Aus Versehen diskriminierend. Homo- und Transfeindlichkeit in deutschen Medien
Dokumentation des Kongresses „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015
"Beim Versuch zu polarisieren wird in vielen Medien die Grenze zur Reproduktion von Sexismus, Rassismus oder Homo- und Transfeindlichkeit überschritten. Dies wird von Medienschaffenden häufig in Kauf genommen, weil diese Art von Texten viele Klicks auf der eigenen Website generieren." (Katrin Gottschalk)
Wie es derzeit in Sachen Homo- und Transfeindlichkeit in deutschen Medien aussieht und warum diskriminierungsfreies Berichten dringend Teil der journalistischen Ausbildung werden sollte
Conchita Wurst hat den Eurovision Songcontest gewonnen, Thomas Hitzlsperger sich öffentlich geoutet. Laverne Cox war auf dem Cover der Times, Caitlyn Jenner auf dem der Vanity Fair. Endlich scheinen wir einer Welt näher zu kommen, in der alle Geschlechter und alle sexuellen Orientierungen in den Medien Raum haben und ein Bewusstsein für die Lebensrealitäten verschiedener Minderheiten herrscht.
Gleichzeitig lesen wir ständig Kommentare und sehen Sendungen, in denen Menschen lauthals aus Prinzip das N-Wort wiederholen, auf dem Namen ihres Schnitzels bestehen oder offen verkünden: „Ich bin homophob, und das ist auch gut so.“
Diese Aussage des Welt-Kolumnisten Matthias Matussek steht stellvertretend für viele derzeit in den Feuilletons von ‚FAZ‘, ‚Welt‘ oder ‚Zeit‘ kursierende Meinungstexte. Diese Texte sind Kommentare ohne Anspruch auf Objektivität. Sie sollen bewusst überspitzen. Die Frage ist allerdings: Ist Homophobie eine Meinung?
Beim Versuch zu polarisieren wird in vielen Medien die Grenze zur Reproduktion von Sexismus, Rassismus oder Homo- und Transfeindlichkeit überschritten. Dies wird von Medienschaffenden häufig in Kauf genommen, weil diese Art von Texten viele Klicks auf der eigenen Website generieren – und je mehr Klicks eine Website hat, desto hochpreisiger kann diese ihre Anzeigen verkaufen.
Die klassischen Printmedien stecken bekanntermaßen in der Krise – das betrifft vor allem die Tageszeitungen. Weniger Menschen kaufen das gedruckte Blatt. Ideen, wie online Geld zu verdienen ist, sind rar. Also sind diese so genannten „Debattenbeiträge“ willkommene Klickgeneratoren – weil sie von allen Seiten geteilt werden: denen, die der Meinung zustimmen, denen, die widersprechen, sich aufregen, denen, die die ganze Aufregung nicht verstehen usw.
Mancher Text erreicht dank Netz auch unfreiwillig viele Menschen. Im ‚Westfalenblatt‘ riet kürzlich eine Autorin einem Leser, seine Kinder besser nicht mit auf die Hochzeitsfeier eines schwulen Paares zu nehmen. Es würde sie verwirren. Eine Twitter-Userin stellte den Artikel auf ihre Seite, und er wurde so oft geteilt und negativ kommentiert, dass die Autorin nun nicht mehr für das ‚Westfalenblatt‘ schreiben darf.
Eine nicht sonderlich zufriedenstellende Lösung. Artikel von freien Autor_innen werden von der Redaktion abgenommen und letztlich von der Redaktionsleitung verantwortet. Ein Redaktionsleiter schrieb während der hitzigen Twitter-Debatte: „Meines Wissens ist Homophobie nicht zwangsläufig menschenverachtend.“ Darin zeigt sich nicht unbedingt seine abgrundtiefe Homo-Feindlichkeit, sondern vor allem ein ziemlich weit verbreitetes Unwissen, eine fehlende Sensibilität für Themen, die außerhalb des eigenen Erfahrungsraumes liegen. Das betrifft auch das Leben von Transpersonen, von Schwarzen Menschen, dicken Menschen, armen Menschen, selbst von Frauen.
