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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Rede des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas am 25. April 2015 in Berlin

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Mitglieder des LSVD,

herzlichen Dank für Ihre Einladung. Ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein, denn ich weiß, dass dies ein ganz besonderer Verbandstag für den LSVD ist.

Der Schwulenverband in der DDR war der Nukleus, aus dem der LSVD hervorgegangen ist. Es war der revolutionäre Aufbruch in der Wendezeit, der den Anstoß gegeben hat für eine deutschlandweite Organisation – erst der Schwulen, dann auch der Lesben. Natürlich gab es schon vorher im Westen schwule Bündnisse, aber es waren Männer wie Eduard Stapel, die vom Osten her die Grundlagen für den gesamtdeutschen LSVD gelegt haben.

So etwas hat es nicht oft gegeben. Aber vielleicht wäre es für das Zusammenwachsen des Landes einfacher gewesen, wenn die Impulse aus dem Osten öfter so wirksam gewesen wären, wie das beim SVD der Fall gewesen ist.

Ich gratuliere sehr herzlich zum 25jährigen Bestehen des LSVD! Mein großer Dank gilt allen, die sich seit einem Vierteljahrhundert für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung stark machen. Eduard Stapel habe ich schon genannt, ich erinnere auch an Jacques Teyssier und natürlich an Volker Beck, an Günter Dworek nicht zuletzt an Manfred Bruns, der eine wichtige Stimme in der Rechtspolitik ist. Ich weiß auch, dass Uta Kehr und Annette Hecker viele Jahre eine ganz wichtige Rolle im Verband gespielt haben, und Uta Schwenke tut dies mit der wichtigen Afrika-Arbeit noch immer.

Sie und viele, viele mehr waren und sind nicht nur engagierte Streiterinnen und Streiter für die Rechte von Schwulen und Lesben. Sie leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte, in Deutschland und weltweit. Das macht ihre Arbeit so wichtig und deshalb danke ich Ihnen allen dafür ganz herzlich!

Meine Damen und Herren,
seit 1990 ist die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben weit vorangekommen.

Man kann sich das ja heute nur noch schwer vorstellen, in welchem gesellschaftlichen Klima Schwule und Lesben noch in den 80er Jahren leben mussten. Als damals in der „Lindenstraße“ das erste schwule Paar im Fernsehen auftauchte, hat Georg Uecker noch einen halben Skandal ausgelöst. Es ist gut, dass sich das inzwischen gründlich geändert hat, und manchmal glaube ich, dass Klaus Wowereit, Anne Will oder Thomas Hitzlsperger mehr dazu beigetragen haben als manches Gesetz. Trotzdem spielt das Recht eine ganz wichtige Rolle. Es spiegelt nicht nur wider, was unsere Gesellschaft für gut und richtig hält, sondern es schafft damit zugleich auch den Freiraum, sein Leben selbst zu bestimmen und so zu leben, wie man das möchte.

Die eingetragene Lebenspartnerschaft, der Einstieg in das Adoptionsrecht, die Gleichstellung im Steuerrecht – das waren ganz wichtige Schritte. Vor allem die Zulassung der Adoption war wichtig, weil wir damit deutlich gemacht haben: Ob Kinder Zuwendung und Geborgenheit erfahren, hängt nicht vom Geschlecht ihrer Eltern ab; selbstverständlich können Kinder auch in Regenbogenfamilien glücklich aufwachsen. Das haben wir mit der Sukzessiv-Adoption klargestellt und deshalb war das ein starkes gesellschaftspolitisches Signal, auch wenn wir alle wissen, dass sich der LSVD den Schritt zur gemeinsamen Adoption gewünscht hätte.

Keine Frage, wir sind noch lange nicht am Ziel. Diese rechtliche Gleichstellung muss und wird weitergehen. Aber als Mitglieder des LSVD sind Sie alle auch Experten für Max Weber. Es ist jetzt fast 100 Jahre her, dass der schrieb: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Es gibt wohl kaum ein Brett, das so hart war wie die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben. Und noch immer ist es ziemlich hart.

Ich freue mich deshalb sehr, dass wir jetzt ein neues Gesetz auf den Weg bringen konnten, dass die rechtliche Gleichstellung von Lebenspartnern und Eheleuten weiter voranbringt. In 23 verschiedenen Gesetzen und Verordnungen wollen wir die Gleichstellung vornehmen, und es können sogar noch mehr werden.

Wir haben dabei auch eine wichtige Anregung des LSVD aufgegriffen: So wie es das „Ehefähigkeitszeugnis“ gibt, das die Standesämter ausstellen, wenn eine Ehe im Ausland geschlossen werden soll, wird es künftig auch eine Bescheinigung geben, die attestiert: „Ja, diese oder jene Person, kann im Ausland eine Partnerschaft eingehen“. Das erleichtert es Paaren, im Ausland zu heiraten, und deshalb habe ich diese Anregung von Ihnen gerne aufgegriffen.

