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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Mein Mann ist schwul! Meine Ehefrau hat sich als lesbisch geoutet! Wie heterosexuelle Angehörige das späte Coming-out erleben

Der Umgang von Familienangehörigen mit einem Späten Coming-out in der Familie

Vor allem jedoch heterosexuelle Partner*innen, welche mit einem Coming-out ihres langjährigen Partners oder ihrer Partnerin konfrontiert werden, erleben einen starken Einschnitt in ihr bisheriges Leben.

Deckblatt der Studie "Der Umgang von Familienangehörigen mit einem Späten Coming-out in der Familie"

Lesbisch, schwul oder bisexuell zu sein, ist nicht nur für die Personen selbst, die ihre sexuelle Identität (neu) definieren, eine Entwicklungsaufgabe, sondern auch für ihre Angehörigen. Viele Familienangehörige setzen sich – meist zum ersten Mal im Leben – mit nicht-heterosexuellen Lebensentwürfen auseinander und versuchen vorherige Vorstellungen und Erwartungen an die neue Situation anzupassen.

Inhaltsverzeichnis

1. Spätes Coming-out als starker Einschnitt für heterosexuelle Partner*innen

2. Stand der Forschung

  • Warum überhaupt heterosexuell geheiratet?
  • Wie weiter nach dem Coming-out des Partners/ der Partnerin?
  • Selbstzweifel, Schuldgefühle und Vertrauensverlust: Auch heterosexuelle Partner*innen brauchen Zeit zur Verarbeitung
  • Verarbeitung als Trauerprozess
  • Wie die Beziehung sich verändert
  • Aspekte für Beratung und /oder Therapie

3. Die vorliegende Studie

4. Die befragten heterosexuellen Partnerinnen und Partner

  • Wenige blicken ausschließlich negativ auf die Beziehung zurück
  • „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“

5. Reaktionen von Kindern, Geschwistern und Eltern

6. Vergleich der unterschiedlichen Perspektiven der Familienmitglieder

  • Vergleich des aktuellen Umgangs mit dem Coming-out
  • Erste Gefühle angesichts des Coming-out
  • Welche Unterstützungsangebote wurden gesucht?
  • Gedanken zur Unterstützung

7. Schlussfolgerungen

1. Spätes Coming-out als starker Einschnitt für heterosexuelle Partner*innen

Vor allem jedoch heterosexuelle Partner*innen, welche mit einem Coming-out ihres langjährigen Partners oder ihrer Partnerin konfrontiert werden, erleben einen starken Einschnitt in ihr bisheriges Leben.

Ein sogenanntes „Spätes Coming-out“, also ein Coming-out, nachdem eine schwule, lesbische oder bisexuelle Person bereits längere Zeit in einer ernsthaften heterosexuellen Beziehung gelebt hat – vielleicht geheiratet und Kinder bekommen hat –, stellt eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten dar.

Laut einer Expertenschätzung aus dem Jahre 2001 waren bis zu zwei Millionen schwule, lesbische und bisexuelle Personen in den USA irgendwann in ihrem Leben mit einem heterosexuellen Partner oder einer heterosexuellen Partnerin verheiratet (Buxton 2001). Das bedeutet: Zwei Millionen Familien in den USA könnten mit der Herausforderung eines Späten Coming-outs konfrontiert gewesen sein.

Für den deutschsprachigen Raum gibt es diesbezüglich keine Schätzungen. Ferner gibt es weltweit nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen der Lebenssituation und Umgangsweisen von betroffenen Familienmitgliedern. Im Folgenden sollen zunächst einige der wenigen vorhandenen Studien illustrierend vorgestellt werden.

2. Stand der Forschung

Warum überhaupt heterosexuell geheiratet?

Ein Überblick über die damals vorliegenden Studien mit nichtklinischen Stichproben lässt Strommen (1989) schätzen, dass 20 % aller homosexuellen Männer heterosexuell verheiratet waren oder sind. Als Gründe für eine Heirat fasst er zusammen:

  • Die Überzeugung, dass Homosexualität nur kurzzeitig sei;
  • fehlendes Bewusstsein für Homosexualität zum Zeitpunkt der Heirat;
  • Druck zum Heiraten von der Familie;
  • die Überzeugung, dass Heiraten der einzige Weg zu einem glücklichem Leben sei, ungeachtet der sexuellen Orientierung;
  • die Überzeugung, dass Heiraten über Homosexualität hinweghilft;
  • Kinderwunsch und ehrliche Liebe zur Ehepartnerin bzw. zum Ehepartner (u.a. Bozett 1982).

Wie weiter nach dem Coming-out des Partners/ der Partnerin?

Buxton (2006) schätzt, dass ein Drittel aller MOM („mixed orientation marriages“, Ehen von Partnerinnen und Partnern mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen) sich im ersten Jahr nach dem Coming-out trennt.

Ein weiteres Drittel versucht, die Ehe unter den neuen Umständen weiterzuführen, und annähernd die Hälfte davon schafft es, länger als drei Jahre zusammenzubleiben, indem sie gemeinsam an Ehekonzepten für eine gemeinsame Zukunft arbeiten (z. B. Varianten der offenen Ehe). Das letzte Drittel der MOM nach Spätem Coming-out trennt sich nach diversen Versuchen unterschiedlicher Konzepte innerhalb von zwei oder drei Jahren.

