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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Flüchtlinge schützen – Integration fördern

Was fordert der LSVD?

Als Bürgerrechtsverband verteidigt der LSVD mit Nachdruck das Grundrecht auf Asyl und die Schutzrechte, die in der Genfer Flüchtlingskonvention verbrieft sind. Wir fordern eine LSBTI-inklusive Flüchtlings- und Integrationspolitik!

In zahlreichen Ländern dieser Welt droht Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTI) Gefahr für Freiheit, Leib und Leben. Einige fliehen vor Verfolgung und Unterdrückung nach Deutschland. Sie müssen in unserem Land Aufnahme, Schutz und angemessene Unterstützung finden. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) setzt sich für kultursensibel geführte und faire qualifizierte Asylverfahren ein. Er berät und unterstützt LSBTI-Flüchtlinge und hält detaillierte Informationsangebote bereit. Der LSVD will damit Behörden, Trägern von Aufnahmeeinrichtungen und anderen in der Flüchtlingsarbeit Tätigen für die Situation von LSBTI-Flüchtlingen sensibilisieren.

Aus seinem Engagement für LSBTI-Flüchtlinge heraus und als Bürgerrechtsverband bringt sich der LSVD in die gesamtgesellschaftlichen Debatten um das Asylrecht und um die Aufnahme und Integration von Geflüchteten ein und nimmt Stellung zu einschlägigen Gesetzesvorhaben.

Die Flüchtlingssituation der letzten Monate hat in Deutschland zu erheblichen politischen Verwerfungen geführt. Während sich viele Menschen mit großem Einsatz für die Aufnahme von Flüchtlingen engagieren, kommt es andererseits zu massiven politischen Angriffen auf das Asylrecht. Gleichzeitig hat sich die Zahl rassistischer Attacken gegen Flüchtlingseinrichtungen 2015 mit über 1.000 Fällen verfünffacht. Es ist unerträglich, dass Menschen, die sich vor Gewalt, Verfolgung und Krieg zu uns geflüchtet haben, Ziel von Gewalttaten sind. Ebenso wenig hinnehmbar ist es, wenn Menschen in Aufnahmeeinrichtungen von Seiten anderer Flüchtlinge bedroht werden. Unsere Gesellschaft und die Behörden müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Menschen, die sich hierher geflüchtet haben, in Deutschland keinerlei rassistischen, homophoben oder transphoben Anfeindungen ausgesetzt sind.

Als Bürgerrechtsverband verteidigt der LSVD mit Nachdruck das Grundrecht auf Asyl und die Schutzrechte, die in der Genfer Flüchtlingskonvention verbrieft sind. Der LSVD steht an der Seite all derer in der Gesellschaft, die sich für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik, für menschenwürdige Aufnahme, Unterstützung, Integration und gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten stark machen.

I. Integration in die demokratische Gesellschaft ermöglichen

Viele der Menschen, die sich nach Deutschland geflüchtet haben, werden auf Dauer bleiben und wollen sich in unsere offene, demokratische Gesellschaft integrieren. Sie sind Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von morgen. Die Integration und Teilhabe der Geflüchteten ist eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zusätzlich zur Integrationsunterstützung bei Bildung, Arbeitsmarkt und Wohnen ist ein unabdingbarer Aspekt von Integration auch das gesellschaftliche Miteinander und das Sichern eines dem Grundgesetz verpflichteten Zusammenlebens. Die Integration in die demokratische Gesellschaft muss gefördert werden. Integration braucht Offenheit statt Vorurteile, sie braucht die Bereitschaft der Neuankommenden und der aufnehmenden Gesellschaft, sich füreinander zu öffnen. 

Politik des Hinsehens

Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen sich demokratische Traditionen kaum entfalten konnten, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen strafrechtlich verboten sind und LSBTI staatlich und gesellschaftlich massiv verfolgt werden. Auch wenn die Menschen vor Unterdrückung, vor undemokratischen Zuständen oder Krieg in ihrer Heimat flüchten, haben viele von ihnen gesellschaftliche Prägungen ihrer Herkunftsländer mit im kulturellen Gepäck, z.B. hinsichtlich Geschlechterrollen oder Einstellungen zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten. Das schmälert nicht ihren Anspruch auf menschenwürdige Aufnahme und ihr Recht, Asyl zu beantragen und bei Vorliegen der Voraussetzungen Schutz zu erhalten. Es bedeutet aber, dass es eine Politik des Hinsehens und gezielte Integrationsangebote geben muss.

LSBTI-inklusive Integrationskurse

Sämtliche Programme zur Integration sowie Materialien zum Spracherwerb sind auch darauf auszurichten, dass sie für Demokratie, Vielfalt und individuelle Freiheitsrechte einschließlich des Respekts für LSBTI werben. Die Rechte und die Situation von LSBTI müssen verpflichtendes Thema in den Integrationskursen sein und dort angemessen breit thematisiert werden. Das stärkt auch LSBTI unter den Flüchtlingen dabei, sich in unserer Gesellschaft zu entfalten. Es ist sicherzustellen, dass Sprach- und Orientierungskurse ausreichend und überall angeboten sowie von interkulturell qualifiziertem, für LSBTI sensibilisiertem Personal durchgeführt werden. Integrationskurse müssen zudem von Anfang an allen Schutzsuchenden offenstehen, sonst geht wertvolle Zeit verloren. Um die notwendige Qualität der Integrationskurse zu gewährleisten, bedarf es einer angemessenen Honorierung der Dozentinnen und Dozenten. 

