Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Geflüchtetenunterkünfte: Kaum Schutzkonzepte gegen LSBTI-feindliche Gewalt

Studie zu Schutzkonzepten der deutschen Bundesländer deckt massive Mängel auf

Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlingssammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Wenn es überhaupt Landesgewaltschutzkonzepte gibt, wurden die Mindeststandards zum Schutz LSBTI-Geflüchteter kaum übernommen.

Person in einer bedrohlichen Situation

Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlingssammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Für die Geflüchteten ist die Angst vor Verfolgung nach Ankunft in Deutschland meist nicht vorbei. Vielmehr ist Gewalt gegen geoutete LSBTI-Personen in diesen Einrichtungen keine Ausnahme, sondern für sehr viele bittere Erfahrung.

Daher gelten LSBTI-Geflüchtete entsprechend der bundesweiten "Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften" als besonders schutzbedürftige Gruppe, ähnlich wie beispielsweise Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung. Entsprechend der europäischen Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU ist Deutschland nicht nur zur Verankerung gesetzlicher Schutzmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Personen verpflichtet, sondern auch dazu, Maßnahmen zur Identifizierung dieser besonderen Schutzbedarfe zu ergreifen. Solche bundesweit verbindlichen Regelungen gibt es bis heute nicht. 

In den wenigen vorhandenen Landesgewaltschutzkonzepte wurden kaum Mindeststandards zum Schutz LSBTI-Geflüchteter übernommen

Für die Unterbringung sind die Bundesländer und die Kommunen verantwortlich. Der kürzlich in der Zeitschrift „Freiburger Zeitschrift für Geschlechterstudien“ erschienene Artikel „Sofern besonderer Bedarf identifiziert wurde“ zeigt dabei massive Mängel mit Bezug auf den Schutz LSBTI-Geflüchteter in den Gewaltschutzkonzepten der deutschen Bundesländer auf. Die Autor*innen Alva Träbert und Patrick Dörr verglichen die im März 2019 vorliegenden Landesgewaltschutzkonzepte mit den Maßnahmen, die auf Bundesebene als Mindeststandards zum Schutz LSBTI-Geflüchteter identifiziert wurden.

Zunächst einmal fällt auf, dass von den 16 Bundesländern, die ja in Deutschland für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig sind, nur neun überhaupt über ein solches Konzept für ihre Landesunterkünfte verfügten. In diesen neun Konzepten findet sich durchschnittlich nicht einmal ein Drittel der in den Mindeststandards beschriebenen Maßnahmen zum Schutz LSBTI-Geflüchteter wieder. 

Besonders schlecht schneidet das sächsische Schutzkonzept ab. Dort sind nur 5 % der durch die Mindeststandards vorgegeben Maßnahmen aufgenommen. Im Konzept des Bundeslandes Bremen sind immerhin über die Hälfte der Maßnahmen verankert. Damit liegt Bremen vorn.

Fehlende Schutzmaßnahmen machen Geflüchtetenunterkünfte zu Angsträumen und haben auch massive Auswirkungen auf das Asylverfahren

Ein besserer Schutz wäre aber dringend erforderlich: In Unterkünften werden LSBTI-Geflüchtete besonders häufig Opfer von Gewalt und gelten entsprechend der EU-Richtlinie 2013/33/EU daher mit gutem Grund in Deutschland als besonders schutzbedürftige Gruppe. Die fehlende Verankerung von Schutzmaßnahmen bedeutet somit – so Träbert und Dörr – auch, dass Deutschland weiterhin seinen europäischen Verpflichtungen in diesem Bereich nicht nachkommt. Der Mangel an Schutz hat dabei massive Auswirkungen auf die betroffenen Personen. Im Angstraum Geflüchtetenunterkunft finden sie nur in den seltensten Fällen den Mut, über ihre Bedarfe zu sprechen. Zu groß ist in der Regel die Furcht vor einem Outing, zu schlimm oft auch die Vorerfahrungen mit Staat und Gesellschaft im Herkunftsland.

Die beiden Autor*innen führen aus, dass das Ausbleiben der notwendigen, vertrauensbildenden Maßnahmen nicht nur einen effektiven Gewaltschutz in der Unterkunft verhindert. Es trägt auch dazu bei, dass viele Geflüchtete es nicht schaffen, die in der Heimat erlebte Verfolgung im Asylverfahren überhaupt anzusprechen. Damit kann die asylrelevante Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität auch nicht in die Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einfließen. Das heißt sie werden hier nicht als Geflüchtete anerkannt und womöglich abgeschoben. „Es ist daher dringend nötig, dass die Bundesländer den Schutz queerer Geflüchteter endlich besser in ihren Schutzkonzepten verankern“, so Patrick Dörr, der seit Oktober 2020 auch Mitglied im LSVD-Bundesvorstand ist.

Systematische Information über LSBTI-Verfolgung als Asylgrund im Asylverfahren und über den besonderen Schutzbedarf bei der Unterbringung notwendig

Der LSVD fordert die für die Unterbringung zuständigen Bundesländer auf, alle Geflüchteten frühzeitig, systematisch und flächendeckend darüber zu informieren, dass die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität ein Asylgrund ist, und dass LSBTI-Geflüchtete als besonders schutzbedürftige Gruppe ihren besonderen Schutzbedarf anmelden können.

Dazu gehören:

  1. sichtbare Information zum besonderen Schutzbedarf LSBTI und zum Asylgrund LSBTI-Verfolgung in allen Flüchtlingsunterkünften und BAMF-Außenstellen
  2. standardmäßiges Einbinden vom besonderen Schutzbedarf LSBTI und vom Asylgrund LSBTI-Verfolgung in Erstgespräche und Erstinformationen gegenüber allen Geflüchteten
  3. sichtbares Einbinden von Akzeptanz gegenüber LSBTI-Personen in allen Hausordnungen und Leitbildern
  4. systematischer Hinweis in allen Aufnahmeformularen auf die Möglichkeit, den besonderen Schutzbedarf LSBTI gegenüber den Mitarbeitenden diskret anmelden zu können
  5. systematischer Hinweis auf die Relevanz der sexuellen Orientierung bzw. der geschlechtlichen Identität für das Asylverfahren bei Antragsstellung
  6. dies verbunden mit der Information, dass Unterkunfts- sowie BAMF-Mitarbeitende auch mit Bezug auf die Information zur sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität an die gesetzliche Schweigepflicht gebunden sind
  7. Hinweis bei Asylantragsstellung - explizit auch mit Bezug auf LSBTI-Themen - auf die Möglichkeit, für die Anhörung eine*n Sonderbeauftragte*n für geschlechtsspezifische Verfolgung beantragen zu können
  8. eine LSBTI-Ansprechperson in jeder Flüchtlingsunterkunft
  9. systematische Information über LSBTI-spezifische Beratungs- und Gruppenangebote

Weiterlesen