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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Für wen ist §45b Personenstandsgesetz?

Verfassungsklage gegen BGH-Urteil eingereicht

Seit 2019 kennt das deutsche Personenstandsrecht neben dem Transsexuellengesetz ein weiteres Verfahren zur Änderung des bei der Geburt eingetragenen Vornamens und Geschlechtseintrags. Wer hat Anspruch auf dieses Verfahren?

Seit 2019 kennt das deutsche Personenstandsrecht mit „männlich“, „weiblich“, „divers“ nicht nur drei positive Geschlechtseinträge, sondern neben dem Transsexuellen-Gesetz (TSG) auch ein weiteres Verfahren zur Änderung des bei der Geburt eingetragenen Vornamens und Geschlechtseintrags. Danach können Personen ihren Eintrag beim Standesamt ändern lassen, wenn sie ein ärztliches Attest über das Vorhandensein einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorlegen können. (Ratgeber: § 45b Personenstandsgesetz "Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung")

Wer gehört zu Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung?

Allerdings wird inzwischen genauso lange darüber gestritten, wer zu den im Gesetzestext selbst nicht definierten „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ gehört und wer nicht. Ein im Auftrag des Bundesfamilienministerium erstelltes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, dass dieser Weg auch trans* Personen offensteht bzw. offenstehen muss. Es folgt damit der Interpretation, die erstmalig noch von Manfred Bruns vorgetragen wurde.

Demgegenüber hat das Bundesinnenministerium bereits im Frühjahr 2019 ein Rundschreiben herausgegeben, wonach die Anwendung der von §45b PStG auf trans* Personen unzulässig sei. Standesämter sollten diesen ausschließlich auf inter* Menschen begrenzen. Seither haben diese immer öfter eine Änderung abgelehnt, wenn sie meinen, dass die beantragende Person nicht intergeschlechtlich sein könnte.

BGH-Urteil: §45b nur für inter* Menschen

Dieser Ansicht ist der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner Entscheidung vom 22.04.2020 (BGH XII ZB 383/19) gefolgt. Darin heißt es: „Die von §45b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. (...) Fälle der nur empfundenen Abweichungen des eigenen vom eingetragenen Geschlecht werden von der Neuregelung hingegen nicht erfasst.“ Trans* Personen werden auf das TSG verwiesen.

Allerdings wurde auch klargestellt, dass über das TSG auch die Streichung des Geschlechtseintrags bzw. eine Änderung zu „divers“ möglich ist. Damit wird zumindest die Existenz von nicht-binären trans* Personen anerkannt.

Wir sehen in dieser Unterscheidung einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Artikel 3) im Grundgesetz. Eine Unterscheidung von inter* und trans* Personen unterschiedlicher Klassen ist vollkommen ungeeignet, die dramatisch unterschiedlichen Rechtsfolgen zu begründen, die mit dem Antragsverfahren vor dem Standesamt einerseits und dem Gerichtsverfahren mit umfangreicher psychiatrischer Begutachtung andererseits verbunden sind. Der Beschluss widerspricht auch der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches wiederholt das subjektive Selbstverständnis von Geschlecht geschützt hat.

Klage in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht

Am 15.05.2020 wurde von Prof. Dr. Anna Katharina Mangold und den Rechtsanwältinnen Friederike Boll und Katrin Niedenthal mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Ver­fas­sungsbeschwerde gegen den BGH-Beschluss eingereicht. Diese Klage wird von uns unterstützt. Es ist zu hoffen, dass das Bundes­verfassungsgericht die Entscheidung des BGH korrigiert. Alle Personen haben aufgrund ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag.

Die Entscheidung des BGH macht aber auch ein weiteres Mal den dringenden Reformbedarf im Personenstands­recht deut­lich. Das in weiten Teilen vom BVerfG für verfas­sungs­wi­drig erklärte Transsexuellengesetz (TSG) muss endlich neu ge­fasst werden. Der LSVD fordert, dass eine Vornamens- und Personen­standsänderung allein auf Antrag beim Standesamt ermöglicht wird; ohne Zwangsberatungen, Gutachten, ärztliche Atteste oder Gerichtsverfahren. Das TSG muss abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungs-Gesetzes ersetzt werden.

Markus Ulrich
LSVD-Pressesprecher

Der Beitrag erschien auch in der neuen Ausgabe der LSVD-Zeitschrift respekt! vom Februar 2021.

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