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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

(Un)Sichtbarkeit: Lesbenbewegung in Deutschland

Veranstaltung auf dem 30. LSVD-Verbandstag mit Historikerin Dr. Kirsten Plötz

Panel auf dem 30. LSVD-Verbandstag mit Historikerin Dr. Kirsten Plötz über die Lesbenbewegung und Lesbengeschichte, die Schwulenbewegung, das Gemeinsame und die Unterschiede in den Ausgangslagen und Kämpfen.

Historikern Dr. Kirsten Plötz sprach auf dem LSVD-Verbandstag über die Geschichte der Lesbenbewegung in Deutschland

Bericht von einem Panel auf dem 30. LSVD-Verbandstag mit Historikerin Dr. Kirsten Plötz über die Lesbenbewegung und Lesbengeschichte, die Schwulenbewegung, das Gemeinsame und die Unterschiede in den Ausgangslagen und Kämpfen.

Einführend erinnerte die Moderatorin, Gabriela Lünsmann, daran, dass das Thema „Lesbische (Un-) Sichtbarkeit” seit vielen Jahren auf der Agenda steht. Es stelle sich die Frage, wie mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Lesben und Schwulen umzugehen sei. Diskutiert werden müsse auch, wie mit sexistischen Strömungen generell, aber auch in der Community umzugehen sei. Und: eine gleichberechtigte Repräsentanz in den Verbandsgremien müsse das Ziel aller sein.

Zudem verwies sie darauf, dass die Themen rechtliche Gleichstellung und Lesbische Sichtbarkeit bei einer Umfrage, die der Bundesvorstand vor dem Verbandstag unter den weiblichen Mitgliedern des Verbandes durchgeführt habe, am häufigsten genannt wurden.

Stationen der jüngeren Geschichte von lesbischen Frauen und deren Unsichtbarkeit

Die Historikerin Dr. Kirsten Plötz erinnerte in ihrem einführenden Beitrag im Panel an wichtige Stationen der jüngeren Geschichte von lesbischen Frauen und deren Unsichtbarkeit.

So habe der § 175 StGB nur Männer mit Strafe bedroht – auch das trage zur Unsichtbarkeit von lesbischen Frauen bei. Häufig nicht bekannt sei z.B., dass in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit diesem Paragrafen auch ungefähr 100 Frauen (vermutlich wegen Beihilfe) verurteilt worden seien.

Auch in der Sprache schlage sich die Unsichtbarkeit nieder – beim Stichwort Homosexualität assoziierten die meisten Menschen Männer; in den Köpfen stecke nach wie vor „Mensch = Mann“. Für Studien sei es relativ einfach, in Archiven Quellen zur männlichen Homosexualität zu finden – zu lesbischen Frauen gebe es dagegen nur selten passende Schlagwortsuchen. Ein Blick in Medien bis in die 1970er Jahre mache deutlich, dass Lesben dort fast überhaupt nicht vorkamen.

Gesellschaftlicher Zwang zur Ehe und rechtliche Unterordnung der Frau sah Eigenständigkeit und Leben ohne Mann nicht vor

Die zentrale Bedeutung von Ehe und Mutterschaft spiele für das Thema „Lesbische (Un-)Sichtbarkeit“ eine große Rolle. Der Zwang, eine Ehe einzugehen, sei bis weit in die 1970er Jahre in der alten Bundesrepublik unglaublich hoch gewesen. Die rechtliche Unterordnung der Frau, die bis zur großen Reform 1976/1977 z.B. vorschrieb, dass die Ehefrau nur dann berufstätig sein durfte, wenn dies mit den Interessen der Familie und des Ehemannes vereinbar war, habe für viele Frauen die eingegangene Ehe zu einer Art „Gefängnis“ werden lassen. Vor dieser Reform war es für Frauen äußerst schwierig bis unmöglich, aus einer Ehe auszubrechen.

Dies traf auch für Lesben zu, die der Weiblichkeitsnorm entsprechend eine Ehe eingegangen waren. Auch sie waren rechtlich, aber insbesondere sozial und finanziell vom Ehepartner abhängig. Die Frage, wie viel strukturelle und auch direkte Gewalt es zu dieser Zeit in Ehen gab und wie sich das auf lesbische Lebensläufe auswirkte, werde bis heute zu selten gestellt.

Doch immerhin sei der Startschuss für die Lesbenbewegung der Fall eines Frauenpaares in Norddeutschland gewesen, die gemeinsam den Plan gefasst hatten, den Ehemann der einen Frau zu töten, weil die eheliche Gewalt sehr bedrückend und eine Scheidung unmöglich war Gegen die antilesbische Haltung des Gerichts in Itzehoe und die Berichterstattung über den Prozess habe sich die Lesbenbewegung formiert.

