Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten (SoldRehaHomG)

Stellungnahme des LSVD zum Kabinettsentwurf des SoldRehaHomG

Wir begrüßen den Gesetzentwurf nachdrücklich. Die Regierung hat den Referentenentwurf noch einmal deutlich nachgebessert. Es bedarf jedoch noch weiterer Nachbesserungen, um dem Ziel der Rehabilitierung und Entschädigung der von staatlicher Diskriminierung betroffenen Soldat*innen gerecht zu werden.

Sehr geehrter Vorsitzender des Verteidigungsausschusses Wolfgang Hellmich, MdB, sehr geehrte Mitglieder des Verteidigungsausschusses,

wir bedanken uns für die Gelegenheit, zum oben genannten Gesetzentwurf der Bundesregierung Stellung zu nehmen. Unsere Stellungnahme wird unterstützt vom Bundesverband Trans* (BVT*).

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) teilt das Ziel des Gesetzgebungsvorhabens, (frühere) Soldat*innen zu rehabilitieren, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität bei der Bundeswehr oder der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik dienstrechtliche Nachteile erlitten haben.

Wir begrüßen den Gesetzentwurf daher nachdrücklich. Eine umfassende Rehabilitierung und Entschädigung der Soldat*innen, die aufgrund einvernehmlicher homosexueller Handlungen wehrdienstgerichtlich verurteilt oder wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligt worden sind, ist dringend geboten.

Einige wichtige Verbesserungsvorschläge zum Referentenentwurf sind im Gesetzentwurf der Bundesregierung bereits aufgegriffen worden. Um dem Ziel der Rehabilitierung und Entschädigung der durch die grundrechtswidrige Behandlung betroffenen Soldat*innen gerecht zu werden, bedarf es jedoch weiterer Nachbesserung hinsichtlich folgender Punkte:

1. Rehabilitierung, § 1 SoldRehaHomG

Wir begrüßen sehr, dass die im Referentenentwurf vorgesehene Beschränkung der Rehabilitierung auf strafrechtliche Delikte gestrichen wurde. Ebenso begrüßen wir, dass der Regierungsentwurf die Teilaufhebung von Mischurteilen ermöglicht. In beiden Fällen hätte der Referentenentwurf zu untragbaren Ergebnissen geführt.

1.1 Stichtag 3. Juli 2000

Wir sehen es jedoch weiterhin sehr kritisch, dass nur Diskriminierungen bis zum Stichtag der Aufhebung des Erlasses BMVg – P II 1 – 16-02-05/02 von der Rehabilitierung und Entschädigung erfasst sein sollen.

Der diskriminierende Erlass des BMVg, der faktisch ein Berufsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung darstellte und eine ganze Gruppe über Jahrzehnte von Führungspositionen in der Bundeswehr ausschloss, wurde am 3. Juli 2000 zwar formell aufgehoben. Damit ist jedoch keineswegs sichergestellt, dass es nach diesem Tag nicht zu weiteren Diskriminierungen gekommen ist, die auf der fünf Jahrzehnte dauernden grundrechtswidrigen Praxis des BMVg beruhen.

Eine jahrzehntelange Praxis lässt sich nicht von heute auf morgen beenden. Es ist davon auszugehen, dass nicht allen Entscheidungsträgern die neue Erlasslage sofort bekannt war oder diese nicht unmittelbar von allen Entscheidungsträgern umgesetzt wurde. Auch diskriminierende dienstrechtliche Benachteiligungen, die nach dem 3. Juli 2000 erfolgten, sind dem Staat voll zurechenbar. Sie beruhen auf einer jahrzehntelangen, staatlich legitimierten, institutionalisierten Diskriminierung homo- und bisexueller Soldat*innen. Diese diskriminierenden Strukturen lassen sich nicht innerhalb eines Tages aufbrechen und beseitigen. Für den Veränderungsprozess muss die Bundesregierung Verantwortung übernehmen, indem sie auch dienstrechtliche Benachteiligungen rehabilitiert und entschädigt, die nach dem formalen Ende der institutionellen Diskriminierung erfolgt sind.

Ein Beispiel für die fortwährende Diskriminierung ist die Überwachung von Soldat*innen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der MAD hat nach Aufhebung des Erlasses mitgeteilt, dass dies für das Sicherheitsüberprüfungsverfahren unerheblich sei (Storkmann, Tabu und Toleranz, S. 257). Das bedeutet, dass Soldat*innen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität auch nach dem 3. Juli 2000 weiterhin empfindliche Eingriffe in ihren verfassungsrechtlich geschützten persönlichen Lebensbereich erdulden mussten.

LSVD-Forderung: Späterer Stichtag oder Streichung des Stichtags

1.2 Sexuelle Orientierung statt homosexueller Orientierung

Wir begrüßen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung den Begriff der „geschlechtlichen Identität“ ergänzt hat. Damit wird sichergestellt, dass sich auch trans- und intergeschlechtliche Soldat*innen vom Gesetzentwurf angesprochen fühlen.

Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass der Regierungsentwurf nunmehr den Begriff „homosexuelle Orientierung“ verwendet. Aus unserer Sicht wäre es vorzugswürdig, die Begriffe „sexuelle Orientierung“ oder „sexuelle Identität“ zu verwenden, um alle betroffenen Gruppen anzusprechen.

Durch die Verwendung des Begriffs „homosexuelle Orientierung“ spricht der Gesetzentwurf nicht alle der von der staatlichen Diskriminierung betroffenen Personen an. Es gibt neben der homosexuellen Orientierung weitere sexuelle Orientierungen, die von der staatlichen Diskriminierung betroffen waren. Insbesondere bisexuelle Menschen werden sich durch die Formulierung „homosexuelle Orientierung“ vom Gesetz ausgeschlossen fühlen. Es hilft wenig, dass in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen wird, dass mit „homosexuelle Orientierung“ auch der „homosexuelle Anteil einer bisexuellen Orientierung“ gemeint sei, wenn sich das nicht aus dem Gesetzestext selbst ergibt. Da die Rehabilitierung und Entschädigung nur auf Antrag erfolgt, ist es absolut notwendig, dass sich die betroffenen Personen auch angesprochen fühlen und entsprechend den Antrag auch stellen.

Für die Verwendung von „sexuelle Orientierung“ bzw. „sexuelle Identität“ spricht zudem, dass diese Begriffe bereits in anderen Gesetzen verwendet werden – beispielsweise im Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen und im AGG. Eine kohärente Verwendung von Rechtsbegriffen sorgt für Rechtssicherheit und erleichtert die Rechtspraxis.

LSVD-Forderung: Ersetzung des Begriffs „homosexuelle Orientierung“ durch „sexuelle Orientierung“ oder „sexuelle Identität“

2. Verfahren; Rehabilitierungsbescheinigung, § 2 SoldRehaHomG

Das einfache und kostenlose Rehabilitierungsverfahren ist zu begrüßen. Positiv ist, dass die Beweisführung erleichtert ist und eine Glaubhaftmachung ausreicht. Wichtig erscheint es uns, dass die Personen, die mit der Entgegennahme der Anträge befasst sind, für das erlittene Unrecht sensibilisiert und hinsichtlich LSBTI geschult werden, um eine Retraumatisierung zu verhindern.

Wir begrüßen, dass verlorene Dienstgrade auf Antrag wieder geführt werden dürfen. Ebenso wichtig erscheint es uns, dass nachträgliche Beförderungen ermöglicht werden (Aufstieg in höheren Dienstgrad), wenn glaubhaft gemacht wird, dass diese aufgrund homosexueller Handlungen verweigert wurden. Das sehen wir als wesentlichen Bestandteil der vom Gesetz beabsichtigten Rehabilitierung.

LSVD-Forderungen: Sensibilisierung und Schulung der Beschäftigten im BMVg, nachträgliche Beförderung bei glaubhaft gemachter verweigerter Beförderung mit entsprechenden besoldungsrechtlichen Konsequenzen

3. Entschädigung; Entschädigungsverfahren, § 3 SoldRehaHomG

Begrüßenswert ist, dass das Gesetz neben der Rehabilitierung auch eine finanzielle Entschädigung vorsieht und dass das hierfür vorgesehene Verfahren einfach und kostenlos ist. Allerdings sollte an vier Punkten nachgebessert werden:

3.1 Kollektiventschädigung

Viele Betroffene können weder eine Verurteilung vorzeigen noch eine dienstrechtliche Benachteiligung nachweisen. Dennoch haben sie Diskriminierungen erlitten. Dies betrifft zum Beispiel Personen, die ohne Verfahren entlassen wurden. Es betrifft auch Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität gar nicht erst zum Dienst in der Bundeswehr zugelassen wurden oder die ihre Identität jahrzehntelang verstecken mussten. Auch wird es Betroffene geben, die sich einer erneuten Auseinandersetzung mit dem erlittenen Unrecht nicht stellen wollen und die daher von einem Entschädigungsantrag absehen werden. Viele Betroffene sind zudem mittlerweile bereits verstorben. Die diskriminierende Haltung der Bundeswehr hatte ferner eine Strahlkraft, die über das dienstrechtliche Verhältnis hinaus ganze Generationen von LSBTI massiv in ihren Lebenschancen beschnitten hat und insgesamt die gesellschaftliche Diskriminierung von LSBTI legitimiert hat.

Für die bis heute spürbare Schädigung der homo- und bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen ist ein kollektiver Ausgleich angebracht. Er sollte der historischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung des Unrechts, weiterer Forschung zu LSBTI in der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee sowie der Bildungsarbeit dienen. Eine vergleichbare Kollektiventschädigung wurde auch für die Rehabilitierung der nach § 175 StGB Verurteilten eingeführt.

LSVD-Forderung: Einführung einer Kollektiventschädigung

3.2 Höhere individuelle Entschädigung

Wir begrüßen grundsätzlich die Einführung einer pauschalen Entschädigungsregelung, die eine unkomplizierte und schnelle Verfahrensbearbeitung erlaubt. Allerdings ist die Höhe der pauschalen Entschädigung mit 3.000 € im Hinblick auf das erlittene Unrecht deutlich zu niedrig. Zwar orientiert sich die Summe an der Entschädigung im Zuge der strafrechtlichen Rehabilitierung. Auch diese war aber bereits zu gering und wurde im damaligen Gesetzgebungsprozess von uns kritisiert.