Eine andere Herangehensweise versprechen die Talkshows der Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Idee: mehrere Meinungen treffen aufeinander und werden dabei moderiert, an problematischen Stellen kritische Nachfragen platziert. Das Prinzip geht allerdings nicht immer auf. Im Februar 2014 diskutierten Talk-Gäste bei „Menschen bei Maischberger“ das Thema „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht ‚moralische Umerziehung’?“. Über den Bildungsplan in Baden-Württemberg, der diskutiert werden sollte, wussten nur zwei von ihnen Bescheid: die konservative Birgit Kelle, die sogar eine Textpassage aus dem Bildungsplan dabei hatte. Und Jens Spahn, zwar schwul, aber mehr noch CDU-Anhänger und deshalb alles andere als gewillt, einen rot-grünes Papier zu verteidigen. Auch die Moderatorin konnte kein rechtes Licht ins Themen dunkel bringen, und so blieb jede Meinung neben der anderen stehen.
Besser funktionierte der moderierte Streit dieses Jahr im April, ebenfalls bei „Menschen für Maischberger“. Alice Schwarzer konnte mit Verweisen auf häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder das Bild der heiligen heterosexuellen Ehe gut ankratzen. Die Theologin Michaela Freifrau von Heereman enttarnte sich selbst, indem sie sagte, Bisexualität erhöhe „die Gefahr der ewigen Treue“. AfD-Politiker Björn Höcke war kaum noch ernst zu nehmen mit seinem Satz „Ich bin ein sehr toleranter Mensch, das ist gar keine Frage“ – nachdem er Homosexuelle zuvor als „geisteskrank“ bezeichnet hatte. Diese Argumentation, wie Höcke sie brachte, ist sehr typisch: Ich bin so tolerant, ich toleriere dich, also toleriere du mich gefälligst auch. Oder auch: Wir sind keine Rassist_innen, wir sind besorgte Bürger_innen.
Machtverhältnisse werden umgedreht: Menschen, die zur Mehrheitsgesellschaft gehören – weiß, heterosexuell, Mittelstand – inszenieren sich als von einer übermächtig geworden Minderheit – der „Homo-Lobby“ oder den Feminist_innen – als unterdrückt.
Egal, für wie diskriminiert die „besorgten Bürger_innen“ sich halten, ihre Forderungen sind genau das: diskriminierend. Aber sind es deswegen auch die Medien, die darüber berichten? Es lohnt sich eine Unterscheidung. Bis auf Matthias Matussek sind Medienmenschen in der Regel nicht gerade stolz darauf, homophob zu sein oder als solches bezeichnet zu werden, genauso, wie keine/r sich gerne als Rassist_in bezeichnet.
Es gibt einen Unterschied zwischen Beiträgen, die direkt diskriminieren und solchen, die ‚nur‘ Stereotype oder Vorurteile reproduzieren. Aber auch das ist gefährlich. Vorurteile können zu Diskriminierung führen. Beispiel: Eine Studie hat gezeigt, dass Schüler_innen, die etwa Chantal oder Sandy heißen, von Lehrer_innen pauschal sogenannten „bildungsschwachen“ Familien zugeordnet werden, deshalb als leistungsschwach gelten und schlechter benotet werden. Vorurteile beeinflussen das Handeln. Deshalb ist es essentiell, dass der Umgang mit Themen wie Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit und anderen Diskriminierungsformen verbindlich in die journalistische Ausbildung einfließt. Journalist_innen müssen wissen: Was ist diskriminierungs-freie Sprache? Wie schreibe ich über eine Deutsche mit türkischer Familiengeschichte, ohne Klischees zu reproduzieren? Warum ist eine Geschlechtsangleichung keine Geschlechtsumwandlung?
An deutschen Journalistenschulen wird viel Zeit in die Sprache investiert. Verständlich – Sprache in Ton, Bild oder Schrift ist das Ausdrucksmittel aller Journalist_innen. Um dicht zu schreiben, sollte man nicht zu viele Adjektive verwenden. Der Anfang einer Geschichte sollte wie ein Hai zubeißen und die Leser_innen in den Text ziehen usw. Zu einer guten Form muss es einfach auch gehören, nicht ‚aus Versehen‘ die schlimmsten Stereotype zu reproduzieren [der schwule Fußballstar, der „trotzdem“ hart schießen kann] und Sachverhalte korrekt zu benennen: Es gibt eben keine Ehe nur für Homos – es gibt nur eine Ehe, die für Homosexuelle geöffnet werden soll.
Hilfreiche Leitfäden dafür wurden schon vom Bund lesbischer und schwuler JournalistInnen geschaffen [„Schöner Schreiben über Schwule und Lesben“], von ATME e.V. [Leitfaden für Medien] oder von TransInterQueer e.V. [„Trans* in den Medien“]. Leider sind alle drei Organisationen in journalistischen Kreisen kaum bekannt – anders als etwa der ‚Mediendienst Integration‘ und die ‚Neuen Deutschen Medienmacher‘, deren Glossar zu m Schreiben über Migration zwar längst nicht breitenwirksam beachtet wird, das jedoch eine gewisse Aufmerksamkeit erreichen konnte.