Buxton (2006) stellt heraus, dass heterosexuelle Ehepartnerinnen und Ehepartner dieselben Themen bearbeiten wie ihre Partnerinnen und Partner mit Coming-out (Sexualität, Ehe, ggf. Kinder, Identität, Integrität, Überzeugungen), dass diese thematischen Auseinandersetzungen aber nicht aus ihnen heraus entstanden sind wie bei den bi- oder homosexuellen Ehepartnerinnen bzw. -partnern und dass sie zu einem späteren Zeitpunkt als für ihre Ehepartnerinnen bzw. Partner beginnen.

Selbstzweifel, Schuldgefühle und Vertrauensverlust: Auch heterosexuelle Partner*innen brauchen Zeit zur Verarbeitung

Sie beschreibt, dass die meisten Partnerinnen und Partner drei bis sechs Jahre brauchen, um einen positiven Umgang zu finden. Obwohl es viele Gemeinsamkeiten mit den Reaktionen bei heterosexuellen Trennungen gibt, stellt Buxton spezifische Themen für Trennungen nach einem Späten Coming-out heraus.

Im ersten Jahr nach der Trennung betreffen diese vor allem Sexualität, Ehe und Kinder: Heterosexuelle Ehepartnerinnen und -partner fühlen sich nach dem Comingout ihres Partners oder ihrer Partnerin als Frau bzw. als Mann sexuell zurückgewiesen.

Sie stellen ihre eigene Sexualität infrage, beschuldigen sich selbst, sexuell unzureichend zu sein und spezifisch als Frau bzw. Mann zurückgewiesen worden zu sein. Sie haben ferner Sorge um ihre Kinder und deren Konfrontation mit antihomosexuellen Kommentaren.

Als Strategien, um mit diesen Herausforderungen umzugehen, nennt Buxton zwei, welche sie jedoch als nicht spezifisch für Trennungen nach Coming-out ansieht: Allgemein gelten eine ehrliche Kommunikation und das Achtgeben auf die Sorgen der Kinder als positive Einflussfaktoren auf den Umgang der beteiligten Familienmitglieder untereinander.

Im zweiten Jahr entstehe eine Krise der Identität, der Integrität und des Überzeugungssystems. Heterosexuelle Ehepartnerinnen und -partner stellen nach dem Coming- out ihres Partners bzw. ihrer Partnerin ihre eigene Identität infrage; sie wissen nicht mehr, wer sie sind.

Viele hätten sich bis zur Selbstaufgabe so an die Bedürfnisse ihres Ehepartners bzw. ihrer Ehepartnerin angepasst, dass ein Großteil ihrer Identität verloren gegangen sei. Hinzu kommt, dass Ehepartnerinnen und -partner sich betrogen fühlen von der Person, der sie vielleicht am meisten vertraut haben. Sie fragen sich, was in ihrer Ehe echt war und was gespielt. Sie vertrauen den Aussagen ihres Ehepartners, ihrer Ehepartnerin nicht mehr. Ergänzend wirken enorme Selbstzweifel: Frühere Überzeugungen über Geschlecht, Ehe und die eigene Zukunft sind zerstört.

Verarbeitung als Trauerprozess

Hernandez, Schwenke und Wilson (2011) fassten in einem Überblicksartikel alle wissenschaftlichen Studien von 1988 bis 2008 zusammen, welche das Thema MOM behandeln. Da sich die Literatur in diesem Bereich von Einzelfallbeschreibungen (Duffey 2006) bis hin zu ethisch bedenklichen Ansätzen (Fußnote 1) erstreckt, wählten die Autorinnen und Autoren nur Studien aus, die wissenschaftlichen Kriterien genügten und die Perspektive der heterosexuellen Partnerinnen bzw. Partner einnahmen.

In einer Fragebogenstudie untersuchten Hays und Samuels (1989) 21 heterosexuelle Ehefrauen bisexueller oder schwuler Männer in den USA: 48 % der Teilnehmerinnen ließen sich nach dem Späten Coming-out ihrer Männer scheiden, trennten sich oder waren gerade dabei. Von den 52 %, die verheiratet blieben, fühlten sich drei in einer gefestigten Beziehung. Der Großteil wusste zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht, ob die Ehen halten würden. 86 % der Frauen wussten vor der Hochzeit nichts von der Homo- oder Bisexualität ihrer Männer. Als Zeichen für die Homosexualität ihrer Männer vor dem Coming-out nannten sie hauptsächlich einen Mangel an Kommunikation und seltene sexuelle Kontakte. Die Frauen erfuhren nach 1,5 bis 33 Jahren (durchschnittlich nach M = 15,94 Jahren) von der Homo- oder Bisexualität ihrer Männer.

Das Späte Coming-out der Männer nahm unterschiedliche Formen an (z. B. direktes Gespräch im Rahmen einer Therapie). Nur ein Mann wollte sofort die Scheidung, alle anderen waren an einem Fortbestand der Ehe interessiert.

