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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Schon in der Schule Vielfalt und Respekt vermitteln

Bericht aus dem Forum 5 des Kongresses „Respekt statt Ressentiment“ 2015

Die Auseinandersetzungen um Bildungspläne verdeutlichen es: Die Bildungsarbeit zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und verschiedenen Geschlechtsidentitäten in Schule, Kita und Sozialer Arbeit ist gegenwärtig eines der Hauptangriffsziele homo- und transphober Polemiken. Wie können Diffamierungen zurückgewiesen und Initiativen für eine Pädagogik der Vielfalt gestärkt werden?

Wie in den Jahren der sogenannten Studentenrevolte, bringt die Bildungspolitik wieder Menschen auf die Straße. Anders als die mitunter utopisch emanzipatorischen Kräfte der 1968er, sind es heute auf den Straßen von Stuttgart bis Dresden nicht Menschen, die einer besseren Zukunft entgegen marschieren wollen. Es sind vielmehr anti-aufklärerische Kräfte, die glauben, das erstrebenswerte „Goldene Zeitalter“ liege in der Wiederherstellung einer idealisierten Vergangenheit, in der eine vermeintliche Einheit von Volk, Familie und Religion angeblich höchste Lebensqualität gesichert hat. Ihr Protest richtet sich gegen die komplexe Realität eines pluralistischen Zusammenlebens, das nach Maßgabe einer modernen Verfassung, der Würde des Individuums und gegenseitiger Verantwortungsübernahme über die engeren Familienbande hinaus zu gestalten ist. Der gefährlichen Illusion einer homogenen, heteronormativen „Volksgemeinschaft“ müssen die Verteidiger/innen der offenen Gesellschaft selbstbewusst entgegentreten.

Menschenrechtsorientierte Sexualaufklärung in den Bildungseinrichtungen

harald-stumpe.jpgDer Merseburger Sozialmediziner und Psychotherapeut Professor Dr. med. Harald Stumpe beschrieb die Herausforderung: Die pädagogische Vermittlung gesellschaftlicher Vielfalt in allen ihren Dimensionen, gerade auch der von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, sei der Umsetzung international verbriefter insbesondere sexueller und reproduktiver Menschenrechten verpflichtet. Es ist also menschenrechtsorientierte Sexualaufklärung, die Bildungseinrichtungen leisten sollen.

Es geht nicht um "Sexualisierung", sondern um Selbstbestimmung

katja-krolzik-matthei.jpgDie Sexualpädagogik diene gerade nicht der „Sexualisierung“, und schon gar nicht in einer polemisch behaupteten „Früh- oder Hypersexualisierung“. Im Gegenteil: Ihr Auftrag liegt vor allem in der Förderung von Selbstbestimmung und Selbstbehauptung So wenig Menschen zur Homosexualität erzogen werden könnten, so wenig bedürften Kinder einer „Sexualisierung“. Jeder Mensch sei bereits im Mutterleib auch ein sexuelles Wesen. Auch wenn sich kindliche Sexualität anders äußere als die von Erwachsenen. Das unterstrich Katja Krolzik-Mathei, die an Stumpes Lehrstuhl am Projekt „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung“ arbeitet.

Bewusst polemische Diffamierungen

Die von „besorgten Eltern“ kritisierte Fachliteratur zur Sexualpädagogik an Schulen richte sich ausdrücklich an Fachpersonal. Dieses sei gefordert die richtigen Methoden für eine altersgerechte und zielgruppenspezifische Vermittlung von Bildungsinhalten zu erarbeiten. Krolzik-Matheis warnte vor der bewusst polemischen Interpretation der Fachliteratur durch halbgebildete Laien: „Wer Lehrbücher wie „Sexualpädagogik der Vielfalt“ als Sexualisierungsmittel diffamiert, würde wahrscheinlich auch chirurgische Fachliteratur als Anleitung zur Körperverletzung verstehen.“

Bei der vorurteilsfreien Vermittlung der notwendigen pädagogischen Inhalte müssten Lehrkräfte und Eltern im Interesse der Kinder und Jugendlichen an einem Strang ziehen. Es gehe insbesondere darum zu motivieren, bei Verstößen gegen die Würde der Kinder durch Mitschüler/innen z.B. bei homophoben Äußerungen zu informieren und zu intervenieren.

Aufklärung fördert Abbau von Vorurteilen

ulrich-klocke.jpgDer Berliner Sozialpsychologe Dr. Ulrich Klocke machte deutlich, dass diese Anstrengungen sehr wohl fruchten, wenn es um den Abbau von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehe. Seine für die Humboldt-Universität durchgeführten Erhebungen zeigen, dass die Fälle von verbaler und tätlicher Diskriminierung signifikant zurückgehen, sobald entsprechende Aufklärungsaktivitäten stattgefunden hätten.

Dazu müssten auch Lehrkräfte selbst noch stärker für die Belange der Diversität sensibilisiert, fortgebildet und durch aktualisierte Bildungspläne ermutigt werden, um dieses wichtige Thema nicht nur als „privates Steckenpferd“ einiger weniger interessierter Lehrkräfte anzusehen.

Für ein möglichst breites Angebot, darin waren sich alle Teilnehmenden des Forums einig, bedürfe es aber weit mehr als die verdienstvollen ehrenamtlichen Schulaufklärungsprojekte. Gefordert sei vielmehr eine Akademisierung und Professionalisierung der Aufklärungsarbeit. Die bislang bundesweit einzigen als Bundesmodellprojekt realisierten Masterstudiengänge „Sexualpädagogik und Familienplanung“ wie auch „Angewandte Sexualwissenschaft“ an der Hochschule Merseburg sind dabei ein Anfang, aber sicher zu wenig.

Helmut Metzner
LSVD-Bundesvorstand

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