Grundsätzlich können im Netz alle zu einer diskriminierungsfreieren Sprache beitragen, denn wer etwa auf Twitter eine relevante Debatte ins Rollen bringt, hat auch eine gute Chance, gehört zu werden. Nach Protesten im Netz änderten etwa Frankfurter Rundschau und tagesschau.de in ihren Texten die „Homo-Ehe“ um in eine „Ehe für alle“. Zwar ist nur ein sehr geringer Prozentsatz der deutschen Bevölkerung überhaupt bei Twitter, Journalist_innen sind es dagegen auf jeden Fall.
Werden hier viele Stimmen laut, können es sich Journalist_innen nicht leisten, diese zu überhören. Außerdem sind sie immer auf der Suche nach einem Thema. Für die ständig wachsende Riege von Medienjournalist_innen und Netzreporter_innen ist Twitter mitunter die Hauptbezugsquelle. Deshalb muss Netzaktivismus für Organisationen genauso wichtig sein wie alles andere.
Eine hohe Aufmerksamkeit erhalten im Netz Beiträge mit Humor. Gerade erst entwickelte das Berliner ‚Peng! Collective‘ einen Twitter-Bot, der eine Woche lang allen, die etwa Begriffe wie „rape“ oder „Feminazi“ in ihren Tweets verwenden, therapeutische Videos geschickt hat.
Auch immer unterhaltsam ist der „Gender Swap“, der sich auch leicht auf vieles andere übertragen lässt: Würde ich auch bei einem heterosexuellen Fußballer schreiben, dass er „trotzdem“ hart schießen kann?
Es kann auch sehr effektvoll sein, Fakten auf die Schippe nehmen: Die Zeit veröffentlichte im Zuge der Diskussionen um die Öffnung der Ehe eine Grafik, die zeigt, wie viel sich für heterosexuelle Paare ändert, wenn die Ehe auch für homosexuelle Paare geöffnet wird. Nämlich gar nichts. Die Idee für die Grafik war zwar etwas geklaut, aber trotzdem eben eine gute Idee. Auf Facebook wurde sie über 15.000 mal geliked und über 5.000-mal geteilt.
Ein paar Fakten sind in der Debatte auch wichtig. Wo kann ich sie schnell finden? Kann ich damit auch unterhalten? Warum nicht ein Listicle mit den „20 Wahrheiten über die Bildungsreform in Baden-Württemberg“ erstellen? Auch das kann eine Form von Öffentlichkeitsarbeit sein.
Es wird also mehr über LSBTI* in den Medien berichtet, aber die Art und Weise ist oft nicht unproblematisch, denn Stereotype werden unbewusst, aber auch bewusst reproduziert. Dagegen kann eine Integration gewisser Themenbereiche in die journalistische Ausbildung helfen, und mittels Twitter können potentiell alle sich an Debatten beteiligen. Humor ist dabei eine große Hilfe, den man sich natürlich auch erst einmal leisten können muss.
Wichtig ist aber auch, sich selbst ein paar Fragen zu beantworten: Wie soll denn über LSBTI* geschrieben werden? Welche Bilder produziere und reproduziere ich selbst? Wenn mein Handeln als weißer, schwuler Aktivist von einer Schwarzen Frau als rassistisch bezeichnet wird, kann ich das nicht einfach deshalb ignorieren, weil ich ja schon Teil einer Minderheit bin.
Wer der von Jobst Paul beschriebenen Binarität von Ausgrenzungsdiskursen entkommen will, kann kritisches Reflektieren und den sensiblen Umgang mit Minderheiten nicht nur als Hausaufgabe für „die anderen“ sehen. Beim Aufbrechen dieser Binarität sind alle gefragt – das große Mainstream-Medium ebenso wie das kleine linke Fanzine.
Katrin Gottschalk
Chefredakteurin Missy Magazine. Geboren 1985 in Dresden, ist Chefredakteurin des Missy Magazine – Print und Online. Für die Frankfurter Rundschau schreibt sie außerdem über Themen aus dem Netz, Politik, Gesellschaft und Kultur. Ihre Texte sind auf Spiegel Online, in der taz-die tageszeitung, dem Tagesspiegel oder auf DRadio Wissen erschienen. Sie gibt Schreibworkshops an der Universität der Künste in Berlin und trägt zu den Themen "Geschlechterbilder in den Medien" oder "Frauenbewegung in der DDR" vor.“
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