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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LSVD kritisiert Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Personenstandsrecht

Intersexuelle respektieren - biologistische Zweigeschlechtlichkeit überwinden

Pressemitteilung vom 05.08.2016

Zu der gestern bekannt gewordenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.06.2016 (XII ZB 52/15) erklärt Sandro Wiggerich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD):

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Intersexuelle im Geburtenregister nicht als „inter“ oder „divers“ eingetragen werden können. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisiert das unnötige Festhalten an einem binären Geschlechtermodell, das Menschen in die Schubladen „männlich“ oder „weiblich“ zwingt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität. Die Verfassung gebietet es nicht, dass sich diese Identität in ein männlich/weiblich-Schema fügen muss. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob die derzeitigen Regelungen des Personenstandsrechts verfassungsgemäß sind. Der BGH hätte deshalb das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierzu einholen müssen.

Der LSVD fordert den Gesetzgeber auf, einen umfassenden rechtlichen Rahmen für Personen zu schaffen, die sich einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen. Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates zur Intersexualität, die dem Deutschen Bundestag bereits 2012 vorlagen, müssen vollständig umgesetzt werden.

Hintergrund
In Deutschland leben schätzungsweise 100.000 Intersexuelle, die mit unterschiedlichen Geschlechtermerkmalen ausgestattet sind und sich einer traditionellen Geschlechtszuordnung entziehen. Während sich viele von ihnen klar als Mann oder als Frau fühlen, lehnen andere eine solche Zuordnung ab oder empfinden sich als einem dritten Geschlecht zugehörig. Für diese Menschen besteht derzeit nur die Möglichkeit, ihren Geschlechtseintrag vollständig streichen zu lassen, mit unabsehbaren rechtlichen Folgen für Partnerschaft und Familie. Zudem bedeutet das Konzept eines dritten Geschlechts nicht, überhaupt kein Geschlecht zu haben.

Trotzdem keine medizinische Notwendigkeit besteht wurden und werden durch die medizinische Kategorisierung als Störung oder Krankheit Intersexuelle in Deutschland bis heute gravierenden und irreversiblen chirurgischen und verstümmelnden Eingriffen und hormonellen Behandlungen unterzogen - oftmals bereits im Säuglingsalter. Es handelt sich um schwere Menschenrechtsverstöße. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde wird verletzt. Der LSVD fordert ein Ende dieser Zwangsoperationen. Chirurgische und/oder medikamentöse/hormonelle Eingriffe dürfen ausschließlich aufgrund der informierten Einwilligung der betroffenen intersexuellen Menschen erfolgen

LSVD-Bundesverband

Pressekontakt

Pressesprecher*in Kerstin  Thost

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