Die Reaktionen der Ehefrauen fielen sehr unterschiedlich aus – von einem Gefühl der Befreiung, dass ihre Vermutungen stimmten, bis hin zu Ekel und Abscheu. 78 % der Frauen, die vor der Hochzeit nichts wussten, waren extrem schockiert. Hays und Samuels vergleichen den Verarbeitungsprozess der Betroffenen mit einem Trauerprozess (als ob der Ehemann gestorben wäre).

Fast 90 % der Frauen beschrieben depressive Gefühle. 67 % reagierten physisch auf die Nachricht des Späten Coming- out. Ein Teil der Befragten fühlte sich schuldig, das Verhalten des Mannes nicht eher erkannt zu haben und keine gute Ehefrau gewesen zu sein. Die große Mehrheit der Frauen berichtete von Ängsten (z. B. vor Aids). Auf die Frage, ob es besser gewesen wäre, wenn es eine andere Frau gewesen wäre, hielten sich die „Genauso schlimm“-Antworten („Affäre ist Affäre“), die „Ja“-Antworten („dann hätte ich kämpfen können“), und die „Nein“-Antworten die Waage.

Die Qualität der Beziehung änderte sich bei allen Paaren. Der größte Teil fühlte eine zunehmende emotionale Distanz. Einige erfuhren mehr Nähe und Aufrichtigkeit, eine mehr Unabhängigkeit in der Beziehung.

Wie die Beziehung sich verändert

Um den Fokus der Forschung auch auf die Möglichkeiten für eine gemeinsame Zukunft von MOM zu setzen, verglich Buxton (2004) die Selbstberichte US-amerikanischer bisexuell- und lesbisch-heterosexueller Paare, welche nach dem Coming-out verheiratet blieben, bezüglich ihrer Strategien und Umgangsweisen. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Paaren mit bisexueller oder lesbischer Frau und heterosexuellem Mann die ehrliche Kommunikation miteinander die am meisten genannte Bewältigungsstrategie darstellt.

Ehemänner bisexueller Frauen nennen Ehrlichkeit an zweiter Stelle, Ehemänner lesbischer Frauen die Unterstützung durch Gleichgesinnte. An dritter Stelle nennen beide Gruppen von Ehemännern Beratung und Therapie. Als Gründe, die Ehe aufrecht zu erhalten, werden das Familienleben und die Liebe zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin genannt, Lesben nennen als Grund auch die finanzielle Abhängigkeit vom Mann.

Für einige Paare stellen verschiedene sexuelle Orientierungen kein Problem dar. Es gibt bisexuelle Personen, welche sich für eine monogame Beziehung mit einem heterosexuellen Partner oder einer heterosexuellen Partnerin entscheiden, Schwule oder Lesben, welche eine heterosexuelle Person aus starker emotionaler und intellektueller Zuneigung heiraten, und es gibt Personen, welche sich für offenere Beziehungskonzepte als eine Zweierbeziehung entscheiden.

Andere Paare, in denen ein Spätes Coming-out vorkommt, einigen sich, dass der Partner bzw. die Partnerin den gleichgeschlechtlichen Interessen zugunsten der aktuellen Beziehung nicht nachgeht. Problematisch wird es für Paare, wenn die Homo- oder Bisexualität unerwartet entdeckt wird, der heterosexuelle Partner oder die heterosexuelle Partnerin mit der entdeckten Bi- oder Homosexualität der Partnerin bzw. des Partners nicht leben kann oder die homo-/bisexuelle Person ihren Neigungen außerhalb der Beziehung nachgehen möchte bzw. ihnen bereits nachgegangen ist.

Aspekte für Beratung und /oder Therapie

Aus ihrer eigenen Praxiserfahrung beschreibt Bradford (2012; auch Schwartz 2012) folgende wichtige Aspekte für die Therapie und Beratung mit MOM:

  • a) Der Paartherapeut oder die Paartherapeutin sollte die emotionale Stabilität der Personen einschätzen sowie die Stärke der Paarbindung, die Entwicklungsstufe der Beziehung, die Familiengeschichte und andere Gegebenheiten (Kinder, Krankheiten, kulturelle Herkunft, usw.) erfassen, um diese in die Beratungsarbeit einfließen zu lassen.

  • b) Beide Partnerinnen bzw. Partner machen unterschiedliche Erfahrungen durch: Eine Partnerin bzw. ein Partner befindet sich in der Neuorientierung in Bezug auf die eigene sexuelle Identität (mit dazugehörigen Problemen, vielleicht Arbeitsplatzverlust usw.), der bzw. die andere Person stellt die Beziehung und sich selbst infrage. Das Selbstwertgefühl ist am Boden. Einige heterosexuelle Partnerinnen und Partner wollen den Partner oder die Partnerin schützen, andere sind wütend und wollen sich rächen.

  • c) Beide sind sich über die Zukunft ihrer Beziehung unsicher und haben das bisherige Leben, welches ihnen Identität und Stabilität gab, verloren.

  • d) Um auf die persönlichen Bedürfnisse einzugehen, ist das Zusammenspiel einer Paartherapie mit individuellen Therapien denkbar.