Liebe Freundinnen und Freunde,
gerade beim Familienrecht müssen wir aufpassen, dass das Recht Schritt hält mit der gesellschaftlichen Realität. Ein Bereich, in dem das inzwischen fraglich geworden ist, ist das Abstammungsrecht.

Unser Recht geht von der Konstellation Vater-Mutter-Kind aus. Aber das wird zunehmend weder der genetischen noch der sozialen Wirklichkeit gerecht. Wer sind denn die rechtlichen Eltern eines Kindes, das in einer lesbischen Beziehung geboren wird? Wenn die Frau, die das Kind nicht geboren hat, auch rechtlich Mutter werden will, ist sie heute auf die Stiefkind-Adoption angewiesen. Aber ist das wirklich sachgerecht, wenn sie mit der anderen Mutter in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt? Macht es möglicherweise mehr Sinn, hier eine gesetzliche Co-Mutterschaft einzuführen?

Und wie steht es eigentlich mit dem Mann, der den Samen für die Schwangerschaft gespendet hat? Welche Rechte hat der? Es gibt ja auch Konstellationen, wo dieser Mann oder auch ein schwules Paar bereit sind, gemeinsam mit den Frauen Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Sollten wir uns also von dem Dogma lösen, dass ein Kind nur zwei Eltern haben kann? Über all das müssen wir sehr sorgfältig nachdenken. Dabei müssen wir auch die Folgen bedenken, die eine Reform hätte. Was passiert denn, wenn sich all diese Eltern irgendwann nicht mehr verstehen und unterschiedliche Wege gehen? Da müssen wir auch die Belange der betroffenen Kinder im Blick behalten.

All das sind wichtige Fragen, die nicht zuletzt Lesben und Schwule angehen. Deshalb habe ich Experten aus Wissenschaft und Praxis an einen Tisch geholt. Sie sollen prüfen, wo wir Reformen brauchen. Auch der LSVD hat seine Anregungen bereits eingespeist. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir werden daran jetzt weiter arbeiten und wir haben dabei ein ganz klares Ziel: Eine moderne Gesellschaft braucht auch ein modernes Recht, gerade wenn es um Familien und Kinder geht.

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir können über das künftige Recht nicht sinnvoll reden, wenn wir nicht auch zurückblicken in die Vergangenheit, in eine dunkle Vergangenheit. In eine Zeit als Schwule nicht nur diskriminiert wurden, sondern auch kriminalisiert. Als sie stigmatisiert und verfolgt wurden – und zwar durch Recht und Gesetz, von Polizei und Justiz.

Rund 50.000 Männer wurden bis 1969 nach dem berüchtigten Paragraphen 175 verurteilt. Diese Urteile haben die Liebe kriminalisiert; sie haben Biographien zerstört, Karrieren vernichtet und Menschen gebrochen. Im Herbst habe ich mich mit Zeitzeugen getroffen, die unter der Verfolgung gelitten haben und auch noch heute leiden. Das war eine beeindruckende und zugleich bedrückende Begegnung. Die tatsächliche Zahl der Opfer dieses Gesetzes war ja noch weit größer als die Zahl der Verurteilten. Die Kriminalisierung wirkte ja auch auf all jene, die ihre sexuelle Identität nicht ausleben konnten, sie betraf alle, die sich tarnen und verstellen mussten, die Opfer von Verrat und Erpressung wurden.

In der Rechtspolitik hat es viel zu lange gedauert, bis man erkannt hat, dass das Strafrecht nicht dazu da, die Moralvorstellungen einer Mehrheit auf Kosten der Minderheit durchzusetzen. Das hat bis 1969 gebraucht, bis Gustav Heinemann, mein damaliger Amtsvorgänger, den § 175 deutlich liberalisiert hat. Heinemann hat damals gesagt: „Die Achtung der Menschenwürde verbietet ein Übermaß an strafrechtlichen Sanktionen.“ Damals wurden auch andere Straftatbestände abgeschafft, etwa die Kuppelei oder die Werbung für Empfängnisverhütung. Aber gerade mit Blick auf die Menschenwürde gibt es hier doch einen großen Unterschied: Beim § 175 ging es letztlich nicht um ein einzelnes Verhalten, dass im Wandel der Zeiten mal als strafbar, mal als straffrei angesehen wurde. Mit diesem Paragraphen wurde die sexuelle Identität und damit ein Kernbestandteil der Persönlichkeit kriminalisiert. Diese Strafvorschrift war deshalb ein permanenter Angriff auf die Menschenwürde der betroffenen Männer.

Als Bundesjustizminister muss ich daher heute einräumen: Das Recht hat damals in massiver Weise Unrecht produziert. Unsere Justiz hat Gesetze befolgt, aber sie hat damit keine Gerechtigkeit geschaffen. Die Verurteilungen nach § 175 waren für mich ein schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenwürde. Deshalb prüfen wir zurzeit, ob es verfassungsrechtlich möglich ist, diese Urteile aufzuheben. Das ist als Rechtsakt nicht so einfach. Über das Ergebnis werden wir dann innerhalb der Bundesregierung zu sprechen haben.

