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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Diskriminierung in den Streitkräften

Entschädigung und Rehabilitierung queerer Soldat*innen geplant

Im Oktober 2020 legte das Verteidigungsministerium einen ersten Gesetzentwurf vor, zu dem auch der LSVD im Stellung nahm. Beim anschließend vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf hat die Bundesregierung einen Teil unserer Forderungen aufgegriffen.

Soldaten von hinten

Soldat*innen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee mussten über Jahrzehnte damit rechnen, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung drangsaliert, degradiert oder entlassen zu werden. In der Bundesrepublik wurde diese Praxis vom Bundesverteidigungsministerium (BMVg) ausdrücklich befürwortet und von der Rechtsprechung lange gebilligt. Homosexualität galt als schwerer Makel, homosexuelle Soldat*innen als Sicherheitsrisiko. Nun hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Betroffenen rehabilitieren und entschädigen soll.

Institutionelle Diskriminierung homo- und bisexueller Soldat*innen

Eine im September vorgestellte Studie zum Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität legt erstmals umfassend das Ausmaß der Diskriminierungen offen. Einvernehmliche homosexuelle Handlungen galten als Dienstpflichtverletzung und führten entweder zu Verurteilungen durch die Truppendienstgerichte oder zu fristlosen Entlassungen im vereinfachten Verfahren. Bis 1979 war Homosexualität ein offizieller Ausmusterungsgrund. Später galten Homosexuelle zwar als grundsätzlich dienstfähig, konnten jedoch weder eine Offizierslaufbahn einschlagen noch Berufssoldat werden. Ein Erlass des BMVg von 1984 sprach Soldat*innen mit homosexuellen Neigungen pauschal die Eignung als Vorgesetzte ab. Wer nicht direkt entlassen wurde, musste damit rechnen, nicht mehr befördert oder mit höherwertigen Aufgaben betraut zu werden. Das BMVg hob diesen Erlass erst am 3. Juli 2000 auf.

Die diskriminierende Haltung der Bundeswehr war nicht nur entwürdigend für die Betroffenen, sondern strahlte weit über das dienstrechtliche Verhältnis hinaus negativ auf die rechtliche und gesellschaftliche Stellung von LSBTI aus, indem sie ihre Diskriminierung staatlich legitimierte.

Gesetzentwurf zur Rehabilitierung homosexueller Soldat*innen 

Im Oktober legte das BMVg einen Gesetzentwurf vor, zu dem der LSVD im Rahmen der Verbändebeteiligung Stellung nahm. Der anschließend vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf wurde zum Teil nachgebessert.

Vorgesehen ist nun, wie vom LSVD gefordert, die Aufhebung aller wehrdienstgerichtlicher Urteile, soweit sie einvernehmliche homosexuelle Handlungen betreffen. Der Referentenentwurf aus dem BMVg hatte nur die Aufhebung von Urteilen vorgesehen, die Straftaten nach dem früheren § 175 StGB betrafen und in denen keine weiteren Dienstvergehen abgeurteilt wurden.

Daneben will die Bundesregierung Betroffene rehabilitieren, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, ihrer sexuelle Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität auf andere Weise dienstrechtlich benachteiligt wurden. Auch hier hat die Bundesregierung eine unserer Forderungen aufgegriffen und Diskriminierungen wegen der geschlechtlichen Identität ergänzt.

Betroffene sollen auf Antrag für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil pauschal und für andere dienstrechtliche Benachteiligungen einmalig 3.000 Euro erhalten. Diese rein symbolische Entschädigung ist aus unserer Sicht viel zu wenig. Die Entschädigung muss einen wirksamen finanziellen Ausgleich für die vom Staat verursachten Schäden bieten. Die Degradierung oder Entlassung aus dem Dienst hat Menschen nicht nur entwürdigt, sondern oft ihre Berufsbiografien zerstört und wirkt sich bis heute negativ auf ihr Leben aus, beispielsweise durch niedrigere Rentenzahlungen. Außerdem fordern wir eine Regelung zur kollektiven Entschädigung, die der Aufarbeitung des Unrechts, weiterer Forschung zu LSBTI in den Streitkräften sowie der Bildungsarbeit dienen soll.

Der LSVD wird den Gesetzgebungsprozess weiterhin kritisch begleiten und darauf hinwirken, dass eine möglichst umfassende Rehabilitierung des erfahrenen Unrechts geleistet wird.

Sarah Ponti
LSVD-Grundsatzreferentin

Der Beitrag erschien auch in der neuen Ausgabe der LSVD-Zeitschrift respekt! vom Februar 2021.

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