  • e) Zuerst müssen andere Themen des Paares bearbeitet werden, welche beispielsweise die Kommunikation erschweren. Vielleicht ist die Homosexualität nicht das bedeutsamste Thema für die Paare (sondern z. B. Depression, Süchte, häusliche Gewalt).

  • f) Viele Paare haben noch nichts mit dem Thema Homosexualität zu tun gehabt. Sie brauchen Informationen, Rat und Austausch mit anderen.

  • g) Die beratende Person sollte die Vielfalt der Umgangsweisen im Blick haben und die spezifischen Bereiche bearbeiten. Paare, welche sich sofort nach dem Comingout trennen, brauchen eventuell Unterstützung bei Fragen zur weiteren Kommunikation über die Regelung mit Kindern. Paare, die ihrer Beziehung mehr Zeit einräumen, müssen sich einigen, ob beispielsweise ein monogames Beziehungskonzept oder eine nichtsexuelle Beziehung infrage kommt. Sie müssen Vertrauen wieder herstellen. Falls sich Paare für eine polyamore Beziehung entscheiden, sind offene Kommunikation und Verhandlungen wichtig. Hier kann die Beratung unterstützen und sollte bei offenen Beziehungskonzepten auch Informationen zu Safer Sex geben.

  • h) Beraterinnen und Berater sollten das Paar in ihrem gemeinsamen Coming-out- Prozess unterstützen. Wie kann die Kommunikation mit den Kindern, den Eltern, Freundinnen und Freunden, sowie Kolleginnen und Kollegen begonnen werden?

3. Die vorliegende Studie

Insgesamt fehlt in der Literatur eine spezifische psychologische Untersuchung zum Wohlbefinden der heterosexuellen Partnerinnen und Partner nach dem Späten Coming-out ihrer Ehepartner und -partnerinnen, zur Selbstkonzeptveränderung und zur allgemeinen Veränderung des Umgangs. Fast vollständig fehlen in der wissenschaftlichen Literatur die Perspektiven von Eltern, Schwiegereltern, Geschwistern und Kindern zu einem Späten Coming-out (Hernandez, Schwenke, Wilson 2011): Welche Herausforderungen und Umgangsweisen zeichnen diese Familienangehörigen aus? Welche Ressourcen können sie nutzen? Diese Fragen sollen in der im Folgenden beschriebenen eigenen Studie für den deutschsprachigen Raum untersucht werden.

In der ersten Phase der Studie wurde eine Reihe von Interviews mit unterschiedlichen Familienangehörigen durchgeführt, um eine möglichst große Bandbreite der Reaktionen und Perspektiven auf ein Spätes Coming-out innerhalb der Familie zu erfassen.

Auf Basis dieser Interviews haben wir einen ausführlichen Fragebogen erstellt und bei Betroffenengruppen, Verbänden und in der Presse für die Studie geworben.

Der Fragebogen konnte auf Papier oder im Internet ausgefüllt werden. Insgesamt erhielten wir von 186 Angehörigen ausreichend vollständige Angaben, um sie auswerten zu können. Darunter waren 175 Deutsche, 5 Personen aus Österreich und 6 aus der Schweiz. Aus Deutschland kamen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bundesländern (Bandbreite 2-30 pro Bundesland).

83 Personen gaben an, evangelisch zu sein, 48 katholisch und 52 gehörten keiner Religion an  (3 gaben eine „andere Religion“ an). Der überwiegende Teil der Personen hatte einen hohen Schulabschluss. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Teilstichproben.

Tabelle 1: Stichprobe der Fragebogenstudie (Fußnote 2)

stichprobe-coming-out.png

Auffällig beim Erheben der Daten war die allgemein geringere Beteiligung von Männern. Die Gruppe der teilnehmenden Väter ist besonders klein. Für sie können keine belastbaren empirischen Aussagen gemacht werden, daher werden sie nicht gesondert dargestellt.

Ebenso ist die Stichprobe der Partner klein: Wo es keine Unterschiede zu den Partnerinnen gibt, werden die Ergebnisse zusammengefasst berichtet.

Aufgrund der anhaltenden gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas Homosexualität und der vielfältigen Umgangsweisen von heterosexuellen Familienangehörigen konnte es kein Anspruch dieser Studie sein, eine repräsentative Stichprobe zu sammeln: Eine repräsentative Stichprobe wäre eine, welche die Grundgesamtheit (aller von Spätem Coming-out betroffenen Familienmitglieder im deutschsprachigen Raum) in allen relevanten Aspekten widerspiegelt. Da diese Grundgesamtheit unbekannt ist und einige Familienangehörige aufgrund ihrer Umgangsweise mit dem Spätem Coming-out (z. B. völliges Ausblenden aus ihrem Leben) keine Umfragen zum Thema ausfüllen würden, wäre dieses Unterfangen forschungstechnisch schwer möglich.