Meine Damen und Herren,
als ich mit Betroffenen, mit Opfern des § 175 zusammensaß, habe ich gefragt, was wir über die schon angesprochenen Fragen hinaus heute noch tun können, um das Unrecht von einst wieder gut zu machen.

Die Antworten darauf haben mich sehr beeindruckt. Die Betroffenen sagten mir damals: Die gestohlene Lebenszeit kann uns niemand zurückgeben. Tatsächlich ist das Leid, das dieses ungerechte Strafrecht angerichtet hat, heute durch nichts wieder gut zu machen. Aber gerade deshalb erwächst aus dieser Geschichte für uns eine doppelte Verpflichtung:

Erstens dürfen Leid und Unrecht niemals vergessen werden. Deshalb war es richtig, dass der Bund nicht nur die Magnus-Hirschfeld-Stiftung geschaffen hat, sondern ihr auch den Auftrag mitgegeben hat, die Verfolgung von Homosexuellen aufzuarbeiten und die Erinnerung daran wach zu halten. Die Stiftung tut dies übrigens gerade durch die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt über die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in Rheinland-Pfalz. Bis Ende des Jahres sollen die Ergebnisse auf dem Tisch liegen und ich bin mir sicher: Dies wird der breiten Öffentlichkeit noch stärker bewusst machen, welches Unrecht, welches Leid das Strafrecht damals angerichtet hat. Und das wird dann auch die juristische Debatte beeinflussen, wie wir mit den Strafurteilen von einst heute umgehen sollten.

Liebe LSVD-Mitglieder,
die zweite Konsequenz, die wir aus der Vergangenheit ziehen müssen: Wir müssen heute jeder Form von Diskriminierung und Ausgrenzung entschlossen entgegentreten.

Ja, unsere Gesellschaft ist liberaler geworden, und wir sind bei der Gleichstellung auch weiter vorangekommen. Aber wir müssen auch sehen: Homophobie, die entsprechende Ideologie, und Gewalt gegen Schwule und Lesben gibt es noch immer viel zu viel. So lange es noch Schulhöfe oder Fußballstadien gibt, in denen „schwul“ oder “lesbisch” ein Schimpfwort ist, so lange muss die Arbeit weitergehen. Wir brauchen hier mehr Aufklärung und Informationen in unseren Schulen, und wenn sich religiöse Eiferer dagegenstellen, wie das zuletzt in Baden-Württemberg der Fall gewesen ist, dann sage ich ganz klar: Wenn im Unterricht über Sexualität gesprochen wird, dann gehört auch Homosexualität dazu, und zwar ohne Vorurteile und falsche Klischees!

Wir müssen aber auch in der Politik wachsam bleiben. Wir erleben seit einigen Monaten eine Verschärfung des politischen Klimas in unserem Land. Wir erleben, wie Stimmung gemacht wird gegen Flüchtlinge und Asylbewerber. Aber bei den Kundgebungen von Pegida geht die Hetze inzwischen viel weiter. Da wird mittlerweile auch gewettert gegen den (Zitat) „Terror der schwul-lesbisch-queeren intersexuellen Minderheit“. So etwa am vorletzten Montag in Dresden.

Gerade mit Blick auf die Verfolgung und das Leid homosexueller Männer, von dem wir eben gesprochen haben, ist dieses Geschwätz für mich schlicht unerträglich. Wir haben es hier mit einem bürgerlichen Extremismus zu tun, der gegen Minderheiten aller Art hetzt. Von dieser Hetze ist es leider oft nur ein kleiner Schritt zur Gewalt. Deshalb bleibt auch der Kampf gegen Hass-Kriminalität so wichtig. Vor wenigen Wochen hat der Bundestag daher im Strafgesetzbuch ausdrücklich klargestellt, dass „menschenverachtende Motive“ einer Tat bei der Strafzumessung ausdrücklich zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch die Hass-Gewalt gegen Schwule und Lesben. Solche Taten treffen die Betroffenen letztlich nicht als Individuum, sondern als Teil einer sozialen Gruppe, und die Gewalt soll diese Gruppe auch treffen, indem sie nämlich verängstigt, einschüchtert und unterdrückt.

Im freiheitlichen Rechtsstaat dürfen wir so etwas nicht dulden. Im freiheitlichen Rechtsstaat darf es Diskriminierung weder in den Gesetzen noch auf den Straßen geben. Im freiheitlichen Rechtsstaat müssen alle Menschen die Möglichkeit haben, ihren Lebensentwurf so zu leben, wie sie das für richtig halten, und zwar überall und zu jeder Zeit. Deshalb muss die Arbeit für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung weitergehen – in der Politik, aber auch in der Mitte der Gesellschaft. Der LSVD tut das seit nun mehr 25 Jahren. Das war und ist nicht immer einfach, aber er hat sich nie entmutigen lassen.

Ich gratuliere nochmal zum Jubiläum, freue mich auf die weitere Zusammenarbeit und hoffe, dass wir das Unmögliche Schritt für Schritt doch möglich machen.

Herzlichen Dank!

(Es gilt das gesprochene Wort)