Sexuelle Orientierung von historischen Frauenpaaren selten explizit benannt

Ein weiterer zu beachtender Gesichtspunkt sei, dass männliche Sexualität für Gesellschaften wie die unsere hochrelevant sei, weibliche hingegen nicht. Historisch seien nur wenige lesbische Frauen bekannt. Manche in inniger und jahrzehntelanger Liebe verbundene Frauenpaare seien zwar bekannt gewesen, ihre sexuelle Orientierung wurde jedoch selten explizit benannt. Wenn wir uns zur Definition an Sexualität statt an Liebe orientieren, trage dies zu lesbischer Unsichtbarkeit bei.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätten sich drei Strömungen herauskristallisiert: Frauen, die sich mit homosexuellen Männern solidarisieren und hinter ihnen öffentlich unsichtbar wurden, Frauenrechtlerinnen, die öffentlich nicht über weibliche Homosexualität sprachen, und kleine Gruppe organisierter ausdrücklich lesbischer Frauen.

Unsichtbarkeit von Lesben resultierte in Isolation und Einsamkeit

In den 1970er-Jahren hätten sich lesbische Aktivitäten dann verstärkt, schon damals mit dem zentralen Thema „Lesbische Sichtbarkeit“. Die Unsichtbarkeit von Lesben habe weitreichende Folgen gehabt – von dem Weg in die Ehe bis hin zum Suizid. Die Unsichtbarkeit habe zudem dazu beigetragen, dass viele der Frauen in dem Bewusstsein gelebt hätten, sie seien die Einzige.

Nicht vernachlässigt werden dürfe auch, dass es neben der strafrechtlichen Verfolgung von Männern durch den § 175 StGB und deren furchtbaren Folgen sowohl im Nationalsozialismus als auch in der späteren Bundesrepublik Verfolgung von Lesben gegeben habe, die aber von nicht wenigen geleugnet werde.

Verfolgung von Lesben im Nationalsozialismus: Gedenken in Ravensbrück

Ein Beispiel hierfür sei der Streit um ein angemessenes Gedenken an die im KZ Ravensbrück gequälten und ermordeten lesbischen Frauen. Es gebe bis heute kaum Forschung zur Verfolgung von Lesben in der NS-Zeit; insofern fehlten auch Erkenntnisse; die seien nur durch entsprechende Studien zu gewinnen. Aber schon die vorliegenden Forschungen zeigen, dass die Frage der Verfolgung lesbischer Liebe nicht einfach verneint werden kann.

In der BRD seien staatliche Repressionen gegenüber Lesben nachweisbar; dies zeige u.a. eine Studie über Rheinland-Pfalz, an der sie beteiligt gewesen sei. So seien geschiedenen Müttern die Kinder weggenommen worden, wenn sich herausstellte, dass sie lesbisch waren. Darüber hinaus seien Lesben als Frauen allen Repressionen unterworfen gewesen, denen alle Frauen ausgesetzt waren. Insofern müsse sich die geforderte Forschung auf alle Lebensbereiche von Frauen / Lesben beziehen.

Unsichtbarkeit bedeutet auch gesellschaftliche Ohnmacht

Dr. Ulrike Schmauch, Mitglied des LSVD-Bundesvorstandes, wies darauf hin, dass Sichtbarkeit mit gesellschaftlicher Macht und Unsichtbarkeit mit gesellschaftlicher Ohnmacht verbunden sei – dies gelte generell und in besonderem Maße für Lesben. Als Beispiele benannte sie die Weimarer Republik und die BRD der 1970-Jahre. Auch heute lebten viele Lesben in Situationen, in denen sie unsichtbar sind und bleiben. Frauen wollten die Hälfte der Macht – Lesben die Hälfte der Sichtbarkeit.

Axel Hochrein, Mitglied des Bundesvorstandes, erklärte, dass er als Schwuler einen anderen Blick auf das Thema habe. Er habe die Bedeutung des Themas zunächst unterschätzt, sehe aber jetzt, dass es eines des Gesamtverbandes und nicht allein der Frauen im Verband sein müsse.

Ehe für Alle ohne Reform im Abstammungsrecht und Abschaffung der Stiefkind-Adoption für Zwei-Mütter-Familien

Dr. Kirsten Plötz erinnerte daran, dass die „Ehe für alle“ ein Grund zum Feiern gewesen sei, aber nicht, dass Fragen wie die Stiefkindadoption nach wie vor unbeantwortet seien. Sie wünschte sich, dass das große Thema Abstammungsrecht im Jahr 2018 weit nach vorne gebracht werde, so z.B. bei den anstehenden CSDs. Dabei gehe es auch darum, auf die bisher geltende einjährige Wartefrist bei der Stiefkindadoption nach einer Geburt bei einem verheirateten Frauenpaar zu verzichten. Die sei kommunal regelbar. Der LSVD solle sich mit aller Kraft dafür einsetzen.