Unsere Ergebnisse machen daher zunächst nur Aussagen über die Personen, die an der Studie teilgenommen haben. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es mit dem Späten Coming-out zusammenhängende Faktoren gibt, die beeinflussen, ob jemand an der Studie teilgenommen hat oder nicht. Beispielsweise suchen anscheinend mehr Ehefrauen als Ehemänner Unterstützungsnetzwerke von Betroffenen auf (z. B. im Internet). Die Ehemänner, die sich zu einer sofortigen Trennung von ihrer lesbischen Ehefrau entschließen, den Kontakt abbrechen und mit niemandem über das Späte Coming-out der Exfrau sprechen, nehmen wahrscheinlich ebenfalls nicht an einer entsprechenden Studie teil. Die Ehefrauen, denen der Austausch über ihre Situation beim Umgang hilft, nehmen eher teil. Aus unseren Darstellungen kann daher nicht auf prozentuale Anteile in der Grundgesamtheit aller Betroffenen geschlossen werden.

Der Wert der Studie besteht vielmehr darin, erstmalig in der internationalen Forschung die Umgangsweisen der unterschiedlichen Familienmitglieder im direkten Vergleich darzustellen und die Bandbreite der Reaktionen zu präsentieren. Damit ermöglicht die Studie es außerdem, für die Soziale Arbeit mit Ratsuchenden und für die institutionelle Öffnung für sexuelle Vielfalt Rückschlüsse auf den Bedarf und die Unterstützungsressourcen von ratsuchenden Familienmitgliedern zu ziehen.

4. Die befragten heterosexuellen Partnerinnen und Partner

Im Vergleich mit anderen Familienangehörigen erhielten die befragten Partnerinnen und Partner von Personen mit Spätem Coming-out (in der Regel Ehemänner und -frauen) einen eigenen Fragebogen, welcher zusätzliche Fragen enthielt, die auf Besonderheiten ihrer Situation abzielten.

Das Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lag bei Partnerinnen bei 54 Jahren und bei Partnern bei 48 Jahren; alle gaben an, heterosexuell zu sein. Im Durchschnitt lebten zum Zeitpunkt des Coming-out drei Kinder im Haushalt der Paare.

Das Späte Coming-out des schwulen oder bisexuellen Partners war durchschnittlich vor 10 Jahren, das der lesbischen oder bisexuellen Partnerin vor 6 Jahren. 20 % der Paare haben sich unmittelbar nach dem Coming-out getrennt, von den übrigen weitere 60 % in der Zwischenzeit; 40 % (zum Zeitpunkt der Studie noch) nicht.

Wenige blicken ausschließlich negativ auf die Beziehung zurück

Das Verhältnis zur Expartnerin bzw. zum Expartner wird von der Mehrheit (65 %) als „teils, teils“ eingeschätzt, manche sehen es als positiver an, wenige als negativ.

94 % der Befragten haben vor der Beziehung nichts von der Bi- oder Homosexualität der Partnerin oder des Partners gewusst. Demgegenüber geben 61 % geben an, der schwule oder bisexuelle Partner oder die lesbische oder bisexuelle Partnerin hätten vor der gemeinsamen Beziehung von seinen bzw. ihren gleichgeschlechtlichen Interessen gewusst.

Auf die Frage hin, ob es während der Beziehung Anzeichen für die Bi- oder Homosexualität gegeben hätte, stimmen die meisten der Aussage zu: „Damals habe ich die Anzeichen, die es gab, nicht erkannt.“ (53 %). Eindeutige oder kleine Anzeichen haben weitere 20 % bemerkt, 27 % sahen keine Anzeichen.

Das aktuelle Wohlbefinden (z. B. „Ich bin mit meinem Leben zufrieden.“) wird als mittelmäßig bis hoch eingeschätzt (M = 4,7, 1 = niedrig, 7 = hoch), und ist höher, je länger das Coming-out zurückliegt. Unmittelbar nach dem Coming-out wird das Wohlbefinden als niedrig erinnert; insbesondere, wenn die Beziehungszufriedenheit zuvor als hoch eingeschätzt wurde.

„Also im Prinzip hat es mich – sage ich mal – wieder zurück verändert. Also ich bin wieder sehr viel mehr bei mir und höre wieder sehr viel mehr auf das, was in mir passiert und was mein Bauch mir sagt. Und ich habe mein Leben jetzt so strukturiert, dass es zu mir passt und im Moment eben zwar Kompromisse bezüglich der Kinder beinhaltet, das macht man als Mutter eben einfach. Aber eigentlich bin ich jetzt da, wo ich hin wollte. Und insofern ist das okay.“

Interviewausschnitt, heterosexuelle Partnerin über Wohlbefinden heute

Wegen der möglichen Auswirkungen des Coming-outs auf das Selbstbild der Partnerinnen und Partner haben wir diese nach ihrer Selbstkonzeptklarheit befragt (Stucke 2002), z. B. „Manchmal denke ich, ich kenne andere Menschen besser als mich selbst“, „Manche Meinungen über mich selbst wechseln von Tag zu Tag.“

Durchschnittlich liegt die Selbstkonzeptklarheit der Partnerinnen bei 5,27, eine hohe Selbstkonzeptklarheit (Wert 6 bzw. 7 auf einer Skala von 1 bis 7) geben nur 48% der Partnerinnen, aber die große Mehrheit der befragten Partner an. Unmittelbar nach dem Coming-out haben Partnerinnen und Partner:

  • an ihrer Definition als Mann/Frau gezweifelt (44 %)
  • sich gefragt, was sie falsch gemacht haben (33 %)
  • sich als schlechte Partnerin oder schlechter Partner gefühlt (27 %)
  • an ihren sexuellen Fähigkeiten gezweifelt (25 %).