Gleichstellung vorantreiben

Die beste Möglichkeit, Neuankommenden den Anspruch von LSBTI auf Respekt zu vermitteln, ist, auch in Deutschland endlich die volle rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung zu verwirklichen, insbesondere durch Öffnung der Ehe und ein freiheitliches Transsexuellenrecht. Solange der Staat selbst diskriminiert, ermuntert er auch andere dazu.

Auch viele Alteingesessene in Deutschland haben großen Nachholbedarf in Sachen Respekt und Akzeptanz für LSBTI. Deshalb muss die Bundesregierung endlich den versprochenen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie auf den Weg bringen.

Wer mit den Themen Homo- und Transphobie Ängste vor Flüchtlingen schürt, gleichzeitig aber volle rechtliche Gleichstellung blockiert oder gegen eine Pädagogik der Vielfalt kämpft, handelt scheinheilig. Der LSVD verwahrt sich entschieden gegen eine solche Instrumentalisierung der Themen Homo- und Transphobie. 

II. Schutz für verfolgte LSBTI verbessern

Noch immer gibt es beträchtliche Hürden für verfolgte LSBTI, in Deutschland anerkannt zu werden. Die jüngsten Asylrechtsverschärfungen haben die Probleme nochmals vergrößert. LSBTI flüchten nach Deutschland aus Ländern, in denen Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit massiv geächtet und tabuisiert sind. So ist es vielen lesbischen und schwulen Asylsuchenden zunächst (noch) nicht möglich, offen über ihre sexuelle Orientierung und entsprechende Verfolgung zu berichten, wenn Homosexualität in ihrer Herkunftsgesellschaft tabuisiert ist und es ihre bisherige Überlebensstrategie war, ihre sexuelle Orientierung gegenüber Dritten geheim zu halten. Ein Outing vor fremden Behördenmitarbeitern stellt für sie eine immense Barriere dar. Damit für LSBTI faire und qualifizierte Asylverfahren tatsächlich gewährleistet sind, muss diese Ausgangssituation umfassend und kultursensibel kompetent berücksichtigt werden. Das ist häufig nicht der Fall.

Faire und qualifizierte Asylverfahren gewährleisten

Das berechtigte Anliegen, zu zügigen Verfahren zu kommen, darf nicht zu einer Minderung von deren Qualität führen. Es ist notwendig, die für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tätigen Entscheiderinnen und Entscheider deutlich stärker für den Umgang mit Asylsuchenden zu sensibilisieren, die wegen erlebter oder drohender Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in Deutschland Schutz suchen. Das muss durch Aus- und Fortbildung und Einarbeitung gewährleistet sein.

Das gleiche gilt für die bei Befragungen von Asylsuchenden eingesetzten Sprachmittlerinnen und Sprachmittler. Es sind Fälle berichtet worden, bei denen vom BAMF herangezogene Sprachmittlerinnen und Sprachmittler, Homosexualität oder Transsexualität tabuisieren oder gegenüber den Asylsuchenden eine homo- oder transphobe Einstellung an den Tag legen und sie damit zusätzlich verunsichern. Das muss unterbunden werden.

LSBTI müssen bei der Befragung über intime und höchstpersönliche Sachverhalte Auskunft geben. Sie sind besonders schutzbedürftige Flüchtlinge im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie. Für sie muss für die Dauer ihres Asylverfahrens ein Rechtsanspruch auf Sprachmittlung durch unabhängige Dolmetscherinnen und Dolmetscher verankert werden.

Trotz eindeutiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gibt es bislang keine einheitliche Praxis in der EU hinsichtlich der Anerkennung von LSBTI-Flüchtlingen. Deutschland darf keine LSBTI-Flüchtlinge in andere EU-Staaten oder Drittstaaten rückführen, wenn für sie dort keine menschenwürdige Aufnahme oder kein faires Asylverfahren garantiert sind. 

Verfolgerstaaten können keine „sicheren Herkunftsländer“ sein

In den Westbalkan-Ländern, die in Deutschland gesetzlich als so genannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind, gibt es gesellschaftliche, oft von staatlichen Stellen geduldete oder gar unterstützte Unterdrückung von LSBTI, die sich in der Summe zur asylrelevanten Verfolgung verdichten kann. Mit Ghana und Senegal stehen sogar zwei Länder in der Liste „sicherer Herkunftsstaaten“, in denen homosexuelle Handlungen strafbar sind.