Gabriela Lünsmann verwies hierzu auf das Positionspapier „Regenbogenfamilien im Recht“ das der Verbandstag 2017 beschlossen habe. Sie bat die Diskutant*innen um eine Einschätzung ob sich Homophobie gegenüber Schwulen von der gegenüber Lesben unterscheide.

Äußert sich Homophobie gegenüber Lesben anders als gegenüber Schwulen?

Dr. Ulrike Schmauch führte dazu aus, dass Homophobie und auch Transfeindlichkeit aus ihrer Sicht direkt aus der allgemeinen Frauenverachtung ableite; so würden Schwule häufig als „weibisch“ abgelehnt.

Allerdings behielten Schwule ihren Zugang zu männlichen Privilegien. Lesben seien dagegen einerseits Angehörige der benachteiligten Gruppe „Frauen“, würde aber gleichzeitig nicht als „richtige“ Frauen gelten. Sexuelles Begehren werde in der Regel von Mann zu Frau definiert; demzufolge maßten sich in den Augen vieler Frauen, die Frauen begehren, etwas an, das dem Mann vorbehalten sei. In schwul-lesbischen Kooperationen gebe es sowohl Solidarität als auch Frauenfeindlichkeit. Geprüft werden müsse, wo Schwule und Lesben gemeinsam agieren sollten und wo getrennt.

Axel Hochrein berichtete, dass er in den letzten Monaten oft gehört habe, dass mit der Ehe für Alle nun die Gemeinsamkeiten von Lesben und Schwulen aufgebraucht seien. Dies sei aber keineswegs der Fall. Vielmehr blieben das Oberthema gleichgeschlechtliches Begehren und die vielfältigen Diskriminierungen auf der gemeinsamen Agenda.

Dr. Kirsten Plötz bestätigte dies und wies darauf hin, dass mit der Eheöffnung für Frauen noch viele Fragen unbeantwortet blieben und mithin vieles gemeinsam zu tun sei. Bei all diesen Aktivitäten gehe es um die Menschenwürde – die aber sei vom Geschlecht unabhängig.

Lesbenbewegung war immer kleiner als die Frauenbewegung

In der anschließenden Plenumsdiskussion wurden u.a. folgende Anmerkungen gemacht.

  • Der § 151 StGB der DDR betraf auch Frauen; das ist vielen, auch Lesben, nicht bekannt. Möglicherweise ist das ein Indiz dafür, dass lesbische Unsichtbarkeit in Teilen selbstverschuldet ist.
  • Hinweise dazu von Dr. Ulrike Schmauch und Dr. Kirsten Plötz
    • Es hat in der Lesbenbewegung immer auch Tendenzen gegeben, sich bewusst zu separieren, Zudem haben sich viele Lesben mit dem Eingehen einer Beziehung aus der Öffentlichkeit, z.B. aus der Politik zurückgezogen.
    • Die Lesbenbewegung war immer und ist heute noch kleiner als die Schwulenbewegung; deshalb sind hier auch andere Erwartungen zu stellen. Und, es ist nicht bekannt, wie viele Frauen nach § 151 StGB der DDR verurteilt wurden – ein weiteres Zeichen der Unsichtbarkeit
  • Der LSVD sollte die hier gewonnenen Erkenntnisse zur notwendigen Differenzierung nach außen tragen; gut wäre eine Handreichung zum Thema.
  • Es ist gut, dass der LSVD dieses Thema nun verstärkt aufgreift; vielleicht müssen die Frauen etwas schneller und die Männer etwas langsamer werden.
  • Wichtig ist, dass der LSVD die Mehrfachdiskriminierung (Beispiel Entgeltlücke) auf dem Schirm hat. Und, Lesbenpaare werden oft als „Mütterpaare“ angesehen.

In der Abschlussrunden merkten an:

  • Dr. Ulrike Schmauch: Der LSVD braucht die Lesben wegen deren intersektionaler Perspektiven und Erfahrungen.
  • Axel Hochrein: Der LSVD sollte auch auf dieser Schiene weiterfahren. Schwule sollten differenziert hinschauen. Leitend kann nicht sein „Jetzt seid ihr dran“, sondern „Jetzt sind wir alle gemeinsam dran.“
  • Dr. Kirsten Plötz: Der LSVD kann froh sein, dass er so viele Frauen in seinen Reihen hat und sollte genau hinhören. Motto muss sein: Mit aller Kraft und zusammen für die Menschenwürde.

Henny Engels
LSVD-Bundesvorstand

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