„Es ist total unbefriedigend, man stellt sich selber infrage und da muss man nachher erst wieder rauskommen nach diesem Coming-out, denn es war bei uns nicht so, dass er das einfach nur spät entdeckt hat, sondern er hatte vor unserer Beziehung Männerbekanntschaften und wusste das und war nur zu feige, das zu leben. Und das kratzt also schon am Selbstverständnis als Frau an sich, weil man ist halt der gute Kumpel und ein bisschen Sex läuft dann nebenbei so mit, sonst gäb’s ja keine Kinder, aber das war’s dann auch. Und für mich war er mein Traummann. Ich war aber bestenfalls die – sag ich mal – die gute Freundin, mit der man’s halt in der Ehe aushalten kann und das macht ein recht schlechtes Selbstverständnis.“

Interviewausschnitt einer heterosexuellen Ehepartnerin

„Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“

Folgenden Aussagen über ihre Gedanken unmittelbar nach dem Coming-out stimmen viele Partnerinnen und Partner zu:

  • Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. (84 %)
  • Mein Weltbild wurde auf den Kopf gestellt. (51 %)
  • Ich habe es lieber für mich behalten. (45 %)
  • Ich wusste nicht mehr, was falsch und was richtig ist. (39 %)
  • Ich empfand Mitleid für die schwierige Situation der Partnerin bzw. des Partners. (33 %)

Gerade die hohe Zustimmung zur Aussage „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“ macht deutlich, wie einschneidend die neue Lebenssituation ist, vor der Partnerinnen und Partner nach einem Späten Coming-out stehen. Wobei einschränkend beachtet werden muss, dass keine Vergleichszahlen von heterosexuellen Trennungen vorliegen.

Einen Anhaltspunkt zur Interpretation der Zahlen liefern die Daten der anderen Teilstichproben (s. u.): Unter den befragten Kindern haben deutlich weniger, nämlich 25 %, der Aussage „Mein Weltbild wurde auf den Kopf gestellt“ zugestimmt, bei den Eltern waren es 17 % und bei den Geschwistern nur 2 %.

5. Reaktionen von Kindern, Geschwistern und Eltern 

Unter den befragten 56 Kindern erlebten 34 ein Spätes Coming-out der Mutter und 22 eines des Vaters. Das Coming-out war durchschnittlich vor 9 Jahren (Bandbreite: 0–30 Jahre) als das Kind durchschnittlich 19 Jahre alt war (Bandbreite: 4 bis über 34 Jahre).

Die befragten 30 Eltern hatten 15 Töchter und 15 Söhne mit Spätem Coming-out, das Coming-out war durchschnittlich vor 10 Jahren. Die 49 Geschwister berichteten, das Späte Coming-out von 23 Schwestern und 25 Brüdern erlebt zu haben. Eine teilnehmende Person gab kein Geschlecht des Geschwisters mit Spätem Coming-out an. Das Coming-out war durchschnittlich vor 7 Jahren. Auffällig ist, dass nur 28 der befragten Geschwister (58 %) heterosexuell waren; elf Schwestern waren selbst lesbisch, sieben Brüder schwul, zwei Schwestern und ein Bruder bisexuell. Dieser hohe Anteil an Homosexualität in dieser Teilstichprobe muss bei der Interpretation der Ergebnisse im Folgenden beachtet werden. In allen anderen Teilstichproben war der Anteil Heterosexueller sehr viel höher (Eltern: 80 %, Kinder: 86 %).

Familiäre Häufung von Homosexualität

Dennoch sind Schwule, Lesben und Bisexuelle in diesen Teilstichproben – miteinander verwandter Personen – häufiger vertreten als in der Durchschnittsbevölkerung. Dies steht zum einen im Einklang mit Studien über die familiäre Häufung von Homosexualität: So haben Schwule viermal so häufig schwule Brüder, wie zu erwarten wäre, wenn Homosexualität in der Bevölkerung gleichmäßig verteilt wäre, und eineiige Zwillinge haben sehr viel häufiger dieselbe sexuelle Orientierung als zweieiige und diese wiederum häufiger als adoptierte Brüder (Jenkins 2010). Zum anderen haben Schwule, Lesben und Bisexuelle von unserer Studie vermutlich mit höherer Wahrscheinlichkeit erfahren als Heterosexuelle und eventuell hatten sie auch eine höhere Bereitschaft zur Teilnahme.

6. Vergleich der unterschiedlichen Perspektiven der Familienmitglieder

Tabelle 2 zeigt, dass die Mehrheit der Befragten angibt, heute einen für sich passenden Umgang mit dem Coming-out gefunden zu haben. Bei den weiblichen Befragten ist der Anteil insgesamt noch einmal höher als bei den männlichen (das heißt als bei Söhnen und Brüdern). Partnerinnen und Partnern fällt der Umgang schwerer als sonstigen Angehörigen, obwohl bei ihnen das Coming-out ähnlich lange zurückliegt (s. o.).