Jetzt will die Bundesregierung auch Algerien, Marokko und Tunesien für „sicher“ erklären, obwohl homosexuelle Handlungen dort ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden. Die Einwände des Bundesrats hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung damit abgetan, dass eine „systematische Verfolgung (verdeckte Ermittlungen etc.)“ nicht stattfinde und Homosexualität für die Behörden (nur) dann strafrechtlich relevant werde, wenn sie offen ausgelebt wird. Damit greift die Bundesregierung auf die frühere Praxis das BAMF und der deutschen Verwaltungsgerichte zurück, dass Asylsuchende ihre Homosexualität zurückgezogen in der Privatsphäre leben könnten und dann nicht gefährdet seien. Das hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 07.11.2013 (C-199/12 bis C-201/12) ausdrücklich für unzulässig erklärt. Wörtlich heißt es in dem dritten Leitsatz des Urteils: „Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“ 

Das Konzept der „sichere Herkunftsstaaten“ begegnet größten menschenrechtlichen Bedenken. Kraft Gesetzes wird vermutet, Flüchtlingen drohe dort keine Verfolgung. Die damit verbundenen Schnellverfahren ohne Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz bedeuten gerade für Menschen aus dem LSBTI-Personenkreis, dass sie faktisch von einer fairen Prüfung ihrer Asylgründe ausgeschlossen werden. Zudem werden sie verpflichtend in besonderen Aufnahmeeinrichtungen mit Menschen aus ihren Herkunftsländern untergebracht, so dass sie Gefahr laufen, Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen bis hin zur Gewalt wie in ihrer Heimat ausgesetzt zu sein.

Nach dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 (BVerfGE 94,115) dürfen Staaten nur zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt werden, wenn dort landesweit für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen Sicherheit vor politischer Verfolgung besteht. Wenn Deutschland Staaten für „sicher“ erklärt, in denen homosexuelle Handlungen strafrechtlich verfolgt werden, ist das eklatant rechtswidrig. Deutschland macht sich zum Handlanger  von Regierungen, die die Menschenrechte von Lesben und Schwulen verleugnen und mit Füßen treten. Eine solche Politik schwächt den weltweiten Kampf zur Abschaffung der Kriminalisierung von Homosexualität empfindlich.

LSBTI-inklusive Schutzkonzepte

Es gibt zahlreiche Berichte, dass LSBTI in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte.

Für die Aufnahmeeinrichtungen müssen Gewaltschutzkonzepte umgesetzt werden, um den negativen Folgen des beengten Lebens ohne Privatsphäre entgegenzuwirken. Diese müssen Gruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko wie LSBTI besser berücksichtigen. Sie müssen als besonders schutzbedürftige Gruppe anerkannt werden. Alle Träger der Einrichtungen müssen verbindliche Mindeststandards einhalten, etwa verbindliche und kommunizierte Hausordnungen in mehreren Sprachen, die ein rücksichtsvolles und diskriminierungsfreies Zusammenleben einfordern. Als Orientierung sollten dabei die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Merkmale dienen.

Hier gibt es bereits gute Vorbilder. Zu einem LSBTI-inklusiven Gewaltschutzkonzept gehört sensibilisiertes Personal. Bei einer Gefährdungslage oder Gewaltvorfällen müssen Schutzräume zur Verfügung stehen und eine zügige Verlegung in Einzelzimmer oder andere Unterkünfte ermöglicht werden. Straftaten müssen geahndet werden. 

Auch um Gefährdungen vorzubeugen, vor allem aber um soziale Kontakte zu stärken, Integration und freie Entfaltung zu fördern, fordert der LSVD die Aufhebung der Residenzpflichten für Flüchtlinge. 

Beratungsstrukturen und Begegnung fördern

Es braucht mehr öffentliche Förderung und einen Ausbau der Beratungs- und Begegnungsangebote für LSBTI-Flüchtlinge, die ihnen helfen, in unserer Gesellschaft anzukommen und sich frei zu entfalten. Das bürgerschaftliche Engagement für Flüchtlinge und von Flüchtlingen muss besser unterstützt und gefördert werden. Die LSBTI-Strukturen, Präventionsangebote gegen HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten sowie die Freizeitszene dürfen nicht nachlassen, die Situation und Bedürfnisse von Flüchtlingen mitzudenken und zu unterstützen. Fremdenfeindlichkeit in der eigenen Community treten wir mit allem Nachdruck entgegen.

Es dürfen keine Integrationshemmnisse aufgebaut werden, wie z.B. durch eine derzeit diskutierte Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Integrieren kann man sich am besten dort, wo man Freundinnen und Freunde findet und ein akzeptierendes Umfeld. Das ist nicht notwendigerweise dort der Fall, wo einem der Staat den Wohnort zuweisen will. Wenn man Flüchtlinge für unsere offene und freie Gesellschaft gewinnen will, sollte man sie nicht mit Freiheitseinschränkungen überziehen. Vielmehr ist es Aufgabe des Staates und der Gesellschaft, die Akzeptanz für Flüchtlinge bundesweit zu steigern, damit es nicht zu Abschottungsprozessen kommt. Für anerkannte Flüchtlinge muss Freizügigkeit gelten. Der LSVD wendet sich entschieden gegen jede Aushöhlung der Genfer Flüchtlingskonvention. 

(beschlossen auf dem 28. LSVD-Verbandstag am 16.04.2016 in Köln)

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