünger: 3%
  • mit 6-9 Jahren: 18%
  • mit 10-14 Jahren: 9%
  • mit 15-17 Jahren: 6%
  • mit 18-24 Jahren: 24%
  • mit 25-34 Jahren: 26%
  • mit 35-54 Jahren: 20%

33% der inter* Befragten haben überlegt für medizinische Behandlungen ins Ausland zu gehen.

Rechtliche Anerkennung und Änderung des Geschlechtseintrags

33% hatten Probleme bei der Registrierung ihres Familienstandes bzw. Geschlechtszugehörigkeit in öffentlichen Dokumenten. 19% brauchten bislang keine Registrierung.

  • 46% erfuhren dabei Belästigung durch Verwaltungspersonal oder ihnen wurde der Service verweigert
  • 68% mussten bürokratische hürden überwinden
  • 54% erlebten eine Verletzung ihreer Privatsphäre wie Fremdouting

29% haben ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, 62% nicht und 9% befinden sich im Änderungsverfahren. Warum wurde der Geschlechtseintrags bislang nicht geändert?

  • 19% wollen das gar nicht
  • 32% finden es nicht notwendig
  • 16% sind mit den gesetzlichen Bedingungen für eine Änderung nicht einverstanden
  • 20% erfüllen die gesetzlichen Bedingungen nicht
  • 17% haben es vor
  • 12% wissen nicht, ob sie können
  • 15% finden es zu schwierig
  • 18% finden es zu teuer

Offenheit im Alltag?

  • 35% der inter* Befragten vermeiden es immer oder oft ihr Geschlecht durch ihre physische Erscheinung und Kleidung auszudrücken. 20% machen das mitunter, 44% nie.
  • 37% der inter* Befragten vermeiden es oft oder immer, mit ihrem/ihrer Partner*in Händchen zu halten.
  • 41% der befragten inter* Menschen vermeiden oft oder immer bestimmte Plätze und Orte aus Angst vor Gewalt oder Belästigung. 40% der inter* Befragten sind am Arbeitsplatz vollkommen ungeoutet.

An welchen Orten meiden es inter* Menschen aus Angst vor Gewalt und Belästigung offen zu sein?

  • Zuhause: 14%
  • Bei ihrer Familie: 27%
  • in der Schule: 19%
  • am Arbeitsplatz: 34%
  • im Café, Restaurant, Diskothek: 28%
  • im öffentlichen Nahverkehr: 45%
  • auf der Straße: 37%
  • im Gesundheitswesen: 30%

Was sind die größten Probleme für inter* Menschen in Deutschland?

  • Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsmerkmale: 35%
  • Pathologisierung: 31%
  • Genitaloperationen an Neugeborenen und Kindern: 25%
  • medizinische Eingriffe ohne informierte Einwilligung: 16%
  • psychologische Probleme/ soziale Isolation: 21%
  • kein Zugang zu sensibler medizinischer Behandlung / Medikamenten: 13%
  • rechtliche Änderung des Geschlechtseintrags: 19%
  • Bullying/ Gewalt: 24%

2. Erfahrungen mit Hassgewalt

11% der inter* Befragten haben in den letzten 12 Monaten Belästigungen und Gewalt erfahren. Beinahe jede*r Vierte (23%) wurden in den letzten fünf Jahren angegriffen, weil er*sie inter* ist.

Wo passierte der letzte physische bzw. sexualisierte Angriff?

  • Zuhause: 12%
  • am Arbeitsplatz: 3%
  • im Café, Restaurant, Diskothek: 4%
  • im öffentlichen Nahverkehr: 17%
  • auf der Straße: 43%

Wer waren die Täter*innen beim letzten Angriff?

  • Zu 48% wurden sie von Einzelttäter*innen und nicht von mehreren angriffen.
  • Zu 74% waren es männliche Täter.
  • Nur zu 37% kannten sie die Täter*in nicht.

Welche weiteren Formen von Hasskriminalität und Belästigung mussten sie in den letzten 12 Monaten erleben?

  • verbale Belästigung: 32%
  • non-verbale Belästigung: 23%
  • digitale Belästigung: 14%
  • mehr als einmal beleidigt: 76%
  • mehr als einmal persönlich bedroht: 64%
  • mehr als einmal beleidigende oder drohende Gesten erlebt: 80%
  • mehr als einmal Ziel von Hasskommentaren in social media: 79%

Folgen von Hasskriminalität für die Betroffenen

  • 16% der inter* Befragten mussten medizinisch versorgt werden, nachdem sie Hasskriminalität erfahren haben
  • 12% der inter* Befragten waren danach arbeitsunfähig
  • 32% der inter* Befragten hatten danach Angst vor die Tür zu gehen oder bestimmte Orte aufzusuchen.
  • 52% der inter* Befragten berichteten von anschließenden psychischen Problemen (Depression, Angst u.a.)
  • 25% der inter* Befragten gaben an, dass das Erlebnis bei ihnen keine Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden hatte

Lediglich 20% der inter* Befragten haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt.

  • 13% fanden den Vorfall nicht schlimm genug.
  • 23% glaubten nicht, dass eine Anzeige was bringen würde
  • 28% haben kein Vertrauen in die Polizei
  • 22% stellten keine Anzeige aus Angst vor negativen Folgen / vor Täter*in.
  • 22% verzichteten auf eine Anzeige, weil sie sich schämten
  • 23% stellten keine Anzeige aus Angst vor interfeindlicher Reaktion der Polizei
  • 2% stellten keine Anzeige aufgrund ihres Aufenthaltstatus

3. Erfahrungen mit Diskriminierung

66% der inter* Befragten in mehr als acht Lebensbereichen in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Inter*-Seins diskriminiert. 83% haben den letzten Vorfall nicht gemeldet.