Schwestern kommen eher besser mit dem Coming-out zurecht als andere Befragte. Zu beachten ist dabei, dass bei den Geschwistern von Personen mit Spätem Coming-out in dieser Studie der Anteil von Homosexualität hoch war (s. o.).

Vergleich des aktuellen Umgangs mit dem Coming-out

Wie schätzen Sie Ihre derzeitige Situation in Bezug auf die Verarbeitung des Coming-out ein?“: Antworthäufigkeiten 6–7 (Zustimmung zu: „Ich habe einen für mich passenden Umgang gefunden“)

  • Kinder: 84 % der Töchter, 77 % der Söhne
  • Eltern: 79 % der Mütter
  • Geschwister: 91 % der Schwestern, 73 % der Brüder
  • Partnerinnen/ Partner: 60 % der Partnerinnen, 60 % der Partner

Bei der Frage nach den ersten Gefühlen, als sie vom Coming-out erfahren haben, werden – bis auf die Angabe, überrascht gewesen zu sein – große Unterschiede zwischen den Perspektiven deutlich (vgl. nächste Tabelle). Nur bei Geschwistern waren die positiven Angaben, erleichtert oder erfreut gewesen zu sein, vorherrschend.

Diese positive Reaktion hängt vermutlich teilweise mit dem hohen Anteil der homo- bzw. bisexuellen Geschwister zusammen. Alle anderen Befragtengruppen waren häufig traurig oder hilflos, insbesondere die Partnerinnen und Partner. Sie gaben als einzige häufig an, sich wütend und einsam gefühlt zu haben. Schockiert und ängstlich zu sein, waren bei Partnerinnen/Partnern und bei Kindern vorherrschende Reaktionen.

„Ich war sauer, dass meine Mutter weg will. Und in einem Moment, als sie halt sagte, dass sie mit einer Frau zusammenlebt, war ich praktisch auch noch mal sauer, weil dazu kam halt etwas, was ich bis dato nicht kannte von meiner Mutter. Man hat halt in dem Moment den Eindruck: ‚Wie lange hast du mir das jetzt vorenthalten?’. Das war dann, glaube ich, noch mal Wut in dem Moment. Die Wut richtete sich eher auf die Trennung, und dann kam große Unsicherheit dazu, weil ich halt dann plötzlich Angst hatte, ich kenne meine eigene Mutter in dem Moment nicht mehr.“

Interviewausschnitt, Sohn über das Coming-out seiner Mutter

Interesse gaben Geschwister sehr häufig als Reaktion auf das Coming-out an, Eltern häufig, Kinder gelegentlich – Partnerinnen und Partner kaum. Bereits hier wird die größere persönliche Betroffenheit der Partnerinnen und Partner, teilweise auch der Kinder deutlich.

Eltern reagierten gemischt, Geschwister eher positiv.

„Übermäßige Wut. Hass. Es ging sogar soweit, dass ich mit Gedanken gespielt habe, mir den vorzuknöpfen, oder vorknöpfen zu lassen. Also schon extreme Gefühle, wo man dann im Nachhinein, wenn man das Ganze wieder verarbeitet hat, diese Gefühle, selbst erschrocken ist über seine eigene Reaktion, das man solche Gedanken letztendlich gehegt hat, ja? Aber es war schon eine unbegrenzte Wut und ja, keine Verärgerung, Wut. Und auch Hassgefühle.“

Interviewausschnitt, Schwiegervater über seine Reaktion auf Coming-out des Schwiegersohnes

Zusätzlich haben wir die Partnerinnen und Partner nach den Reaktionen der Kinder gefragt, die zum Zeitpunkt des Coming-out in ihrem Haushalt lebten (Rupp 2009). Häufigste Antworten hier waren, dass Kinder interessiert auf das Coming-out reagiert hätten; es ohne große Bestürzung zur Kenntnis genommen hätten; es verheimlicht hätten oder besorgt gewesen seien, was Gleichaltrige denken würden.

„Mein Bruder, der ist 72 jetzt, der will auch heute nicht darüber reden, dass ich schwul bin. Das ist ihm peinlich, wenn ich ihm das erzähle. Meine Schwester, die redet auch nicht gern darüber: ,Ach, das musst du nicht, das will ich auch alles nicht wissen.‘ […] diese schwule Seite ist für sie sehr schwierig.“

Interviewausschnitt eines Mannes, Spätes Coming-out vor 18 Jahren, über die Reaktionen seiner Geschwister

Erste Gefühle angesichts des Coming-out

Tabelle: Erste Gefühle angesichts des Coming-out (Anteile in Prozent und in Klammern die Anzahl der Nennungen).

erste-gefuehele-nach-coming-out.png

Interessiert am Umgang des gesamten Familiensystems, haben wir die Frage gestellt, für wen das Coming-out die größte Herausforderung war.

Die Kinder waren der Meinung, das sei vor allem die Ehefrau oder ihre Großmutter gewesen. Die Geschwister nannten Mutter oder Vater der Person mit dem Coming-out und auch die befragten Mütter nannten häufig sich selbst. Die Partnerinnen und Partner sahen ebenfalls ihre Schwiegermutter als sehr betroffen an, aber an vorderster Stelle sich selbst. Auswirkungen auf die Familie als Ganzes durch das Coming-out haben viele nicht gesehen, außer, dass insgesamt die Familienmitglieder offener gegenüber dem Thema Homosexualität geworden seien.