Dramatisch zu gering ist die vorgesehene pauschale Entschädigung insbesondere in Fällen von Entlassungen, Degradierungen, verweigerten Beförderungen und verweigertem Ruhegeld. Diese Maßnahmen haben Erwerbsbiografien zerstört und wirken sich bis heute negativ aus, zum Beispiel durch niedrigere Rentenzahlungen.

Diese Härtefälle können nicht durch eine symbolische Entschädigung abgegolten werden. Können die Betroffenen einen höheren Schaden glaubhaft machen, muss ein wirksamer finanzieller Ausgleich für die vom Staat verursachten Schäden angeboten werden (Soldnachzahlung, Rentenanpassung, Rente). Das Verteidigungsministerium hat in einem Fall einem ehemaligen Soldaten bereits einen entsprechenden Schadensersatz gezahlt (VG Hamburg, Az. 20 K 3130/09, 19. Juni 2012; Storkmann, Tabu und Toleranz, S. 297). Für die Entschädigung dieser Fälle ist eine Härtefallkommission einzurichten, in der auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa die Interessenvertretung für alle queeren Angehörigen der Bundeswehr, QueerBW, vertreten sein sollten.

LSVD-Forderungen: höhere pauschale Entschädigungszahlungen, wirksamer finanzieller Ausgleich für die vom Staat verursachten Schäden, Einführung einer Härtefallkommission für besonders schwere Fälle, Einführung eines Härtefallfonds

3.3 Längere Ausschlussfrist

§ 3 Abs. 3 Satz 1 SoldRehaHomG sieht für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs eine Ausschlussfrist von fünf Jahren vor. Diese Frist erscheint uns zu kurz. Die staatliche Diskriminierung dauerte fünf Jahrzehnte an. Nun soll die Entschädigung rasch über die Bühne gebracht werden.

Die erlebten Diskriminierungen liegen jedoch zumeist viele Jahre bis Jahrzehnte zurück. Viele Betroffene werden möglicherweise zunächst das Gefühl haben, sich nicht erneut damit auseinandersetzen zu wollen. Die biographische Bereitschaft, sich erneut mit dem staatlichen Unrecht auseinanderzusetzen, lässt sich mit solch kurzen gesetzgeberischen Fristen nicht immer vereinbaren.

Wir regen an, statt einer strikten Frist das Gesetz nach fünf Jahren zu evaluieren und daraufhin gegebenenfalls die für die Rehabilitierung und Entschädigung vorgesehene Verwaltung personell abzubauen, Entschädigungen jedoch weiterhin zu ermöglichen.

LSVD-Forderungen: Streichung oder Verlängerung der Ausschlussfrist, Ersetzung durch eine Evaluation nach fünf Jahren

3.4 Vererbbarkeit des Entschädigungsanspruchs

Nach § 3 Abs. 5 SoldRehaHomG soll der Entschädigungsanspruch nicht vererbbar sein. Davon sollte eine Ausnahme gemacht werden: Der Entschädigungsanspruch sollte ausnahmsweise vererbbar sein, wenn der oder die Betroffene nach Antragstellung verstirbt.

LSVD-Forderung: Vererbbarkeit des Entschädigungsanspruchs, wenn die Betroffenen nach Antragstellung versterben

4. Weitere Forderungen

4.1 Maßnahmen zur gezielten Zielgruppenansprache

Der Entschädigungsanspruch ist auf fünf Jahre ab Inkrafttreten des Gesetzes begrenzt. Für eine möglichst effektive und effiziente Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen muss die Verabschiedung des Gesetzes mit Maßnahmen zur gezielten Zielgruppenansprache begleitet werden. Dazu zählen bundesweite Kampagnen sowie die proaktive Ansprache von (ehemaligen) Bundeswehrangehörigen und Angehörigen der Nationalen Volksarmee durch das Bundesministerium.

LSVD-Forderung: Begleitung des Gesetzes durch gezielte Zielgruppenansprache

4.2 Weitere Forschung

Die Studie Tabu und Toleranz von Klaus Storkmann war ein erster bedeutender Schritt zur Aufarbeitung und Erforschung der Situation von LSBTI in der Bundeswehr. Es bestehen aber weiterhin große Forschungslücken, insbesondere zur Situation von lesbischen, trans- und intergeschlechtlichen Soldat*innen. Zudem sollte auch die Zeit nach dem 3. Juli 2000 untersucht und aufgearbeitet werden. Diese Lücken müssen durch weitere Forschung geschlossen werden.

LSVD-Forderung: weitere Forschung zu LSBTI in der Bundeswehr und NVA

Mit freundlichen Grüßen

Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)
LSVD-Grundsatzreferat

22. April 2021

 

Die LSVD-Stellungnahme als pdf

Gesetzentwurf des Bundesregierung (SoldRehaHomG)

Weiterlesen