Wo/ Wann wurden sie in den letzten 12 Monaten diskriminiert?

  • 38% bei Bewerbung / Jobsuche
  • 37% am Arbeitsplatz
  • 27% bei der Wohnungssuche
  • 43% bei Inanspruchnahme sozialer Dienste/ Gesundheitsdienste
  • 40% von Personal in Schulen/ Universitäten
  • 31% in Café, Bar, Restaurant oder Club
  • 28% beim Einkaufen/ in einem Geschäft
  • 31% beim Vorzeigen eines offiziellen Dokuments, das ihr Geschlecht ("sex") ausweist

In welcher Situation hat bei inter* Personen der letzte Diskriminierungsvorfall stattgefunden

  • Bei Bewerbung: 10%
  • Am Arbeitsplatz: 13%
  • Bei Wohnungssuche: 5%
  • Soziale Dienste/ Gesundheitsdienste: 20%
  • Schule/Universität: 17%
  • Café, Bar, Restaurant, Club: 12%
  • Geschäft: 9%
  • Beim Vorzeigen von offiziellen Dokument, das das Geschlecht ausweist: 14%

4. Erfahrungen am Arbeitsplatz

Bei der Jobsuche haben 38% der inter* Personen in den letzten 12 Monaten Diskriminierung erfahren. 37% wurden im letzten Jahr am Arbeitsplatz diskriminiert.

Unterstützung am Arbeitsplatz?

  • 32% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz oft eine allgemeine negative Einstellung gegenüber LSBTI erlebt
  • 32% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz mitunter eine allgemeine negative Einstellung gegenüber LSBTI erlebt
  • 29% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz nie eine allgemeine negative Einstellung gegenüber LSBTI erlebt
  • 7% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz erfahren, dass jemand sie und ihre Rechte immer unterstützt und verteidigt hat.
  • 22% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz erfahren, dass jemand sie und ihre Rechte oft unterstützt und verteidigt hat.
  • 45% der inter* Befragten haben in den letzten fünf Jahren am Arbeitsplatz nie erlebt, dass jemand sie und ihre Rechte unterstützt und verteidigt hat.

5. Gesundheitliche Lage und Diskriminierung im Gesundheitswesen

Allgemeines gesundheitliches Befinden

  • Für sehr gut befinden 24% der befragten inter* Personen ihr allgemeines gesundheitliches Befinden. 33% bezeichnen es als gut, 33% als ausreichend und 9% als schlecht.
  • Bei 54% der inter* Menschen liegt eine Langzeiterkrankung vor bzw. haben gesundheitliche Probleme, die länger als sechs Monate andauerten/ andauern.
  • 17% der befragten inter* Menschen haben sich in den letzten 14 Tagen nicht einen Moment depressiv oder niedergeschlagen gefühlt.
  • 28% der inter* Befragten haben sich in den letzten 14 Tagen meistens bzw. immer depressiv oder niedergeschlagen gefühlt.

Bei 20% der inter* Beftragten fand die letzte erlebte Diskriminierung bei der Inanspruchnahme sozialer Dienste bzw. Gesunheitsdiensten statt.

Welche diskriminierenden Erlebnisse wurden bei der Inanspruchnnahme sozialer Dienste bzw. Gesunheitsdiensten gemacht?

  • 20% Hürden beim Zugang
  • 17% mussten nach negativer Erfahrung Ärzt*in wechseln
  • 22% vermieden medizinische Behandlung aus Angst vor Diskriminierung
  • 17% besondere Bedürfnisse wurden ignoriert
  • 22% unangebrachte Neugierde / Kommentare
  • 19% unter Druck gesetzt, sich einer bestimmten medizinischen / psychologischen Maßnahme zu unterziehen
  • 10% haben nie Gesundheitsdienste beansprucht
  • 19% haben Gesundheitsdienste gemieden
  • nur 35% haben keine der genannten Vorfälle erlebt

6. Diskriminierung an der Schule

Offen an der Schule?

  • 62% der inter* Befragten sind ungeoutet, 35% haben sich bei einigen an ihrer Schule geoutet und 3% beschreiben sich als sehr offen an der Schule

43% der befragten inter* Menschen wurden in den letzten 12 Monaten durch Personal einer Schule / Universität diskriminiert. Bei 17% hat der letzte Diskriminierungsvorfall an der Schule / Universität stattgefunden. Aus Angst vor Gewalt und Beleidigung meiden es 19% der inter* Personen dort offen zu sein.

57% der befragten inter* Personen haben während ihrer Schulzeit erlebt, dass sie beleidigt, bedroht oder lächerlich gemacht wurden. Während der Schulzeit gegen sie gerichtete negative Kommentare oder negatives Verhalten erlebt haben.

  • 13% der inter* Befragten immer
  • 30% der inter* Befragten oft
  • 24% der inter* Befragten manchmal

Unterstützung aus dem Umfeld?

  • 55% der inter* Befragten haben nicht erlebt, dass in der Schulzeit jemand sie und ihre Rechte unterstützt und verteidigt hätte
  • 41% der inter* Befragten haben während ihrer Schulzeit nie mitbekommen, dass jemand für LSBTI-Rechte geworben, diese unterstützt oder verteidigt hätte

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