Welche Unterstützungsangebote wurden gesucht?

Alle Befragten gaben an, welche Arten der Unterstützung sie in Anspruch genommen hätten, um mit dem Coming-out umgehen zu können. Bücher und Broschüren sowie Wissensvermittlung im Internet nutzten vor allem Eltern und Partnerinnen/ Partner, auch persönlicher Austausch mit anderen Betroffenen war diesen beiden Gruppen wichtig. Nur Partnerinnen oder Partner haben häufig auf soziale Netzwerke im Internet zurückgegriffen. Für alle Beteiligten waren Gespräche im Freundeskreis, mit der Person selbst und mit Familienmitgliedern wichtig. Nur Eltern haben sich im Fernsehen informiert, nur Partnerinnen und Partner haben Selbsthilfegruppen, psychologische Beratung oder Therapie aufgesucht.

„Es ist einfach so, wenn man mit Freunden oder mit der Mutter darüber spricht, dass das ja sehr subjektiv gefärbt ist und einen teilweise nicht aus diesem Gedankenkarussell rausbringt und dass man einen Neutralen von außen braucht, der einem beim Sortieren hilft und einfach auch mal Anstöße gibt in eine andere Richtung zu denken oder auch mal Positives zu sehen und nicht nur Negatives.“

(Interviewausschnitt, Ehepartnerin)

Gedanken zur Unterstützung

Die unterschiedlichen Gedanken zur Unterstützung führt die Tabelle 5 auf. Hier wird zunächst deutlich, dass insbesondere Partnerinnen und Partner und Eltern ein Informationsdefizit empfunden haben, sodass sie sich auf verschiedene Weise zum Thema Homosexualität informiert haben. Zum anderen bestätigen auch diese Antworten die besondere Situation der Partnerinnen und Partner im Vergleich zu allen anderen Angehörigen. Auffällig ist beispielsweise, dass im Gegensatz zu allen anderen Familienangehörigen den Partnerinnen und Partner Gespräche mit der geouteten Person eher nicht ausreichten.

Tabelle: Gedanken zur Unterstützung (von 1 = Ablehnung bis 6 = Zustimmung; mittlere Zustimmung mit Standardabweichung in Klammern)

tabelle-gedanken-zur-unterstuetzung.png

Bemerkenswert ist, dass auf die Frage, weswegen sie in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung waren, knapp die Hälfte der Partnerinnen (43 %) mit einer Diagnose antworteten (Depression, Posttraumatische Belastungsstörung, wenige auch Burn-out oder Suizidgedanken).

In keiner der anderen Teilstichproben erwähnten die Teilnehmenden vergleichbar viele Diagnosen (z. B. insgesamt fünf Kinder nannten überhaupt eine Diagnose). Dies verdeutlicht eindrucksvoll den Leidensdruck, welcher speziell von Partnerinnen und Partnern in dieser Situation empfunden wird.

In Anspruch genommene Beratungen oder Therapien wurden im Allgemeinen als sehr positiv und hilfreich wahrgenommen. Wenig Zustimmung gab es für die Aussagen, dass die angemessene professionelle Unterstützung leicht zu finden war bzw. dass die Therapeuten und Beraterinnen ausreichend für die spezifische Situation ausgebildet waren.

Tabelle: Wahrnehmung und Bewertung der Therapie/Beratung (1 = Ablehnung bis 6= Zustimmung, mittlere Zustimmung mit Standardabweichung in Klammern)

bewertung_vonberatung_und_therapie.png

7. Schlussfolgerungen

Die Stichprobengrößen erlauben erste Einblicke in die Vielfalt der Umgangsweisen und in typische Muster beim Umgang von Familienmitgliedern mit einem Späten Coming-out. Partnerinnen und Partner nehmen eine Sonderrolle ein. Sie fühlen sich in ihrer Identität viel stärker betroffen als andere Familienmitglieder und natürlich ist es für sie eine enorme Aufgabe, eine neue Beziehungsform (wenn überhaupt) mit dem ehemaligen Lebenspartner bzw. der damaligen Lebenspartnerin zu finden. Eltern und Partnerinnen/Partner haben ein größeres Informationsdefizit als die übrigen Gruppen. Schwestern fällt der Umgang mit dem Coming-out am leichtesten, Männern insgesamt schwerer als Frauen. Für Mütter scheint das Coming-out ihrer Kinder auch häufig ein schwieriges Thema zu sein, aber sie finden im Laufe der Zeit einen guten Umgang damit.

Ein deutliches Zeichen für den hohen Leidensdruck der Partnerinnen und Partner ist ihre häufige Inanspruchnahme professioneller Unterstützung. Diese bewerten sie zwar als sehr hilfreich, jedoch als schwierig zu finden. Zudem sehen sie Defizite in der Ausbildung und Vorbereitung von Beraterinnen und Beratern auf ihre spezielle Situation.(7)

Melanie C. Steffens & Janine Dieckmann

Anmerkungen / Fußnoten